Kapitel 14

Die Tage vergingen ganz ruhig. Ich hatte mich von Ladislao distanziert. Wir redeten nicht mehr wirklich miteinander und abends legte ich mich immer auf die Couch zum Schlafen, aber jedes Mal trug er mich nach einer halben Stunde oder dann, wenn er vermutete, dass ich bereits eingeschlafen war, auf das Bett und schlief selber neben mir. Er achtete darauf, dass er mich beim Schlaf nicht berührte oder mir zu nahe kam.

Ihm kam meine Ignoranz gerade gelegen, da er keine Anzeichen darauf machte, dass er mit mir reden wollte. Mir war es auch egal. Irgendwie vermisste ich ihn und musste immer wieder an unsere gemeinsamen Stunden denken, aber ich versuchte, das zu unterdrücken. Ich ließ mich von Camilla ablenken. Wir kochten immer gemeinsam. Seit einigen Tagen war auch die Gehilfin wieder da. Sie hieß Nadja und wirkte auf den ersten Eindruck sympathisch.

Zu dritt verbrachten wir die meiste Zeit miteinander. Nachdem die Arbeit erledigt war, saßen wir zusammen und unterhielten uns. Ich erfuhr, dass Nadja die Frau von Carlos war. Sie hatten sich wohl hier in diesem Haus getroffen und sich dann verliebt. Sie war älter als ich, nämlich sechsundzwanzig. Ihr Mann war wohl auch schon etwas älter, sogar älter als Ladislao - sechsunddreißig. Wieso verglich ich das jetzt mit ihm? Oh, Mann. Ich war echt nicht mehr zu retten.

Kurz gefasst: Es wurde nicht sonderlich spannender in diesem Haus.

Angelie hatte ich nie wieder besucht. Ich wollte keinen Ärger mehr, sondern einfach meine Ruhe haben. Auch wenn er sich entschuldigt hatte, vertraute ich ihm dennoch nicht, falls er mich wieder in ihrer Nähe sehen sollte. Wer weiß, ob er wieder austicken würde. Ich wollte mich soweit es ging von ihm distanzieren.

Nadja kannte die Wahrheit nicht, denn sie dachte, dass ich ernsthaft verlobt war. Generell wusste anscheinend außer Alfonso und Camilla keiner die Tatsache, dass wir diese kommende Ehe vortäuschten. Mir war es lieber, dass es wenige wie möglich wussten. Ich mochte es überhaupt nicht, wenn Menschen zu viel über mich erfuhren und meine ganzen Geheimnisse kannten. Mit niemandem teilte ich diese. Kein Mensch auf dieser Welt wusste alles über mich. Und daran wollte ich auch nichts ändern.

Gerade saßen wir in der Küche und unterhielten uns. Es war schon ziemlich spät geworden.

„Ach, ja", sah Nadja verträumt in die Luft. „Das waren mal Zeiten gewesen. Mädels, mein Mann wartet auf mich und dein Zukünftiger auf dich."

Sie zwinkerte mir zu und sah mich mehrdeutig an.

„Als ob, er ist doch bestimmt schon schlafen", lachte ich daraufhin nur los.

„Ich habe ihn gerade durch die Tür schauen sehen. Er hat dich beobachtet und ist dann hoch gelaufen."

„Wie... er war hier?", fragte ich verblüfft.

„Ja, er hat durch die Tür gesehen und bisschen dort gewartet. Danach ist er erst wieder weg."

Es überraschte mich, so etwas zu hören. Wieso war er hier? Hatte er nach mir sehen wollen? Nein, oder? Immerhin gingen wir uns aus dem Weg. Die beiden sahen mich immer noch abwartend an.

„Was?", gab ich genervt von mir.

„Auf was wartest du?", grinste mich Nadja an. „Dein Mann wartet auf dich. Geh doch zu ihm, los!"

Camilla blieb bei dem Thema eher stumm, da wir beide wussten, dass Ladislao mich ganz sicher nicht vermisst hatte.

„Also, Ladys, wenn ihr nicht wollt, könnt ihr ja noch sitzen. Ich will zu meinem Mann."

Nadja wackelte vielsagend mit ihren Augenbrauen und bewegte sich schwungvoll aus dem Raum. Nun war ich mit Camilla alleine. Ich bemerkte, dass sie mich aus der Seite ansah, aber versuchte es zu ignorieren.

„Willst du vielleicht darüber reden?", fragte sie mich ganz leise.

„Nein... es ist... ach, weiß auch nicht."

Ich sah auf meine Hände und konnte nichts mehr dazu sagen.

„Er war wirklich vorhin hier", meinte sie nach einer Weile.

Mein Blick schnellte zu ihr hoch. Ich saß mit dem Rücken zur Tür, weshalb ich es nicht gesehen hatte. Aber die zwei hatten sich mir gegenüber gesetzt und hatten den Eingang im Visier.

„Ehrlich?", wollte ich wissen. „Was hatte er an der Tür gemacht?"

„Na ja, er stand nur dort, hat dich beobachtet. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass wir ihn bemerkt hatten. Und dann ist er weg."

Ich wusste gar nicht, wieso ich auf diese Sache so reagierte. Er hätte genauso gut auch nach etwas anderem sehen können. Es musste ja nicht zwangsläufig mit mir was zu tun haben. Meine Gedanken teilte ich Camilla mit, woraufhin sie auch nichts mehr zu erwidern wusste. Wir beschlossen dann auch schlafen zu gehen und wünschten uns eine gute Nacht.

Camilla lief in ihr Zimmer und ich zu den Treppen. Ich ging ganz langsam voran. Irgendwie wollten meine Beine kehrt machen. Ich zwang mich ins Zimmer zu gehen, da ich mittlerweile ziemlich müde war. Er kam für gewöhnlich nicht nach unten. Also wieso heute Abend? Ich war bis jetzt nie so spät ins Zimmer gekommen. Etwa deshalb? Ich lief den Gang weiter und kam vor die Tür.

Gerade als ich zur Klinke greifen wollte, wurde die Tür auch schon geöffnet. Von niemand anderem als Ladislao selbst. Wir standen sehr nah aneinander und sahen uns einfach nur in die Augen. Dafür musste ich meinen Kopf in den Nacken legen.

„Was habt ihr so lange gemacht?", fragte er mich und sah mir weiterhin intensiv in die Augen.

Mich überraschte seine Direktheit. Seit wann konnten wir so offen reden?

„Nichts, wir saßen da und haben geredet", erklärte ich ihm mit einer festen Stimme und erwiderte seinen Blick.

Was war los mit ihm?

„Hm, okay", kam es nur leise von ihm.

Er trat zur Seite, damit ich in den Raum gelangen konnte, was ich dann auch tat und mich auf das Sofa setzte. Irgendwie wollte ich nicht mehr nach seiner Pfeife tanzen. Ich war es satt, mich dauernd irgendjemandem anzupassen.

„Ich werde etwas fernsehen", informierte ich ihn und schaltete die Kiste an.

Gut, es war keine Kiste, sondern ein hauchdünnes Flachbild. Wen interessiert das aber schon? Ich zappte durch die Kanäle. Ladislao stand immer noch an der Tür. Er war wohl überrascht. Nach einigen Minuten, die er da sinnlos herumstand, schloss er die Tür zu und kam zu mir. Gerade als er sich setzen wollte breitete ich meine Beine aus, um mich gemütlich hinzulegen. Sicher wollte ich jetzt nicht mit ihm hier nebeneinander sitzen. Ich hatte meinen Entschluss gefasst, kalt zu ihm zu sein, keine Gefühle mehr zu zeigen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass er mich verwundert anstarrte. Ich ignorierte seine Blicke und sah stur auf den Fernseher.

Er gab wohl nicht so leicht auf, wie ich es mir gedacht hatte. Denn im nächsten Moment griff er nach meinen Beinen, schmiss diese herunter und setzte sich hin. Dadurch berührte sein Bein meinen Hintern, da ich noch lag und meine Beine seitlich aus dem Sofa fielen. Mich überkam eine Hitze, weshalb ich mich ganz schnell aufrappelte und nah an die Armlehne setzte, damit wir uns nicht mehr berühren mussten. Ladislao grinste vor sich hin. Oh, nein, diesen Sieg gönnte ich ihm einfach nicht! Was er konnte, konnte ich schon lange!

Plötzlich beugte er sich zu mir und schnappte sich die Fernbedienung aus meiner Hand. Ich realisierte erst zu spät, was er getan hatte. Er ging durch die Sendungen und blieb wieder bei einer komischen Dokumentation hängen. Was hatte er nur mit seinen ganzen Dokus? Wer sah sich ausschließlich nur so etwas an?

Er hatte mich die ganzen Tage über ignoriert und jetzt wollte er mich nerven, wenn ich das hier richtig verstand. Ich wollte aber nicht den ersten Schritt machen und ihm Fragen stellen oder mich mit ihm unterhalten. Wahrscheinlich wollte er nur das provozieren. So viel Köpfchen hatte ich auch schon! Verdammt sei er aber auch!

Ich sagte einfach gar nichts und sah mir die Doku an. Wie ich es langsam mitbekommen hatte, ging es anscheinend um die Erfindung der ersten Maschinengewehre. Dieser Idiot hatte wohl so eine Waffe konstruiert, damit nicht mehr so viele Menschen starben. Wie schwachsinnig war das denn? Das war ja wie einen Krieg mit einem anderen zu beenden. Das klappte einfach nicht! Wir sahen uns das weiter an. Es wurde nicht wirklich sinnvoller. Seine Waffe sollte wohl die Anzahl der Soldaten reduzieren, die an der Front kämpften und ums Leben kamen. Aber hierbei dachte er nicht an die Gegner, die wie eine Schar Vögel einer nach dem anderen abgeschossen wurden, sondern nur an die Leute aus seinem Land. Durch die Bilder verdrehte sich mir der Magen.

Ich hatte echt keine Lust mehr, mir diesen Blödsinn anzusehen. Kurz erhaschte ich einen Blick auf ihn und bemerkte, dass er nur auf den Bildschirm fixiert war und die Fernbedienung locker in seiner Hand hielt, die auf der Armlehne ruhte. Ich sah meine Chance. Auch wenn ich zur seiner anderen Seite heran kommen musste, beugte ich mich herüber, griff blitzschnell zu seiner Hand und wollte die Fernbedienung ergattern. Jedoch hatte ich hierbei nicht mit seinen trainierten Reflexen gerechnet. Gerade als ich zur Fernsteuerung greifen wollte hielt er meine Hand fest. Ich lag halber auf ihm und sah hoch in sein Gesicht. Er grinste mich nur arrogant an.

„Was' los, Kleines?"

Normalerweise mochte ich es, wenn er mich so nannte, aber in dem Moment nervte er mich nur damit.

„Ich will umschalten", gab ich genervt von mir.

„Hm", legte er seine Stirn in Falten, als würde er ernsthaft nachdenken. „Ich irgendwie nicht."

Ich kochte gerade vor Wut und wollte meine Hand wegreißen, jedoch hielt er sie noch fest. Ich stellte meinen Rücken wieder gerader hin und setzte mich auf, dass mein Oberkörper nicht mehr auf seinem Schoß lag. Er kam mir näher und so saßen wir uns gegenüber, wobei er immer noch meine Hand hielt. Ich wollte ihm nicht so nah sein. Wieso tat er das überhaupt?

„Lass meine Hand los", flüsterte ich.

„Sieh mich an", meinte er daraufhin nur.

Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht in seine wunderschönen, einzigartigen Augen sehen. Deshalb blieb mein Blick immer noch nach unten gerichtet. Plötzlich spürte ich seinen Finger an meinem Kinn und musste somit gezwungen aufsehen.

„Bitte, verstecke deine schönen Augen nicht vor mir", kam es leise von ihm.

Was sollte das jetzt wieder heißen? Wollte er mich verarschen? Ich sah an dem Ausdruck seines Gesichts, dass er das wirklich ernst meinte.

„Was... ich... wieso?", gab ich atemlos von mir.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich meinen Atem angehalten hatte.

„Ich weiß, du bist verwirrt. Glaube mir, ich bin es auch. Das, letztes Mal... also diese Sache... es tut mir leid..."

Er wirkte unsicher. Als würde er etwas sagen wollen, aber es nicht richtig ausdrücken können. Wollte er jetzt mir gestehen, wie falsch das gewesen war? Wieso sprach er mich nach Tagen erst darauf an? Seit dem Vorfall, dass ich ihn mit meinem Kuss überstürzt und mich förmlich auf ihn geschmissen hatte, war bestimmt schon eine Woche vergangen.

„Du musst mir jetzt nicht sagen, dass du es bereust", gab ich verächtlich von mir und riss meine Hand aus seinem Griff. „Ich bin müde."

Nach meiner Aussage stand ich auf und lief ins Badezimmer. Ich ging kurz aufs Klo und wusch mir meine Hände. Ladislao saß immer noch wie bestellt, nicht abgeholt, da. Ihn ignorierend zog ich mich im Schrank um und ging einfach ins Bett. So oder so würde er mich wieder hintragen. Und gerade konnte ich seine Nähe und seine Hände auf meinem Körper wirklich nicht gebrauchen.

Ich lag nun im Bett, aber konnte nicht einschlafen. Er saß immer noch auf der Couch. Es war bestimmt schon eine halbe Stunde vergangen.

Ladislao stand auf und ging sich umziehen. Ich schloss einfach meine Augen und kuschelte mich in meine Decke ein. Er kam an das Bett und legte sich auf die andere Seite hin. Wir hatten eine große Decke zusammen. Ein Luftzug zog sich durch das erwärmte Bett wegen ihm. Irgendwie wurde mir kurz kalt, weshalb ich mich mehr in die Decke einkuschelte. Ich war mit dem Rücken zu ihm gewandt und spürte, dass er sich mir näherte.

„Ich bereue nichts", flüstere er ganz leise.

Was? Hatte ich mich etwa verhört? Mein Herz schlug so laut, dass ich Angst hatte, er würde es hören. Was sollte ich darunter verstehen? Dieser Mann verwirrte mich einfach nur. Was sollte ich jetzt davon halten? Er bereute nichts. Er bereute es nicht. Also bereute er es nicht, dass wir uns geküsst hatten? Ich wurde ganz konfus.

Ladislao beugte sich zu mir herüber. Er drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.

„Gute Nacht, Kleines", wisperte er in mein Ohr und entfernte sich wieder.

Meine ganze Haut kribbelte. Ich hatte eine Gänsehaut. Was passierte nur? Er verwirrte mich immer wieder. Er hatte sich doch entfernt! Er war doch abgehauen! Er hatte sich die ganzen Tage über ferngehalten! Verdammt! Und jetzt kam er mir mit so etwas. Gerade dann, als ich mich mehr oder weniger an seine Abwesenheit gewöhnt hatte, als ich beschlossen hatte, ihn einfach nicht mehr an mich heran zu lassen. Ich wollte nicht mehr durch ihn verletzt werden.

Vertieft in meinen Gedanken war ich schon fast eingeschlafen, als ich plötzlich einen Arm unter der Decke an meiner Taille spürte. Mir stockte der Atem. What's happening? Abrupt wurde ich nach hinten gezogen und mein Rücken lehnte an seiner Brust. Ich spürte seinen Atem an meinem Nacken und wie er dort meinen Duft einatmete. Was hatte er immer wieder mit meinem Duft?

„Schon viel besser", hörte ich ein Murmeln hinter mir.

Was?! Ladislao vergrub sein Gesicht in meinen Nacken, sein Arm umfasste meinen Oberkörper, die Hand an meinem Bauch und seine angenehme, gemütliche Brust an meinem Rücken. Ich vergaß zu atmen. Seine Nähe, diese Körperwärme, erweckte tausend unfassbare Gefühle in mir. Ich konnte keinen dieser einordnen. Aber eines wusste ich ganz sicher: Ich fühlte mich in dem Moment unglaublich wohl, als wäre ich zuhause. So ein Gefühl hatte ich noch nie. Sein regelmäßiger Atem an meinem Nacken beruhigte mich. Mit einer inneren Ruhe und Sicherheit, die ich nie gekannt hatte, schlief ich ein.

***

In meinem Leben tat sich nichts Neues. Es lief alles genau gleich. Routine. Standard. Aber heute wollte ich einen angenehmen Tag verbringen. Ich bat Marina, mit mir herauszugehen. Natürlich nur in den Garten. Weiter durften wir nicht. Aus Sicherheit. Zur Strafe. Oder beides. Wobei das Letztere schwerwiegender war.

Wir saßen gemeinsam im Pavillon. Das hieß: Ich in meinem Rollstuhl und Marina auf der Schaukel.

„Wie geht es dir?", fragte ich sie. Ich wollte heute nicht mehr über mein eigenes Leid denken, sondern mich erkundigen, wie es ihr ging. Sie hatte lange nichts mehr von sich erzählt.

„Ganz gut. Wie immer."

Ihre Antwort stellte mich ganz und gar nicht zufrieden. Irgendetwas stimmte doch nicht. Sie wirkte seit Tagen bedrückt. Gestern hatte sie sich freigenommen. Da musste etwas vorgefallen sein. Denn das tat sie für gewöhnlich nicht. Sie ging normalerweise nur am Wochenende nach Hause und meinte, dass das ihr genüge.

„Was ist los?", versuchte ich sie zu ermutigen. „Du kannst mit mir immer und über alles reden, Marina. Das weißt du doch."

Ich realisierte in dem Moment, wie sehr ich sie vernachlässigt hatte in letzter Zeit. Seitdem ich wieder so oft an James dachte und von ihm träumte. Aber jetzt war Schluss. Jahre waren vergangen. Irgendwann musste es doch nachlassen, aufhören.

„Ich will dich nicht belasten", setzte sie an, jedoch unterbrach ich sie sofort.

„Ich bitte dich. Sag so etwas nicht. Wen haben wir außer uns zwei? Wer versteht uns besser als wir? Marina, stimmt etwas mit Sandro nicht?"

Sandro war ihr Sohn. Aber er war ein Problemfall. Immer wieder nahm er Drogen. Er arbeitete ohne es zu wissen für Ladislao. Das wusste ich. Aber Ladislao wusste nicht, dass Sandro selber auch abhängig war. Er wusste bestimmt nicht einmal, dass Marinas Sohn involviert war, denn er tat seine Geschäfte im Dunkeln, nur wenige durften ihn persönlich kontaktieren. Nach Außen hin gab er den Schein eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Der Carbone Familie gehörte ein großes Unternehmen, das für die Herstellung von technischen Geräten und Softwares bekannt war. Wenige seiner Partner kannten ihn wirklich. Sandro selbst und auch Marina hatten keine Ahnung, wessen Drogen er vertickte.

Ich wusste viel über Carbones Geschäfte. Das war wahrscheinlich auch einer der Gründe, wieso er mich nie losließ. Ich hatte ihn betrogen, aber er konnte mich immer noch nicht gehen lassen. Vielleicht hätte er mich umgebracht, aber auch das tat er nicht. Das Wieso und Weshalb dahinter konnte ich mir nicht erklären.

Er dachte, er wäre verliebt in mich, aber ich wusste es besser. Er hatte mich nie geliebt. Liebe war etwas anderes. Schließlich hatte ich sie kennengelernt. Kennenlernen dürfen. James, meine Liebe. Ich wollte nicht mehr daran denken jetzt. Das hatte ich mir für den heutigen Tag vorgenommen.

Ich habe ihn gestern in eine Suchtfachklinik eingewiesen", fing Marina an zu schluchzen und brach dann zusammen.

Ich bewegte mich weiter vor, um sie berühren zu können und zog sie in eine Umarmung.

„Vielleicht ist das besser so, hm?", versuchte ich sie zu trösten.

„Ich... hab' ich es mir einfacher gemacht?", sah sie mich aus ihren verheulten Augen an. „Sollte ich nicht mehr um ihn kämpfen? Er redet nicht mit mir."

Sie schluchzte immer lauter und ich ließ sie. Es würde ihr gut tun. Das hoffte ich zumindest.

„Du hast viel getan. Du bist die beste Mutter, die ich kenne. So wird er keinen Zugang mehr zu Drogen haben können."

Ich streichelte ihren Rücken und zog sie in eine feste Umarmung.

„Ich bin eine schreckliche Mutter. Wie konnte ich ihn nur dort abgeben?"

Ihr Gemütszustand verbesserte sich eindeutig nicht. Ich versuchte immer mehr sie aufzubauen, ihr einzureden, dass es wenigstens einen Versuch Wert sei.

Wir blieben einige Stunden dort und redeten miteinander. Ich hörte ihr zu. Denn das brauchte sie in dem Moment einfach. Eine Person, die sie unterstützte und ihre Sorgen mit ihr teilte.

Sandro war schon zu seiner Jugendzeit ein Problemkind und mit der Zeit hatte sich das nie abgelegt. Er hielt sich immer in den falschen Kreisen auf, bei den falschen Leuten.

Ich bin so etwas wie mit ihm großgeworden. Damals, als ich noch in meinem Elternhaus wohnte, lebten sie gemeinsam bei uns. Aber Sandro war nie ein Familienmensch gewesen. Er war immerzu draußen. Manchmal kam er für Tage nicht nach Hause. Marina litt sehr darunter. Für mich unvorstellbar, als eine Person, die vor kurzem ihre Mutter verloren hatte. Sandro wusste Marina nicht zu schätzen. Er beschuldigte immer seine Mutter, dass er keinen Vater hatte. Was konnte sie denn dafür, wenn dieser ein riesiges Arschloch war? Ein Feigling, der seine Freundin geschwängert hatte und aus Angst abgehauen war?

Ich liebte Marina. Ich liebte sie wirklich sehr. Sie war die beste Mutter und die stärkste Frau in meinen Augen. Aber das sah Sandro nicht. Er müsste eigentlich stolz auf seine Mutter sein. Er war mittlerweile Anfang zwanzig, aber benahm sich immer noch wie ein pubertierender Junge. Wann würde er endlich erwachsen werden? Ich wollte Marina seinetwegen nicht mehr leiden sehen.

Wir saßen eine Weile dort und gingen dann wieder ins Haus. Ich bot ihr an, heute früher Schluss zu machen, da ich nicht wollte, dass sie sich in dem Zustand noch um mich kümmern musste. Sie gab einem anderen Hausmädchen Bescheid, dass sie nach mir sehen sollte und ging sich dann ausruhen. Ich schlug ihr vor, nach Hause zu gehen und das tat sie auch zum Glück. Sie sollte etwas Ruhe haben. Ihre Gedanken klären.

Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Zimmer.

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