Kapitel 13
Mit langsamen Schritten lief ich auf die Tür zu. Würde es seltsam werden? Das konnte ich auch nur dann herauskriegen, wenn ich herein lief, aber ich traute mich nicht ganz. Seine Abweisung saß noch tief in meinen Knochen. Hatte ich etwa den Bogen überspannt, mich billig benommen? Völlig entnervt fuhr ich mit beiden Händen über mein Gesicht. Ich kratzte meinen ganzen Mut zusammen und trat durch die Tür.
Ladislao saß auf dem Bett und massierte sich seine Schläfen. Wahrscheinlich hatte er einen Kater. Er hatte mich nicht einmal bemerkt, als ich herein kam. Irgendwie tat er mir leid in dem Moment. Ich lief ins Bad und nahm aus dem Medizinschrank Aspirin heraus. Wieder im Zimmer füllte ich ein Glas mit Wasser. In diesem Haus standen auch überall Gläser und Getränke.
„Trink das", reichte ich ihm das Wasser und die Tablette.
Er sah kurz auf und nahm sie mir ab.
„Danke", hauchte er als er getrunken hatte und reichte mir das Glas, welches ich annahm, auf die Kommode stellte und mich auf die Bettkante setzte, sodass ich ihm gegenüber saß.
„Brauchst du sonst was?", fragte ich ihn monoton.
Er sah mich nicht an, sondern starrte die Bettdecke an. Ich sagte nichts mehr, da ich nicht aufdringlich sein wollte.
„Ich... danke, dass du dich um mich gekümmert hast. Ich kann mich noch vage an den Morgen erinnern."
Er sah weiterhin auf die Decke. Mittlerweile war sein Gesicht richtig angeschwollen, hier und da zierten Blutergüsse seine Haut. Dieser stark aussehende Mann war innerlich gebrochen, was ich in dem Moment wirklich erkennen konnte und irgendwie schmerzte diese Erkenntnis in mir.
„Hab' ich gern gemacht", lächelte ich ihn an, obwohl er mich nicht ansah. „Ich bringe dir was Leichtes zu essen."
Mit den Worten stand ich auf und lief in die Küche. Ich überlegte mir, was ihm in dieser Lage gut tun würde. Meine Wahl fiel eigentlich auf eine Suppe, aber wie machte man diese? Ich wusste nicht mehr weiter, weshalb ich beschloss, Camilla um Hilfe zu bitten. Sie war gerade sowieso in der Küche und bereitete noch das Essen zu.
„Kannst du mir vielleicht helfen?", fragte ich sie schüchtern.
„Natürlich."
„Ähm, Ladislao geht es gerade nicht so gut. Ich habe mir gedacht, dass ihm eine Suppe vielleicht wohl täte."
„Okay, soll ich eine kochen?", fragte sie mich unsicher.
„Nein, nein, du musst mir nur zeigen, was ich tun soll", meinte ich daraufhin nur. „Ich will dich nicht von deiner Arbeit aufhalten."
Das war nur eine Ausrede, da ich ihn unbedingt selber bekochen wollte.
Nach einer halben Stunde hatte ich es endlich geschafft, eine Suppe fertig zu bekommen und lief mit dem Tablett in der Hand hoch. Ich klopfte kurz an und trat herein. Er saß noch auf dem Bett, weshalb ich dahin lief und ihm das Tablett auf den Schoß legen wollte. Er nahm es mir ab und setzte sich aufrechter hin.
„Danke, Kleines", kam es leise von ihm.
Er fing an langsam seine Suppe auszulöffeln. Ich musste leicht lächeln dabei. Es schien als wäre alles wieder irgendwie normal, er hatte mich mit „Kleines" angesprochen.
Ladislao war mit seinem Essen fertig, ich schenkte ihm noch ein Glas Wasser und beobachtete ihn weiterhin. Er stellte die leere Schüssel und das Glas mit dem Tablett auf die Kommode und sah mich an. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden und so kam es, dass wir uns in die Augen sahen. Mich beschlich das Gefühl, dass er etwas sagen wollte, aber nicht wusste, wie er anfangen sollte, als würde er nach den richtigen Worten suchen. Es wurde unangenehm, denn ich wollte nicht hören, dass er alles bereute und... und ja...
„Ruh dich aus. Ich gehe mal... ähm... nach Camilla sehen und bringe die Sachen hier herunter."
Ladislao sah mich seltsamerweise mit einem Schimmern in den Augen traurig an. Ich konnte seinen Blick nicht ganz deuten, nahm das Tablett und lief heraus. Wieso hatte er mich so angesehen? Was ging in ihm vor? Manchmal wünschte ich mir wirklich, in seine Gedanken zu sehen.
Ich lief in die Küche und gab das Geschirr Camilla, welches sie dann auch gleich einräumte.
Sie kochte das Essen noch und ich entschied mich, ihr zu helfen, da ich mich ablenken und nicht mehr an die komische Stimmung zwischen Ladislao und mir denken wollte.
In diesem Haus hatte ich einfach nie etwas zu tun und heute hatte ich ein neues Hobby entdeckt. Mir gefiel es, zu kochen. Es machte wirklich Spaß aus diesen Zutaten ein leckeres Gericht zuzubereiten. Nach der zweiten und letzten Essensparade an diesem Tag lief ich in den Wohnbereich und setzte mich wieder einmal vor die Glotze. Ich hatte noch nie so viel ferngesehen. Aber wenn man sich in einem fremden Haus befand und sonst nichts anderes mit sich anzufangen wusste, kam es nun einmal dazu. Ladislao hatte ich bis jetzt nicht mehr gesehen, da er sich wahrscheinlich noch ausruhte.
Ich sträubte mich dagegen, zu ihm hoch zu gehen. Ganz sicher wollte ich mir nicht anhören, wie sehr er es bereute, wie er sich selbst dafür hasste, mir so nah gekommen zu sein oder sonst was. Ich wollte das alles nicht wissen. Nicht wissen, was er darüber dachte, denn ich sah ihm an, dass er nicht so empfand wie ich es tat.
Solche Gefühle des Zweifels kannte ich nicht von mir. Ich war immer eine selbstsichere Person. Jemand, der wusste, was er wollte. Mir wurde so langsam bewusst, wie sehr ich mich verändert hatte, seitdem ich hier war, seitdem ich Ladislao verfallen war. Ich konnte es nicht länger verleugnen. Er zog mich an. Nein, er hatte mich fest an sich gebunden. Ich verlor mich selbst an seinen Ketten. Und das Schlimmste daran war, dass es mir nichts ausmachte, denn ich wollte ihm gehören, dass er mich bei sich hielt, mich akzeptierte.
Liebte er etwa Angelie noch? Bestimmt, oder? Immerhin war sie direkt in seinem Nebenzimmer, er besuchte sie regelmäßig. Schließlich hatte er mich ihretwegen erwürgen wollen, ihretwegen hatte er mir das erste Mal weh getan. Mein Herz zerbrach, es schmerzte, heulte sich in mich hinein. Noch nie hatte ich mich so verzweifelt gefühlt. Noch nie fühlte ich mich so verloren und wusste nicht, wie oder was ich tun sollte.
Ich sah nur eine einzige Lösung. Wenn die jetzige Crystal nicht mit der Situation umgehen konnte, dann musste die alte her. Unnahbar, distanziert, kalt und das Wichtigste: gefühllos. Mein Entschluss stand fest und somit fühlte ich mich erleichtert, als würde sich eine Last von meinen Schultern ablegen. Ich durfte einfach nicht mehr emotional sein. Ja, nur so kam ich heil aus dieser Sache heraus. Nicht, wenn er mir immer wieder mein Herz brechen konnte. Ich durfte ihn nicht mehr an mich lassen. Gefühlsmäßig. Er durfte nicht weiter eine Wirkung auf mich haben.
***
Der heutige Tag verlief im Großen und Ganzen sehr ruhig. Ich hörte von niemandem etwas. Das tat mir gut. Es tat mir gut keinen dieser Schweine zu sehen oder zu hören. Marina kam nur ab und zu her. Sie gab mir mein Essen und verzog sich dann auch wieder.
Früher habe ich mich mit meiner Kunst beschäftigt, hatte meine Gemälden, mein eigenes Atelier. Nach meiner Lähmung gab ich alles auf. Ich würde nie mehr zeichnen, malen oder Skulpturen erschaffen. Das alles zählte zu einer Zeit, in der es eine Angelie gab. Heute gab es diese nicht mehr, heute gab es nur eine lebende Leiche, die sogar aufs Töpfchen gehen Hilfe brauchte.
Ich hatte mir den Sonnenuntergang angesehen. Viele illustrierten mit dem Auf- und Untergang das Leid der Menschheit. Von wegen so wie die Sonne mal untergehe und dann wieder scheine, so würden auch mal die Sorgen vergehen, ein neues Lichtblick würde sich eröffnen. Ich hatte nun fast täglich die Sonne auf- und untergehen gesehen, aber weder mein Leid verringerte sich noch vergingen meine Sorgen. Nein, im Gegenteil! Der Schmerz in mir wuchs immer mehr an, immer mehr verlor ich meine Lebenslust.
Was hatte ich schon von meinem Leben? Ich saß fest, wie eine Gefangene, hatte keinen Freiraum, aber was sollte ich auch mit diesem anfangen? Ich hatte einfach kein Ziel mehr. Ich wusste nichts mehr mit mir selbst anzufangen. Das war schlimm. Jedoch fand ich keine Lösung. Seit Jahren war ich nun hier in diesem Zustand.
„Brauchst du für heute noch was?"
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Marina ins Zimmer gekommen war. Sie wollte wohl Feierabend machen.
„Nein, danke. Du kannst dich ausruhen."
Sie trat aus dem Zimmer und schloss die Tür. Nun war ich wieder mit mir alleine, sah auf die Seite vor mir und schrieb diese Sachen hier auf. Es tat mir gut, dieses Buch zu führen. Sonst wusste ich auch nicht, wie ich meine Tage hier verbringen, gar überleben sollte.
Es gab Dinge, über die ich mit niemandem reden konnte und genau diese konnte ich hier niederschreiben.
Meine Gedanken schweiften immer wieder zu James. Ich vermisste ihn unheimlich. Er fehlte mir. Ich fühlte mich ohne ihn nicht komplett, einfach nur halb, als würde das Hauptteil eines Systems fehlen, sodass es nicht mehr richtig funktionierte.
Eines Tages hatte ich mich wieder aus dem Haus geschlichen. Ladislao war unterwegs. Irgendwo gab es ein Problem mit seiner Schwarzware. Ihr Transporter wurde überfallen. Dafür musste er weit weg reisen, somit war er für eine längere Zeit abwesend. Ich kannte mich nicht gut mit seinen Geschäften aus, dennoch wusste ich für seinen Geschmack zu viel. Sie interessierten mich auch nicht wirklich.
Nach unserem damaligen Gespräch wollte er gar nicht dahin. Ich sah es ihm an, dass er mich im Auge behalten wollte, etwas verdächtigte. Wie viel wusste er bereits? Er sagte nichts. Ladislao war kein ehrlicher, offener Mann. Im richtigen Moment schlug er erst zu. Er wartete bis sein Gegner sich am sichersten fühlte, um umso zerstörerischer sein zu können. Ich kannte ihn mittlerweile gut, deshalb musste ich rechtzeitig handeln. Wir mussten weg hier. Wir, James, unser Kind und ich.
Ich sah eine Möglichkeit ihn zu sehen. Meine Sehnsucht nach ihm stieg von Sekunde zur Sekunde. Jede Minute ohne ihn war eine verschwendete.
Wir machten aus, dass wir bei ihm zuhause sein würden. Er wollte mit mir essen und im Anschluss würden wir uns einen angenehmen Filmabend machen.
Nachdem ich erneut aus dem Gartentor abgehauen war, lief ich verdeckt einige Straßen weiter und bestellte mir ein Taxi. Ich hatte zu James gesagt, dass ich selber zu ihm kommen würde. Heute musste ich ihm alles erzählen, dass ich ungewollt verheiratet wurde und sein Kind austrug. Er musste das alles erfahren, damit wir eine Lösung finden konnten. Wir mussten eine finden.
Ich wusste nicht, wie ich ihm das alles beichten sollte. Würde er mich hassen, mich abweisen? Vielleicht sein Kind nicht wollen? Würde er glauben, dass es sein Kind war, nachdem ich ihm gestand, dass ich eigentlich verheiratet war? Die ganze Fahrt über zerbrach ich mir mit diesen Fragen den Kopf.
Ich kam vor seinem Haus an und stieg aus dem Wagen. Vor der Haustür klingelte ich und nach wenigen Sekunden öffnete sich die Tür.
„Meine Angelie!", rief James beglückt auf und umarmte mich stürmisch.
Er schloss mich fest in seine Arme. Ich vergrub mein Gesicht in seine Brust und sog seinen Duft ein.
„Komm erst mal herein, Schatz."
Wir traten durch die Tür und liefen ins Wohnzimmer. Er hatte einen romantischen Tisch mit Kerzen und Blumen gedeckt. Ich fühlte mich geschmeichelt. Wie hatte ich diesen Mann nur verdient? Ich log ihn von vorne bis hinten an, verschwieg ihm alles. Und das Schreckliche dabei war, dass ich sein Leben in Gefahr brachte. Ich konnte mir nicht ausmalen, was Ladislao ihm antun würde. Damals wollte ich nicht an die schlimmsten Szenarien denken. Heute bereute ich es, nicht vom Furchtbarsten ausgegangen und besser durchdacht vorgegangen zu sein. Ich hätte ihn nicht so ins offene Messer laufen lassen sollen.
Ja, ich fühle mich schuldig. Heute noch. Meine Schuldgefühle fraßen mich tagtäglich auf. Meine Tränen tropften gerade auf die Seite. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wieder weinte.
An diesem Abend hatte ich es doch irgendwie nach dem Essen geschafft, ihm zu sagen, dass ich verheiratet war. Ich wollte noch einige Minuten ohne Stress mit ihm verbringen, deshalb hatte ich es nach das Essen verschoben. James drehte völlig durch. Er schrie mich an, brüllte sein Ärgernis aus. Ich konnte nur da sitzen und heulen.
Wenn ich jetzt daran zurückdachte, wäre ich nicht mit dieser Wahrheit zuerst herausgerückt. Ich hätte ihm zuerst die gute Nachricht übergeben, dass wir ein Kind erwarteten.
Denn so regte er sich nur immer mehr auf und redete sich in Rage, dass er mir nicht mehr zuhören wollte. Er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. Ich konnte ihm nicht erzählen, dass ich schwanger war.
Dann scheuchte er mich aus dem Haus und wollte alleine sein. Und so dumm und naiv wie ich damals nun einmal war, gab ich zu schnell auf und ging wieder zu Ladislaos Haus. Mein Zuhause war das sicherlich nicht.
Ich weinte die ganze Fahrt über, konnte nicht mehr klar denken. Unbeachtet lief ich durch den Garten ins Haus. Im Moment war mir einfach alles egal.
Ich ging schneller als gewöhnlich ins Zimmer hoch. Darin angekommen schmiss ich mich auf das Bett und heulte mein Kissen voll. In dieser Phase hatte ich sinnlos meine Zeit vergeudet. Ich ahnte noch nicht die auflodernde Gefahr.
Wenn wir doch nur etwas die Zukunft erahnen könnten. Wenn wir doch nur wenigstens ein Signal oder ein Anzeichen bekämen, dass etwas nicht in Ordnung verlief, dass etwas Gefährliches auf uns zu kam. Nein, nichts von alledem. Man war aufgeschmissen, ahnungslos. Wie die Schafe auf dem Schlachthof, wartete man auf den ausschlaggebenden Hieb.
Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, versuchte ich mehrmals James zu erreichen. Er lehnte meinen Anruf immer ab und schaltete sein Handy irgendwann aus. Wieder eine nicht überdachte Aktion meinerseits. Wieso hatte ich ihm nicht zuerst Nachrichten geschrieben und ihn irgendwie gewarnt? Ihm wenigstens geschrieben, dass ich von ihm schwanger war? Vielleicht hätte das ihn etwas erweicht, dass er wenigstens meinen Anruf annahm.
Man wurde aus der Situation dann schlau, wenn man sie schon erlebt hatte. Heute wäre ich alles anders angegangen, hätte alles besser geplant.
Ich weinte und weinte in dieser Nacht bis ich es nicht mehr konnte. Meine Tränen versiegten irgendwann.
In diesem Moment hatte ich keine Ahnung, dass dies noch die einfachsten, noch erst der Anfang meiner Tränen waren. Nach einer Weile war ich eingeschlafen. Ich fühlte mich elendig, meine Seele fror in meiner Einsamkeit ein.
Ich kann jetzt nicht mehr weiterschreiben. Ich sollte schlafen gehen. Anders kam ich mit diesen Schmerzen nicht zurecht. Im Schlaf war ich nicht mehr bei Bewusstsein und alles fühlte sich leichter an. Im besten Falle träumte ich noch von den glücklichen Momenten mit James, meiner einzigen wahren Liebe...
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