Kapitel 12
Völlig entgeistert saß ich auf dem zugeklappten Deckel der Kloschüssel, hielt in meinen Händen den kleinen Gegenstand und starrte ihn voller Entsetzen an. Mein Herz fing an zu rasen. Ich konnte nicht realisieren, was ich sah. Wie konnte das nur passieren? Ich hatte immer aufgepasst.
So langsam drang die Tatsache zu mir ein. Ich war schwanger! Schwanger!? Von... von James. Wem sonst? Seit ich mich mit James das erste Mal getroffen hatte, ließ ich Ladislao nicht mehr an mich heran, denn die Erinnerungen an die Zeit mit meinem Liebhaber wollte ich nicht beschmutzen, indem ich mich diesem Mann hingab. Ich wollte ihn nicht! Nie habe ich ihn gewollt!
Ich hatte ein Embryo in mir. Eine Verschmelzung unserer Liebe, meiner Liebe. Das Kind konnte ich nicht aufgeben, da es ein Beweis meiner Loyalität zu James war. Ein Beweis meiner endlosen Liebe zu ihm. Ich musste hier weg. Ganz einfach, mit ihm abhauen. Dafür musste ich James alles erzählen. Er wusste immer noch nicht, dass ich verheiratet war. Ich schlich mich aus dem Haus, wann immer ich konnte. Meistens dann, wenn Ladislao draußen war und meinte, er würde für einige Tage unterwegs sein.
Ich wurde ganz nervös. Wie sollte ich das alles geregelt bekommen? Meinem Baby und James durften nichts passieren.
„Angelie?", rief Ladislao nach mir. „Bist du auf der Toilette?"
Was machte er schon zuhause? Ich dachte, er käme erst spät am Abend. Ein Klopfen ertönte.
„Ja, ich komme!", schrie ich zurück, damit er nicht hereinkam.
Ich hatte nicht abgeschlossen, da ich dachte, dass ich alleine wäre.
„Okay", gab er wieder leiser von sich.
Diesen Schwangerschaftstest musste ich irgendwie verstecken. Er durfte ihn nicht sehen. Deshalb wickelte ich diesem eine Binde um und band sie zu. Ich versteckte den Bündel im Mülleimer und ging dann ins Zimmer, in dem er auf mich wartete.
„Ich bin wieder da", sagte er das Offensichtliche.
Er nervte mich schon mit seiner bloßen Anwesenheit. Ich konnte ihn einfach nicht ausstehen.
„Kann's sehen", meinte ich daraufhin nur, lief an ihm vorbei, setzte mich hin und beachtete ihn nicht weiter.
Eigentlich war ich nicht so ignorant ihm gegenüber, aber seit der Sache mit James, hatte ich mich sehr verändert. Wie denn auch nicht, wenn ich dauernd an einen anderen Mann dachte, aber nur diesen Idioten vor mir hatte?
Ich spürte in dem Moment, dass etwas nicht stimmte. Wieso kam er so früh nach Hause? Und er wirkte generell anders. Er sah mich abschätzend an, als würde er nach etwas suchen, aber es nicht finden. Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut. Wusste er was? Verdächtigte er mich? Immerhin kamen wir uns seit Monaten nicht mehr nah.
„Stimmt was nicht?", fragte ich ihn mit einem genervten Blick.
Er mahlte mit seinem Kiefer und seine Hände wurden zu Fäusten. Was kam jetzt?
„Nein, alles gut", meinte er, entspannte sich wieder und setzte sich neben mich.
Reflexartig wich ich zurück. Scheiße! Ich musste aufpassen.
„Und wie geht es dir?", nahm er meine Hand und drückte einen Kuss darauf. „Was hast du alles in meiner Abwesenheit gemacht?"
Ich setzte wie immer mein Pokerface auf und sah ihn unberührt an.
„Nichts, ich war hier."
„Aha, und sonst läuft alles gut hier?", betonte er das „hier" seltsam.
Er wusste bestimmt etwas. Oh, mein Gott! Ging es James gut? Hatte er meine Beziehung zu ihm herausgefunden? Wieso redete er so verdächtigend mit mir? Ich versuchte, weiterhin ruhig zu bleiben. Er kniff seine Augen zusammen, als würde er sich konzentrieren. Auf mich. Auf das, was ich sagen würde. Ich sah es ihm an. Ich kannte ihn doch mittlerweile.
„Ich verstehe nicht, was du meinst", gab ich sachlich von mir.
„Natürlich nicht", lachte er schnaubend. „Wie gut, dass alles in Ordnung zu sein scheint."
Ich erwiderte nichts mehr. Er sah mich weiterhin nur aus seinen zu Schlitzen geformten Augen an.
„Wie lange willst du noch so tun, Angelie?", fragte er nun.
Okay, jetzt stand es sicher fest, er hatte es herausgefunden. Was sollte ich machen? Wie konnte ich mich beschützen? Vor allem wie konnte ich James beschützen? Meine Augen brannten. Sie wurden bestimmt schon rot. Aus Reflex griff ich mit meiner freien Hand zu meinem Unterbauch. Mein Baby...
„Wie... was... tun?", stotterte ich. „Was will ich noch so tun?"
Ladislao lachte auf. Sein Lachen klang wie das eines Bösewichtes. Er schloss meine Hand fester, die immer noch in seinem Griff lag und drückte zu, woraufhin meine Knöchel zusammen gequetscht wurden.
„Du tust mir weh!", sagte ich laut.
Mein Gesicht verzerrte sich schmerzerfüllt.
„Lange nicht so sehr, wie du mir weh getan hast, Angelie", knirschte er und kam mir näher.
Was hatte er vor? Allmählich bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich musste James warnen. Wir mussten abhauen. Uns durfte nichts passieren. Ich wollte keinen Menschen mehr verlieren, der mir etwas bedeutete. Ich hatte doch bereits meine Mutter verloren.
Wie weit würde er gehen? Er war ein skrupelloser Mann. Wie dumm von mir. Mit der Zeit wurde ich immer unachtsamer. Die Liebe hatte mich wirklich blind gemacht. Die wichtigste Frage war: Zu was wäre er fähig? Und ich kannte die Antwort: Zu allem...
Mein Herz schlug mir bis zum Hals hoch. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. In einem Zustand zwischen schlafend und wach wusste ich nicht ganz genau, ob mich die Erinnerung eingeholt oder ich das wirklich geträumt hatte. Mein Puls raste. Das Blut rauschte durch meinen Körper.
In letzter Zeit musste ich dauernd an Früher denken. Ich wollte das nicht, wollte nicht wieder in diesen Erinnerungen mich selbst verlieren. Mein Leben war und ist nur ein Scherbenhaufen. Nur ein kleiner Teil lag ungebrochen da. Der Teil mit James. Egal, was ich erleben musste, ich hatte nie wirklich bereut, ihn gekannt zu haben.
Langsam beruhigte ich mich wieder und lehnte mich gegen das Bettgestell.
Das alles war nun vorbei. Und was war mir von meinem kleinen Glück geblieben? Richtig, gar nichts. Diese Familie hatte mir alles genommen. Alles und jeden.
Ich sah aus dem Fenster und bemerkte, dass es relativ spät sein musste. Es war zu dunkel. Plötzlich ertönte lautes Klirren und Poltern. Wer drehte schon wieder durch? Ich versuchte nicht weiter darauf zu achten. Meinetwegen konnten sie sich alle die Köpfe einschlagen, es würde mich nicht interessieren.
Auf die chaotischen Geräusche folgend hörte ich eine Tür zuknallen und im Anschluss fuhr jemand mit dem Auto weg. Ich hörte noch den Motor aufheulen. Da hatte es derjenige aber eilig. Ich dachte mir nichts weiter und schloss meine Augen.
Seit dem Vorfall mit Alfonso, als ich mich das erste Mal wieder nach so langer Zeit gegen ihn gewehrt hatte, kam er nicht mehr zu mir. Er hatte wahrscheinlich Angst, dass ich wieder laut werden würde. Von Marina erfuhr ich, er sei nach dieser Nacht verschwunden. Angeblich Urlaub machen, sich eine Pause gönnen. Der Herr war wohl zu erschöpft. Hauptsache er kam nicht mehr. Da konnte ich nicht mehr mitmachen... ich konnte damit nicht mehr leben...
***
Ich wachte am Morgen auf und fühlte mich, als hätte ich gar nicht geschlafen. Mein Kopf schmerzte, mein Hals war trocken und meine Augen brannten. Mit meinen Handrücken rieb ich meine Augenhöhlen, um meine Sicht zu klären. Die Leere des Zimmers gähnte mich an. Ich erhob mich aus dem Bett und lief zum Waschbecken. Eine ordentliche Ladung Wasser spritzte ich mir ins Gesicht und trocknete mir dieses wieder ab.
Im Spiegel blickte mir ein Mädchen entgegen. Es hatte Augenringe und sah einfach nur krank oder müde aus. Ich band mir meine Haare hoch und lief wieder ins Zimmer. Ladislao war immer noch nicht da. Wieso war er gegangen? Er wollte mich genauso, wie ich ihn. Was hatte ihn dazu getrieben abzuhauen? Ich wollte wirklich nicht daran denken und mich damit heruntermachen, aber ich konnte einfach nicht anders, als an seine Berührungen zu denken. Auch im Nachhinein hatten sie eine Wirkung auf mich. Meine Haut kribbelte, mein Bauch machte irgendetwas Komisches.
Aus dem Flur drangen Schritte zu mir. Die Uhr zeigte auf acht. Wer lief so früh im Haus herum? War er es? Weitere Fragen blieben in der Luft hängen, als sich die Tür öffnete und ein besoffener, übel zugerichteter Ladislao herein getorkelt kam.
„Oh, mein Gott!", schlug ich mir meine Hände auf den Mund. Er blutete an seiner Lippe und Augenbraue. Seine Augen waren angeschwollen. Die Haut an seiner Wange war aufgeplatzt. Er hatte obenherum nichts an, wodurch ich die ganzen blauen Flecken an seinem Oberkörper sah.
„Was ist passiert?", löste ich mich aus meiner Starre.
„Du solltest mal den anderen sehen", grinste er mich dümmlich an.
Die wenigen Meter zwischen uns überwunden stützte ich ihn am Arm und half ihm auf die Couch. Es war, als wäre der letzte Abend gar nicht geschehen.
„Hab' gewonnen."
Er machte sich auf der Couch breit, legte seinen Kopf auf die Armlehne und stellte seine Füße ebenfalls hoch.
„Du kannst doch nicht so schlafen", sagte ich zu ihm. „Deine Wunden würden sich entzünden."
Er schlug seine Augen wieder auf, die er eben geschlossen hatte und sah mich wieder mit einem verblödeten Ausdruck im Gesicht an.
„Kümmere dich doch um deinen Verlobten", grinste er mich albern an.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sollte ich ihn verarzten, seine Wunden säubern?
„Der Typ wurde ins Krankenhaus gebracht", kicherte er vor sich hin. „Hatte der überhaupt noch ein Gesicht?"
Ladislao lachte wie ein Irrer. Mann, er war vielleicht zum Kotzen, wenn er besoffen war.
„Und wieso, bitteschön, hast du dich dann betrunken?", fragte ich ihn genervt.
„Na, na, na, meine Verlobte hilft mir nicht", lallte er. „Sie macht mein 'Aua' nicht weg."
Dabei machte er einen Schmollmund, was wirklich süß und witzig aussah. Ich konnte nicht anders als zu lachen.
„Warte", murmelte ich nur und suchte im Bad nach geeigneten Mitteln, um ihm zu helfen.
Unter dem Waschbecken fand ich einen Verbandskasten, aus dem ich frische Watte, eine entzündungshemmende Flüssigkeit und eine Salbe heraus nahm.
Langsam und behutsam reinigte ich seine Wunden und schmierte die Salbe darauf. An aufgeschlürften Stellen, die zu tief waren, klebte ich noch ein Pflaster. Ladislao lag ganz ruhig vor mir und sagte nichts mehr. Ich ging davon aus, dass er schlief und räumte die ganzen Sachen zu ihren Plätzen. Als ich wieder ins Zimmer kam sah ich, dass er nur in seiner Boxershorts nun auf dem Bett lag. Ich lief zu ihm und deckte ihn zu. Er sah ziemlich schlimm aus. Später würden die Flecken viel schlimmer aussehen. Dennoch musste ich lächeln, als ich zu ihm herunter sah. Wie ein kleines Kind kauerte er sich zusammen und legte sich seitlich hin. Die eine Hand zwischen seiner Wange und dem Kissen, die andere zwischen seinen Beinen. In solchen Momenten fand ich ihn einfach nur zum Knuddeln süß.
„Was soll ich nur mit dir machen?", fragte ich mich selbst.
Wenn ich ihn mir so ansah, erwärmte sich mein Herz. Ich fühlte mich irgendwie wohl. In dieser Sekunde war alles um mich vergessen, sein Würgegriff, seine Abweisung gestern. Ich hatte das Gefühl, als könnte er mit mir alles anstellen und ich würde ihm immer wieder verzeihen. Er schnalzte wieder mit seiner Zunge im Schlaf. Das tat er immer. Ein Lächeln formte sich auf meinen Mund.
Es war noch früh am Morgen. Ich sah, dass wir mittlerweile neun Uhr hatten. Hungrig wurde ich auch so langsam. Ich zog mich schnell um, damit ich keine Schlafsachen mehr anhatte und begab mich nach unten. Im Wohnzimmer sah ich das Hausmädchen, das mir damals gesagt hatte, dass sie meine Sachen in Ladislaos Zimmer gebracht hätten. Sie wischte gerade Staub.
„Morgen", rief ich ihr zu.
Heute wollte ich mal nicht so sein. Ich lief noch ein Stockwerk herunter, um Camilla zu finden. Schließlich mochte ich sie am meisten.
„Hallihallo", grüßte ich sie, als ich sie wieder in der Küche vorfand. „Sag mal, bist du die Köchin oder warum musst du immer das Essen machen?"
„Ja", lachte sie. „Ich bin die Hausköchin. Wir haben noch eine, die mir hilft, aber sie ist zurzeit im Urlaub."
„Ah, ja", gab ich geistreich von mir und setzte mich auf einen der Hocker. „Kann ich dir helfen? Mir ist langweilig."
Camilla sah mich erschrocken an, jedoch schlich sich danach eine Unentschlossenheit auf ihr Gesicht.
„Ich weiß nicht... was ist, wenn dich jemand sieht?", fragte sie unsicher. „Sie würden mir Vorwürfe machen."
„Ach, Quatsch", wedelte ich mit meiner Hand. „Ich will dir doch helfen. Also kann es jedem egal sein. Außerdem was sollen sie schon sagen?"
„Okay, dann mal los!", hellte sich ihr Gesicht auf.
Ich hatte noch nie in meinem Leben gekocht. Aber ich musste ehrlich zugeben, es machte mir Spaß. Für das Frühstück kochten wir Eier auf und brieten Speck an. Diese Männer gaben sich nur mit proteinreicher Nahrung zufrieden. Das erfuhr ich noch von Camilla.
In kleinen Gruppen kamen die Wachen herein und sie fühlten sich sichtlich unwohl, dass ich sie bediente.
„Miss, setzen Sie sich ruhig. Ich kann mein Essen selber holen."
„Bitte, ich bin satt", meinte ein anderer von ihnen.
Er war doch gerade zum Essen da?
„Jetzt rede keinen Unsinn", fuhr ich ihn an. „Ich befehle dir, das zu essen!"
Ich drückte den Teller in seine Hand und grinste ihn siegessicher an.
So ähnlich verliefen die Konversationen mit den allen. Ich versuchte ihnen immer klar zu machen, dass sie sich keine Gedanken darüber machen sollten. Am Ende gaben sie auf oder ich drohte ihnen einfach, dann taten sie das, was ich wollte und aßen auf.
Nachdem die Essensrunden vorüber waren, trank ich mit Camilla einen Kaffee und wir unterhielten uns gemütlich. Dabei erfuhr ich bisschen mehr über sie und musste feststellen, dass sie für ihr Alter eine sehr starke Frau war.
Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und musste ihre kranke Mutter versorgen. Ihren Vater hatten sie wohl an Krebs verloren, weshalb sie schon in jungen Jahren angefangen hatte zu arbeiten. Sie traf auf die Carbone Familie, die ihr auch etwas unter die Arme griff und ihrer Mutter eine Pflegerin schenkte. Bei dieser Tatsache schlug mein Herz wieder einmal zu schnell, als ich an Ladislao dachte.
Wir unterhielten uns noch weiter über belanglose Dinge, damit ich sie ablenken konnte und genossen den Tag. Gegen nachmittags musste sie das Abendessen zubereiten. Ich wollte kurz nach Ladislao sehen und ging hoch. Wie sollte ich mich überhaupt benehmen? Wie würden wir jetzt aufeinander reagieren? Ich wusste auf keine der Fragen eine Antwort. Ach, das wird schon, mach dir keinen Kopf darüber, dachte ich mir und lief weiter.
War er schon wach? Oder schlief er noch? Schließlich war er komplett am Ende. Er hatte viele Schläge eingesteckt und sich dann zugedröhnt. Ich wusste nicht, in welchem Zustand ich ihn vorfinden würde. Oje...!
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