Kapitel 1
Geräusche drangen zu mir, die mich aus meinem Schlaf rissen und mich hochfahren ließen. Scheiße, tat mir alles weh! Obwohl ich bereits so lange auf den Straßen auf diesem Stück Karton meine Nächte verbrachte und meinen Schlaf hielt, hatte ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, denn mein Körper streikte mit jeder Faser gegen diesen Schlafplatz. Ich streckte mich aus, wobei ich versehentlich mit meinem Fuß die Blechbüchse umstieß, in der vor Stunden noch das Feuer brannte, welches mir Wärme spendete.
"Was war das?", fragte eine tiefe männliche Stimme aus naher Ferne.
Er musste wohl mich gehört haben. Ich stand auf, schlich mich an die Wand des nächsten Hauses und lugte um die Ecke. Was ich dort sah verschlug mir die Sprache. Ich lebte selber auf den Straßen und somit war ich abgehärteter als andere Frauen. Jedoch das Bild, was sich mir bot, ließ mein Blut in den Adern gefrieren. Fünf Männer standen um einen Mann, der auf seinen Knien stand, seine Füße verdreht, sein Kiefer hing ihm regungslos aus dem Gebiss, etliche Schnittwunden am ganzen Körper verteilt, wodurch seine Kleidung zerrissen an ihm hing und seine Unterarme sahen an den Ellbogen gebrochen aus, sodass sie bewegungslos und schlapp hinunter hingen. Wer waren diese Männer?
"Was war das für ein Geräusch?", brüllte einer der Männer. "Sucht die Gegend ab, ihr Idioten! Was steht ihr noch hier herum?"
Ich erschrak aus meiner Starre, tapste einige Schritte zurück und stieß dabei unbewusst etwas hinter mir um. Was war das für ein Scheiß?
"Wer ist da?", schrie der Mann.
Fuck, was sollte ich jetzt machen? Ich drehte mich um und rannte davon, da mir nichts anderes übrig blieb.
"Da an der Kreuzung ist jemand! Beeilt euch!", befahl der Mann seinen Männern, mir zu folgen.
Gefolgt von vier Männer rannte ich wortwörtlich um mein Leben und versuchte mir einen Plan auszudenken, wie ich sie abhängen sollte. Ich kannte diese Gegend wie mein Zuhause. Das war mein Zuhause! So langsam schlich sich ein pathologisches Grinsen auf mein Gesicht, als ich durch mein Bezirk rannte. Mein Ziel war die abgelegene Halle, wo ich sie in die Irre führen konnte. Meine Kapuze zog ich mir enger auf meinen Kopf, damit sie nicht erkennen konnten, dass ich eine Frau war. Wer weiß, auf was für Gedanken sie dann kämen. Ich rannte und rannte, bog um Ecken, wechselte die Straßen. Schließlich erblickte ich die alte Halle und schlüpfte durch den geheimen Gang, welchen wir uns zugelegt hatten, wenn wir mal vor den Cops oder eben vor solchen Bösewichten abhauten. Durch die Schlucht kam ich unten inmitten vieler Pappen und Kartons an.
"Scheiße, wo ist er hin?", fragte einer verzweifelt. "Boss wird uns erschießen. Los verteilt euch!"
Ich hörte nicht mehr hin, rannte weiter auf die andere Seite der Halle, lief aus der Hintertür heraus, kam auf der Parallelstraße an und bog einmal um, doch plötzlich kam mir ein Auto entgegen und hielt genau vor mir an, wobei es mich leicht anfuhr, sodass ich schmerzvoll mit meinem Hintern auf den Boden prallte.
"Dachtest du ernsthaft, du könntest mir entkommen?", stieg er aus seinem Wagen.
Ich versteckte mein Gesicht zwischen meinen Knien, nachdem ich mich leicht aufgesetzt hatte, jedoch so, dass ich noch auf die Schnelle auf die Beine kommen konnte, indem ich halber in die Hocke ging. Der Mann kam auf mich zu, ich musste grinsen. Er dachte wahrscheinlich, dass er mich hatte.
"Zeige dich!", forderte er auf.
Oh, herrisch waren wir auch noch.
"Ich sagte, stehe auf!", duldete seine Stimme keine Widerworte.
Ich wartete noch unberührt. Er wurde aggressiv, kam auf mich zu und fasste meine Kapuze. In der Sekunde stand ich blitzschnell auf, schlug ihm kräftig mein Knie in seine Magengrube, wobei ich fast synchron ihm noch einen kräftigen Kinnhaken verpasste. Dabei flog sein Kopf hoch und er sah mir schmerzerfüllt in die Augen. Nein, dies war kein romantischer Moment der tiefgründigen Blicke wie in diesen ganzen Filmen. Nein, das war das harte Leben. Ich schubste ihn auf den Boden, wo er aufkeuchte, drehte mich schnell um und rannte weg.
"Schnell, fasst sie!", schrie er.
Um meine Lage einzuschätzen, sah ich mich um und bemerkte, wie ich aus beiden Seiten umzingelt wurde. Scheiße, wegen ihm hatte ich zu viel Zeit verloren. Einer der Männer kam zu mir und wollte mich festhalten, weshalb ich ihm auswich, was er nicht zu erwarten schien. Ja, eine Frau, die sich mal wehren konnte. Mit dem Überraschungsmoment auf meiner Seite haute ich ihm in die Weichteile, wobei er sich nach vorne beugte und ich ihm meinen Ellenbogen heftig in seinen Nacken rammte. Er fiel zu Boden - bewusstlos. Ich zückte meine kleine Pistole, die ich zwar nicht benutzen wollte, aber sicher war sicher. Okay, zugegeben, sie war nicht einmal geladen. Dazu fehlte mir die Kohle, aber das wussten sie nicht.
"Geht zurück!", forderte ich sie auf.
Die Männer sahen verblüfft aus. Ihr Anführer schien sich erholt zu haben, denn er stand vor mir.
"Leg das weg. Das ist kein Spielzeug."
"Genau", erwiderte ich zuckersüß. "Das ist es nicht."
Mein Gegenüber mahlte aus Wut mit seinem Kiefer.
"Ich will nichts von euch und verpfeif' euch auch nicht", wagte ich einen Versuch, dass sie mich in Ruhe ließen. "Lasst mich einfach gehen."
"Du hast etwas gesehen, was nicht für dich bestimmt war", erklärte er mir. "Das siehst du doch ein, oder nicht?"
In dem Moment wurde mir wirklich bewusst, dass ich hier nicht mehr heil heraus kam. Was sollte ich nur machen? Einer der Männer half seinem Kumpel, den ich bewusstlos geschlagen hatte.
"Ich habe euch gesehen, aber es interessiert mich nicht", versuchte ich ihm noch weiszumachen. "Was könnte ich schon gegen dich unternehmen?"
"Pah, dass ich nicht lache. Was sollst du schon tun können?"
Ich trat einen Schritt zurück, da ich völlig wie aus dem Konzept gerissen war. Sie nutzten den Moment aus, in dem ich kurz nicht aufmerksam war und plötzlich wurde ich von hinten festgehalten. Meine Pistole fiel mir aus der Hand. Ich biss in den Arm des Mannes, welcher mich fest hielt. Er ließ erst nicht von mir ab. Jedoch nachdem ich Blut schmeckte, löste er seine Arme von mir, so dass ich mich aus seinem Griff befreien konnte.
"Lasst mich los!", schrie ich und wollte wieder wegrennen.
Erneut wurde ich festgehalten, aber dieses Mal schnappte mich der Anführer und hielt beide meiner Arme auf meinem Rücken fest.
"Jetzt reicht's aber, Kleines", zischte er in mein Ohr und forderte seine Männer auf, den Wagen her zu holen.
"Du wirst mir sehr nützlich sein", grinste er mich an.
Was sollte das schon wieder heißen? Sollte ich seine persönliche Hure werden oder was? Er suchte mich noch ab, wobei geschickt und schnell seine Hände über meine Kleidung fuhren, als er wissen wollte, ob ich irgendwelche technischen Geräte bei mir hatte. Mit einem Kopfschütteln gab ich ihm zu verstehen, dass dies nicht der Fall war. Nachdem einer den Van vorgefahren hatte, wurde ich hinten in den Kofferraum geschmissen, welcher sehr eng war, sodass ich zwischen den hintersten Sitzen und der Kofferraumhaube eingeklemmt lag. Sie banden mir meine Hände und Füße.
"Diese beschissene Waffe ist noch nicht einmal geladen", lachte er als er sich mit meiner Pistole in seiner Hand in den Wagen setzte. "Wolltest du uns etwa damit erschießen?"
"Was hast du mit mir vor?", wagte ich mich zu fragen.
"Sei einfach nur still", sagte er in aller Ruhe zu mir, als hätten wir uns eben nicht durch die halbe Stadt gejagt.
Ein Ton piepte ganz leise, was man kaum hören konnte. Er betätigte einen Anruf.
"Vater?", fragte er und blieb für einige Zeit ruhig. "Er ist tot! Ich habe aber jemanden für dich gefunden."
Was? Wen hatte er gefunden? Wer waren diese Leute?
"Wir kommen jetzt nach Hause."
Nach Hause? Verflixte Scheiße! In was hatte ich mich da wieder einmal herein geritten? Wie sollte ich hier bloß entkommen? Wenn ich weinen könnte, hätte ich das jetzt getan. Wann hatte man denn 'ne bessere Gelegenheit als jetzt?
"Keine Ahnung, sie sieht obdachlos aus", erwähnte er plötzlich.
So oberflächlich auch noch, dachte ich mir. Na ja, zumindest dachte ich, dass ich es gedacht hätte. Ein wütender Blick seinerseits bewies mir das Gegenteil. Ich verdrehte meine Augen und sah von ihm weg.
"Ich bin mir sicher. Sie ist die richtige Person. Bin bald da. Wir reden dann."
Danke aber auch. Nach irgendwelchen Formalitäten für das Verabschieden legte er auf.
"Ich bin das Beste, was dir bis jetzt passieren konnte", erklärte er mir. "Das wirst du schon früh genug merken."
Und ich? Ich ignorierte ihn einfach. Augenblicklich schnellte eine Hand zwischen den Sitzen zu mir und fasste grob mein Kinn.
"Ignoriere mich niemals!", fuhr er mich an. "Hörst du? Niemals!"
Wegen dem Schmerz wurden meine Augen wässrig. Er sah mir noch kurz in die Augen. Sie hatten eine außergewöhnliche Farbe. Hell, sehr hell. Ein helles Hellblau. Wie diese Hunderasse. Wie hießen die? Husky? Eine Narbe zierte seine linke Augenbraue. Ich blickte weg. Er sah gruselig aus.
"Tu uns beiden einen Gefallen und mach einfach nur das, was gesagt wird", fügte er noch seinem Monolog hinzu und setzte sich wieder auf seinen Sitz zurück.
Ich atmete ein Mal tief durch. Wir fuhren noch lange. Was machte dieser Mann so weit von seinem Zuhause? Musste es mich erwischen?
Der Wagen fuhr einen holprigen Weg und verlangsamte sehr, was daraufhin deutete, dass wir bald anhalten würden. Der Fahrer schaltete den Motor aus. Nach einer kurzen Weile wurde der Kofferraum geöffnet und ich konnte endlich wieder stehen.
"Bringt sie erst einmal irgendwo sicher unter", sagte deren Anführer und drehte sich zu mir. "Bleib ruhig und stell nichts Dummes an, denn dir wird nichts passieren."
"Oh, dann bin ich ja beruhigt!", schrie ich. "Für wen oder was hältst du dich, huh? Lass mich los."
In diesem Moment ging die Eingangstür auf, als ein etwas älterer Mann aus dem Haus heraus spaziert kam. Er schmunzelte? Er schmunzelte!
"Na, lass mich die Schönheit sehen", sagte der Mann, doch als er mich erblickte, blieb ihm die Spucke weg. "Das soll doch ein schlechter Witz sein. Was ist das?"
Sein angewiderter Blick entging mir nicht als er das sagte. Ich musste kräftig schlucken. Was lief hier denn ab? Ich konnte mir von der heutigen Nacht nichts ausmalen, verstand die Welt nicht mehr. Ich sah hoch in den Himmel. Im obersten Geschoss sah ich einen Kopf zwischen den Gardinen, obwohl ich das Gesicht nicht ganz ausmalen konnte, da es zu dunkel war. Mir sollte es egal sein.
„Bringt sie nach unten", meinte der ältere Mann mit einer autoritären Stimme. „Sie soll gescheite Klamotten bekommen und eine Dusche wäre auch nicht schlecht. Schafft sie mir bloß nur aus den Augen!"
Er schien wohl der Big Boss zu sein. Ich sagte nichts mehr. Schließlich war ich auch nicht lebensmüde. Flankiert von zwei Männern wurde ich ins Haus eskortiert, wobei ich noch mitbekam wie die beiden vor der Tür diskutierten, aber ich konnte nicht mehr verstehen, was sie sagten.
"Brauchen die Putzkraft? Kann man das nicht anders besorgen?", fuhr ich die beiden an.
Natürlich antworteten sie nicht, wie klischeehaft. Im Hausinneren sah ich mich um und mir fiel erst jetzt auf, dass wir in einer riesen Villa waren. Durch den Schock konnte ich nichts wahrnehmen, aber jetzt wurde mir alles erst bewusst. Wie die drei Musketiere liefen wir eine breite Treppe nach unten. Wir liefen lange Korridore entlang bis wir bei einer jungen Frau ankamen.
"Sie soll gepflegt werden", meinte der Mann auf meiner linken Seite.
"Okay, ihr dürft jetzt gehen", machte sie den beiden klar. "Komm her."
Letzteres ging wohl an mich. Die Frau kam auf mich zu, fasste mich am Arm.
"Ich helfe dir. Wie ist dein Name?", fragte sie mich noch.
"Crystal", beantwortete ich ungelogen.
Zum ersten Mal erwähnte ich nach so langer Zeit meinen echten Namen, obwohl ich nicht verstand, warum ich so naiv war, dies zu tun.
"Ach, Crystal ist ein schöner Name", sah sie mir liebevoll in die Augen.
Wir gingen in einen Raum, der sich als ein Badezimmer herausstellte.
"Ich werde dir noch Klamotten bringen", sagte diese Frau. "Du kannst ruhig alles ablegen und duschen. Ich mache dir noch ein Schaumbad, damit du dich entspannen kannst."
Im nächsten Moment ging sie aus dem Zimmer und ließ mich alleine. Was sollte ich jetzt machen? Wirklich ihrer Bitte folgen und tatsächlich duschen? Andererseits hatte ich das schon so lange nicht mehr getan, dass es bestimmt sehr gut tun würde, mich jetzt einfach den Strömen des heißen Wassers herzugeben. Die Idee war ganz verlockend. Dieses wunderschöne Badezimmer war der reinste Luxus, nicht wie die öffentlichen Duschen, die wir als Obdachlose benutzen konnten. Diese waren ekelhaft! Ich nahm mein Haargummi aus meinen Haaren, welche mir bis zum Hintern mehr oder weniger glatt herunter fielen und sah mich im Badezimmer um. Die Dusche stand in der Ecke, eine riesige Badewanne mitten im Raum, in der anderen Ecke standen das Klo und ein Waschbecken. Der Boden war aus hellem Marmor. Alles sah hochwertig aus. An der einen Wand stand ein enormer Spiegel. Es schien so als wäre der Spiegel selbst die Wand. Ich stellte mich davor und begutachtete mein Spiegelbild. Grüne Augen stachen durch den ganzen Dreck auf meinem Gesicht hervor, worunter ich lange Wimpern erkannte. Ich fasste mir an die Wangen. Meine schwarzen Haare fielen wie ein Vorhang, der so aussah, als stünde er seit Jahren in einer verlassenen Baracke, an dem schon viele Ratten und Spinnen ihre Werke getan hatten, meinen Rücken herunter.
Ich konnte mich nicht länger ansehen, wandte mich ab und lief auf die Dusche zu. In dem Moment öffnete sich die Tür und die Frau von vorhin trat herein. Ich nickte ihr zu.
"Ich mache noch dein Bad. Nach der Dusche kannst du dich einfach mal hineinlegen. Das wird dir sicherlich gut tun."
"Danke", hauchte ich noch kurz.
Nachdem sie erneut aus dem Raum ging, entschloss ich mich doch dazu, zu duschen. Ich entledigte mich meiner Kleidung und stieg in die Dusche. Was hatte ich schon zu verlieren? Über eine Flucht konnte ich mir nachher noch Gedanken machen. Zwei Behälter standen in einem Korb, welcher an der Wand befestigt war, Schampoo und Duschgel. Wann hatte ich mich das letzte Mal ordentlich gesäubert? Ich schrubbte den Dreck von mir ab. Am längsten brauchte ich für meine Haare, da Vieles sich dort eingenistet hatte.
Ich fühlte mich befreit, als hätte ich eine riesen Last abgelegt. Es schien, als würde meine Haut atmen und sich erneuern. So fühlte sich wohl Frische an. Ich musste lächeln. Wann hatte ich mich so erleichtert gefühlt?
Nachdem ich sauber war, legte ich mich noch in das vorbereitete Schaumbad, welches nach Rosen roch und war geblendet von all dem Luxus bis mich wieder die Erkenntnis traf. Was passierte hier? Ich duschte und wusch mich in einem mir komplett fremden Haus. Was tat ich hier nur? Wie sollte ich entkommen? Noch nie hatte ich mich so entspannt gefühlt. Das Öl, oder was auch immer es war, im Bad beruhigte mich. Viele Fragen quälten mich. Träumte ich etwa nur? Ich hatte keine Lust mehr und stieg aus der Badewanne. Ein Bademantel und ein Handtuch waren an der Seite des Bades auf einem Tisch bereit gestellt. Ich nahm mal an, dass diese für mich waren, zog mir den Bademantel an, nachdem ich mich nochmal abgewaschen hatte und wickelte meine Haare ins Tuch.
Während ich noch warten musste, setzte ich mich an die Kante der Badewanne. Was sollte ich auch sonst tun? Nach einer Ewigkeit kam wieder die Frau herein. Ich sollte mal nach ihrem Namen fragen.
"Ach, du bist schon fertig? Ich habe dir einige Sachen heraus gesucht. Ich hoffe die passen dir."
"Danke, wie heißen Sie?", nutzte ich schon die Gelegenheit aus und zog noch nebenher die Kleider an.
"Stimmt, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Du kannst mich ruhig duzen. Ich bin Camilla."
"Das passt alles mehr oder weniger", meinte ich wieder auf meine Kleidung bezogen. "Kann ich dich mal etwas fragen?"
"Aber sicher doch."
"Ich... Warum bin ich hier? Wieso bekleiden und waschen sie mich?"
"Hör zu, Crystal, dir wird nichts Schlimmes widerfahren. Verstehe mich nicht falsch, aber so wie ich das sehe, wird es dir sogar viel besser ergehen als bisher. Das sage ich auch nicht, um dich zu verletzen, aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass dir nichts passieren wird."
Sie tätschelte meinen Arm. Im großen Spiegel sah ich mich an und sah einen schwarzen Stiftrock und darüber eine weiße Bluse auf mir, was ich eben angezogen hatte. Wahrscheinlich die Kleider der Putzfrauen hier und ein ungewohnter Anblick für mich. Mein Blick ging auf meine Hände. Unter meinen langen Nägeln lag immer noch Schmutz, aber im Ganzen sahen sie so sauber aus wie noch nie.
"Setz dich doch, bitte", sagte Camilla und deutete auf die Kante der Wanne, woraufhin ich ihrer Bitte folgte.
Sie nahm aus einem der Schränke einen Kamm und stellte sich seitlich hinter mich. Das Handtuch von meinem Kopf genommen trocknete sie damit meine Haare etwas ab, indem sie sie rubbelte und langsam anfing, mein Haar zu kämmen. Ich war überrascht. So viel Fürsorge hatte ich von niemandem bekommen.
"Wie alt bist du, Crystal?", fragte sie mich plötzlich, während sie weiterhin meine Haare kämmte.
Dabei ging sie sehr sanft vor, obwohl meine Haare extrem verstrubbelt und verknotet sein mussten. Schließlich hatte ich sie seit Langem nicht gepflegt.
"Ich bin neunzehn", sagte ich, woraufhin sie verstummte.
Was war jetzt los? Ich musste hier irgendwie raus. Das stand hundertprozentig fest. Ich hatte diesen Mann gesehen als er jemanden quälte. Oder war er schon tot? Er sagte doch am Telefon, er sei tot. Ich dachte, er würde mich auch umbringen oder irgendwie erpressen, dass ich keinem etwas erzählte, aber seltsamerweise passierte das Gegenteil, denn ich wurde verwöhnt. Was sollte das alles? Ich konnte mir darauf keinen Reim bilden.
"Du bist noch ziemlich jung", fing Camilla wieder an zu reden. "Ich werde dich jetzt in dein Zimmer bringen. Du wirst dort warten bis Herr Carbone dich über den nächsten Schritt informiert."
"Herr Carbone? Wer ist das?"
"Das sind die Hausherren" klärte sie mich auf. "Der, der dich hergebracht hat und sein Vater."
Ich stellte keine Fragen mehr, da ich nicht wusste, was ich von all dem halten sollte. Wie komme ich hier nur heraus, fragte ich mich schon zum hundertsten Mal. Wir gingen den vorherigen Korridor nochmal weiter und kamen im letzten Zimmer an. Camilla öffnete mir die Tür, ich begab mich in den Raum. Als sie wieder ging, schloss sie die Tür ab. Nun war ich alleine.
Im Zimmer sah ich mich um. Das Bett stand in der Ecke gegenüber einem Schreibtisch. Vor dem Bett an der Wand stand noch ein Kleiderschrank. Der Raum war in die Länge gezogen. Ein Fenster erregte meine Aufmerksamkeit, jedoch wurden meine Hoffnungen gleich zunichte gemacht, als ich das Gitter davor sah. Ich setzte mich auf das Bett. An der Wand neben dem Tisch war noch ein Fernseher befestigt. Über dem Tisch stand ein Bücherregal mit einigen Büchern darin.
Ich legte mich auf das Bett und starrte die Decke an. Was sollte jetzt passieren? Was erwartete mich noch?
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