Heldenhafte Rettung

Ich schlief nicht gut. Das Bett war hart, der Boden knarrte permanent und der Wind zog durch die Fenster. Es war zwar nicht kalt gewesen, aber nervig.

Die Sonne schien durchs Fenster direkt in mein Gesicht, sodass ich nicht mehr schlafen konnte. Das war auch egal gewesen, denn ich war sowieso schon durch Mama wach geworden, die in der Küche das Frühstück vorbereitete und dabei lauthals sang.
Ich stand auf und ging zur Treppe. Die Haustür stand sperrangelweit auf, sodass alle Nachbarn Mamas schiefen Gesang hören konnte.
Ich hatte immer noch Mamas altes T-Shirt an und ging die Treppe hinunter.
Sie hörte mich und hörte sofort auf zu singen.
»Ach Conni, dass ist ja schön, dass du schon wach bist. Ich wollte dich gerade wecken gehen, dann kann ich mir den Weg ja sparen«, sagte sie so ungewohnt glücklich.
»Wie spät ist es?«, fragte ich stumpf, ging in die Küche und setzte mich auf die Eckbank. Mama hatte das alte Radio an gemacht und verstand mich glaub ich nicht richtig. Also fragte ich noch mal: »Wie spät ist es?«
Mama unterbrach ihr Gesang und antwortete: »Halb neun.« Dann sang sie wieder weiter.
»Was, halb neun erst? Ich hab doch Ferien«, entgegnete ich entsetzt.
»Ach ist doch gar nicht so schlimm, nach dem Frühstück Räume ich auf und du gehst mit Daisy die Gegend erkunden. Na wie klingt das?«
Sie legte den Speck, den sie gebraten hatte, auf einen Teller und stellte ihn auf den Tisch.
»Aber Mama ich kenne hier doch keinen, das wird doch bestimmt langweilig«, sagte ich ein wenig mürrisch.
Ich hatte so wirklich keine Lust um diese Uhrzeit raus zugehen und ließ das Mama auch ein bisschen spüren.
»Stell dich nicht so an, du findest bestimmt schnell Freunde und hast viel spaß.« Sie setzte sich auf einen Stuhl und nahm sich ein Brötchen. Ich tat es ihr gleich und nahm mir ebenfalls eins und fing an zu essen.

Als wir fertig gegessen hatten, räumte Mama den Tisch ab und ich ging hoch um mich fertig zu machen.
Ich zog einfach das vom Vortag an und ging ins Bad.
»Conni, deine Kulturtasche habe ich schon ins Bad gepackt«, rief Mama von unten.
»Ja danke Mama, hab ich gesehen«, rief ich zurück.
Ich putzte mir die Zähne und machte meine Haare zurecht, dann ging ich runter und holte Daisys Leine.
Sie hörte mich und kam mir entgegen getrottet. Ich leinte sie fix an und ging raus.
»Bis später«, rief ich Mama noch zu und ging dann die Straße entlang, an der wir am Vortag lang gefahren waren.
Es gab kein Fußgängerweg, aber warum auch. Auf dieser Straße war nichts los, so wie auf fast jeder Straße hier im Dorf. Die Autos fuhren überall höchstens 30, außer auf der Hauptstraße.

Mama räumte in der Zeit wo ich weg war, das komplette Haus auf und packte aus.
Mama hörte laut Musik und sang dazu, während sie den Staubwedel schwang.
Jemand klopfte gegen die offene Haustür und trat ein.
»Hallo? Ich hab gesehen, dass ein Auto hier steht und wollte mich Mal vorstellen« sagte eine Frau überaus freundlich. »Ich bin Sab...« die Frau stockte als sie Mama sah.
»Tilly?!«, fragte sie überrascht und entsetzt zu gleich.
»Bienchen? Du wohnst immer noch hier?«
Mama konnte es kaum fassen.
»Was tust du hier? Ich hoffe du putzt das Haus um es zu verkaufen« sagte die Frau nicht mehr so freundlich.
»Nein, ich wohne jetzt hier mit meiner Tochter«, antwortete Mama ein wenig unsicher.
»Und wie stellst du dir das bitteschön vor? Du bist seit 15 Jahren nicht mehr hier gewesen! Du bist einfach abgehauen! Du kannst nicht nach all den Jahren einfach wieder kommen und erwarten, dass alles wieder gut wird! Aber war ja klar das die all geliebte Mathilde wieder kommt. Tief im Inneren wusste ich, dass du es unter keinen Umständen übers Herz bringst dein Haus zu verkaufen und früher oder später hier wieder auf der Matte stehst«, brüllte Sabine und verschränkte die Arme wütend vor der Brust.
»Ich weiß Sabine, lass mich bitte erklären...«, stammelte Mama unsicher.
»Es gibt nichts mehr zu erklären, mach dein Ding, so wie du es immer gemacht hast, aber lass mich erstmal in ruhe.« Sabine verließ wütend unser Haus und Mama machte sich traurig wieder ans putzen. Sie drehte das Radio leise und sang nicht mehr, sie war traurig und putze niedergeschlagen weiter.

Ich ging mit Daisy über die Hauptstraße und sah einen Wald.
Wir gingen in den Wald und dort leinte ich sie ab. Sie war zwar alt und blind, liebte es aber trotzdem die Gegend mit ihrer Nase zu erkunden.
Ich begegnete auf dem ganzen Weg nur ein altes Ehepaar, sonst niemanden.
»Von wegen ich werde bestimmt neue Freunde kennenlernen. Wie denn, wenn hier keiner ist?«, sagte ich wütend zu Daisy und trat einen Stein vor mich hin.

Mama putzte immernoch das Haus und es blieb alles andere als unentdeckt, dass das Haus nicht mehr leer war.
Schon wieder klopfte es an der offenen Haustür und jemand trat in den Flur.
»Hallo, entschuldigen Sie die Störung, aber ich wollte mich Mal vorstellen«, sagte eine alte gebrechliche Frau.
Mama trat aus dem Wohnzimmer in den Flur und blätterte in einer alten Fernsehzeitschrift. Als sie den Blick von der Fernsehzeitschrift abgewandt hatte und die Frau erblickte, konnte sie es kaum fassen.
»Rosa? Bist du es?«, fragte sie vorsichtig.
»Mathilde mein Kind, lass dich ansehen«, sagte die Frau, die Rosa zu heißen schien, glücklich und umarmte Mama. »Was machst du hier? Sag nicht du willst verkaufen, das kannst du nicht tun, in diesem Haus haben deine Uroma und ich schon gespielt«, sagte Rosa panisch und ernst, aber dennoch freundlich.
»Nein, nein keine Sorge. Ich würde niemals verkaufen. Ich wohne jetzt wieder hier. Mit meiner Tochter zusammen. Komm setzen wir uns.«
Mama und Rosa gingen ins Wohnzimmer und setzten sich auf die Couch.

»Willst du Kaffee? Ich hab noch welchen von heute morgen, er ist sogar noch warm«, bot Mama freundlich an.
»Danke gerne«, sagte Rosa kurz.
Mama holte den Kaffee und zwei Tassen aus der Küche und schenkte ein.
Rosa sagte gütig: »Weißt du wie ich mich freue dich zusehen, wie lang warst du weg, 13 Jahre?«
»15 um genau zu sein. Aber ich denke du bist die einzige die mich gerne wieder sieht«, sagte Mama traurig und schaute enttäuscht zu Boden.
»Ach Quatsch, wer erzählt denn sowas? Natürlich war es ein großer Schock für uns als du nicht mehr da warst, aber du musstest hier raus. Das verstehen wir«, sagte Rosa einfühlsam und nahm Mamas Hand.
»Aber Sabine...«
Rosa ließ Mama nicht ausreden und fiel ihr ins Wort: »Sabine hat dich am meisten vermisst. Sie war jeden Tag hier und hat den Garten gemacht, gelüftet, geheizt und Reparaturen erledigt. Sie hat jeden Tag gehofft, dass du wieder kommst.«
»Aber wieso hat sie mich dann vorhin so eiskalt begrüßt und ist dann wieder gegangen? Ich verstehe das nicht.«
»Sie ist wütend, sie will dich mit schweigen strafen, sie will dich ignorieren, sie will dir weh tun. So wie du ihr weh getan hast. Ihr wart die besten Freunde und du hast sie alleine gelassen. Kurz nachdem du weggegangen bist verlor ihr Vater, Mathias, den Kampf gegen den Krebs, gegen den er solange kämpfte. Sie hat dich angerufen, wir haben dich alle angerufen, aber du gingst nicht ran...«
»I-i-ich wusste nicht...«, stammelte Mama.
Rosa schüttelte den Kopf und fiel ihr erneut ins Wort: »Ich mach dir keine Vorwürfe, keiner macht dir Vorwürfe. Ich will dir nur Sabines Gründe erzählen. Du hattest deine Gründe von heute auf morgen hier abzuhauen und sie hat ihre Gründe für ihr Verhalten.«
»Wie geht's denn ihrer Mama Cosima?«, fragte Mama Vorsichtig.
»Da wollte ich ja jetzt zu kommen. Leider musste auch sie frühzeitig gehen. Sabine kam mit den Verlust von dir und ihrem Vater nur schwer klar. Sie hat sich unglaublich verändert und die Cosima kam damit nicht zurecht, sie wurde immer trauriger und zog sich immer mehr zurück. Wir, das ganze Dorf, haben versucht sie wieder glücklich zu machen, wir haben so viel versucht, aber auch sie musste viel einstecken. Sie verlor deine Mama, ihre beste Freundin, bei diesem schrecklichen Autounfall, dann ihren Mann an diesem bescheuerten Krebs, dann lief der Reiterhof auch nicht mehr so gut wie vorher und zum Schluss verlor sie auch noch ein Stückweit ihre Tochter. Du weißt Cosima liebte das reiten und sie liebte Grisu.«
»Ja Grisu war immer ihr Liebling gewesen. Sie hatte viele Pferde und auch ziemlich gute, aber nichts ging über Grisu. Dieser sture Gaul«, fiel Mama ihr ins Wort und erzählte das mit einem traurigen aber ein bisschen aufheiterndem schmunzeln.
»Cosima hatte sich in Therapie begeben, sie hatte wieder Spaß und hat wieder gelacht. Schon zwei Wochen nach der ersten Therapiestunde saß sie wieder auf dem Pferd und zwei weitere Wochen später wollte sie mit Grisu ausreiten.
Es war eigentlich nichts aufregendes, einmal bis zum See und zurück.
Aber nicht Mal weit vom Hof entfernt scheute Grisu und sie fiel. Grisu lief sofort zurück zum Hof und Sabine wusste sofort, dass was passiert war. Sie hatte eigentlich gerade Unterricht gegeben, aber sie ließ alles stehen und liegen und stieg sofort auf Grisu und ritt los. Sabinchen fand Cosima, mit gerade einmal 19 Jahren, auf der Straße liegen, regungslos. Die Obduktion hatte ergeben das sie sofort starb und keine schmerzen mehr hatte. Aber dafür hatte Sabine den größten Schmerz den man haben konnte, voll Waise mit 19. Man hörte ihren schrei, den sie von sich gab als sie ihre Mutter fand, noch einpaar Straßen weiter. Alle kamen aus ihren Häusern und versuchten erste Hilfe zu leisten oder einfach nur Sabine zu beruhigen. Es war fürchterlich.«
Mama schaute Rosa betroffen an und Rosa kämpfte mit den Tränen, fuhr dann aber schnell fort. »Cosima war auf dem besten Weg der Besserung und es lief alles so gut und dann kommt so ein blöder Unfall und macht wieder alles kaputt«, Rosa stockte ein wenig und musste sich eine Träne aus dem Auge wischen. »Dieser Tag hat Sabine geprägt und das merkt man ihr auch an. Ab diesem Tag war nichts mehr mit spaß und blödelein, sie hat den Hof übernommen und alles alleine geregelt. Aber dir brauche ich davon ja nichts erzählen, voll Waise mit 17, durch diesen verfluchten Autounfall. Wäre bloß dieses blöde Tier deinen Eltern nicht vor das Auto gerannt, wären sie noch hier.«
Mamas Puls wurde schneller und sie wurde blass. Ihr schossen Tränen in die Augen und ihr Atem wurde schneller.
»Mathilde? Alles in Ordnung? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«, fragte Rosa besorgt.
»Nein, schon gut. Es ist nur, ich habe diesen Schmerz, den ich fühlte, all die Jahre verdrängt und irgendwie kam das jetzt hoch«, stammelte Mama. Sie versuchte sich zusammen zureißen, aber das gelang ihr nicht so ganz.
»Mathilde, ich werde bald neunzig Jahre alt und hab vieles erlebt und wenn ich eins weiß, dann, dass es nicht gesund ist, sowas auf die leichte Schulter zunehmen«, sagte Rosa besorgt, mit ernster Stimme.
»Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen, mir geht es gut. Ich hab eine wunderbare Tochter und ich komme mit allem wunderbar klar, versprochen. Sonst wäre ich nicht wieder zurück gekommen«, sagte Mama langsam und entschlossen. »Nichts desto trotz, ich sollte jetzt weiter sauber machen.«
»Gut wir sehen uns, ich komme in den nächsten Tagen wieder vorbei. Tue mir bitte nur ein Gefallen, geh und rede mit Sabine.«
Mama nickte und sie und Rosa standen auf und gingen Richtung Tür.
»Soll ich dich begleiten?«, fragte Mama besorgt.
»Ach Quatsch, ich bin zwar alt aber immer noch fit wie ein Turnschuh, den Weg schaffe ich alleine. Nochmal danke für den super Kaffee und denk an meine Worte, rede mit Sabine!«
»Ja Rosa, das werde ich.«
Mama umarmte Rosa zum Abschied und nahm sich dann wieder den Staubwedel.

Daisy und ich irrten immer noch durch den Wald. Keine Menschenseele, nur Vogelgezwitscher.
Es war ruhig und irgendwie hasste ich diese Stille. Ich war es nicht gewohnt von nichts umgeben zu sein, bei mir war eigentlich immer was los und nun war es still. Dachte ich zumindest, denn im nächsten Augenblick kam ein Junge, so ziemlich in meinem Alter, auf einem Pony angaloppiert und rannte mich und Daisy beinahe um. Ich fiel zu Boden und Daisy rannte weg.
»Ey kannst du nicht aufpassen«, rief ich ihn wütend hinter her, während ich aufstand.
Er kam zurück geritten und sagte: »Tut mir leid, ich...«
Ich fiel ihn böse ins Wort: »Ach tut dir leid? Du hast mich gerade beinahe über den Haufen geritten und jetzt kann ich meinen Hund wieder einfangen gehen. Toll gemacht!«
»Tut mir wirklich leid, mein Pony ist einfach los gelaufen und ich konnte nichts tun.«
»Toll, das hilft mir jetzt auch nicht, ich muss meine Hündin finden. Wir kennen uns hier nicht aus und sie ist blind!«, meckerte ich.
»Wie wäre es wenn ich dir helfen würde, wäre das Entschuldigung genug?«, fragte er und grinste mich Charmant an.
»Danke, aber nein danke. Du hast schon genug angerichtet«, sagte ich wütend, verschränkte die Arme vor der Brust und ging los.
»Ach komm schon, du kennst dich hier nicht aus und so wirst du sie nie finden«, sagte er und schnitt mir mit seinen Pony, den Weg ab.
Ich verdrehte die Augen: »Na gut, sie heißt Daisy und ist braun. So weit kann sie eigentlich nicht sein, sie ist alt und nicht mehr so schnell zu Fuß.«
Er sprang von seinem Pony und ging neben mir her.
»Ich bin übrigens Nick und das ist mein Pony Möhrchen.«
Er grinste mich frech, aber süß an und zog seinen Helm aus.
»Conni«, erwiderte ich ein wenig genervt.

Wir irrten umher und riefen die ganze Zeit nach Daisy, aber nichts, sie war nicht aufzufinden.
Nach fast einer Stunde erfolglosen suchen gab ich die Hoffnung auf.
»Och man das nützt doch nichts, wir werden sie niemals finden«, sagte ich maulend und fing fast an zu weinen.
»Psst, sei Mal ruhig!«, sagte Nick plötzlich.
»Warum? Hier ist doch niemand«, erwiderte ich zickig und verdrehte die Augen.
»Jetzt halt doch einmal den Mund!«, sagte er ein wenig lauter, ja fast schreiend.
»Sag Mal, das ist ja unerhört. Zuerst reitest du mich um, und jetzt verbietest du mir meinen Mund. Also das...«
Nick fiel mir ins Wort und sagte ziemlich genervt: » Och man, jetzt halt doch mal zwei Minuten die Klappe und hör mal!«
Ich weiß nicht wieso, aber ich hörte auf das was er sagte und war still.
»Hörst du das auch?«, fragte er mich.
»Nein, ganz und gar nicht. Ich höre gar nichts. Was sollte ich denn bitte hören?«, sagte ich genervt und fühlte mich ein wenig veräppelt.
»Winseln! Das ist doch ganz klar ein Hund!«, sagte er aufgeregt.
Noch einmal hielt ich inne und horchte. Und da, ich hörte es. Es war wirklich ein ganz leises Winseln zuhören.
»Daisy!« Ich war außer mir vor Freude und fing an zu weinen.
Nick und ich folgten dem Winseln bis es unüberhörbar laut war.
Ich hatte das Gefühl als wenn ich wusste wo sie war und lief einfach los.
»Nein nicht, Conni pass auf! Dort geht es steil...«
Bevor Nick aussprechen konnte fiel ich schon einen kleinen, aber steilen Abhang hinunter und plumpste neben Daisy.
»Gehts dir gut? Kannst du aufstehen?«, fragte Nick besorgt und schaute von oben den Abhang hinunter.
»Ja, ich denke schon. Ich komme hier nur nicht alleine wieder hoch, schon gar nicht mit Daisy«, sagte ich ein wenig panisch.
»Hast du irgendein Seil oder so etwas in der Art?«
»Nein ich hab nur Daisys Leine, aber die ist zu kurz. Hast du dort oben was?«
»Nein, sonst würde ich ja nicht fragen«, antwortete er ein wenig schmunzelnd.
»Stimmt, dumme Frage von mir«, antwortete ich beschämt.
»Okay Conni, ganz einfach. Ich reite schnell nach Hause und hole ein Seil, du wartest hier. Ich komme wirklich schnell wieder.«
»Wo sollte ich denn hingehen?«, fragte ich schmunzelnd.
»Stimmt, dumme Aussage von mir«, sagte er ebenfalls schmunzelnd. »Ich bin gleich wieder da.«
Ich hörte ihn weg galoppieren und fühlte mich auf einmal ganz alleine.
Daisy merkte das und legte ihren Kopf auf meinen Schoß, so wie sie es tat als ich verunfallt auf der Treppe lag.

Eine gefühlte Ewigkeit später hörte ich galoppierende Pferde.
»Nick? Bist du das?«, rief ich fragend den Abhang hinauf.
»Ja ich bin aber nicht alleine, ich habe Hilfe mit gebracht.«
Nick trat an den Rand des Abhangs, neben ihn ein junges Mädchen von ca. 15 Jahren.
»Ich bin Theo, Nicks Schwester. Ich werde dir gleich ein Seil zuwerfen, das bindest du am besten um deine Hüfte und hälst deinen Hund fest. Das andere Ende werde ich an mein Pferd binden. Es wird dich langsam daraus ziehen, es wird eventuell ein wenig weh tun und du wirst dreckig werden. Nur keine Panik, okay?«
Theo hörte sich unglaublich freundlich an und ich vertraute ihr. Ich glaube sie zog nicht zum ersten Mal jemanden irgendwo hoch, so schien es auf jeden Fall.
»So Conni ich werfe dir jetzt das Seil zu. Pass auf.«
Theo warf das Seil runter und ich fing es.
Ich befestigte das Seil irgendwie um meine Hüfte und hielt Daisy am Halsband fest.
»Bist du bereit?«, rief Nick fragend runter.
»Ja«, rief ich ein wenig unsicher zurück.
Theo gab ihrem Pferd ein Klaps auf den Hintern und ließ es vorwärts laufen.
»Stopp!«, rief ich schon nach wenigen Metern panisch.
Theo hielt sofort ihr Pferd an und sah zu mir runter.
»Was ist los, tut es zu dolle weh?«, fragte sie besorgt.
»Nein, es ist auszuhalten. Aber Daisy, ich kann sie nicht tragen und alleine kommt sie nicht hoch«, antwortete ich panisch und fing wieder an zu weinen.
»Okay Conni, keine Panik. Wir schaffen das, hörst du! Hör auf zu weinen und sieh mich an.« Theos Stimme klang ruhig und kontrolliert. Sie nahm mir all meine Angst und ich hörte auf zu weinen.
»Lass dein Hund los, wir ziehen zuerst dich nach oben und wenn das geschafft ist, gehe ich runter und hole sie, ist das okay?«
Theo war unglaublich lieb und ich stimmte ihr zu.
»Okay Conni, wir fangen noch Mal an. Es wird jetzt wieder ein wenig weh tun.«
Theos Pferd ging erneut vorwärts und zog mich Stück für Stück den Abhang hinauf. Es tat wirklich weh, das Seil brannte um meine Hüfte und ich wurde über Eicheln und Wurzeln gezogen.
Daisy wartete geduldig, als würde sie wissen, dass sie auch gleich gerettet werden würde.

Als ich endlich oben war, fragte Theo mich kurz ob es mir gut ging, machte mir das Seil ab und schnürte es sich sofort um die Hüfte.
»So Nick, du schickst Rocky jetzt ganz langsam rückwärts. Er kennt das, aber du musst ruhig bleiben.«
Gesagt, getan. Nick schickte das Pferd, was Rocky zu heißen schien, rückwärts und Theo ging ganz langsam den Abhang hinunter.
Gespannt schaute ich den Abhang hinunter und hielt Möhrchen fest.
»Theo du musst mit ihr reden, sie ist blind«, rief ich besorgt.
»Keine Sorge Conni, alles wird gut. Daisy ist ihr Name hab ich Recht?«, rief sie ruhig zurück.
Ich antwortete nur mit einem kurzen »ja«und schaute angespannt weiter zu wie Rocky Theo immer weiter runter ließ.
»Hallo, du hübsche«, sagte Theo ruhig zu Daisy und streichelte ihr den Kopf. »So Mäuschen, dann holen wir dich Mal hier raus.«
Theo nahm sie auf den Arm und rief zu uns: »Nick, es ist besonders wichtig das du Rocky jetzt schön langsam laufen lässt. Ich habe keine Hand frei und kann mich nicht abstützen, ich muss mich voll und ganz ins Seil legen. Hast du das verstanden?«
»Ja, das habe ich. Pass auf dich auf okay?«, rief er seiner Schwester besorgt entgegen.
»Ich mach sowas nicht zum ersten Mal, keine Panik«, sagte sie schmunzelnd um die Stimmung aufzulockern.

Es lief wirklich alles gut, Theo und Daisy kamen heile oben an und ich war erleichtert.
»Sagt mal wie ist das eigentlich passiert?«, fragte Theo uns mit gerunzelter Stirn.
»Also... Ähm...«, fing ich an zu stammeln.
»Möhrchen ist schon wieder durchgegangen und ich habe Conni beinahe umgeritten. Daisy ist abgehauen und war dann dort runtergerutscht und Conni fiel dann blöderweise, weil sie sich hier nicht aus kannte, den Abhang runter«, platzte es aus Nick hinaus.
»Och Nick, du weißt doch was Sabine davon hält, dass Möhrchen ständig durch geht.«
»Ja Theo ich weiß, aber sag es bitte nicht Mama. Dann darf ich nicht mehr alleine ausreiten und muss Boxen ausmisten«, flehte Nick seine große Schwester an.
»Na gut, aber nur weil du mein kleines Brüderchen bist. Krieg Möhrchen in den Griff, ich meine es ernst, sonst hab ich keine andere Wahl als es Sabine zu sagen«, sagte Theo mit einem ernsten Blick.
»Danke Theo, danke das du mir immer aus der Patsche hilfst«, meinte Nick erleichtert und umarmte Theo.
»Immer gerne doch«, meinte sie grinsend und wuschelte ihn durch sein braunes Haar. »Dafür hab ich aber was gut bei dir.«
Ich ging zu Rocky rüber und streichelte ihn, erst jetzt fiel mir auf, dass er das weiß-graue Pferd vom Vortag war.
»Schönes Pferd, ist das deins?«, fragte ich sie während ich Rocky streichelte.
Sie entfernte das Seil von seinem Gurt und meinte: »Nein leider nicht. Er gehört einer Frau, die sich seit über zehn Jahren nicht mehr um ihn gekümmert hat. Mehr weiß ich auch nicht. Ich kann nicht verstehen wie man so eine tolles Pferd alleine lassen kann«, meinte sie.
»Verstehe«, antwortete ich kurz und streichelte weiter.
»Seid mir nicht böse, aber ich muss los. Ich habe noch etwas wichtiges zu tun.«
»Alles gut, geh nur«, meinte Nick.
Theo ritt ohne Sattel, dort war nur ein Gurt mit so kleinen Ringen dran, wo das Seil dran befestigt war.
Mit einer Leichtigkeit schwang sie sich irgendwie auf Rockys Rücken und galoppierte los.
Theo war ziemlich hübsch, sie hatte dunkel blonde wellige Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte, und knallende blaue Augen. Sie sah komplett anders aus als Nick. Nick war braunhaarig und seine Haare waren strubbellig, außerdem hatte er braune Augen.
Aber eins hatten sie gemeinsam, reiten. Das konnten sie beide gut.

Nick und ich machten uns auf den Heimweg. Wir gingen nebeneinander her und Daisy und Möhrchen trotteten einfach mit uns mit.
Wir waren ziemlich weit drinnen im Wald und meine Füße taten höllisch weh.
»Können wir gleich Pause machen? Ich kann nicht mehr«, sagte ich erschöpft.
»Wenn du willst kannst du dich auf Möhrchen setzen, ich führe dich dann«, entgegnete Nick charmant.
»Ich weiß nicht, ich saß noch nie auf einem Pferd«, erwiderte ich unsicher.
»Noch nie?«, fragte Nick entsetzt. »Da hast du aber was verpasst, komm ich schmeiß dich rauf.«
Ich war zwar unsicher, aber ich wollte schon immer Mal auf einem Pferd sitzen, also willigte ich ein.
Mehr schlecht als recht warf Nick mich auf Möhrchens Rücken und wir gingen weiter.
»Warum hast du noch nie auf einem Pferd gesessen? Magst du keine Pferde?«, fragte Nick ungläubig.
»Doch schon, aber meine Mama hat es mir nie erlaubt. Aus irgendeinem Grund hatte sie was dagegen. Sie hatte mir aber nie gesagt wieso.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen wie es ist nicht zureiten, ich reite gefühlt schon immer. Wir leben auf unserem eigenen Hof und ich kann mir nichts besseres vorstellen.«
»Ich komme aus München, hatte nie Kontakt zu Pferden oder so etwas. Wir haben in München ein riesiges Grundstück mit Villa und mein Papa hat eine Anwaltskanzlei.«
»Und warum lebt ihr denn jetzt hier?«
»Naja meine Eltern hatten ständig Streit und dann haben sie sich getrennt.«
»Und warum seid ihr hier hin gezogen, ich meine es ist ja schon ziemlich weit weg von München.«
»Ich weiß, meine Mama ist hier groß geworden. Wir haben hier ein Häuschen, es ist zwar nicht groß aber...«
Nick fiel mir ins Wort: »Wie hier ein Häuschen? Aber das einzige freie Haus ist doch das weiße in der Straße gegenüber vom Feld, das Haus von der früheren Freundin meiner Mama, indem wir ständig nach dem Rechten sehen.«
»Ja also das trifft es ganz gut, es ist weiß, liegt gegenüber vom Feld und irgendwer hat es in den letzten Jahren ein bisschen umsorgt.«
»Krass, das muss ich meiner Mama erzählen«, sagte Nick aufgeregt.

Nach einer längeren Redenspause meinte ich: »Du und deine Schwester, ihr versteht euch gut oder?«
»Ja sehr gut. Also eigentlich ist sie gar nicht meine richtige Schwester. Als sie eins war, ist ihre Mama gestorben und ihr Papa dann irgendwann auch, also hat meine Mama sie adoptiert. Sie hat keinen anderen mehr als meine Mama und mich.«
»Habt ihr keine anderen Verwandten?«
»Nein, nicht wirklich. Mein Opa starb an Krebs und meine Oma bei einem Reitunfall, bevor ich geboren wurde. Und mein Papa wohnt am anderen Ende der Welt. Er hat eine neue Familie.
»Das tut mir leid.«
»Ach das brauch es nicht. Ich hab ihn nie kennen gelernt. Und was ist mit dir?«
»Mamas Eltern starben bei einem schweren Autounfall, ihnen ist ein Tier vor ihr Auto gelaufen. Ich hab noch die Eltern von Papa, aber die mag ich nicht besonders, die sind immer so streng.«
»Verstehe«, sagte er einfühlsam.
Es entstand eine unangenehme Stille zwischen uns, also fragte er um die Stimmung aufzulockern: »Und wie fühlst du dich auf Möhrchens Rücken?«
»Gut, ich denke gut«, antwortete ich grinsend.
Ich ließ einfach meine Seele baumeln. Ich schaukelte hin und her und her und hin.
Daisy lief uns einfach hinter her und hatte ihren Spaß, genauso wie Nick und ich.

Wir kamen endlich aus dem Wald raus, wir mussten  nur noch über die Hauptstraße und ein Stück unsere Straße entlang, dann waren wir da.
Mama stand vor der Tür und als sie mich sah erschrak sie.
»Meine Güte Conni, runter von dem Pferd!«, sagte sie aufgebracht.
»Aber Mama warum denn, es ist doch alles gut«, entgegnete ich ihr.
»Runter hab ich gesagt, sofort! Wie siehst du denn überhaupt aus?«
Ich sprang von Möhrchen und erklärte: »Also, Daisy hat sich einfach so erschreckt und ist mir weggelaufen, sie ist einen Abhang runtergerutscht und blöderweise bin ich auch dort runtergerutscht. Mama das ist Nick, er hat mir geholfen«, ich zeigte auf Nick, der dann winkte und ich fuhr fort. »Er und Theo kamen auf ihren Pferden vorbei und zogen mich und Daisy dort raus.«
Mama zog die Augenbrauen hoch, ihre Stimmung lockerte sich und sie schmunzelte: »Also Conni ich wollte, dass du spaß hast, aber gleich so ein Abenteuer am ersten Tag, das ist ja aufregend. Zum Glück ist nicht schlimmeres passiert. Verabschiede dich erstmal von deinen Freund und geh dich sauber machen.«
Ich verabschiedete mich, nahm Daisy und ging zur Haustür.
»Ach Conni wenn du heute noch Zeit hast, ich wohne einfach die Straße gerade durch bis zum Ende, dort ist ein Hof«, rief Nick mir noch nach.
»Ist gut«, rief ich zurück, »du weißt ja wo ich wohne.«
Nick stieg auf Möhrchen und ritt los.
Mama stand dort wie angewurzelt und sie hatte wieder so einen komischen Gesichtsausdruck, genau den gleichen wie am Vortag im Auto.
»Mama? Ist alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt. »Kommst du auch rein?«
»Ja aber natürlich ist alles in Ordnung, du gehst jetzt hoch und dann lassen wir dir ein schön heißes Bad ein und wenn du fertig bist, erzählst du mir noch Mal wie du gerettet wurdest okay?«
»Au ja«, rief ich und ging mit Mama die Treppe hoch.

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