Der Neujahrstag
Die ganze Neujahrsnacht feierte ich mit den anderen ausgelassen.
Als der Himmel so langsam heller und es übersichtlicher auf der Tanzfläche wurde, kam Till ganz selbstsicher zu mir rüber.
»Zisch ab«, zischte Jule und stellte sich beschützerisch vor mich.
»Ist schon in Ordnung«, beruhigte ich sie und schob sie zur Seite. »Was willst du Till?«
»Darf ich nicht mal mit dir sprechen?«, fragte er ein wenig provokant und lächelte wieder schäbig, so als ob er komplett ohne Hintergedanken mit mir sprechen wollte.
Ich wusste, dass er irgendwas wollte und meinte pampig: »Erzähl schon was du von mir willst.«
»Können wir vielleicht ohne dein Aufpasser hier sprechen?« Er senkte seinen Kopf leicht in Jules Richtung, die nur mit einem kurzen »Hey« ihr Protest aussprach.
Ich nickte und folgte ihm selbstsicher nach draußen.
Ich sah Nicks verwerfliche Blicke und hörte Jules Proteste, aber ich wusste was ich tat - dachte ich zumindest.
Draußen angekommen lehnte ich gegen den frostig gewesenen Holzzaun vom Roundpen.
»Darf ich nicht mal mit einem hübschen Mädchen reden?«
Ich verstand wieder gar nichts. Was für ein Spielchen spielte er nur wieder mit mir?
Ich kannte dies ja schon und wusste mit was für einem Schmerz dies verbunden war.
Selbstsicher meinte ich dann: »Komm hör auf mit deinen Spielen! Das ist nicht Fair!«
Ich drückte ihn zur Seite und wollte gehen.
Er hielt mich am Arm fest und zog mich wieder zu ihm ran.
»Hey kleines«, sagte er verführerisch. Ich sah ihm in seine wunderschönen Augen und verlor mich wieder in seinem unwiderstehlichen Charme. Noch bevor ich was dagegen machen konnte küsste er mich sanft.
Zuerst fühlte es sich gut an und ich drückte meine Hand sanft gegen seinen Muskulösen Arm.
Doch dann realisierte ich was gerade abging und drückte ihn weg.
»Was soll das! Ich bin doch nicht dein Spielzeug, mit dem du spielen kannst wenn du Langeweile hast!«
Ich musste mich zusammenreißen. Fast, aber auch nur fast, konnte ich meine Tränen komplett verbergen. Meine Stimme war brüchig und ich musste mir eine Träne von der Wange wischen.
»Conni...«
Ich unterbrach ihn.
»Oh nein, nichts mehr Conni!« Ich musste einmal durchatmen und versuchte so ruhig wie es mir gelang weiter zu reden.
»Du hast mir weh getan«, schluchzte ich.
Noch ein Moment ließ ich ihn mein schmerzvolles Gesicht betrachten. Noch einmal ließ ich ihn meine Schmerzen sehen. Noch einmal gab ich ihn die Chance sich zu entschuldigen.
Er tat es nicht und ich, ich stürmte einfach davon.
Er machte nicht keine Anstalt um mich aufzuhalten. Er ließ mich einfach in meinem fliederfarbenen Tüllkleid davon laufen.
Lange war ich nicht weg, denn Nick und Jule haben nur auf so einen Moment gewartet.
Ich richtete mich also nur kurz im Bad und eilte dann schnell wieder zu meinen Freunden.
»Och Conni Schätzchen, was ist los?«, fragte Eske besorgt.
»Nichts, es ist alles in Ordnung«, sagte ich schnell mit einem gefälschten, aufgesetzten Lächeln.
»Du bist so rot im Gesicht.« Eske fasste mir besorgt über die roten Wangen.
»Du bist lustig. Ich komme gerade von draußen. Wir haben es -4 Grad draußen, natürlich bin ich rot«, lachte ich wieder so gekünstelt und fasste Eske mit meinen eiskalten Händen zur Demonstration an ihren Arm.
Es entstand eine komische Stille. So ganz glauben konnten sie mir glaub ich nicht und Jule sah mich so durchdringend an, so wie sie es immer tat wenn sie jemanden misstraute.
Ich wechselte dann schnell das Thema und zog sie auf die noch gut bestückte Tanzfläche.
Ich wollte einfach nicht, dass sie merkten wie traurig ich doch war. Ich wollte nicht dass, das neue Jahr so anfing.
Als dann die Sonne am Himmel stand, war auch die Party zu Ende. Es gingen alle zufrieden nach Hause.
Die älteren Leute des Dorfes waren schon längst zu Hause gewesen und auch Sabine und Mama schliefen tief und fest.
Nick und ich machten also die morgendliche Runde durch den Stall.
Wir fütterten die gefräßigen Pferdemäuler und ließen sie auf den Paddock neben dem Roundpen.
Anschließend verschwanden wir schnell in seinem Zimmer und legten uns ins kuschelige Bett.
Bis ca. 11:30 Uhr konnten wir schlafen, dann mussten wir auch schon aufstehen.
Für mich stand an diesem Tag noch ein Neujahrsspringen an. Zu meinem, und wahrscheinlich auch Tills, Glück fand dies in diesem Jahr auf Franzis Hof statt. Der ganze Kader kam also in unser kleines Dörfchen.
Nick musste noch bei den Vorbereitungen helfen und ich musste mich und Conti zurecht bürsten.
Ich sah schrecklich aus. Meine Haare standen zu Berge und unter meinen Augen hingen dicke Augenringe. Selbst meine schön saubere Turnierkleidung machte dies nicht besser.
Ich trat mit Conti an, sprang sauber und fegte sie alle vom Platz. Ich hatte gar keine Zeit für meine Nervosität. Ich war müde und wollte einfach nur schnell alles hinter mir haben.
Conti und ich ritten mit der Bestzeit und 0 Fehlerpunkten ins Ziel.
Lobend klopfte ich meinem großen Hengst den Hals.
Allegra stand wartend vor der Bande der Halle. Wir hatten einfach gemerkt, dass Conti viel entspannter war und bessere Leistungen erzielte wenn die kleine Stute dabei war. Er brauchte einfach seine Schwester.
Also entschieden wir Allegra überall mit hin zu nehmen wenn es wichtig war.
Auf Turnieren stand sie brav am Rand und wartete, beim Training schaute sie zu, bei neuen Geländestrecken war sie dabei - einfach immer wenn Conti unter Druck hätte stehen können.
Er konnte zwar auch alleine sein, aber wenn er seine Schwester im Blick hatte funktionierte gleich alles wie durch Zauberhand viel besser.
Mein Tag endete schnell. Nachdem ich gewonnen hatte, hing ich meine goldene Schleife zu den anderen in meinem Zimmer und machte mich fertig fürs Bett.
Meine Wand war verziert mit lauter Turnierschleifen - die meisten waren Gold.
Meine Mutter war sehr stolz auf mich gewesen und gab regelrecht mit mir an.
Alle bewunderten die tolle Constanze, aber keiner kannte den Druck hinter dem Erfolg, das Leid welches ich verspürte, die Angst zu versagen.
Sie kannten nicht das was ich für diese Erfolge aufgab. Ich hatte keine richtige Jugend - ich hatte keine Zeit. Keine Zeit für Freunde, für Hobbys - ich betonte immer öfter, dass reiten schon längst kein Hobby mehr war, sondern mein Job -, für Freizeitaktivitäten oder Dinge wie Klassenfahrten. Till und ich waren nicht auf unserer Abschlussfahrt der 10. Klasse gewesen, denn wir hatten zu tun. Es stand ein wichtiges Training an und Urlaubsvertretung für unsere Pferde konnte auch keiner übernehmen. Wir mussten also beide in den sauersten Apfel beißen den es gab und verzichten.
Als die anderen von der Klassenfahrt kamen erzählten sie uns wie cool es doch war und wie viel wir verpasst hatten. Es half nicht - es half gar nicht.
Ich fühlte mich immer mehr zurückgewiesen und verpasste so viel meiner Jugend.
Mama wusste nicht was sie damit anrichtete. Ich erzählte es ihr auch nicht.
Egal wo ich war, ob ich in München oder in meinem kleinen Dorf war, ich konnte nicht komplett ich sein.
In München stand ich unter dem Druck meines Vater und wurde immer nur auf mein Vermögen reduziert.
In meinem kleinen Dorf hingegen stand ich unter dem Druck meiner Mutter und wurde zwar nicht mehr allzu oft auf die damaligen Erfolge meiner Mutter reduziert, aber ich wurde nur auf's reiten reduziert.
Das Einzige was ich in deren Augen konnte war reiten.
Ich wusste, dass ich nirgendwo vorurteilsfrei leben konnte.
Immer war ich irgendwo irgendetwas was ich womöglich nicht sein wollte.
Ich war es leid und hatte manchmal das Verlangen einfach nur auszubrechen, auszubrechen aus diesem verkorksten Leben und irgendwohin zu gehen wo niemand mich kannte. Wobei es schwer war irgendwo hinzugehen wo mich keiner kannte, denn mit meinen zarten 17 Jahren, war ich im In- und Ausland als erfolgreiche Nachwuchsreiterin in der Reiterszene gut bekannt und durch Instagram, Fernsehen und Filmrollen war ich eine nicht unbekannte Person auch bei der restlichen Bevölkerung,
Ich war zu diesem Zeitpunkt kein super Star, der auf offener Straße nach einem Autogramm gefragt wurde, aber die Anfragen fürs Fernsehen waren genug da und vor Kooperationen konnte ich mich kaum retten.
Ich hatte das erreicht was viele wollten und als kleines Kind wollte ich dies wahrscheinlich auch immer haben. Aber in meiner Jugend wollte ich dies alles andere als haben.
Ich wollte nicht mehr ich sein...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top