Alte Erinnerungen und neue Erfahrungen
Verzweifelt stand Hermine vor ihrem Kleiderschrank und stellte sich die Frage, die sich viele Frauen täglich stellten, sie aber - zum Glück - nur selten hatte beantworten müssen: Was verdammt noch mal sollte sie anziehen? Sollte sie sich elegant und verführerisch, sexy und attraktiv oder normal anziehen? Obwohl, normal konnte sie ausschließen. Fiel nur noch die Wahl auf Elegant oder Sexy. Sie seufzte.
Aber warum nicht beides mischen?
Mit einem leichten Lächeln im Gesicht durchsuchte sie ihren kleinen Kleiderschrank. Schließlich entschied sie sich für ein schwarzes Minikleid, welches ihr knapp über den Oberschenkel ging. Es hatte breite Träger, die ihre Schultern bedeckten und so geformt waren, dass sie einen weiten Ausschnitt zuließen. Darunter würde sie keine Unterwäsche tragen. Schwarze Schuhe und eine Silberkette würden das Outfit zusätzlich abrunden. Innerlich hoffte sie inständig, dass diese Klamotten dem Anlass gerecht werden würden, denn in Sachen Mode war sie eine totale Niete.
Hermine zog das Outfit an und zupfte es vor dem großen Ganzkörperspiegel zurecht. In den letzten Jahren hatte sie bemerkt, dass schwarz ihr gut stand. Schade eigentlich, dass sie zu Schulzeiten so stark auf die Gryffindor-Farben gesetzt hatte, statt mal etwas neues zu probieren. Sie wandte sich ab, kramte ihre Schminktasche aus einer der hintersten Ecken und verschwand im Bad.
Eigentlich schminkte sie sich nicht, Ginny hatte sie dazu genötigt. Und dann hatte sie die Schminke eben behalten, auch wenn sie vielleicht einmal in zwei Jahren verwendet werden würde. Und nun war es soweit. Eigentlich sollte es ihr bizarr erscheinen, dass sie sich noch nie für Ron um ihr Aussehen - mal abgesehen von den verschiedenen Outfits - gekümmert hatte, es jetzt aber für einen Malfoy tat. Doch das tat es nicht. Im Gegenteil - endlich konnte sie sich und anderen beweisen, dass in ihr nicht nur das hässliche Entlein aus Hogwarts-Zeiten, sondern auch der schöne Schwan steckte.
Sie griff als erstes zu grauem Lidschatten - der würde am besten ihre braunen Rehaugen zur Geltung bringen - und trug ihn vorsichtig auf. Mehrmals musste sie ihn korrigieren, ehe sie sich an die Augen machte und diese schwarz betonte. Danach trug sie Lippenstift auf, der ihre Lippen weich und sanft erschienen ließ. Zum Schluss sprühte sie sich mit Parfüm ein, das nach frischem Gras und Apfelblüten roch. Sie atmete diesen wunderbaren Geruch tief ein - herrlich.
Fehlten nur noch die Haare. Wie zum Weihnachtsball anlässlich des Trimagischen Turniers in ihrem 4. Schuljahr bändigte sie ihre wilde braune Haarmähne, sodass sie ihr in sanften Locken über die Schultern fielen. Lächelnd betrachtete sie sich im Spiegel - alles im allem sah sie gut aus, vielleicht sogar hübsch und verführerisch. Sie konnte wirklich zufrieden mit ihrem Aussehen sein, zumindest heute.
Hermine ging zurück ins Wohnzimmer und warf einen Blick auf die Uhr. Da es noch früher Abend war beschloss sie, Draco noch ein wenig zappeln zu lassen. Sie würde erst später bei ihm im Manor auftauchen und dann hatten sie noch die ganze Nacht Zeit. Sie fragte sich bloß, wie sie die Zeit im Manor überhaupt aushalten sollte - klar, Draco würde sie ablenken, doch die Erinnerungen würde es nicht verscheuchen. Nachdenklich schaute sie hinunter auf ihren Arm, auf dem noch immer die Schlammblut-Narbe prangte. Tief atmete sie ein und aus, um sich zu beruhigen, denn Bilder von Bellatrix Lestrange drängten sich ihr auf. Hastig verscheute sie sie und griff nach ihrem Zauberstab, um einen Zauber auf die Narbe zu legen, der sie verdeckte - es wurde Zeit, dass sie von der Vergangenheit loskam und in die Zukunft schaute. Auch wenn sie ihre Horkruxjagd und den Krieg nie vergessen würde, so konnte sie wenigstens versuchen, mit der Vergangenheit abzuschließen. Alpträume suchten sie nur noch selten heim, die Angst, die ihr damals zum ständigen Begleiter geworden war, hatte sie abgelegt, die meisten Orte konnte sie wieder besuchen, ohne eine Panikattacke zu bekommen.
Hermine ließ sich auf das Sofa fallen, streckte sich und machte es sich mit einem Buch im Schoß bequem.
oOoOoOo
Nervös schritt Hermine den Kiesweg zum Malfoy Manor entlang. Es war kurz vor Zehn, sie hatte genug gewartet. Vorfreude und Nervosität mischten sich zu einem ungewöhnlichen Mix zusammen, der ihren Magen aufgeregt flattern ließ. Beim Gedanken daran, wie viele Todesser diesen Weg schon beschritten hatten, wurde ihr übel. Gegen ihren Willen schob sich ihr ein Bild in den Kopf, welches zeigte, wie Harry, Ron und sie von Greifern den Weg hier herauf gezerrt wurden. Schnell verbannte sie es in die hinterste Ecke ihres Kopfes - sie durfte sich nicht einschüchtern lassen!
Schließlich stand die unschlüssig vor der großen Eingangstür und wusste nicht, ob sie klopfen sollte. Natürlich sollte sie klopfen, doch irgendwie erschien es ihr falsch. Sie drehte sich um, schloss die Augen, sog tief die klare Nachtluft ein. Das hier war die Chance, ihr Trauma zu überwinden - und die würde sie nutzen! Entschlossen öffnete sie die Augen und ohne einen weiteren Blick in die Dunkelheit zu werfen, wandte sie sich wieder zur Tür und klopfte. Nun konnte sie es nicht mehr rückgängig machen, nun musste sie sich der Vergangenheit stellen.
Ein wenig enttäuscht registrierte sie, dass ihr ein Hauself die Tür öffnete und sie herein bat. Ohne zu zögern kam sie seinem Befehl nach und trat in die Eingangshalle. Jene war dunkel, nur ein paar Kerzen erleuchtete den Raum, der eine düstere Ausstrahlung besaß. Es war kalt und unwillkürlich bekam Hermine eine Gänsehaut. Eine Treppe führte ins Obergeschoss, eine andere führte, wie sie nur zu genau wusste, in die Kerker des Anwesens. Schwer schluckte sie und vermied den Blick auf die Stelle, wo sie damals auf dem kalten Marmorboden gelegen hatte, Bellatrix mit einem wahnsinnigen Grinsen über ihr.
,,Entschuldigung", unterbrach der Hauself vorsichtig ihren Gedankengang, ,,sie sind Miss Granger, oder?" Hermine lächelte das kleine Wesen freundlich an: ,,Ja, die bin ich." Der Hauself nickte: ,,Gut, warten sie bitte kurz hier, ich werde Mr. Malfoy holen." Damit ließ der Hauself sie allein. Sie fröstelte und zog die dünne, ebenfalls schwarze Sommerjacke ein wenig enger um ihren Körper und schlang ihre Arme um ihn. Warum musste es auch so kalt hier sein? Zugegeben, das passte zu den Malfoys.
,,Frierst du?", erklang da plötzlich eine Stimme von der Treppe. Erschrocken zuckte Hermine zusammen und sah zur Treppe, auf der Draco stand und sie musterte. ,,Offensichtlich schon. Du könntest hier wirklich mal heizen, Malfoy", kam die schnippische Antwort von ihr. Mit einem belustigten Grinsen bewältigte er die letzten Stufen und kam auf sie zu. ,,Darf ich ihnen die Jacke abnehmen, werte Dame?", fragte er übertrieben höflich und verbeugte sich ebenso übertrieben. ,,Gerne doch, Gentleman", antwortete sie und ließ sich auf sein kleines Spiel ein. Das Grinsen noch immer auf den Lippen nahm er ihr die dünne Jacke ab und hängte sie über einen Kleiderständer, ehe er wieder zu ihr zurückkam: ,,Dürfte ich sie in den Salon geleiten?"
,,Aber ich bitte darum!"
Lachend führte er sie die Treppe hinauf durch eine Tür in den herrschaftlichen Salon des Hauses. Überall im Raum verteilt standen grüne Sessel und Sofas, zusammen mit kleinen, hölzernen Tischen. Der Salon besaß viele große Fenster, die allesamt mit schweren, ebenfalls grünen Vorhängen verdeckt waren und in einem Kamin brutzelte fröhlich ein Feuer vor sich hin. Es gab kein elektrisches Licht, stattdessen waren im gesamten Raum weiße Kerzen verteilt, die angenehm gedämpftes Licht spendeten und eine romantische und gemütliche Atmosphäre erschufen.
Hermines Beklemmung und Nervosität verflog und ihr Körper entspannte sich, die Vorfreude verursachte ein angenehmes Kribbeln in ihrem Magen. Draco deutete auf zwei Sessel, die sich gegenüber standen, getrennt von einem kleinen Tisch. Sie ließ sich auf einem nieder, während er auf dem Gegenstück Platz nahm. Draco schnipste einmal mit den Fingern und eine kleine Auswahl an Speisen erschien auf der hölzernen Tischplatte.
,,Ich hoffe, du magst Fisch?", erkundigte er sich, während er ihnen beiden Wein einschenkte. Hermine nickte: ,,Hm. Also entgegen meiner Erwartung kann das hier wohl doch... länger werden." Sie spürte, wie sie ein wenig rot wurde, senkte jedoch nicht den Kopf. ,,Was hast du gedacht? Natürlich, schneller und wilder Sex ist so ziemlich der Traum eines jeden Kerls, doch ich bezweifle, das du da mitmachst. Oder willst du etwa das?", fügte er mit einem anzüglichen Grinsen auf den elegant geschwungenen Lippen hinzu. Hermine musste lachen: ,,War ja klar, das sowas in der Art von dir kommt. Und nein, ich bevorzuge diese Variante, du hast meine Frage missverstanden."
,,Es konnte ja sein, dass du da eine Ausnahme bist. Wie du es in vielen Dingen bist." Sie trank einen Schluck des Weins, der ihr prickelnd die Kehle hinab lief und zog eine Augenbraue hoch. ,,Inwiefern bin ich anders als der Rest?", wollte sie wissen, als sie das Glas wieder abgesetzt hatte. ,,Naja", erwiderte Draco, ,,du bist anders als als andere Mädchen in deinem Alter. Du liest viel, bist ungewöhnlich intelligent, kleidest dich verklemmt und schminkst dich nicht."
,,Danke für die Komplimente", gab sie leicht irritiert zurück. Wie um Gottes Willen schaffte er es immer wieder, ihr ein Kompliment zu machen und sie gleichzeitig zu verwirren? ,,Ich bin verklemmt?" Draco nickte: ,,Ja, du bist verklemmt."
,,Meinst du?", hakte sie weiter nach. Wieder nickte ihr Gegenüber: ,,Meine ich." Er trank einen Schluck des Weins und stellte es dann wieder ab: ,,Du trägst stets Kleidung ohne Ausschnitt und zeigst keine Beine. Du bist das Gegenteil von dem, was attraktiv auf einen Mann wirken könnte." Hermine schnaubte: ,,Ich habe das nie getragen, weil ich nicht billig wirken wollte. Ein Mann musste mich schon beeindrucken, damit ich mich auf ihn einlasse." Diesmal hob er die Brauen: ,,Und das hat Weasley getan?" Sie seufzte: ,,Nein, nicht direkt. Wir waren halt schon immer beste Freunde und jeder wusste aus irgendeinem Grund, der sich mir nicht erschließt, das wir in uns stets ein wenig mehr sahen, als wir eigentlich waren. Es war keine richtige Liebe, nur Zuneigung und das Gefühl von Vertrauen, Geborgenheit, Sicherheit und Wärme und für jeden war klar, dass wir irgendwann mal zusammen sein würden, es war nur noch eine Frage der Zeit. Aber ich habe mich ja getrennt, wie du weißt."
Draco ging nicht näher auf das Thema ein und fragte weiter: ,,Aha. Und? Habe ich dich beeindruckt?" Er hatte wieder dieses anzügliche Grinsen aufgesetzt und seine Augen funkelten. Belustigt schnaubte Hermine und wandte den Kopf ab, ehe sie ihm wieder in die Augen sah, während sie eine Antwort formulierte: ,,Du hast mir keine Wahl gelassen. Außerdem habe ich mich auf dich eingelassen, während ich betrunken war. Aber um auf deine Aussage zurückzukommen, ich sei verklemmt", lenkte sie ihn ab, ,,hast du beachtet, was ich heute trage?"
Sein Blick glitt an ihr herunter, verweilte einen kurzen Augenblick auf ihrem Ausschnitt, den sie so großzügig präsentierte und wanderte dann weiter, bis er ihr schließlich wieder ins Gesicht schaute: ,,Tatsache, du kannst also noch anders als in Hogwarts." Sie beugte sich verführerisch vor, leckte sich einmal kurz über die Lippen und antwortete: ,,Ich dachte, meine andere Seite hättest du schon kennen gelernt?" Er beugte sich ebenfalls vor: ,,Stimmt. Würdest du sie mir heute wieder zeigen? Ich fand sie... interessant."
Sie ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort: ,,Vielleicht."
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