Kapitel 2

Die Sonne strahlte auf den Campus der Yale University hinab und sorgte für ein buntes Treiben im Freien. Studenten saßen vor den alten Gemäuern auf dem Rasen, lasen Bücher, lernten gemeinsam und hier und da spielten ein paar Grüppchen mit einem Frisbee.

Nicklas Summer stand gemeinsam mit seinen Freunden unter einer großen, alten Eiche und unterhielt sich über das letzte Wochenende. Die letzten Wochen hatte er nur mit Recherche für seine Doktorarbeit verbracht und nebenbei im Technikladen gearbeitet, um sein Leben finanzieren zu können. Doch seine Freunde hatten ihn unbedingt aus seiner Lernhöhle hinausholen wollen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Raus aus der Welt der Künste, Maler und Epochen. Rein in das Leben, den Spaß und die Ablenkung.

„Niemals hätte ich gedacht, dass Jack dann einfach über den Tresen springt und die Flasche klaut", wiederholte sein Freund Torren, was letzten Samstag beim Feiern in einem angesagten Club geschehen war. Torren hatte er bereits am Anfang seines Studiums in der ersten Vorlesung zur Bildhauerei kennengelernt.

Neben ihm standen Rupert und Nina, welche insgeheim auf Nicklas stand. Sie schwärmte für seine Begabung im realistischen Zeichnen und träumte seit längerem von einem Date mit ihm. In ihren Kopfkinos würde er ganz romantisch wie in Titanic eine Aktzeichnung von ihr anfertigen. All das spielte sich allein in ihrem Kopf ab, da sie es niemals wagen würde, diesen Gedanken laut auszusprechen.

„Und dann ist ihm die Flasche draußen in all der Eile runtergefallen", grunzte nun auch Rupert und musste sich an Nicks Schulter festhalten, um nicht noch vor Lachen umzukippen. Nicklas schmunzelte über seine Freunde und erblickte in der Ferne eine Schar Studenten, welche sich von der Wiese erhoben und in das Gebäude zu ihrer nächsten Vorlesung begaben.

„Nick, wollen wir vielleicht zusammen Mittagessen gehen? Es ist schon so spät", schlug Nina neben ihm hoffnungsvoll vor und blickte ihn mit ihren großen Hundeaugen an.

Doch seine Augen fixierten in diesem Moment eine Person, die ihn alles um ihn herum vergessen ließ. Seine gesamte Konzentration lag auf der Frau mit den dunklen, kurzen Haaren, welche mit einer braunen Umhängetasche in Richtung des Kunstgebäudes lief. Augenblicklich begann Nick zu lächeln, während er den fragenden Blick von Nina gar nicht mitbekam.

In diesem Moment traf auch Margots Blick auf ihn und seine Anwesenheit brachte sie kurz zum Stolpern. Doch auch aus ihrem Gesicht war das verlegene Lächeln nicht wegzubekommen.

Nicht einmal eine Woche hatte es gedauert, dass sie sich endlich wieder über den Weg liefen. Tagtäglich hatte sie auf dem Campus nach ihm Ausschau gehalten, war extra ein paar Umwege gelaufen und hatte sich ab und zu auf einer Bank die Zeit vertrieben. Ihr Herz rutschte ihr beinahe vor Aufregung in die Hose, als er ihr sein charmantes Lächeln schenkte, welches allein für sie bestimmt war.

„Ich muss leider spontan weg, wir sehen uns morgen", sagte Nick zu seinen Freunden, ohne auch nur eine ihrer Fragen zu beantworten. Er blieb ihnen eine Erklärung schuldig und machte sich eilig auf den Weg zu der Frau im grauen Mantel und den roten Schuhen.

Die letzten Meter joggte er, um schneller bei Margot sein zu können. Sein Training, welches er wöchentlich im Fitnessstudio antrat, zahlte sich in diesem Moment aus. Auch wenn er den Sport in den letzten Wochen etwas vernachlässigt hatte, kam er ohne zu schwitzen oder gar außer Puste zu sein vor seiner ehemaligen Professorin zum Stehen.

„Margot, Lust auf einen Kaffee?", fragte er sie sogleich, welche sich aufgeregt eine Locke hinters Ohr strich.

„Egal wann, egal wo", wiederholte sie seine damaligen Worte. „Also ja, natürlich möchte ich", antwortete sie ihm und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.

Sie ließen das Kunstgebäude hinter sich und suchten das nächstbeste Café auf, welches ein gemütliches Flair versprühte. Als sie die grüne Tür öffneten, suchte Margot sogleich mit den Augen nach einem freien Tisch, welchen sie in der hinteren Ecke am bodentiefen Fenster entdeckte.

„Setz dich ruhig schon mal. Ich gehe bestellen", sagte er grinsend und ging zielstrebig zum Tresen. Unterdessen zog sich Margot ihren langen Mantel aus und machte es sich an dem dunklen Holztisch bequem. Die bunten Sitzkissen auf den Holzbänke machten es den Kunden sogleich etwas gemütlicher. Die Holzregale an den Wänden waren mit Pflanzen dekoriert und hier und da hingen sogar ein paar Pflanzenkübel von der Decke.

Schmunzelnd blickte die Frau zu dem jungen Mann, welcher mit seinem Charme der Angestellten ein schüchternes Lachen entlockte. Wieso wollte er ausgerechnet sie weiter kennenlernen, wenn doch scheinbar so viele Frauen von ihm begeistert waren? Was für Absichten hatte er?

Doch ihre Zweifel verschwanden von ganz allein, als hätte der Sturm von draußen sie einfach weggeweht. Die Wolken über New Haven hatten ein dunkles Grau angenommen und die Straßen wurden nach und nach vom Regen überflutet. Durch die Wasserbäche, welche am Fenster hinabflossen, konnte sie die bunten Schemen der vorbeiziehenden Regenschirme erkennen.

„Hier, bitte", riss sie Nicks Stimme aus den Gedanken und ließ sie ruckartig zu ihm blicken. Automatisch rutschte sie zur Seite, da er sich statt auf dem Platz ihr gegenüber direkt neben ihr niederließ. Sie merkte urplötzlich die Aufregung, welche sich wie ein wildes Ungetüm in ihrer Magengrube hin und her wandte.

„Du trinkst deinen Kaffee doch ohne alles, nicht wahr?", fragte er dicht neben ihr und schob die Tasse zu ihr hinüber. Verwundert nickte sie und blickte auf das schwarze Getränk vor sich.

„Woher weißt du-?", stammelte sie, was ihm ein kurzes Lachen entlockte.

„Das habe ich mir aus deinen Vorlesungen gemerkt. Jeden Dienstag Morgen kamst du mit einem schwarzen Kaffee in den Saal."

Schon damals hatte er also auf sie geachtet. Ob er sie also tatsächlich mochte? Margot konnte nicht glauben, dass sie vor vielen Jahren solch einen Effekt auf einen ihrer Studenten ausgeübt hatte und dass er sich dieses kleine Detail bis jetzt gemerkt hatte.

„Wieso merkst du dir vier Jahre lang, wie ich meinen Kaffee trinke?" Ihre direkte Frage traf ihn aus dem Nichts, doch er mochte ihre Offenheit und dass sie nicht lange um den heißen Brei herumredete.

„Du warst irgendwie ... sagen wir ... süß?" Zum ersten Mal wirkte auch Nick verlegen, doch er machte keine Anstalten, seine roten Wangen vor ihr zu verdecken.

„Süß?", lachte Margot und schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht nur süß. Du warst damals so überzeugend, so abgeschottet in deiner Welt der Künste, so schlau, so tollpatschig, so ... so schön."

Als wäre die Röte von Nicks Gesicht in das von Margot hinübergesprungen, begannen ihre Wangen zu glühen.

„Du Schleimer", brachte sie verlegen heraus und stieß ihm mit der Faust leicht gegen die Schulter.

„Ich sage nur die Wahrheit", rechtfertigte er sich und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, bevor er einen Schluck aus seiner Tasse trank. Margots Blick wanderte immer wieder zu ihm hinüber. Versucht heimlich beobachtete sie ihn, wie er die Tasse an den Lippen ansetzte. Ihr Atem wurde immer flacher, als sie die leichte Berührung seines Oberarmes an ihrem spürte.

Sie traf ihn gerade erst zum zweiten Mal und schon schaffte er es, dass in ihrem Kopf das pure Chaos ausbrach. Ihr Herz wurde beinahe von seinem angezogen, immer weiter zu ihm hinüber. Doch ihr Kopf sagte ihr, dass diese Gefühle völlig überstürzt waren. Und doch konnte sie ihre Augen nicht von ihm lösen.

„An was denkst du?"

Seine Worte ließen sie ruckartig den Kopf nach vorn richten. Hatte er ihr Starren etwa bemerkt? Weshalb sollte er sonst so schelmisch grinsen?

„Was willst du von mir?"

„Wie kannst du nur so zurückhaltend und direkt zugleich sein?", stellte er ihr grinsend eine Gegenfrage.

„Zurückhaltend? Ich fürchte, so gut kennst du mich durch die Vorlesungen doch nicht", entgegnete sie ihm und begann daraufhin nervös mit ihren Händen zu spielen.

„Ich möchte nur wissen, was deine Intention ist. Du bist jung, viel jünger als ich. Ich entkomme gerade erst einer betrügerischen Ehe und kann jetzt nicht noch mehr Lästereien und Gerüchte am Campus gebrauchen. Ich bin mir nicht sicher, ob dein Interesse wirklich mir gilt oder ob ich lediglich eine Eroberung darstelle. Ich bin nicht blind, ich sehe genau, wie dein Charme bei anderen ankommt. Allein dein Grinsen spielt mit den Gefühlen der Frauen und lässt ihre Herzen höherschlagen."

„Gehörst du auch zu diesen Frauen?", fragte er, was ihn erneut einen Schlag gegen die Schulter einkassieren ließ.

„Das spielt gerade keine Rolle! Also, was möchtest du, Nick?"

Klar und voller Selbstbewusstsein blickte sie ihm nun entgegen und versuchte jede noch so kleine Reaktion zu erkennen. Das spielerische Lächeln wurde von einem ernsten Gesicht abgelöst.

„Margot", kam es regelrecht aus seinem Mund hinausgepurzelt. Das Herz seiner ehemaligen Professorin begann mit jedem weiteren Schlag etwas schneller zu pochen.

„Ich –", stammelte er, doch ihm schienen die richtigen Worte zu fehlen. Ein Zucken durchfuhr ihren Körper, als der junge Mann neben ihr plötzlich nach ihrer Hand gegriffen hatte und sie auf der Tischplatte ineinander verschränkte.

„Ich weiß, dass das völlig aus dem Nichts und vielleicht auch total überstürzt ist, aber ich ... ich mag dich, Margot. Sehr sogar. Ich mochte dich schon damals, als ich deinen Kurs besucht habe. Ich weiß sehr gut, dass wir uns kaum kennen, dass wir sicher mehr Zeit miteinander verbringen müssen, um zu sehen, wo das mit uns hinführt. Aber, so komisch es auch klingen mag, ich bin mir sicher, dass es gut wird. Dass wir gut sind. Zusammen. Es ist irgendwie wie ..."

Die Haare raufend blickte er nach unten auf ihre Hände und traute sich nicht, das kitschige Wort auszusprechen, welches in seinem Kopf herumspukte.

„Schicksal?", sprach Margot das Wort aus seinem Kopf laut aus. Mit großen Augen blickte er sie an – verwundert davon, dass sie scheinbar den gleichen Gedanken hegte.

„Dann lass es uns versuchen. Mehr als schiefgehen kann es nicht."

Grinsend schaute sie zu ihm rauf und drückte seine Hand ein bisschen fester. Das Schicksalswesen, welche in ihren gemütlichen, roten Sachen auf dem Teppich ihrer Zentrale lag, schaute den beiden Turteltauben aus New Haven auf einem ihrer unzähligen Bildschirme zu.

Die Anziehung zwischen Nick und Margot war beinahe sichtbare. Die zwei Menschen zogen sich wie Magnete an und S-203 war glücklich darüber, dass sie die beiden zusammenbringen hatte können. Es schien als ob die zwei keinerlei Hilfe mehr benötigten. Sie hatten sich gefunden und würden ihren zukünftigen, gemeinsamen Weg nun allein bestreiten.

Das Schicksalswesen wandte den Blick vom Bildschirm und blickte hinauf zur unendlichen Wolkendecke. Die Arme unter dem Kopf verschränkt schaute sie den gasförmigen Himmelsgetümen dabei zu, wie sie über ihr davonzogen. Ihre Gedanken zogen genau wie die Wolken durch ihren Kopf. Sie dachte an das erste Treffen von Margot und Nick.

Doch dann kam ihr wieder die Szene vom Pechwesen in den Sinn, welches wegen seiner Taten abgeführt wurde. Und erneut blitzten die unheilvollen Bilder vor ihr auf, als sie F-67 in die Augen geblickt hatte. Abermals schnürte sich ihr Hals zusammen und sie hatte das Gefühl, schwer Luft zu bekommen.

Das Bild eines Mannes kam ihr in den Sinn. Er schimpfte laut, schrie sie an und auf einmal spürte sie ein Stechen in der linken Wange.

Mit der Hand griff sie sich an den Hals und setzte sich panisch auf. Immer wieder versuchte sie sich zu beruhigen. Sie konnte keinen Schmerz fühlen, keine Luftnot haben. All die scheinbaren Gefühle waren nur Einbildung. Sie hatte sich zu sehr mit den Menschen beschäftigt, sich zu sehr in sie hineingefühlt.

Sie brauchte Abstand von diesen plötzlich auftauchenden Bildern.
Sie brauchte Ablenkung.
Sie musste hier raus.

Gedankenlos stürmte sie zum Kleiderschrank, zog sich das rote Kleid über und teleportierte sich fort.

Keine Sekunde später stand sie unsichtbar auf einer Straße, welche trotz eintretender Dunkelheit noch sehr belebt war. Menschen um sie herum lachten, aßen, tranken oder torkelten die Gasse hinab. Sie hatte das Bedürfnis einmal tief einzuatmen und die kühle, frische Nachtluft in ihre Lungen hineinzulassen. Doch für diese menschliche Fähigkeit fehlten ihr die essenziellen Organe.

Ohne einen genauen Plan, eine Mission oder ein neues Pärchen zu haben, schlenderte sie über die Pflastersteine. S-203 beobachtete lächelnd die Menschen. Sie sah an ihnen, wie unterschiedlich sie alle dachten, lebten und fühlten. Jeder Mensch war einzigartig, hatte seine eigene Geschichte und allein diese Tatsache fand sie unglaublich faszinierend.

Nicht weit von ihr erblickte sie eine dunkelgrüne Hausfront, hinter welcher laute Musik zu hören war. Menschen gingen ein und aus, was ihre Neugier nur noch mehr wachsen ließ. Kurz blickte sie zu dem Schild mit dem Fuchs darauf, auf welchem sie „Irish Pub" lesen konnte und betrat anschließend das Innere der Bar.

Sie erkannte Männer und Frauen, welche an der Theke saßen, Getränke bestellten und sich angeregt unterhielten. Von den Erdenwesen unbemerkt ließ sich S-203 auf einem Hocker nieder und schaute den anderen um sich zu, wie sie all die Fähigkeiten und Vorzüge des Lebens auskosteten.

Sie beobachtete die zwei Barkeeper, welche ohne Pause den Gästen Getränke einschenkten. Sie sah sofort, dass die junge Frau hinter der Theke ein Auge auf ihren Kollegen geworfen hatte. Dieser jedoch konzentrierte sich allein auf die Arbeit und mixte wie ein Profi die bestellten Cocktails.

Das Schicksalswesen blickte auf einmal stutzig auf, als eine rote 92 über ihm auftauchte. Ein Seelenpartner musste in der Nähe sein. Suchend blickte sie sich in der schummrigen Bar um und ihre Augen weiteten sich aufgeregt, als die Tür aufging und eine Gruppe von jungen Frauen den Pub betrat. Sie alle waren in Pink gekleidet, während eine davon einen Schleier auf dem Kopf trug.

Kichernd gingen sie auf die Theke zu und bestellten für jede von sich einen „Sex on the beach". Quatschend ließen sie sich an einem runden Tisch nieder, um dort auf ihre Bestellung zu warten.

Eine der Frauen mit dunkelbraunen, welligen Haaren löste sich aus der giggernden Traube und bahnte sich ihren Weg zur Theke zurück.

„Hey, wir hatten gerade die Cocktails bestellt. Könntest du in das eine Glas bitte keinen Alkohol füllen?", fragte die Frau den jungen Barkeeper.

„Klar, für welche von euch soll der alkoholfreie Cocktail sein?", fragte er sie. S-203 war freudig von ihrem Hocker aufgesprungen, als sie nun über beiden die rote Prozentzahl erkannte.

„Für mich", antwortete die Brünette ihm lächelnd, während ihr Blick an seinem tätowierten Unterarm hängenblieb. Sie erkannte keltische Symbole, kleine Kathedralen und auf seinem Handrücken war ein Abbild von Stonehenge zu sehen.

„Entschuldige, wenn ich zu neugierig bin, aber darf ich fragen, weshalb du als Einzige bei einem Junggesellinnenabschied nichts trinkst?", fragte der Barkeeper sie mit hochgezogener Augenbraue. Seine dunklen Augen schauten während des Mixens der Getränke immer wieder zu ihr hinüber.

Er konnte nicht leugnen, dass sie ihm von Anfang an aufgefallen war. Ihr breites, natürliches Lächeln hatte sie aus der Menge hinausstechen lassen. Wie ein bunter Papagei inmitten von grauen Tauben.

Seine interessierte Frage riss sie von seinen Tattoos los und ließ sie ihn anschauen. Sie mochte auf Anhieb seinen kurzen Bart und seine dunklen, wuschigen Haare. Es wäre schlicht gelogen, wenn sie behaupten würde, dass er nicht ihrem Typ entsprechen würde.

„Ich schreibe morgen eine Klausur. Drittversuch. Ich sollte es also wirklich nicht vermasseln", antwortete sie ihm stöhnend und warf ihr langes Haar schwungvoll hinter die Schulter.

„Drittversuch?", wiederholte er lachend. „Wie hast du es denn so weit kommen lassen?", fragte er sie, während er automatisch in den Flirtmodus übergegangen war.

„Das ist mir schon ein bisschen peinlich. Ich habe nicht mal eine gute Erklärung oder gar Ausrede dafür. Ich konnte mich beim Lernen schlichtweg nicht konzentrieren, weil meine Mitbewohner furchtbar egoistische, laute und unordentliche Störenfriede sind."

Ihre frustrierte Erzählung brachte ihn zum Schmunzeln und ließen ihn an seine Zeit als Student erinnern.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie meine Mitbewohner damals waren. Steven, er war schon über dreißig, hat die Dusche nicht mal mit seinem Hintern angeschaut, trug jeden Tag nur eine einzige bunt-gestreifte Socke mit Bambi darauf und aß lediglich die Essensreste aus unseren Töpfen."

Die junge Studentin begann zu kichern, sodass ihrem Gesprächspartner augenblicklich die kleinen Grübchen in ihrer Wange auffielen.

„Wieso arbeitest du hier in dieser Bar, wenn du scheinbar studiert hast?", fragte sie ihn direkt heraus, da sich ihre Neugierde schwerer bremsen ließ als ein Porsche auf der Autobahn.

„Mit dem Geschichtsstudium hatte ich hier leider keine allzu große Jobauswahl. Und außerdem arbeite ich nicht nur in dieser Bar, sie gehört mir!", klärte er sie ganz lässig auf und stellte die ersten fertigen Gläser auf ein rundes Tablett neben sich.

„Du bist der Besitzer? Wie ... wie alt bist du denn?", stellte sie ihm beinahe bewundernd die Frage.

„27, und du?"

„23", antwortete sie ihm sofort. Liebevoll blickte sie ihm in die Augen und für einen kurzen Moment schien die Zeit stillzustehen. Die junge Frau fühlte sich wie in einer Liebeskomödie, als sie sich scheinbar minutenlang anzuschauen schienen.

Er kam ihr keineswegs wie ein Fremder vor, welchen sie eben erst kennengelernt hatte. Sie wollte mehr über ihn wissen, sie wollte nicht zu ihren Freundinnen zurückgehen. Sie wollte bei ihm bleiben, mit ihm reden, sich seine Geschichten anhören.

„Ich bin Jordan", sagte er – sie noch immer anstarrend – und reichte ihr seine Hand. Verwundert von dieser Geste streckte sie ihm ihre Hand ebenfalls entgegen und schüttelte seine. Die Berührung ließ die Aufregung in ihr schlüpfen und mit jeder Sekunde weiter wachsen.

„Camilla", flüsterte sie, da sich ihr Hals trocken anfühlte und sie sich kurz räuspern musste.

„Man Cami, kommst du endlich mal wieder zurück?"

„Flirten kannst du auch später noch!"

„Das Schnuckelchen kann ruhig mit zu uns rüberkommen."

Die Rufe ihrer Freundinnen rissen die beiden aus ihrem magischen Moment.

„Du solltest wohl zurück", sagte er schmunzelnd, was sie nickend bestätigte. „Dein Glas bekommt das grüne Schirmchen", klärte er sie noch zwinkernd auf und brachte das Tablett mit den Getränken anschließend zum Tisch der Frauengruppe.

S-203 beobachtete die angetrunkenen Frauen, welche sicher noch drei weitere Stunden gemeinsam tranken, Spiele spielten und ohne Scham zur irischen Musik tanzten. Und immer wieder konnte die Schicksalsfrau die suchenden Blicke zwischen Camilla und Jordan wahrnehmen.

Nun musste sie es nur noch schaffen, dass die beiden weiterhin in Kontakt bleiben würden. Ein Einfall kam ihr blitzartig in den Sinn. Neben ihr hatte sich soeben ein Gast vom Platz erhoben, um den Pub zu verlassen. Mit einem Fingerschnipsen hatte sie das kleine Schirmchen, welches einsam in seinem leeren Glas steckte, mit einer Botschaft beschrieben.

Als Jordans junge Kollegin den Tisch abräumte, entdeckte sie das Schirmchen und zeigte es sogleich angewidert ihrem Chef.

„Sieh mal, hier hat mal wieder jemand eine Nachricht hinterlassen: Hey Süße, Lust auf Cocktails bei mir zu Hause? Und dahinter steht seine Nummer. Wie peinlich manche Menschen doch sind", gab sie kopfschüttelnd von sich und warf den Schirm in den Mülleimer.

„Dass sie auch noch denken, dass solche Nachrichten gut ankommen. 'Hey Süße', also wirklich", noch immer konnte sie nicht glauben, wie viele ihrer Kunden auf solch seltsame Art und Weisen an ihre Nummer kommen wollten.

Doch Jordan schien dadurch auf eine Idee zu kommen. Sollte er Camilla ebenfalls seine Nummer hinterlassen? Natürlich nicht mit einer solch plumpen Anmache. Er konnte es selbst nicht glauben, wie schüchtern und zurückhaltend er sich plötzlich fühlte. Schon unzählige Male hatte er Kundinnen seine Nummer zukommen lassen. Noch nie hatte er länger über das „Wie" nachdenken müssen.

Doch bei ihr war er plötzlich aufgeregt, fühlte sich wie ein Teenager, welcher zum ersten Mal verknallt war. Würde sie ihm überhaupt zurückschreiben? Was, wenn der Plan nicht aufgehen würde? Sein Kopf und sein Herz trugen einen regelrechten Kampf aus, doch sein Herz schaffte es, den entscheidenden Schlag auszuführen.

Ohne weiter über ihre Reaktion nachzugrübeln, schrieb er eine kurze Nachricht und seine Nummer mit schwarzem Kuli in eine Serviette hinein. Zufrieden ließ sich S-203 wieder auf ihrem Platz in der ersten Reihe des Liebesspektakels nieder. Sie wusste, dass nun nichts mehr schiefgehen würde und die Zwei auf dem richtigen Weg waren.

Als die Frauen nun endlich die Rechnung bezahlen wollten, legte Jordan die Serviette unauffällig vor Camilla auf den Tisch. Sein Herz sprang dabei aufgeregt umher, als ob es einen Trampolin-Wettbewerb gewinnen müsse. Camillas Augen trafen in einem kurzen, schüchternen Moment auf seine. Das Schicksalsmädchen konnte nicht anders, als zu grinsen, doch urplötzlich wurde sie an der Schulter angerempelt.

„Ey, teleportiere dich nächstes Mal woanders hin und nicht direkt neben mich!", schimpfte sie dem anderen Fügungswesen hinterher, welches urplötzlich aufgetaucht war. „Typisch Zufallsabteilung", zischte sie kopfschüttelnd und mit zu Schlitzen geformten Augen.

Der junge Mann in blauer Uniform spazierte an ihr vorbei, als ob nichts gewesen wäre und stieß, ohne zu zögern, ein Glas um, welches Camilla direkt in den Schoß fiel. Die Studentin quiekte kurz auf, als die Flüssigkeit durch den Stoff ihrer Hose gedrungen war und das Glas anschließend auf dem Boden zersprang. Eine ihrer Freundinnen eilte ihr sofort mit einer Serviette zu Hilfe, welche sie auf ihrem Tisch finden konnte.

„Alles gut, es geht schon, ich gehe kurz auf Toilette", beschwichtigte Camilla die Blondine mit dem Schleier im Haar und flüchtete zur Tür mit der Aufschrift „WC".

Mit offenem Mund starrte das Schicksalswesen auf die Szene vor sich und konnte nicht glauben, was das Zufallswesen eben angestellt hatte. Innerhalb einer Sekunde hatte er ihren Plan mit der Serviette durchkreuzt und schien nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben.

„Hey!", rief S-203 empört und lief mit den Füßen stampfend auf das blaugekleidete Fügungswesen zu. „Hätte das Glas nicht jemand anderes treffen können? Wieso ausgerechnet sie? Man, du hast meinen ganzen Plan kaputt gemacht!"

Wütend blickte sie dem Zufall entgegen, welcher sich keiner Schuld bewusst war und sie nun fragend anblickte. Sie glaubte, dass er sich nun entschuldigen würde, dass er es wieder gutmachen würde. Doch ihre Kinnlade fiel regelrecht herunter, als er ganz frech zu grinsen begann, mit den Schultern kurz zuckte und daraufhin verschwand.

„Ernsthaft?", rief S-203 in die Leere und ließ ihren Frust in einem kurzen Aufschrei hinaus. Entsetzt musste sie nun mit ansehen, wie Camillas Freundin Rubi die feuchte Serviette mit der persönlichen Botschaft interessiert begutachtete und Jordan einen scannenden Seitenblick zuwarf. Ohne es verhindern zu können, packte Rubi die Serviette ein.

Camilla kam von der Toilette zurück, während Jordan damit beschäftigt war, die Scherben zu beseitigen. Ohne den Text auf der Serviette gelesen zu haben, folgte die Studentin ihren Freundinnen, welche bereits ungeduldig und laut rufend an der Tür auf sie warteten.

Sie und Jordan hatten keine Chance, ein weiteres Mal miteinander zu reden. Enttäuscht blickte das Schicksalswesen auf die geschlossene Tür. Jordan hatte in all dem Trubel nicht mitbekommen, dass Rubi seine heimliche Nachricht eingesteckt hatte und wartete nun gespannt auf eine vermeintliche Nachricht von Camilla.

S-203 musste sich eingestehen, dass sie die beiden heute nun nicht mehr zusammenbringen konnte. Noch immer spürte sie die Abneigung gegen das Zufallswesen, ohne welches Camilla nun sicher leicht verknallt Jordans Nummer in ihr Telefon einspeichern würde.

Doch sie schenkte sich ein wenig Zuversicht. Morgen war ein neuer Tag und bestimmt würde ihr über Nacht ein guter Einfall kommen, um der Liebe der beiden erneut den richtigen Weg zu zeigen.

Und wer weiß, vielleicht hatte die chaotische Tat des Zufallsmannes auch etwas Gutes. Womöglich war es zufällig Schicksal gewesen, dass die zwei auf genau diese Art und Weise zueinanderfinden sollten.

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