chapter 2

Am nächsten Morgen wache ich schon viel zu früh auf, dafür dass ich ja eigentlich Urlaub machen wollte. Aber da ich eh schon wach bin, beschließe ich nochmal zum Flughafen zu fahren und nach meinem Koffer zu fragen. Ich ziehe mir das rote Sommerkleid an, das ich gestern gekauft habe und schlüpfe in meine schwarzen Chucks. Dass diese Kombination eher ungewöhnlich ist, ist mir egal, meine restlichen Schuhe sind ja in meinem Koffer.

Nachdem mich das Taxi am Flughafen raus gelassen hat, gehe ich in die Eingangshalle und versuche mein Glück am Infoschalter. „I am really sorry, but I don't know where your suitcase is!" Der Mann sieht alles andere als 'sorry' aus. Er meint, ich sollte eine Stunde warten, er werde sich solange erkundigen, wo mein Koffer sein könnte. Da es sich nicht lohnt, wieder in mein Hotel zu fahren, setze ich mich zu lauter wartenden Menschen und beobachte all die Leute, die in den Flughafen kommen oder ihn verlassen. Das mache ich oft, Menschen einfach nur beobachten und mir ihre Geschichte zu überlegen. Ob die Frau, die gerade von ihrem Freund oder Mann rote Rosen geschenkt bekommen hat, wohl immer treu war? Oder ob das kleine Mädchen, deren Vater ihr einen rießigen Lolli gekauft hat, ihn oft sieht?

Ich lasse meinen Blick durch die große Halle schweifen. Am anderen Ende sehe ich einen Getränkeautomaten, und da ich immer noch todmüde bin, stehe ich auf, um einen Kaffee zu kaufen. Gedankenverloren schlendere ich hinüber, lasse mir den Kaffee raus und mache mich auf den Weg zurück. Wie sollte es anders sein, laufe ich natürlich in einen sehr großen, blonden Mann rein und die Hälfte meines Kaffees verteilt sich auf seinem bis dahin sauberen weißen T-Shirt. „Oh scheiße, das tut mir echt leid. Oh man, warum muss mir sowas immer passieren?", stammle ich, bis mir einfällt, dass er wahrscheinlich kein Deutsch kann. „I mean, I am really sorry and..." „Ist okay, ich versteh dich schon, ich komme auch aus Deutschland", antwortet er und lacht. „Es tut mir wirklich leid! Ich gebe dir auch Geld für die Reinigung, oder wie kann ich das wieder gut machen? Heut ist echt nicht mein Tag, man ey!" Mir ist das wirklich unendlich peinlich. „Wie gesagt, ist echt okay! Ich kenn das, das sind einfach so Tage an denen nichts klappt. Die hat jeder mal. Ich kauf dir erstmal einen neuen Kaffee, dann sieht die Welt wieder besser aus." Er dreht sich um, läuft zum Getränkeautomaten und bringt mir kurze Zeit später einen neuen Kaffee."Das war echt nicht nötig, ich bin diejenige die dir was schuldet, schließlich habe ich dein Shirt ruiniert!", sage ich und schaue ihn mir das erste Mal genau an. Er sieht schon ziemlich gut aus, mit meerblauen Augen, den blonden verstrubbelten Haaren, und er ist sehr groß. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, aber das kann ja gar nicht sein. „Kennst du dich hier aus? Wenn ja könntest du mir morgen ein bisschen die Stadt zeigen", schlägt er vor. „Ja, klar, mach ich! Ich hatte gestern schon Zeit mir die Gegend anzuschauen." Ich bin sehr überrascht, sollte das etwa ein Date werden? Ach was, was will bitte so ein gutaussehender Mann von mir? Er nimmt mir mein Handy aus der Hand, entsperrt es und tippt seine Nummer ein. „Schreib mir heute Abend, in welchem Hotel du wohnst, ich hole dich morgen um 10 dort ab!", meint er noch, dreht sich um und winkt mir noch einmal zu, bevor er den Flughafen verlässt. Verwirrt setze ich mich wieder auf eine Sitzbank und überlege, warum dieser gutaussehende Fremde mir seine Handynummer gegeben hat. Eingespeichert hat er sich als 'Manu', wahrscheinlich eine Kurzform für Manuel.

Eine weitere halbe Stunde später kam der Mann vom Infoschalter auf mich zu und teilte mir mit, dass ich meinen Koffer abholen könne, er zeige mir wo. Er hat mich dann auch zu meinem Koffer gebracht. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie froh ich war, diesen endlich wieder zu haben. Mit meinem Koffer in der Hand lief ich aus dem Flughafen hinaus, stieg in ein Taxi und ließ mich zum Hotel fahren. Dort angekommen duschte ich erstmal, bevor ich zum Mittagessen in das Hotelrestaurant gegangen bin. Nach dem Essen nahm ich meinen Laptop und checkte meine E-Mails. Huch, was ist denn das? Ich hatte eine neue E-Mail von meinem ehemaligen Musiklehrer. Musik war eines meiner Abiturprüfungsfächer, ich spiele Klarinette und Klavier, und ein bisschen Saxophon. Deswegen ist es schon immer mein Traum gewesen, Schulmusik zu studieren. Doch diesen Traum habe ich erstmal hinten angestellt, weil ich nach dem Abitur einige Zeit für mich brauchte, nach allem was vorgefallen war. Mein früherer Lehrer schrieb:

„Hi Vero, von deinem Bruder habe ich erfahren, dass du im Sommer wieder zurückkommst. Ich gehe mal davon aus, dass sich an deinen Studienplänen nichts geändert hat. Die Musikhochschule München, mit deren Leitung ich telefoniert habe, wäre bereit, die einen extra späten Vorspieltermin Anfang September zu sichern. Falls du Interesse hast, melde dich bitte bald. Liebe Grüße, Stefan"

Sprachlos saß ich da. München, es war schon immer mein Traum gewesen dort zu studieren. Aber ich musste mir erstmal klar werden, was ich eigentlich mit meinem Leben anfangen möchte. Seufzend klappte ich den Laptop zu, schnappte mir meinen Reiseführer und überlegte mir, was ich morgen mit dem Fremden machen wollte. Es sollte ja schon beeindruckend sein, immerhin hatte ich sein T-Shirt ruiniert. Apropos Fremder, ich muss ihm noch schreiben. Aber was? Ich beschloss mit meiner besten Freundin aus der Schulzeit zu skypen.

„Hi Al, alles klar?", begrüßte ich sie. „Ja klar, und bei dir? Ich hab gehört du bist in Rio, wie ist die Stadt? Man, ich bin ja sowas von neidisch! Rio de Janeiro, und das während der Weltmeisterschaft! Vielleicht schnappst du dir ja einen heißen Fußballer, wie wär's?", sie lachte und zwinkerte mir zu. Alison, die nur Al genannt werden will weil sie ihren Namen überhaupt nicht leiden kann, war schon im Kindergarten meine beste Freundin. An meinem ersten Tag haben wir uns gegenseitig mit der Schaufel auf den Kopf geschlagen, weil wir beide mit rosa Förmchen spielen wollten. Es endete damit, dass wir uns das Förmchen geteilt haben und am Ende des Tages hat Al beschlossen, dass wir nun beste Freunde sind. „Hahaha, sehr witzig. Aber wo wir schon beim Thema sind, ich brauche deine Hilfe." Kurz erzähle ich ihr die Geschichte vom Flughafen und gemeinsam formulieren wir die SMS, die ich Manu schicken soll. 'Hallo unbekannter Fremder, ich wohne im Royal Rio Palace Hotel. Ich freue mich auf morgen. Liebe Grüße, Vero'

Al und ich bringen uns gegenseitig auf den neusten Stand und abends schlafe ich mit einem Grinsen im Gesicht ein. Woran das wohl liegt?

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