Kapitel 7
Die Überfahrt auf dem Schiff dauerte wenige Stunden und verlief ohne Vorfälle. Was mich nun jedoch stört, ist dieses Gefühl, das ich immer vor Sonnenaufgang bekomme. Es ist ein leichtes Kribbeln auf der Haut, das eine halbe Stunde lang anhält und mich vor der Sonne warnt. Josephine hat gesagt, es gäbe einen Unterschlupf in der Nähe des Hafens. Ich möchte ihren Worten Glauben schenken.
Als das Schiff anhält, stehe ich an eine Wand gedrückt und warte auf das Öffnen des Eingangs. Geschlossen hatte ihn nur ein einziger Mann und ich hoffe, dass auch er allein ihn öffnet. Dann werde ich die Gedanken des Arbeiter vernebeln und leicht nach draußen entfliehen, um dann in Windeseile den Unterschlupf zu suchen.
Josephine hat gesagt, dass mich in der zweiten Nacht ihr Verbündeter erwarten würde. In einem kleinen Dorf an der Grenze zu Frankreich. Ich habe sie vorgewarnt, dass ich des Krieges wegen nicht richtig vorankommen könnte, doch sie hat mir nicht zugehört. Nun stellt sich meine Vorahnung als Wahrheit heraus. Ich habe noch den Drittel des Weges vor mir und es dämmert schon. In der Ferne sind Schüsse und Schreie zu hören, Bomben pfeifen durch die Luft.
Ich beschleunige meinen Schritt, laufe schneller, als ich es jemals davor getan habe. Ich muss es heute noch schaffen! Mir kommt in den Sinn, dass ich mich durch die Aufträge von Josephine ebenfalls verbessern werde. Geschwindigkeit, Ausdauer, Menschenkontrolle, Achtsamkeit, Gehör, das Verdrängen von Hunger. Eigentlich ist das eine sehr schlaue Taktik.
Zu meinem Glück vernehme ich eine Figur in einigen Kilometern von mir entfernt. Sobald sie mich bemerkt, läuft sie los. Die Vampirin ist entweder jünger als ich oder läuft nicht aus allen Kräften, denn ich hole sie schließlich auf und folge ihr weiter, bis wir ein kleines Dorf erreichen und in ein Häuschen an seinem Rande hineineilen. Schweratmend rutsche ich die Wand entlang zu Boden und bemühe mich um innere Ruhe.
Die Vampirin sinkt auf einen Stuhl und rangt nach Luft.
“Du bist... sehr schnell...“, keucht sie.
“Nicht... schnell genug...“, entgegne ich.
Sie lacht leise und schüttelt gleichzeitig den Kopf. “Wie du... meinst. Ich heiße Rosalie.“
“Unsere Bekanntschaft freut mich. Mein Name ist Joshua.“ Ich schließe die Augen und nehme einen tiefen Atmenzug, bevor ich Rosalie wieder ansehe.
Sie nickt lächelnd. “Es freut mich, dich kennenzulernen. Das war gerade wirklich knapp.“
Nun nicke ich. Doch im Gegensatz zu ihr bin ich ernst. Sie hätte meinetwegen verbrennen können. Rosalies Vampiralter lässt sich auf fünfzig Jahre schätzen. Fünfzig Jahre sind nicht genug dafür, dass die Haut den nötigen Schutz vor der Sonne erhält.
Vom Aussehen her ist die Vampirin etwa achtzehn Jahre alt. Sie ist schlank, klein und mit ihren dunkelbraunen, langen, glatten Haaren und Augen der gleichen Farbe habe ich den Eindruck, eine Porzellanpuppe vor mir sitzen zu haben.
“Warum hast du dich darauf eingelassen, ein Bote zu sein?“, wechsle ich abrupt das Thema.
Rosalie sieht mich verwundert an und lächelt dann wieder. Sie reagiert genauso wie Alicia. Sie spielt genauso vor, dass alles gut ist. Sie versucht, rein zu bleiben.
“Warum suchst du nach der Antwort nicht in meinen Gedanken?“, fragt sie mit unterdrückter Empörung, mit einer leichten Schärfe.
“Ich finde diese Vorgehensweise unangemessen und manierenlos.“, antworte ich wahrheitsgemäß.
Überrascht hebt die Vampirin die Augenbrauen. “Unangemessen und manierenlos... Interessant. Du bist so... richtig, anständig. Wie kommt es, dass einen Vampir das Wohlbefinden anderer bekümmert?“
Ich lächle leicht. “Und wie kommt es, dass ein Vampir so rein ist?“
Rosalie lacht und zwar wahrhaftig amüsiert. “Ach Joshua, ich bin keinesfalls rein!“
Ich lege den Kopf schief und mustere sie eindringlich. “Spürst du meinen Alter, Rosalie?“
Die Vampirin wird erst. “Gewiss.“
“Dann musst du auch wissen, dass es nichts bringt, mich anzulügen. Und nun zu meiner Nachricht. Josephine quälen Sorgen über euer Wohlergehen hier. Sie möchte wissen, wie weit ihr mit 'dem Plan' seid.“
Rosalie steht auf und setzt sich neben mich hin, was ich voller Interesse mitverfolge. Aus welchem Grund diese plötzliche Nähe?
“Wie viel weißt du über den Plan?“, wispert sie.
Ich widerstehe den Drang, zur Seite zu rutschen. “Nichts.“
“Wie viel weißt du über Josephines und Alexandras Verbündete?“
Ich schüttle den Kopf. “Nichts.“
“Wie viel weißt du über den Rat?“
Ihr Gesicht kommt meinem immer näher, doch ich halte dem Druck stand. “Nichts.“
Sie rückt in Vampirgeschwindigkeit zurück und sieht mich ernst an. “Du weißt nichts über uns. Josephine hat dir nichts erzählt. Warum nehme ich dann so viel Vertrauen wahr?“
Meine geweckten Emotionen beben ab und mein so lange eingeübter nichtssagender Blick tritt an ihre Stelle. Ich sehe ihr direkt in die tiefbraunen Augen. “Ich vertraue niemandem. Einschließlich Josephine. Wenn du jedoch mein Vertrauen gewinnen möchtest, kannst du mir gern über all die aufgezählten Punkte erzählen.“
Sie schüttelt den Kopf. “Es untersteht mir. Außerdem bedeutet mir mein Leben noch etwas. Josephine kannst du berichten, dass alles besser als gedacht läuft und sie sich keine Sorgen um uns zu machen braucht.“
“Warum hast du dich darauf eingelassen, ein Bote zu sein?“, wiederhole ich.
“Warum hast DU das getan?“, entgegnet sie.
“Josephine ist mein Weg zur Stärke.“, antworte ich ruhig.
“Alexandra ist mein Weg zum Leben.“, beantwortet Rosalie endlich meine Frage. “Als junger Vampir wirst du in keinem Clan überleben, wenn du nicht die Anweisungen der Älteren verfolgst. Und als alleinstehender junger Vampir wirst du gar nicht überleben. Das sind die Regeln.“ Sie zuckt verbittert die Schultern.
Da erst erkenne ich mein Glück, Angelika gehabt zu haben. Mit ihr mussten wir uns keinem Clan anschließen und konnten trotzdem überleben.
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