Kapitel 5
Während ich Josephine hinterherlaufe, habe ich endlich die Möglichkeit, sie besser zu betrachten. Sie ist eine schlanke Frau, deren Aussehen auf zwanzig Jahre zu schätzen ist. Sie hält ihren Rücken und ihre Schultern straff und wirkt dadurch beinahe königlich. Ich beneide sie wirklich um diese Haltung.
Die Vampirin bleibt stehen und öffnet eine Tür vor uns. Sie lässt mich eintreten und schließt die Tür dann hinter sich zu.
“Woher kommst du?“, fragt sie und lehnt sich mit verschränkten Armen an die Tür.
“Man nennst es derzeitig Heiliges Römisches Reich.“, antworte ich und sehe mich kurz in dem dunklen Raum um.
Es gibt ein Bett, einen Schrank und einen Tisch mit einem Stuhl.
Josephines Blick wird weicher.
“Ich sehe, es freut dich.“, bemerke ich verständnislos.
Sie nickt. “So ist es. Ich habe dort einige Verbündete. Und jetzt zu meinem Vorschlag. Ich spüre deinen Alter, Joshua. Deine Kräfte jedoch...“
Sie zögert.
“Sind gering.“, beende ich. “Ich bin nicht blöd, ich weiß es selbst. Was möchtest du mir also anbieten?“
Nun verschränke ich die Arme. Das wird jetzt interessant.
“Ich könnte dir zeigen, wie du deine Kräfte vergrößerst. Du bist zu mehr fähig, ich spüre deinen Potential. Du deinerseits wirst für mich ein Bote sein. Wie schon gesagt, ich habe Verbündete in deinem Heimatland. Während hier Krieg herrscht, kann ich den Lord nicht verlassen. Ich muss aber wissen, wie weit sie mit einer bestimmten Sache sind. Wenn wir uns gegenseitig vertrauen könnten, wäre ich sehr zufrieden.“
Wäre ich jünger, hätte ich sofort zugestimmt. Doch das Reisen zwischen zwei Ländern während eines Krieges könnte sehr gefährlich werden. Mittlerweile war mir das mehr als nötig bekannt. Außerdem sind Vampire ziemlich unbeliebt.
Ich gucke Josephine düster an. “Dein Angebot hört sich sehr verlockend an. Doch ich werde leider nicht zustimmen. Ich bin nicht bereit, mein Leben als dein Bote zu verlieren.“
Zu meiner Verwunderung lacht die Vampirin leise.
“Du willst doch nicht etwa sagen, dass deine Kräfte so sehr unterentwickelt sind, dass du eines Menschen wegen stirbst. Betrüge dich selbst nicht, du möchtest einfach deine Lebensweise nicht verändern.“
Ich kann es nicht anders, als meine Augen zu weiten. Ich habe gelernt, meine Gedanken tief zu verstecken, doch sie hat sie erreicht.
“Wie machst du das?“, frage ich leise. “Wie baust du die Wand vor deinen Gedanken auf?“
“Wenn du mir hilfst, werde ich es dich lehren.“, entgegnet sie und sieht mich triumphierend an.
Ich könnte jetzt versuchen, sie zu zwingen oder einfach nur zu gehen, aber im ersten Fall würde ich es nicht schaffen und im zweiten Fall würde ich es meiner Neugierde wegen nicht können. Also habe ich keine anderen Möglichkeiten, als ihrem Vorschlag zuzustimmen.
Ich seufze. “Gut.“
Josephine lächelt breit und geht mir entgegen. Mit einem verführerischen Blick macht sie einen Bogen um mich, schiebt den Stuhl zurück und bleibt an den Tisch gelehnt stehen. Ich folge ihren Bewegungen und sie deutet auf den Stuhl.
“Dann setze dich. Ich schlage vor, wir bauen unser gegenseitiges Vertrauen auf.“
Ich nehme den angebotenen Platz.
“Ich werde dir nie wirklich vertrauen können.“, sage ich mit kaltem Gesicht.
Die Vampirin zuckt die Schultern und sieht mich ernst an. “Mir geht es genauso. Und trotzdem möchte ich mir einigermaßen sicher sein, dass du meine Nachricht an meine Leute überbringst und dann mit ihrer Antwort zu mir zurückkehrst und nicht einfach davonfliehst. Verstehst du meine Sorgen?“
“Selbstverständlich.“, nicke ich.
Josephine hat für mich ein Zimmer in ihrer Nähe beim Lord erbittet und mich als das vorgestellt, was ich unserem Abkommen nach werden soll - ein Bote.
Nun klopft es an die Tür und ich verdrehe die Augen. Die Schritte habe ich schon vor langem bemerkt.
“Zu welchem Zweck diese Kompliziertheit? Du weißt doch, dass ich dein Kommen ohnehin schon gehört habe.“, sage ich ohne Bemühen, lauter zu reden.
Josephine betretet mein Zimmer und lacht. “Ich muss mir merken, dass ich mich bei dir nicht wie ein Mensch zu verhalten brauche.“
Innerlich stocke ich. Während meinem ganzen Versuchen, stärker zu werden, habe ich ganz vergessen, wer ich einmal war. Ich habe meine ganze Menschlichkeit vergessen...
Die Vampirin macht ein nachdenkliches Gesicht. Sie ist meinen Gedanken gefolgt.
“Was möchtest du zuerst lernen, Joshua?“, fragt mich Josephine wieder lächelnd.
Ich sehe sie fest an. “Wie man Fremden den Zugang zu eigenen Gedanken versperrt.“
Ihr Lächeln bebt ab. “Das ist sehr schmerzvoll. Sehr schmerzvoll.“
Was bedeutet mir schon Schmerz? Solange ich nicht sterbe, lohnt es sich.
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