Kapitel 13
"Regeln?", meint Aurora und grinst bei ihren nächsten Worten. "Vielleicht möchte ich ihn bestrafen lassen? Ach, diese Vorstellung..."
Ich sehe, wie Miguel die Augen erschrocken weitet. Der Vampirin tut sein Schreck bestimmt zu Wohle.
"Also.", fängt sie jedoch ernst an. "Erste und wichtigste Regel: Wir töten keine Menschen. Ein Mensch wird NUR mit der Aufforderung unserer Anführerin getötet.
Zweitens: Aus deinem eigenen Willen darfst du einen Menschen niemals verwandeln. Das tut nur die Anführerin, oder du bekommst eine eindeutige Erlaubnis von ihr.
Drittens: Du tust ALLES, was dir die Anführerin und die Ältesten auftragen. Ihnen darfst du dich nicht widersetzen. Zudem wäre es schlau, sie nicht zu beleidigen.
Viertens sagst du am besten immer Bescheid, wenn du das Haus verlässt. Sonst könnten wir auch meinen, du wurdest entführt. Was zwar bei Vampiren niedrigen Ranges eher nicht der Fall sein sollte, doch trotzdem.
Fünftes: Du betrittst nicht den Bereich des Gegenclans, du redest nicht mit den Angehörigen des Gegenclans und kommst überhaupt nicht in ihre Nähe, es sei denn ihre Anführerin teilt uns mit, dass sie dich sehen möchte.
Wenn du diese Regeln brichst, gibt es eine Bestrafung. Je nach der Regel fällt die Bestrafung anders aus. Ah, und für den Verrat gibt es eine Todesstrafe."
Diese fünf Regeln... Sie gelten nur für unseren Clan. Die Regeln des Vampirrates sind jedoch wie er selbst geheim.
Eine Weile herrscht Schweigen über uns. Miguel scheint, die neuen Informationen zu verarbeiten.
"Es klingt so, als dürfte man hier gar nichts ohne Erlaubnis tun. Wie soll man denn da Spaß haben?", beschwert er sich schließlich.
"Zum Thema Spaß.", greift Aurora auf.
Miguel stöhnt auf. Ja, gleich wird es noch mehr Verbote geben, er hat es genau richtig erraten.
"Du darfst Menschen keinesfalls hierher bringen. Und du darfst dich ihnen selbstverständlich nicht offenbaren."
Der junge Vampir zuckt schnaubend und leicht belustigt die Schultern. "Na das ist klar. Sie werden einen doch sowieso für verrückt halten. Nein, danke, ich verzichte auf diesen Ruf. Halt." Er lehnt sich interessiert nach vorne. "Gegenclan?"
Aurora lacht. Ein spitzes, unangenehmes und schon gar nicht belustigtes Lachen. "Na sicher doch. Wir können doch nicht der einzige Vampirclan der Welt sein."
"Nein, nein, hab ich auch nicht behauptet.", schüttelt Miguel den Kopf. "Aber GEGENclan?"
"Ja, GEGENclan.", nickt die Vampirin. "Über unsere Geschichte kannst du dich gern bei Joshua informieren. Er scheint, sich darin gut auszukennen, nicht wahr?"
Wieder diese Andeutungen auf meine angeblichen Lügen, die doch wahre Lügen sind. Nein, keiner von ihnen wird es jemals schaffen, die Wahrheit aus mit herauszuziehen. Außerdem sind sie nicht in der Lage, meinen Alter zu spüren, wie bedauerlich.
Ich nicke mit erhobenem Kinn. "Ja. Ich habe mich erkundigt, das soll doch wohl kein Problem sein. Oder stört dich etwas daran, Aurora?"
"Nein, gewiss nicht.", antwortet sie unzufrieden. Die Ironie ist mir jedoch nicht entkommen. "Ich möchte nur darauf hindeuten, dass du schlauer bist, als es dein Alter verrät, und es für Miguel interessant wäre, sich mit dir zu unterhalten."
"Machst du dir keine Sorgen, ich könnte etwas Falsches erzählen? Etwas Verbotenes?", entgegne ich völlig gefühlskalt.
"Wenn dir dein Leben wert ist, würdest du es keinesfalls tun, oder etwa doch?", erwidert sie gefährlich.
Ihre Geduld ist langsam am Ende. Wenn wir uns noch weiter... unterhalten, wird sie ausrasten. Das gelingt mir nicht oft. Was mich jedoch stört, ist die Tatsache, dass sie Ahnung zu haben scheint, dass ich mit dem Jungen bereits gesprochen habe. Und wahrscheinlich deutet sie darauf hin, dass ich oft schon gegen die Regeln gehandelt habe und kein einziges Mal bestraft dafür wurde. Ach, ich glücklicher.
"Nein, das würde ich bestimmt nicht wagen.", meine ich.
"Hey, ihr seid ja wirklich gut im indirekten Streiten!", mischt sich Miguel in die angespannte Situationen ein.
"Was du nicht sagst.", stimmt ihm Maximilian zu. "Bei uns wirst du vieles lernen können. Die Regeln würde ich an deiner Stelle jedoch streng beachten."
"Ja, Maximilian hat in seiner Jugend reichlich Erfahrungen damit gemacht, auf seinen Rat würde ich hören.", meint Aurora mit einem versteckten Grinsen im Gesicht.
"Müsst ihr mir unbedingt eine solche Angst machen, wenn ich doch nur über die guten Seiten meines neuen Lebens denken will?", erwidert Miguel unglücklich.
Lieber erfährst du es von uns, als aus deinen eigenen Fehlern., sage ich ihm in Gedanken und er zuckt leicht zusammen, ganz kurz.
"Und noch eine Sache.", sagt Aurora.
Miguel verdreht die Augen."Neiiin..."
Ich sehe die Älteste finster an. Jetzt wird bestimmt etwas über mich kommen. Sie kann es einfach nicht lassen.
"Obwohl ich dir ein Gespräch mit Joshua empfohlen habe, solltest du nicht zu viel Zeit mit ihm verbringen. Er kann einen recht... schlechten Einfluss verströmen."
Recht schlechten Einfluss, das ist aber eine interessante Ausdrucksweise. Dabei hat sie eigentlich nicht unbedingt unrecht. Nur hilft fernhalten nicht.
Miguel guckt sie verwundert an. "Ist es nicht falsch, einen Clanangehörigen gegen einen anderen zu... - wie soll ich das sagen? - zu verstellen?"
"Jeder empfindet das anders. Es ist jedenfalls nicht verboten.", erklärt Maximilian.
Miguel hebt eine Augenbrau. "Ihr seid aber komisch."
"Wir sind Vampire. Wir handeln nicht wie Menschen. Und das musst du schnell begreifen lernen.", meine ich.
Ich, der sich damit immer noch nicht abfinden kann - nach über 900 Jahren.
Uns lenken sich nähernde Schritte ab. Sieh mal einer an, wer endlich kommt.
Christopher betritt das Wohnzimmer. Seine Haltung ist wie immer viel zu aufrecht; mir würden davon die Schultern und der Rücken wehtun. Die dunkelbraunen Haare liegen glatt auf seinem vornehm aussehenden Kopf, doch sein junges Aussehen schreit einfach, dass es nicht zu seiner Aufmachung passt. Aurora kleidet sich zumindest jugendlicher an.
"Wie ich sehe, kommt ihr hier miteinander wunderbar zurecht.", bemerkt er mit seiner ständig kalten Stimme. "Nun möchte ich euch jedoch stören. Miguel, wir müssen deine Kräfte in Einsatz bringen, folge mir."
Ohne die Reaktion des jungen Vampirs abzuwarten, dreht er sich um und ist bestimmt auf den Weg nach draußen.
Miguel steht unsicher auf und geht ihm hinterher. "Bis später. Ich hoffe, er bringt mich nicht um.", verabschiedet er sich in der Tür von uns und grinst leicht.
Das hoffe ich auch., denke ich aller Ernstes.
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