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~1~
Zu überrascht
Es könnte so ein schöner Tag sein.
Die lautfröhliche Rummelstimmung ist ein unangenehmer Kontrast zu der bedrückenden Atmosphäre, die sich zwischen uns ausbreitet.
Anfangs hat unser Ausflug zum Jahrmarkt noch Spaß gemacht. Jetzt allerdings geht einer von uns, namentlich Inho, urplötzlich an die Decke, wie so oft in letzter Zeit. Wenn ich nur wüsste warum, aber ich habe seine Unterhaltung mit Yeontae gerade nicht mitbekommen. Ich erlebe nur seinen Ausbruch mit.
"Nervt mich nicht! Ich brauch 'nen Moment für mich, okay?", schreit er fast und stapft davon. Unschlüssig stehen wir herum und überlegen, ob wir hinterhergehen oder nicht. Da keiner weiß, was wir machen sollen, beschließt unser Leader, dass wir uns hier neben die Essensbuden setzen und warten, bis Inho zurückkehrt. Er schreibt ihm eine Nachricht, damit unser Hyung uns findet, sollte er sich wieder dazugesellen wollen.
Es ist schwierig mit ihm umzugehen in letzter Zeit und wir machen uns alle Sorgen, jedoch weigert er sich partout darüber zu reden, also weiß keiner, was mit ihm los ist. Ich frage mich, wie das weitergehen soll. So schlimm wie heute war es noch nie.
Da die meisten von uns langsam Hunger kriegen, stellen sich unsere beiden Ältesten und unser Jüngster beim Essen an, während Jekjek, Pyo und ich am Tisch warten. Ich hätte mitgehen sollen, weil die beiden ein intensives Gespräch anfangen und unterschwellig flirten. Wie so oft.
Bei ihnen frage mich auch, wie lange sie noch brauchen werden, um es miteinander auf die Reihe zu bekommen. Das geht schon ewig so, und das sieht ein Blinder mit Krückstock, dass die beiden sich lieben und perfekt füreinander geschaffen sind. Nur sie selbst bemerken das nicht und reagieren richtig schüchtern, wenn man sie darauf anspricht, dass sie dem jeweils anderen endlich ihre Gefühle gestehen sollen.
Es ist ein bisschen nervig, sie so unbeholfen herumturteln zu sehen. Nicht, dass ich neidisch wäre. Sie können sich der Liebe des anderen so sicher sein, aber dennoch haben sie Angst vor der vermeintlich negativen Reaktion des anderen. Wenn ich in jemanden verliebt wäre, würde ich das garantiert schneller klären, bevor mir womöglich jemand anderes die Liebe meines Lebens wegschnappt. Bisher ist mir aber nicht aufgefallen, dieser begegnet zu sein. Ich hab ja auch viel zu viel zu tun um danach zu suchen und meine Freizeit verbringe ich lieber allein oder mit der Gruppe. Meine Jungs, oder eigentlich eher Männer, sind mir alle sehr wichtig.
Kurz überlege ich, ob ich den beiden verhinderten Verknallten vor mir mit einem Kommentar einen weiteren Schubser in die richtige Richtung gebe. "Ich geh mal aufs Klo. Bis gleich, ihr Turteltäubchen", verkünde ich und registriere mit Genugtuung wie beide tomatenrot im Gesicht werden.
Auf dem Rückweg stecke ich die Hände in die Hosentaschen und finde dabei die Verpackung eines Lollis, die mir Sunghyun vor einer Weile mit den Worten "Halt mal kurz" in die Hand gedrückt hat. Ich fische sie heraus und werfe sie in den Mülleimer neben dem Toilettenhäuschen. Dabei fällt mir im Augenwinkel jemand auf. Im Busch hinter dem Häuschen sitzt ein Rotschopf, der mir sehr bekannt vorkommt. Das Gesicht hat er auf den Knien abgelegt und die Schultern beben.
Oh nein. Weint er etwa?
Besorgt schleiche ich mich an und bleibe unschlüssig stehen. Ich kann ihn da nicht so sitzen lassen. Ganz leise, um ihn nicht zu erschrecken, spreche ich ihn an. Er zuckt kurz zusammen und schreckt auf, wendet aber schnell wieder den Kopf ab und schluchzt leise. Nun hocke ich mich neben ihn und umarme ihn spontan. Sanft streiche ich ihm über den Rücken.
"Magst du mir sagen, was los ist?", biete ich ihm mein Ohr an, doch er schüttelt fast unmerklich den Kopf. "Möchtest du mit jemand anderem drüber reden?"
"Was würde das bringen?", erwidert er tonlos. Normalerweise ist seine Stimme so fröhlich. Das tut mir ja schon selbst weh, ihn so zu sehen.
"Vielleicht würde es dir helfen, dich endlich jemandem anzuvertrauen."
"Ich denke nicht."
"Du musst das nicht mit dir allein ausmachen. Du bist uns allen sehr wichtig und jeder einzelne von uns wäre gern für dich da", versichere ich ihm voller Überzeugung. Inho zuckt die Schultern. Ich hake nach, ob ich ihm sonst irgendwie helfen kann, doch er winkt ab:."Nein, schon gut. Geh einfach wieder."
Da muss ich leider widersprechen. "Nichts ist gut! Ich bleib hier bei dir, und du kannst dich gern knuddeln lassen und weinen, wenn du das brauchst. Selbst, wenn du nicht mit mir reden willst... Ich bin da."
Endlich hebt er den Kopf und sieht mich an. Die Spuren der getrockneten Tränen auf seinem Gesicht werden durch neue Tränen verwischt. "Sicher? Ich bin schwul", verkündet er trocken.
"Und das soll jetzt irgendwas ändern?"
"Du findest das nicht schlimm?" Wie überrascht er klingt. So gut sollte er mich eigentlich kennen, dass das kein Thema für mich ist.
"Nein, gar nicht." Das ändert überhaupt nichts zwischen uns. Ich mag ihn noch genauso wie vorher.
Kurz scheint er zu überlegen. "Okay", meint er dann und lässt es zu, dass ich ihn näher ziehe, damit er bequem in meinem Schoß sitzen kann, statt die ganze Zeit hier zu hocken. Zum Glück ist der Boden trocken. Zögerlich lehnt er sich an mich, als ich meine Arme um ihn schließe. Derjenige zu sein, der für ihn da ist, fühlt sich irgendwie gut an. Normalerweise ist das ja Pyo.
"Warst du deswegen die letzten Wochen so angespannt?", hake ich vorsichtig nach. Inho bleibt zunächst stumm und knetet seine Hände in seinem Schoß.
"Auch", erwidert er, als ich denke, dass er gar nicht mehr antwortet. "Weißt du... es macht mich immer so fertig, sie zu sehen." Mein Gehirn stellt bereits Vermutungen an, was er mir damit sagen will. Geht es um ein schwules Pärchen, das er oft sieht? Da fallen mir eigentlich nur zwei Personen ein, was mich ein wenig fertigmacht. Das kann doch nicht wahr sein, aber Inho seufzt. "Die beiden könnten es so einfach haben und längst zusammen sein."
"Pyo und Jekjek?", frage ich leise.
"Ja." Okay. Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wegen wem von beiden es ihm schlecht geht. "Und bei mir hingegen... wenn ich nur an ihn denke und die beiden dann sehe, könnte ich kotzen, weil er mich nie..." Oh. Anscheinend ist er doch in keinen von den zweien unglücklich verliebt. Irgendwie erleichtert mich das.
"Wenn ich irgendwo ein schwules Pärchen sehe, denke ich wieder daran, dass er mich nie...", fährt er leise fort. Seine Stimme verliert sich im Nichts. Das erklärt, warum er letztens beim Fernsehabend aus dem Zimmer gestürmt ist, als sich im Film zwei Kerle andeutungsweise geküsst haben. Homophob ist er ja sonst nicht.
"Weißt du das denn mit Sicherheit, dass er nichts für dich fühlt?"
Traurig wendet er den Blick ab und fängt wieder an zu weinen. Bedrückend. Vorsichtig streichle ich ihm über den Rücken. "Manchmal mache ich mir so schrecklich dolle Hoffnungen, die im nächsten Moment wieder zerstört werden... Ich weiß einfach nicht... ich bin so unsicher. Am liebsten würde ich..." Er wird von einem heftigen Schluchzer durchgeschüttelt. "Es ist so schwer. Ich muss das schon so lange durchmachen und weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll und in letzter Zeit kann ich meine Gefühle einfach nicht mehr runterschlucken und so tun als wäre nichts. Früher ging das doch. Warum jetzt nicht mehr??"
Seine Worte sorgen für noch mehr Fragen, als sie beantworten und machen mich selbst ganz traurig. Trotzdem will ich ihm irgendwie helfen und ihn beruhigen. "Das ist nicht schlimm, wenn du es nicht weißt. Manchmal braucht es eben sehr lange, bis man das herausfindet... aber es ist keine gute Idee, immer alles runterzuschlucken und mit sich selbst auszumachen."
"Aber was soll ich denn machen?", fragt er schluchzend.
"Vielleicht ist es endlich Zeit, dass du es wagst... Wie wär's, wenn du dich traust, deine Gefühle zuzulassen und zu schauen, wohin es führt?", schlage ich vor. Vielleicht könnte er all seinen Mut zusammennehmen und nachfragen, ob seine Gefühle nicht doch erwidert werden? Ich würde das so machen, da ich das besser finde, als kampflos aufzugeben und zu versuchen, darüber hinwegzukommen. So wird man nie wissen, ob es nicht doch etwas geworden wäre. Und Inho ist doch ein feiner Kerl, mir zumindest fällt gerade nichts ein, was nicht toll an ihm wäre. Er hat bestimmt gute Chancen.
"Meinst du?" Seine Stimme klingt unsicher, doch nachdem ich unbeirrt "Ja" sage, sehe ich in seinem Blick Entschlossenheit aufkeimen, als er den Kopf hebt und mir tief in die Augen schaut. Dieser Moment ist unerwartet intensiv.
"Hyunuk", sagt er leise und dreht sein Gesicht zu mir. Ich erwarte, dass er mich einfach kurz umarmt und sich bedankt, aber ich liege völlig falsch und bin total verwirrt, als ich plötzlich seine unfassbar weichen Lippen auf meinen spüre.
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