7. Kapitel - Violet
Violet Elaine Craig
Ich freue mich so für die beiden. Natürlich war es nicht so toll, dass Herr Lesharo reingeplatzt ist, aber das macht auch eigentlich nichts. Zwischen den beiden knistert es gewaltig und das macht einfach gute Laune. Vor allem Samuel und mir. Wir beten schon lange, dass das zwischen den beiden etwas wird. Luca ist das leider ziemlich egal, aber auch er scheint sich zumindest ein bisschen zu freuen. Obwohl er mir schon wieder nur auf den Hintern sieht und ich deshalb froh bin, heute keine Leggins zu tragen. Natürlich mag ich das, zumindest grundsätzlich, aber wenn er das in der Schule macht, ziehe ich auch manchmal die Blicke von anderen auf mich und das ist mehr als unangenehm. Nur hält ihn das nicht davon ab, ganz egal, wie oft ich ihm das sage.
>Du siehst heiß aus<, flüstert er dicht an meinem Ohr, zieht mich an sich, weswegen mir beinahe die Reifen aus der Hand fallen und selbstverständlich werde ich rot. Ich bin solche Worte nicht gewohnt, schon gar nicht in der Öffentlichkeit und wenn uns jeder hören kann.
>Schatz, bitte.< Natürlich bin ich ihm nicht böse und muss sogar lächeln, aber wir sollen abbauen und ich will keinen Ärger bekommen. Ich habe mich heute schon einem Referendar in den Weg gestellt und für unser neues Traumpaar eine Minute in Ruhe ergattert, weiter sollte ich es nicht ausreizen.
>Wir hatten zu lange keine Zeit zu zweit mehr<, raunt er und er hat schon irgendwie Recht, aber ich mache mich von ihm los. Uns beiden ist Zweisamkeit wichtig, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen und nach seinem Blick zu urteilen, geht es ihm dieses Mal nicht darum, mal wieder ungestört mit mir zu reden oder mich zu einem Date einzuladen. Nachdem wir uns zwei Wochen nicht gesehen haben und die letzte Woche über auch viel los war, ist vieles zu kurz gekommen, aber mir fehlen die Unterhaltungen mit ihm aktuell ehrlichgesagt etwas mehr, als die Aktivitäten im Bett. Natürlich ist beides wichtig, aber meine Prioritäten sind da einfach ein bisschen anders als seine.
>Die hatten wir am Samstag, gestern hast du dich geprügelt und bis selbst Schuld daran, dass du Hausarrest hast.< Er seufzt, lässt mich gehen. Am Samstag hatten wir tatsächlich Zeit für uns, aber nicht so, wie er wollte, weil ich nicht ganz fit war und einfach nicht wollte. Allerdings hat er sich auch nicht überzeugen lassen, mit mir ein bisschen rauszugehen und zu reden, sondern uns lieber eine neue Serie auf Netflix rausgesucht. >Wir hätten nach der Schule heute Zeit gehabt, aber du hast deinen Eltern leider schon gesagt, dass die letzte Stunde ausfällt und musst früher zu Hause sein<, erkläre ich ihm leise, dann beeile ich mich, die Reifen weg zu bringen. Heute hätte ich mich vielleicht sogar überzeugen lassen, weil ich schon auch Mal wieder mit ihm schlafen will und er dann gesprächiger ist, aber er hat sich die Chance heute tatsächlich selbst verbaut.
>Ärger im Paradies?<, will Tristan wissen, der mir die Reifen abnimmt und ordnungsgemäß verstaut. Fragend sehe ich zu ihm auf, er nickt in Richtung Luca. Tatsächlich sieht er ziemlich frustriert aus, was ich nicht verstehe. Außer es geht wirklich nur darum, dass er auch heute nicht haben kann, was er will.
>Er bekommt sich wieder ein, wenn der Hausarrest vorbei ist.< Zumindest glaube ich das und meistens liege ich richtig, wenn ich Mutmaßungen über Luca und seine gelegentlichen Stimmungsschwankungen anstelle.
Er nickt knapp, dann kommen andere zu uns, um Geräte zu verstauen, weshalb wir unser Gespräch beenden.
Um nachzusehen, ob noch etwas aufzuräumen ist, gehe ich zurück in die Halle, aber es ist nichts mehr übrig.
>Es ist alles gemacht<, erklärt auch Herr Lesharo, deutet zu den Kabinen und kommt dabei auf mich zu. >Kann ich dir die beiden Schlüssel für die Umkleiden geben? Ich muss in der Pause kurz zum Direktor und das wird zu knapp, wenn ich auf euch warte.< Mit einem Nicken nehme ich die beiden Schlüssel entgegen, er lächelt erleichtert. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie ist dieses Lächeln ansteckend. >Danke. Gib sie dann einfach im Lehrerzimmer ab<, verabschiedet er sich, geht zu den Geräteräumen, um die letzten Schüler zu vertreiben und den Raum abzuschließen. Somit mache auch ich mich auf den Weg zu den Umkleiden, wo kaum etwas los ist. Es sind schon alle in den Duschen oder auf dem Weg zurück in die Klasse. Nach den übrigen Sporttaschen zu urteilen sind es nur noch drei, abgesehen von Tina und mir.
>Seit wann steht denn bitte Tristan auf mich?<, raunt Tina, als ich bei ihr angekommen bin und mein Handtuch aus meiner grauen Sporttasche hole. Wir sitzen immer und überall nebeneinander, das war schon immer so. >Ich habe das am Sonntag gar nicht verstanden. Ich dachte, er will einfach nur freundschaftlich essen gehen und dafür wollte ich Henry nicht absagen. Er war aber auch nicht unbedingt deutlich<, erklärt sie, zieht sich ein frisches Top über, während ich mein Shirt ausziehe. Sie ist eine der Ersten in den Umkleiden gewesen und schon fertig.
>Ich weiß es seit ungefähr zwei oder drei Wochen.< Ihre Augen weiten sich, dann grinst sie.
>Henry wird gar nicht glücklich sein. Aber diese Sache bleibt unter uns, ja?< Ich rolle wortlos die Augen, weil sie die Antwort genau kennt und sie grinst. >Dumme Frage. Bis nachher.< Sie verlässt die Umkleiden, hebt eine Hand zum Abschied, während ich mich ganz ausziehe und dann zu den Duschen gehe. Die übrigen drei gehen an mir vorbei in die Umkleide und das bedeutet, ich kann es genießen, dass ich die Letzte hier bin. Die drei unterhalten sich, aber solange ich unter der Dusche stehe, kann ich sie kaum hören. So habe ich meine Ruhe und auch noch etwas Zeit, denn die Pause nach der zweiten Stunde hat noch nicht einmal angefangen.
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Ich nehme es mir sogar heraus, nach der schönen, heißen Dusche erst einmal nach meinem Handy zu greifen und mir Musik anzumachen, wenn auch leise. Für die Zeit zum Abtrocknen und Anziehen will ich etwas Unterhaltung haben. Schließlich ist hier sonst niemand und es spricht auch nichts dagegen. Abgesehen von meinem Stromsparmodus.
Da ich die Wahl zwischen Musik und dem Stromsparmodus habe, entscheide ich mich für die Musik und das kostet Zeit. Denn alle Apps, die nur ohne den Modus aktiv sind, toben sich nun aus und werfen mit Benachrichtigungen um sich. Eine nach der anderen streiche ich sie weg, falls doch etwas Wichtiges dabei sein sollte, doch dann halte ich inne. Ich habe ein Problem. Ein großes Problem.
>Das kann gar nicht sein.< Probehalber öffne ich die App, welche mich an meinen Zyklus erinnert, aber es stimmt. Das ist eine der wenigen Dinge, die ich konsequent immer eintrage und meine App auf dem laufenden halte. Und das bedeutet, ich bin tatsächlich eine ganze Woche schon überfällig. Mir ist das nicht aufgefallen. Obwohl ich die Pille nehme und in der Pause immer meine Regel bekomme, hatte ich sie diesmal gar nicht.
So im Nachhinein verstehe ich nicht, wie mir das entgehen konnte. Wie man nicht merken kann, dass man seine Tage nicht hat, wenn man doch jeden Tag bei Pilleneinnahme und so auch bei der Pause daran erinnert wird, wann sie da sein sollten.
Langsam setzte ich mich auf die unbequeme, hölzerne Bank, starre weiter mein Handy an. Nur kann mir mein Handy nicht erklären, was hier vor sich geht und warum ich meine Tage nicht hatte. Zögernd öffne ich meinen Internetbrowser, erkundige mich gründlich, aber das Ergebnis gefällt mir nicht. Ich habe mich an alles gehalten, habe sie nie ausgelassen und auch nie zu spät genommen. Trotzdem muss etwas schief gegangen sein. Die Chance, dass ich tatsächlich schwanger bin, ist laut Hersteller nicht einmal nennenswert, aber die Symptome habe ich durchaus. Es steht überall etwas anders dabei, aber manche tauchen immer wieder auf. In den letzten Tagen bin ich tatsächlich sehr müde und mir war am letzten Samstag richtig schlecht. Nicht zum ersten Mal in den letzten drei oder vier Wochen, aber ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Schließlich war der Gedanke, dass ich schwanger sein könnte, nicht einmal annähernd da. Die Option gab es bis eben überhaupt nicht.
Allerdings kann mir nur mein Frauenarzt weiterhelfen und feststellen, ob ich mir umsonst Sorgen mache oder nicht. Es können schließlich auch nur Nebenwirkungen sein. Das denke ich zumindest. Den Beipackzettel habe ich zugegeben noch nie gelesen. Mit den ganzen Hormonen von der Pille würde ich mich niemals auf einen gekauften Schwangerschaftstest verlassen, was dann wohl bedeutet, dass ich direkt nach der Schule einen Termin ausmachen werde.
Ich bin froh, dass hier sonst niemand ist. So kann ich in Ruhe verzweifeln und mir den Kopf zerbrechen. Ich will nämlich keine Kinder. Mutter zu sein konnte ich mir noch nie vorstellen, seitdem ich weiß, was das bedeutet und die Baby Born nicht mehr zu meinen Spielsachen gehört. Abzutreiben kann ich mir aber auch nicht vorstellen. Luca will Kinder, aber ganz sicher nicht jetzt und ohne jegliche Vorbereitung. Und ich weiß auch gar nicht, ob er sie mit mir will. Er hat es bis heute nicht geschafft zu sagen, dass er mich liebt. Ich weiß nicht, ob er es einfach nur nicht macht, oder er nicht so für mich empfindet. Bis heute hatte ich es aber auch nicht eilig damit, das zu erfahren, schließlich hat das alles eigentlich noch Zeit und er soll sich deswegen auch nicht unter Druck gesetzt fühlen.
Langsam atme ich tief ein, dann wieder aus. Kaum bin ich fertig damit, mache ich dasselbe noch Mal.
Ich schaffe es nicht, mich damit zu beruhigen, aber meine Gedanken klären sich. Zum Beispiel erinnern sie mich daran, dass ich hier nur in ein Handtuch gewickelt da sitze, obwohl jederzeit jemand hier reinkommen kann. Und das will ich nicht. Niemand soll mich so sehen.
Schnell stehe ich auf, trockne mich ab und ziehe mich an. Wie mit Herr Lesharo besprochen schließe ich auch die beiden Umkleiden ab, dann mache ich mich auf den Weg zum Schulgebäude. Luca ist wohl schon mit Tristan und Sam vorgegangen, genau wie Tina, was mir nur recht ist. Ich brauche noch Zeit, bevor ich einen von ihnen ansehen kann, ohne mir anmerken zu lassen, dass mein ganzes Leben vielleicht morgen schon zu einem einzigen Chaos wird.
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