67. Kapitel - Violet
Violet Elaine Craig
>Ich glaube, ich mag ihn<, sagt Scar unvermittelt, hängt eine weitere Girlande an die Wand in ihrem Wohnzimmer. Ash ist mit Emil und Maja in im Kinderzimmer, kümmert sich um die beiden. Emil hat uns am Anfang geholfen, aber jetzt sind wir in den letzten Zügen und das sind alles Sachen, bei denen er uns nicht mehr helfen kann.
>Wen?<, frage ich nach, weil ich keine Ahnung habe, wen sie meinen könnte. Wir haben grade einfach nur ein bisschen Smalltalk gehalten, das kam vollkommen unerwartet.
>Renè<, erklärt sie knapp, lächelt verlegen.
>Reden wir von demselben Renè? Renè Kapp?< Sie rollt die Augen, weil ich so skeptisch klinge, beendet ihr Werk und sieht dann zu mir.
>Ich weiß, was du denkst. Und ich erinnere mich auch an deine Geschichten damals. Du hast mehr als einmal von dem Bruder deines besten Freundes erzählt, der immer wieder Mädchen abgeschleppt hat. Aber so ist er jetzt nicht mehr. Er ist viel erwachsener, als du ihn damals beschrieben hast und ich glaube, er interessiert sich nicht nur für mich, sondern mag auch Maja wirklich gern.< Erzählt sie mir und ich muss zugeben, dass er tatsächlich erwachsener wirkt, als ich ihn von damals in Erinnerung habe. Nur ist das so merkwürdig. Seitdem Erik sie damals mit Maja sitzengelassen hat, kann ich mir nur sehr schwer jemanden an der Seite meiner Schwester vorstellen. Aber natürlich wünsche ich ihr jemanden, der an ihrer Seite ist und sie unterstützt.
>Na dann spricht doch nichts dagegen.< Sie zögert eine Moment, dann nimmt sie sich einen der Luftballons vom Tisch, um ihre Hände zu beschäftigen.
>Die Dates mit ihm waren sehr schön und er versucht wirklich, sich mit Maja zu beschäftigen, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass das nicht zu ihm passt. Ich glaube, Kinder sind nichts für ihn. Er versucht es wirklich, aber irgendwie habe ich da kein gutes Gefühl und solange sich das nicht ändert, kann ich mich auch auf nichts einlassen, verstehst du?<, will sie wissen, wirkt tatsächlich so, als würde sie von mir einen Rat wollen. Aber ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Ich sehe Renè noch immer nicht als mein Schwager an der Seite meiner Schwester, aber ich kann auch nicht ignorieren, dass sie sich offenbar beide sehr gern haben. Ich muss hier also nach den Fakten gehen und nicht danach, wie ich mich dabei fühle. Hier geht es nicht um mich.
>Hat er dir noch nicht von seinem Job erzählt?< Sie scheint kurz zu überlegen, schüttelt dann aber den Kopf.
>Irgendwie haben wir noch überhaupt nicht über unsere Jobs gesprochen. Okay, eigentlich schon, aber wir reden allgemein viel mehr über Maja und mich als über ihn. Wieso?< Das klingt tatsächlich nach Renè. Er redet nicht gern über sich, ist dafür aber immer sehr Neugierig, wenn er jemand neues kennenlernt.
>Er ist Referendar, also bald Lehrer. Kinder sind genau das, was er in seinem Leben haben will. Keine Ahnung, ob das auch für sein Privatleben gilt, aber Kinder, oder zumindest Teenager, sind Teil seines Jobs.< Sie wirkt überrascht, scheint einen Moment lang nachzudenken.
>Er wirkt nicht wie jemand, der Lehrer werden will. Dafür ist er viel zu entspannt und sorglos.< Ja, genau so würde ich Renè auch beschreiben.
>Aber er will schon seit Ewigkeiten Lehrer werden und da er aktuell sein Referendariat macht, ist er wohl auch nicht ganz unbrauchbar für den Job.< Sie lächelt, lässt ihre Schultern ein bisschen sinken. >Ich glaube, dass er einfach nicht so viel mit einem Baby anfangen kann, weil er bislang nicht damit zu tun hatte. Er hat vielleicht noch nicht oder nur wenig über eigene Kinder nachgedacht, hatte bisher noch keine wirklich ernste Beziehung und deshalb ist das vermutlich einfach nur alles ganz neu für ihn. Soweit ich weiß zumindest. Ich glaube, dass er einfach nur ein bisschen Zeit braucht. Mal abgesehen davon, kennt ihr euch noch nicht einmal eine Woche lang, also mach dir da mal keine Sorgen. Es wird sich schon noch zeigen, ob und wie das mit euch dreien klappt.< Sie wirkt dankbar über das, was ich dazu gesagt habe, aber das war einfach nur meine Meinung. Für sie scheint das nicht so leicht zu sein und das kann ich auch sehr gut verstehen.
Nur wirkt das Ganze für mich ein bisschen wie Kleinkram, bei meinen ganzen Problemen. Sie muss nur ausprobieren, ob Renè zu ihr und Maja passt, ich dagegen muss Entscheidungen treffen, die meines und das Leben von Ash vollkommen auf den Kopf stellen können. Und dann muss ich auch noch alles davon geheim halten, sie dagegen hat im Grunde nichts zu verlieren. Natürlich will sie nicht verletzt werden und Maja an jemanden gewöhnen, der vielleicht bald schon wieder weg ist, aber sie hat eine Wohnung, einen Job und ihr Kind ist auch schon auf der Welt. Ihr Leben geht weiter, wenn es nicht klappen sollte. Ich dagegen habe rein gar nichts, wenn Ash mich verlässt und meine Eltern von der Schwangerschaft erfahren. Natürlich ist mir klar, dass das nicht fair ist und Scar es nicht leicht hat, aber diese Gedanken wollen mir nicht aus dem Kopf.
>Du hast Recht, danke<, sagt sie, legt den Ballon weg und zieht mich in ihre Arme. Kurz schließe ich meine Augen, schiebe meine letzten Gedankengänge bei Seite, dann nehme ich sie ganz fest in den Arm. Hier geht es nicht um mich, nur um Scar, ermahne ich mich selbst noch einmal.
>Immer gern. Du weißt, solange ich das irgendwie kann, helfe ich dir. Auch, wenn ich bei Beziehungstipps nicht unbedingt die beste Wahl bin.< Sie lässt mich los, wirkt skeptisch.
>Du hast dir einen älteren Mann geangelt, der mit dir ein fremdes Kind aufziehen wird und nebenbei auch noch ein unheimlich netter, aufrichtiger und attraktiver Kerl ist. Wenn du damit kein Vorbild bist, weiß ich auch nicht<, will sie mich necken und natürlich werde ich rot. Ich habe mir hier gar niemanden geangelt, eigentlich hat er mich nur um den Finger gewickelt und ich habe mich in ihn verknallt. >Wie auch immer, du backst jetzt noch einen Kuchen für morgen und ich räume hier auf<, erklärt sie, grinst mich an und ich rolle die Augen.
>Mir hätte gleich klar sein müssen, dass ich nur zum Backen hier bin, als du heute Mittag angerufen hast.< Sie hebt die Schultern, dann schiebt sie mich sanft in Richtung Küche.
>Ich kann das nun mal nicht so wirklich und du bist ein Meister, also schenkst du mir das einfach zum Geburtstag und wir sind alle glücklich<, erklärt sie und selbstverständlich werde ich ihr den Gefallen tun. Das ist gar keine Frage. >Ich habe dir auch ein Buch mit Rezepten für Kuchen hingelegt, die für Babys geeignet sind. Ein Babykuchen und zwei für die Erwachsenen wäre super und es sollte auch alles da sein. Back einfach, was du möchtest. Oh, und einen der großen Kuchen bitte ohne Nüsse. Renè ist wohl allergisch<, erklärt sie noch, dann lässt sie mich einfach in der Küche stehen und geht davon, aber das ist in Ordnung so.
>Kann ich helfen?<, mit einem glücklichen Lächeln drehe ich mich wieder um, wo Ash in der Tür steht.
>Oh ja, immer. Was ist mit Emil und Maja?< Er hebt die Schultern, kommt zu mir und senkt die Stimme ein wenig. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihm in die Augen sehen soll oder doch auf seine Lippen. Ich will ihn küssen.
>Maja ist eingeschlafen und Emil hat sich zu ihr gelegt. Nach ein paar Minuten ist er auch eingeschlafen und ich dachte mir, ich lasse ihn in Frieden und sehe mal nach dir.<
>Das ist wunderbar, denn wenn ich drei Kuchen backen soll, kann eine helfende Hand nicht schaden.< Er bleibt direkt vor mir stehen, dann beugt er sich zu mir herunter, küsst mich und wieder melden sich die Schmetterlinge in meinem Bauch. Genau dieses Gefühl habe ich durch ihn erst wirklich kennen und lieben gelernt.
>Ash?< Er entfernt sich nur ein kleines Stück von mir, mustert mein Gesicht fragend. >Geht das alles zu schnell?< Er runzelt kurz die Stirn, dann lächelt er sanft, wirkt etwas verunsichert, streicht über meine Wange.
>Wieso fragst du?<, will er wissen, aber das weiß ich selbst nicht so genau. Mir kam die Frage einfach in den Sinn.
>Ich hatte bisher nur eine Beziehung und Luca habe ich ein paar Wochen lang getroffen, bevor wir zusammengekommen sind. Danach hat es dann immer noch Monate gedauert, bis wir uns näher gekommen sind, aber wir...< Ich weiß nicht, wie ich weiterreden soll, darum lasse ich es. Mit ihm darüber zu reden, ist auch nicht leicht. Es tut ihm vermutlich sogar weh, darüber nachzudenken, dass ich mit einem anderen zusammen war, natürlich auch intim, und das tut mir leid. Aber es ist wichtig für mich.
>Wir beide entscheiden, was uns zu schnell ist und was nicht. Wenn du dich nicht wohl fühlst, machen wir langsamer, fertig. Es geht nicht darum, wie es bei dir oder bei mir bisher war, wie es andere machen. Es geht einzig und allein darum, wie wir beide uns damit fühlen. Also Violet, geht es dir zu schnell?< Das größte Problem ist, dass ich das nicht weiß. Ich will ihm nahe sein, so wie wir es gestern Abend waren, aber ich will auch noch warten. Das alles ist noch ungewohnt und neu, gleichzeitig aber vertraut und genau das, was ich will. Diese Mischung aus Gefühlen und Wünschen verunsichert mich. Ich bin einfach noch nicht bereit, eine Entscheidung zu treffen.
>Ich weiß es nicht<, gebe ich zu und er lächelt, küsst meine Stirn und nimmt mich in den Arm. Ich weiß nicht, ob ich mich irgendwo so gut aufgehoben fühle, wie in seinen Armen.
>Dann denk in Ruhe darüber nach, in Ordnung? Ich laufe dir nicht weg.< Erleichtert lege ich mein Gesicht an seine Brust, lausche seinem kräftig schlagenden Herzen.
Ich bin mehr als nur froh, dass er so geduldig und rücksichtsvoll ist. Bei ihm kann ich mich einfach entspannen und fallen lassen, ohne aufpassen zu müssen. Ich kann darüber nachdenken, was ich will und ganz egal, was das sein wird, er wird da sein und wir beide finden den für uns perfekten Weg.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top