64. Kapitel - Ash

Ash Lesharo

>Ist das Vio?<, will Emil eine Sekunde nach dem Klingeln wissen, springt sofort von der Couch und eilt schon zur Tür, da hatte ich noch keine Gelegenheit, ihm zu antworten. Damit zaubert er mir ein Lächeln ins Gesicht und auch ich stehe auf, gehe zur Haustür, allerdings deutlich entspannter als Emil. >Wer ist das denn, Vio?< Nun bin ich doch etwas schneller, will schon Emil von der Haustür wegziehen, doch dann sehe ich Violet. Direkt hinter ihr steht allerdings Jennifer. Das war es dann wohl mit dem entspannten Abend.

>Guten Abend Herr Lesharo. Ich bin ein bisschen spät dran, entschuldigen Sie<, erklärt Violet, ist eindeutig angespannt. Es ist auch ungewohnt, dass sie mich hier so nennt, aber vor Jennifer ist das wohl notwendig.

>Schon gut<, versichere ich ihr und sie schnappt sich Emil, trägt ihn an mir vorbei ins Wohnzimmer.

>Du braucht ein Kindermädchen für deinen eigenen Neffen?<, begrüßt sie mich skeptisch, sieht Violet nach, aber ich werde ihr keine Angriffsfläche geben. Es wundert mich ein bisschen, dass sie Emil erkannt hat, aber June wohnt hier im Ort, genau wie Jennifer. Die beiden sind sich in den letzten Jahren mit Sicherheit das ein oder andere Mal begegnet.

>June ist beruflich unterwegs und ich bin auch verabredet. Emil hat hier seine Spielzeuge und sein eigenes Zimmer, darum ist das die beste Lösung<, erkläre ich ihr knapp und sie hebt eine Braue.

>Verabredet, ja?<, hakt sie nach, mustert mich eingehend.

>In zwanzig Minuten, ja. Was willst du hier?< Tatsächlich habe ich an diesem Wochenende rein gar nichts anderes geplant, als mit Emil und Violet Zeit zu verbringen, aber so wie ich Jennifer kenne, hängt sie sich irgendwie an mich, um zu prüfen, ob ich die Wahrheit sage.

>Reden, aber du hast ja nie Zeit, wenn ich klinge. Vorausgesetzt, du bist überhaupt zu Hause<, beschwert sie sich, wozu sie kein Recht hat. Ich bin zu nichts verpflichtet, nicht ihr gegenüber.

>Worüber willst du denn noch reden? Wir haben nichts mehr miteinander zu tun.< Sie seufzt theatralisch, gestikuliert ein bisschen herum.

>Du bist wieder in der Stadt, triffst dich mit Anton, aber nicht mit mir und offenbar hast du auch Dates. Das ist doch vollkommen überflüssig. Wir beide hatten eine schöne Zeit. Wenn wir uns zusammenreißen-<

>Danke Jennifer, aber das wird nicht passieren. Außerdem habe ich bereits eine Freundin und absolut keinen Grund, dir noch weiter zuzuhören, also dann<, unterbreche ich sie und schließe dann einfach die Tür. Diese Frau kann und will ich niemals verstehen. Sie macht mich wütend mit ihrer ganzen Art und dann sagt sie auch noch solche Dinge. Ihr Vorschlag war vollkommen aus der Luft gegriffen. Ich hoffe einfach, dass sie das nicht wirklich glaubt.

Mit dem Versuch, mich nicht zu sehr über sie aufzuregen, gehe ich zurück ins Wohnzimmer, wo Violet unschlüssig mitten im Raum steht. Emil spielt schon mit seinen Dinos, achtet nicht auf uns, darum hole ich mir einen Kuss von Violet, lege meine Lippen ein paar Sekunden lang auf ihre. Das brauche ich jetzt.

>Alles in Ordnung?<, fragt sie leise und ich lege meine Stirn an ihre.

>Ich weiß es nicht<, muss ich zugeben, nehme ihr Gesicht in meine Hände. >Ich muss gleich gehen. Irgendwo hin, damit Jennifer sich nicht in den Kopf setzt, dass ich Emils Kindermädchen verführen will.< Sie lächelt leicht, vergräbt ihre Hände in meinem T-Shirt, zieht mich zu sich herunter.

>Dafür ist es auch längst zu spät<, neckt sie mich, gibt mir noch einen Kuss. >Wir kommen klar. Außerdem haben wir noch zwei volle Tage, also mach dir mit Freunden einen schönen Abend oder so, ja?< Dankbar drücke ich ihr einen Kuss auf die Stirn, ziehe sie für einen Moment in meine Arme.

>Danke, dass du so bist, wie du bist.< Sie lacht leise, streicht über meinen Rücken, damit ich sie wieder los lasse.
>Das gilt auch für dich.<

>Vio?<, lenkt Emil unsere Aufmerksamkeit auf sich, hält ihr einen Dinosaurier hin. >Spielen wir weiter?<, will er wissen, sieht mit großen Augen zu mir auf, dann wieder zu ihr.

>Aber natürlich<, versichert sie ihm und wir lassen voneinander ab. Ich will wirklich, wirklich hier bleiben, aber das kann ich nicht. Jennifer würde uns sofort auffliegen lassen, das weiß ich. Dafür kenne ich sie noch gut genug.

>Ich fahre zu Renè, wenn er Zeit hat. Bis nachher<, verabschiede ich mich von den beiden, was Emil nicht sonderlich zu gefallen scheint.
>Du bleibst nicht hier, Onkel Ash? Aber wir wollten doch den Zirkus heute aufbauen.< Er wirkt wirklich traurig darüber, darum gehe ich zu ihm, streiche ihm über den Kopf.

>Du und Violet, ihr baut heute in Ruhe die Dino-Stadt auf und morgen kümmern wir uns dann alle zusammen um den Zirkus, einverstanden?< Er scheint gründlich darüber nachzudenken, bevor er langsam nickt.

>Aber du bleibst hier, ja?<, versichert er sich bei Violet, welche sofort nickt.

>Selbstverständlich. Ich gehöre ganz dir.< Irgendwann, das wünsche ich mir unwillkürlich, soll sie das auch einmal zu mir sagen. Wenn auch in einer anderen Situation.

Emil nickt ein Mal deutlich, dann sieht er zu mir auf.

>Dann bis nachher, du kannst gehen<, erklärt er streng, als würde er mir damit die Erlaubnis geben, was Violet und mich lachen lässt.

>Vielen Dank für die Erlaubnis.< Er grinst mich an, dann eilt er schon davon, zu seiner Kiste mit den Bausteinen.

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>Du bist meine Rettung<, flüstert Renè, lässt mich reinkommen. Im Hintergrund ist das Weinen eines Babys zu hören, vermutlich sind also auch Scarlet und ihre Tochter hier. Ich habe Renè nur gefragt, ob ich spontan vorbeikommen kann, und das hat er bejaht. Jennifer habe ich auf dem Weg zwar nicht gesehen, aber sicher ist sicher.

>Wovor?<, hake ich nach, gehe nach drinnen, damit er die Tür schließen kann.

>Maja weint seit einer halben Stunde und ist nicht ruhig zu kriegen. Nur daneben zu stehen kommt mir falsch vor, aber was soll ich schon machen?<, fragt er, hebt ratlos die Schultern.

>Ich zeige dir mal was<, erkläre ich knapp, gehe an ihm vorbei nach drinnen, folge dem Weinen von Maja. Scarlet hat sie auf dem Arm, läuft im Esszimmer auf und ab, wippt Maja, aber es scheint nicht zu helfen. >Hallo ihr zwei. Kann ich sie Mal nehmen?<

>Hallo Ash. Ja, klar. Vielleicht wirkt es ja wunder<, scherzt sie, wirkt aber durchaus angespannt. Es ist auch eigentlich nie gut, wenn Babys so lange weinen und sich nicht beruhigen. >Heute ist sie sehr unruhig, aber Fieber hat sie nicht und auch keinen Hunger. Frisch gewickelt habe ich sie eben erst<, fügt sie noch hinzu, dann reicht sie mir Maja auch schon. Sie hat ein ganz verweintes Gesicht, lässt sich aber Anstandslos von mir nehmen. Wenn Emil viel geweint hat, habe ich ihn immer auf den Arm genommen, seinen Rücken gestreichelt und sein Lieblingslied gesummt. Alles davon langsam und so ruhig wie möglich. Ich kenne den Text zwar nicht mehr, aber zum Summen brauche ich ihn auch nicht, darum lege ich einfach los und hoffe das Beste. Schlimmer kann ich es schließlich kaum machen.

>Wie?<, fragt Scarlet leise, sieht abwechselnd zwischen Maja und mir hin und her. Tatsächlich ist Maja schon nach wenigen Sekunden ruhiger geworden, wimmert jetzt nur noch ein bisschen. Sie hat auch ihre kleinen Hände in mein Shirt gegraben, hält sich an mir fest.

>Sie will sich nur geborgen fühlen und Kinder sind ruhiger, wenn es ihre Eltern auch sind. Hier, versuch es mal. Einfach ganz entspannt bleiben, etwas summen, was sie gern hat, dann kann sie sich darauf einstellen.< Sie zögert einen Moment, dann schließt sie ihre Augen. Langsam rollt sie dann ihre Schultern, atmet ein paar Mal tief durch.

>Okay, versuchen wir es.< Vorsichtig versuche ich Maja von meinem T-Shirt loszumachen, aber sie will nicht. Sie fängt sogar wieder leise an zu weinen. >Lass sie noch bei dir, es eilt ja nicht<, schlägt Scarlet vor und dagegen habe ich überhaupt nichts. Ich mag Kinder und Maja tut es gerade gut, bei mir zu sein, also lasse ich sie auch gern da.

>Kannst du mir das Beibringen?<, will Renè wissen, setzt sich an den Esstisch und beobachtet Maja auf meinem Arm.

>Ich kann es versuchen<, schlage ich ihm vor, dann summe ich wieder weiter, damit Maja sich weiter entspannen kann.

>Ich verstehe immer mehr, warum Violet dich so gern hat<, mein Scarlet, setzt sich neben Renè an den Tisch. >Wäre es für dich wirklich in Ordnung, ein fremdes Kind mit ihr aufzuziehen?< Schulterzuckend höre ich auf zu summen, denke kurz nach, wie ich ihr das am besten begreiflich machen kann.

>Der Erzeuger ist nicht automatisch der Vater des Kindes, zumindest sehe ich das so. Vermutlich will sie, dass Luca das Kind sehen kann, aber aufziehen werde ich es mit ihr. Mir ist es nicht so wichtig, wer der biologische Vater ist, solange es dem Kind gut geht.<

>Sehe ich auch so<, stimmt Renè zu, schmunzelt. >Ich wäre panisch im Kreis gerannt, wenn meine Tochter eine halbe Stunde lang geweint hätte, aber bei Maja kann ich entspannter bleiben. Natürlich mache ich mir genau so Sorgen um sie, aber ich fühle mich nicht so verantwortlich. Mit zu viel Verantwortung komme ich nicht so gut klar.< Scarlet mustert ihn einen Moment lang nachdenklich, dann hebt sie die Schultern.

>Aber du versuchst es. Majas Vater hat zwei Monate vor der Geburt weiche Knie bekommen und sich aus dem Staub gemacht. Bis heute habe ich nichts mehr von ihm gehört<, erzählt sie, den Blick auf ihre Tochter gerichtet. >Ich glaube, ihr tut es heute einfach Mal gut, einen Vaterersatz zu haben<, spricht sie weiter, sieht dann mit einem dankbaren Lächeln zu mir.

>Wenn ich helfen kann, mache ich das immer gern, aber eigentlich ist das dein Posten.< Renè wirkt nicht sehr glücklich damit, dass ich das anspreche, steht aber auf und kommt zu mir.

>Dann lass mich mal üben, solange du noch da bist, um mir Tipps zu geben.< Diesmal kann ich Maja von mir lösen, reiche sie an Renè weiter. Sie richtet auch ihre Aufmerksamkeit ganz auf ihn, macht es sich an seiner Brust bequem und legt ihren Kopf an seine Schulter. >Einfach nur Ruhe ausstrahlen und den Rücken streicheln, ja?<, will er wissen und ich nicke. Zögernd versucht er es und tatsächlich bleibt sie ruhig. Er geht ein paar Schritte und soweit ich das sehen kann, schließt sie sogar ihre Augen, kuschelt sich an ihn. Das ist ein gutes Zeichen. Er beginnt auch etwas zu summen, darum lasse ich die beiden allein, setzte mich zu Scarlet.

>Du wirst ein guter Vater<, sagt sie unvermittelt, beobachtet allerdings René und Maja. >Ich glaube nicht, dass Violet die Kraft hat, es tatsächlich abzutreiben, auch wenn es vermutlich besser wäre<, erklärt sie dann. >Mit einem Baby ist es nicht leicht und sie hat noch nicht einmal ihr Abitur fertig. Mein Leben ist durch Maja kompliziert geworden, aber für Violet würde das alles noch viel schwieriger werden. Selbst mit dir an ihrer Seite. Auf ihr ganzes Leben gesehen, wird sie es schwerer haben als ich und das wünsche ich mir nicht für sie. Aber ich könnte es auch nicht abtreiben, also sollte ich ihr so etwas nicht sagen<, sagt sie lächelnd und das lässt mich wieder nachdenklich werden.

Sie hat Angst um Violets Zukunft und das zu Recht, dabei weiß sie noch gar nicht, dass die Beziehung zu mir ein mindestens genau so großes Problem ist. Es ist also eine sehr gute Entscheidung gewesen, mit der Abtreibung noch zu warten. Es gibt ein paar Aspekte, die Violet, Scarlet und ich zusammen durchgehen sollten. Nur so können wir sicher sein, alles Wichtige bedacht zu haben und die richtige Entscheidung zu treffen. Obwohl es am Ende natürlich allein Violets Entscheidung ist. 

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