59. Kapitel - Violet
Violet Elaine Craig
Mein Herz springt mir gleich aus der Brust. Vor lauter Aufregung bin ich beinahe hier her gerannt, klingle aber nicht Sturm, weil Tinas Eltern da sein könnten, und denen müsste ich das vermutlich erklären.
>Hey du, komm-< Sie unterbricht sich, weil ich sie an den Schultern gepackt habe und nun rückwärts nach drinnen schiebe.
>Ich muss dir sooo viel erzählen<, verkünde ich ihr aufgeregt, sehe mich dann um. >Sind deine Eltern hier?< Sie schüttelt den Kopf und ich schließe die Tür hinter mir, hole tief Luft. >Ich bin voll aufgeregt.<
>Was du nicht sagst<, kommentiert sie, mustert meine zitternden Hände, genau wie ich. Alles in mir spielt gerade verrückt, jedes einzelne Pheromon ist aktiv. >Was ist passiert?<
>Ich habe ihn geküsst. Also eigentlich er mich, aber ich habe nicht aufhören wollen und das hat sich dann irgendwie hochgeschaukelt und oh mein Gott, spürst du das?<, frage ich sie aufgeregt, nehme ihre Hand und lege sie über mein viel zu schnell schlagendes Herz. Es war so wunderschön, in mir überschlagen sich die Gefühle und sie alle sind mehr als nur gut.
Dieses kleine Abenteuer mit Ash hat mich an den Kuss im Schwimmbad erinnert. Irgendwie war es beinahe wie unser erster Kuss. Er wollte eigentlich irgendetwas in der Küche machen, aber ich habe mir seine Hand genommen und ihn zu mir zurück geholt. Dann habe ich ihn geküsst, er hat mich festgehalten, mich an seine Brust gezogen und wir sind immer stürmischer geworden. Nur diesmal hat Tristan mich nicht angerufen, um uns zu unterbrechen. Tinas Nachricht, dass ich nun vorbeikommen kann, habe ich beim ersten Mal überhaupt nicht gehört. Erst die zweite, weil ich nicht gleich geantwortet habe, ist zu uns durchgedrungen und es hat dennoch eine Weile gedauert, bis wir endgültig voneinander ablassen konnten.
>Wen hast du geküsst?<, fragt sie skeptisch und ich hole tief Luft, halte mich an die Absprache mit Ash.
>Michael. Meinen Freund, von dem noch niemand weiß<, erkläre ich ihr knapp und ihre Augen werden groß.
Bei meinem Tee mit Ash hat er mir selbst vorgeschlagen, dass ich mit Tina reden sollte. Über alles, was ich ihr erzählen kann. Das will ich auch, um mich endlich mal jemandem mitteilen zu können, den ich immer um mich habe und deshalb mache ich das nun auch. Meine Schwester ist immer für mich da, das weiß ich, aber hierfür brauche ich Tina. Genau wie Scarlet wird sie nicht erfahren, dass er unser Referendar ist und deshalb nenne ich ihn Michael, aber auch so gibt es mehr als genug zu erzählen.
>Warte. Ist das der mit dem Liebeskummer?<, will sie gleich wissen und ich nicke sofort.
>Die Dinge haben sich ein bisschen geändert, es ist noch nicht leicht, aber wir wollen zusammen sein und das sind wir auch und es ist so unglaublich schön.< Sie grinst breit, nimmt meine Hand.
>Dann komm mit nach oben und erzähl mir alles<, verlangt sie und nur zu gern lasse ich mich mitziehen. >Und wehe, du lässt irgendetwas aus<, mahnt sie, dann sind wir schon in ihrem Zimmer und sie schließt die Tür, damit wir ganz unter uns sind.
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Ich habe mich entschieden. Zwar schon, als ich mit Ash geredet habe und er mal wieder alle meine Sorgen so gut es geht beseitigt hat, aber seit Tina von ihm weiß, bin ich mir absolut sicher. Ab sofort geht es bergauf.
Ich lasse mich von nichts mehr runterziehen, bin so optimistisch, wie ich es sein kann und genieße einfach Mal wieder mein Leben. Das Chaos wird noch eine Weile bleiben und so bald nicht verschwinden, aber immer nur die Schlechten Dinge und Probleme zu sehen, macht mich wahnsinnig. Außerdem ist es zur Abwechslung mal wieder richtig schön, mit Tina über Jungs reden zu können. Das hat mir doch mehr gefehlt, als ich dachte. Außerdem ist es ein ganz normales Thema, wo man nichts falsch machen und einfach Spaß haben kann.
>Ich kann immer noch nicht glauben, dass du einen Freund hast<, murmelt Tina vor sich hin, betritt mit mir den Klassenraum. >Und dann auch noch einen, den ich überhaupt nicht kenne. Wehe, er ist nicht gut zu dir und ich will ihn auf jeden Fall kennen lernen, sobald es geht.< Wir haben lange geredet, sind aber auch zeitig schlafen gegangen, darum konnte ich ihr nicht alles erzählen, aber das meiste. Dazu gehört, dass unsere Beziehung eben geheim ist und sich die beiden vorerst nicht kennenlernen können. Wie lange das tatsächlich so ist, weiß ich nicht, aber das macht auch eigentlich nichts.
>Ich auch nicht, glaub mir. Aber ich bereue nichts<, versichere ich ihr und sie grinst, genau wie ich, setzt sich neben mich.
>Das ist die Hauptsache. Und natürlich, dass du glücklich bist.<
>Hast du einen neuen Stecher, oder was?<, versucht Luca mir gleich wieder die Laune zu verderben, obwohl er auf seinem Platz, am anderen Ende des Raums, vermutlich nur die Hälfte verstanden hat, aber das kann er vergessen. Ash ist an meiner Seite und ich konnte mich wunderbar bei Tina aussprechen. Heute kann er mir nichts anhaben und vermutlich gilt das sogar noch viel länger.
>Ja, stell dir vor, wir haben jetzt einen neuen Spaten für das Gemüsebeet.< Tina hält sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen, Luca dagegen verzieht wütend das Gesicht. Es ist schon schade, dass das zwischen uns beiden so geworden ist. Man könnte sagen, dass sich unsere Beziehung in das Gegenteil gekehrt hat. Eine Sekunde später kommt Tristan in die Klasse, steuert unseren Tisch an und holt sich einen Kuss von Tina, ehe er mich kurz umarmt und dann auf seinem Platz sinken lässt.
>Ihr seht aus, als hättet ihr irgendetwas ausgeheckt<, merkt er an, aber damit liegt er falsch. Wir haben nichts Böses im Sinn.
>Keine Sorge, das hat nichts mit dir zu tun<, versichere ich ihm, versuche nur ein klein wenig sarkastisch zu klingen und mache einfach einen Spaß daraus. Tina verkneift sich ein Lachen, ist dabei allerdings nicht sehr erfolgreich.
>Ja, mach dir keine Sorgen mein Schatz. Wir sind ganz brav<, spielt sie mit, Tristan mustert uns beide skeptisch.
>Habt ihr eure Tage oder so?<, fragt er leise, beugt sich zu uns rüber und wir beide prusten los. Wie er darauf kommt, wüsste ich gern, zumal ich als Schwangere bei dem Thema eigentlich raus bin.
>Nein, mein Lieber, haben wir nicht<, versichert Tina ihm, dann klingelt es zum Unterrichtsbeginn, aber von einem Lehrer fehlt jede Spur.
>Fällt die erste Stunde aus?< Tina hebt ratlos die Schultern, schmunzelt aber noch und auch Tristan scheint keine Antwort parat zu haben. Da allerdings alle aus der Klasse hier sind, dürfte er nur zu spät dran sein. Wenn mal eine Stunde ausfällt, weiß das in der Regel jeder von uns schon vor Beginn der Stunde.
>Apropos, weiß es Tristan eigentlich schon?<, will Tina wissen, flüstert absichtlich so laut, dass Tristan sie durchaus verstehen kann.
>Nein<, flüstere ich genau so laut zurück, dann sehen wir uns beide nach ihm um. Er wirkt nun noch misstrauischer und das ist einfach köstlich amüsant.
>Wann willst du ihn einweihen?< Schulterzuckend lege ich den Kopf schief, mustere Tristan, obwohl ich die Antwort natürlich schon habe.
In der nächsten Pause erzähle ich ihm von Ash, beziehungsweise Michael, länger will ich nicht mehr warten. Die beiden sollen keine Geheimnisse voreinander haben müssen und er ist mein bester Freund. Ich will ihn auf keinen Fall außenvor lassen. Zumal er einen Teil der Geschichte schon kennt und es gar nicht so viel mehr zu erzählen gibt. Auf die Details werde ich ihm gegenüber nämlich verzichten. Bester Freund hin oder her, er ist ein Kerl und dem schwärme ich nicht vom Schmetterlingen im Bauch und wunderschönen Küssen vor.
>Bleib noch kurz hier vorn und stell dich vor, dann fangen wir an<, lenkt Frau Fiegler unsere Aufmerksamkeit auf sich, obwohl sie da nicht lange bleibt. Nur eine Sekunde später liegt sie auf dem heißen Kerl neben ihr. Ich meine natürlich, unseren neuen Mitschüler, oder was auch immer er ist. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Tina den Kopf zu mir dreht, darum sehe ich zu ihr rüber und augenblicklich weiß ich, dass ihr genau dasselbe durch den Kopf gegangen ist.
Er hat dunkle, braune Haare, welche ihm in die Stirn fallen und genau so helle, grüne Augen wie ich. Dazu ein markantes Gesicht und sein selbstsicheres Lächeln verrät mir, dass er genau weiß, wie verdammt gut er aussieht.
>Guten Morgen zusammen. Ich bin Michael und ab heute wohl Teil dieser Klasse<, sagt er knapp, lässt den Blick ein Mal durch den Raum schweifen und Tina neben mir verschluckt sich, obwohl sie gar nichts isst oder trinkt, packt meine Schulter.
>Sag mir jetzt nicht-<, fängt sie an, aber ich schüttle sofort den Kopf. Dieser Typ ist ganz bestimmt nicht mein Freund. Erleichtert legt sie sich eine Hand übers Herz, dann sehen wir wieder nach vorn, von wo aus Michael auf uns zu kommt, denn der letzte, freie Platz ist direkt vor mir.
Tristan wirft Tina einen fragenden Blick zu und ich lehne mich nach vorn, stütze mich auf dem Tisch ab, damit sich die beiden besser sehen können. Natürlich ist ihm aufgefallen, wie wir den neuen angestarrt haben, aber schauen darf man. Daran ist nichts verboten.
>Hey, hast du-<, Michael hat sich halb zu mir umgedreht, stockt vermutlich deshalb, weil ich halb auf dem Tisch liege und dadurch wie ein Stalker wirke. >Was machst du denn da?<, will er belustigt wissen, hat ein kleines, neckendes Lächeln auf den Lippen. Natürlich steigt mir die Röte ins Gesicht, als hätte er mich bei etwas erwischt, aber die Antwort ist ganz einfach.
>Die beiden haben was zu klären, glaube ich<, antworte ich knapp, deute erst auf Tina, dann zu Tristan, versuche ihn dabei nicht zu sehr anzustarren. >Nur leider sitze ich dazwischen.< Tatsächlich wirft er den beiden einen kurzen Blick zu, was die beiden allerdings nicht stört, dann wendet er sich wieder an mich.
>Dann kommen wir zurück zu meiner Frage. Hast du einen Kugelschreiber? Meinen habe ich wohl im Sekretariat liegen lassen.< Mit einem knappen Nicken öffne ich mein Mäppchen, reiche ihm einen. >Vielen Dank<, sagt er dann, seine Stimme absichtlich tiefer gestellt und tatsächlich muss ich schlucken. Mit ihm zu reden, macht mich irgendwie nervös. Es ist nervig, dass Männer solche Gefühle in Frauen hervorrufen können und das einfach nur, weil sie die entsprechenden Gene haben. Er lächelt wieder, dreht sich um und widmet sich seinem Biologiebuch. >Ach, ganz vergessen<, meint er dann doch noch, dreht sich noch einmal zu mir um. >Wie heißt du eigentlich?<
>Elly<, antworte ich automatisch, dann spüre ich den Blick meiner beiden besten Freunde auf mir. Das nehme ich zum Anlass, mich wieder ordentlich hinzusetzen, wofür mein Rücken sehr dankbar ist.
>Freut mich, dich kennen zu lernen<, meint er, schon wieder mit der tiefer gestellten Stimme, doch zum Glück fängt Frau Fiegler an zu reden und lenkt mich von ihm ab.
Ich sollte wirklich aufhören, ihn so anzustarren. Ich bin schon schwanger und habe mich in meinen Referendar verknallt, mehr Komplikationen brauche ich nicht. Zumal Michael zwar gut aussieht, aber ich halte ihn durch sein Verhalten für einen typischen Aufreißer und dafür bin ich auf jedenfalls nicht die Richtige. Selbst ohne Ash würde ich einen großen Bogen um ihn machen, das verhindert nur leider nicht, dass ich ihn attraktiv finde.
Wobei sich auch das erübrigt, wenn er weiterhin so viel zu Penny rüber schaut. Er versucht es unauffällig zu tun, aber nun ja. Sie sitzt als einziges Mädchen in einer Ecke voller Jungs und zu denen sieht er vermutlich nicht so oft rüber. Wenn er mit ihr ins Bett geht, wird es mir weitaus leichter fallen, ihm die kalte Schulter zu zeigen.
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