54. Kapitel - Ash

Ash Lesharo

Es ist ungewohnt, blind zu vertrauen. Ich habe Violet nicht gebeten, mir einen Moment zu geben, weil ich misstrauisch oder unsicher bin, sondern weil ich nicht verstehe, warum ich ihr ohne zu zögern geglaubt habe. Das passt nicht zu mir.

Nach wie vor fällt mir Vertrauen nicht sonderlich leicht, darum verstehe ich es nicht und das bereitet mir Sorgen. Nicht viele, aber ich sollte durchaus in Ruhe darüber nachdenken.

>Hey, alles in Ordnung?<, will Kelly wissen, rührt in ihrer Kaffeetasse und mustert mich von ihrem Platz aus. >Du bist ganz schön tief in deine Gedanken versunken<, bemerkt sie und da hat sie tatsächlich Recht. Die beiden Sportstunden sind sehr gut verlaufen und es hat auch Spaß gemacht, aber seitdem ich wieder hier bin, denke ich schon wieder nur an Violet. Dabei arbeite ich hier und habe Verantwortung, die ich erfüllen will.

>Ja, alles bestens. Ich wollte nur-<

>Ash?< Fragend drehen wir uns beide nach Oliver um, welcher eilig auf uns zu kommt. >Laut Plan hast du jetzt eine freie Stunde, würdest du also die C-Klasse für mich übernehmen? Die Wehen meiner Frau haben eben eingesetzt<, erklärt er, wirkt besorgt, aber auch glücklich und aufgeregt.

>Natürlich, sehr gern.< Erleichtert reicht er mir ein Buch und einen Stapel mit Arbeitsblättern, deutet darauf.

>Damit solltest du die Stunde ganz gut füllen können, vielen Dank.<

>Ich mache das wirklich gern und jetzt los, sonst muss deine Frau da noch ohne dich durch.< Er lächelt über mein wirklich dezentes Necken, dann eilt er zu seinem Platz, holt sich seine Tasche und verschwindet.

>Er hat nie erzählt, dass er bald Vater wird<, murmelt Kelly, nippt an ihrem Kaffee. Auch ich wusste das nicht, aber ich bin auch erst die dritte Woche hier, also gibt es keinen Grund sich zu beklagen.

>Er ist immer eher verschlossen, wenn es um sein Privatleben geht.< Sie hebt eine Braue, mustert mich, ich dagegen sehe mir das Arbeitsblatt an, damit ich wenigstens weiß, worum es geht.

>Du kennst ihn schon länger?<

>Ich habe hier mein Abitur gemacht<, erkläre ich knapp, nehme meine Tasche und stehe auf. >Und da ich jetzt wohl doch die nächste Stunde unterrichte, muss ich los. Bis nachher.< Sie nickt knapp, lächelt verschmitzt.

>Ich kann meine vielen Fragen auch nachher noch stellen<, versichert sie mir und ich gehe, damit sie den genervten Ausdruck in meinem Gesicht nicht sieht. Es gibt nichts zu erzählen, über meine Zeit hier. Ob man an derselben Schule unterrichtet, an welcher man selbst mal war oder nicht, sollte keinen allzu großen Unterschied machen.

Für mich macht es überhaupt keinen. Ich kenne die Lehrer und nun Kollegen zu einem großen Teil und das Schulgebäude, aber alles andere ist eben wie an so ziemlich jeder anderen Oberstufe auch.

>Setzt euch, wir fangen gleich an<, erkläre ich der Klasse, schließe die Tür hinter mir. Die Stunde hat vor zwei Minuten angefangen, es spricht also nichts dagegen, gleich so zu starten.

Auf dem Weg zum Pult wandert mein Blick durch die Klasse, um sicher zu gehen, dass alle da sind und von allein bleibt er kurz an Violet hängen. Sie lächelt leicht, senkt den Blick auf ihr Buch und ich setzte mich an das Pult. >Herr Zuber hat mir Arbeitsblätter für euch gegeben, um sie zu bearbeiten, findet ihr alles im Buch. Samuel, du teilst aus.<

>Warum nicht Elly?<, fragt Luca lautstark durch die Klasse, starrt sie an und mahlt mit den Zähnen. Offenbar ist er noch immer wütend auf sie, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dagegen etwas tun kann oder sollte.

>Weil Samuel wieder an seinem Handy ist, obwohl die Stunde angefangen hat, Violet nicht.< Luca schnaubt unzufrieden, setzt zu irgendetwas anderem an, aber ich lasse ihn nicht. >Wenn du das für ihn übernehmen möchtest, kannst du das gern machen, aber wenn du einfach nur weiter den Unterricht störst, kannst du gern gehen. Ich halte dich nicht auf.< Ich will keinen Streit und schon gar nicht, dass er irgendeines der beides Themen anspricht, welche wohl gerade zwischen ihm und Violet stehen. Weder seine Eifersucht, noch Violets Schwangerschaft, hat hier etwas zu suchen.

Er wirkt noch immer unzufrieden, sieht aber nun in sein Buch und Samuel holt sich die Blätter, teilt sie aus. Ich hoffe wirklich, dass der Rest der Stunde ruhiger verläuft und ich ihn nicht rauswerfen muss. Durch seine Wut könnte er Violet dafür die Schuld geben und ich will auf keinen Fall seine Wut auf sie schüren.

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Zum Glück hat sich Luca die Stunde über ruhig verhalten und der Rest des Tages ist auch eher gut gelaufen, aber ich bin geschafft und müde. Das war heute kein besonders angenehmer Tag nach der letzten, kurzen Nacht. Wobei mir der Gedanke daran ein Lächeln auf die Lippen zaubert.

Ich hoffe, dass wir bald wieder einen so schönen Abend zusammen haben können. Sehr bald.

>Also, erzähl mal. Warum unterrichtest du an der Schule, wo du selbst deinen Abschluss gemacht hat?<, schießt Kelly gleich los, da bin ich noch gar nicht an meinem Platz angekommen.

>Warum nicht?<, entgegne ich einfach nur, weil ich ihr den genauen Grund nicht nennen möchte, sammle meine Unterlagen zusammen. Auch heute werde ich wohl von zu Hause aus arbeiten, wenn Kelly so aufdringlich ist. Außerdem muss ich noch nachsehen, ob ich vielleicht tanken gehen sollte. Die Abtreibungsklinik ist ein ganzes Stück weg und ich möchte es auch vermeiden, dass man uns irgendwo sehen und erkennen könnte. Violet in meinem Auto, auf dem Weg zu einer Abtreibungsklinik, das ist schwer zu erklären und dabei glaubhaft zu sein. Zumal sie nicht beweisen kann, dass es das Baby von einem anderen ist.

>Sei doch nicht so<, bittet Kelly, zieht einen Schmollmund, doch zum Glück klingelt mein Handy.

>Renè, hi.<

>Gott sei Dank gehst du ran. Wann bist du zu Hause?<, will er wissen und ich stecke den letzten Ordner in meine Tasche.

>In zehn Minuten, wieso?< Er klingt aufgeregt, aber ich kann nicht einschätzen, ob der Grund ein eher guter oder schlechter ist.

>Ich muss mit dir reden. Jetzt.< Schnell hebe ich die Hand zum Abschied für Kelly, verlasse das Lehrerzimmer.

>Was ist passiert?<

>Keine Sorge, niemand ist verletzt oder so, aber es ist wichtig, also bis gleich<, erklärt er knapp und legt auf, dann verlasse ich schon das Schulgebäude.

Renè weiß, dass ich heute mit Violet zu der Klinik fahre, darum mache ich mir durchaus Sorgen, auch wenn er mir versichert hat, dass nichts Schlimmes passiert ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er mich auf diese Art und Weise anruft, ausgerechnet heute, wenn nicht doch irgendetwas vorgefallen ist.

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>Da bist du ja<, seufzt Renè, da bin ich kaum ausgestiegen, steht vor meiner Haustür. Er reibt sich aufgeregt die Hände, als würde er schon länger warten, dabei bin ich nicht sonderlich langsam her gefahren, aber natürlich habe ich mich an jedes Tempolimit gehalten.

>Was ist los?< Er schüttelt den Kopf, deutet auf die Haustür und ich öffne sie, gehe nach drinnen. Dort stelle ich meine Tasche ab, steuere die Couch im Wohnzimmer an, doch so lange will Renè wohl nicht mehr warten.

>Ich habe Scarlet geküsst.< Skeptisch hebe ich eine Braue, drehe mich zu ihm um und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Dieser Kerl hat dauernd etwas mit Frauen und jetzt taucht er wegen einem einzelnen Kuss auf. Und das vermutlich nur, weil sie Violets Schwester ist.

>Du hast-<

>Lach mich bloß nicht aus. Ich weiß, ich habe ständig was mit Frauen und ein Kuss ist nichts Besonderes für mich, aber das war anders. Irgendwie. Hätte Maja nicht angefangen zu weinen, hätte ich danach auch nicht einfach aufgehört und wäre gegangen<, erklärt er, rauft sich die Haare. >Ich habe Elly versprochen sie in Ruhe zu lassen und das wollte ich auch. Wirklich. Gestern Abend waren wir noch Essen, bevor ich sie nach Hause gebracht habe und verdammt ist diese Frau stark. Wie sie das alles mit Maja allein schafft. Und vorhin habe ich sie zufällig getroffen und wir haben geredet und dann-< Er unterbricht sich, sieht hilfesuchend zu mir. >Ich weiß nicht, warum ich hier bin, okay? Ich weiß nicht, warum ich die ganze Zeit an Scarlet denke und das einfach nicht aufhört. Ich meine, das war doch nur ein einziger, verdammter Kuss.< Vielleicht liegt das in der Familie. Bei Violet war es noch weniger als ein Kuss, womit sie all meine Gedanken für sich beansprucht hat.

>Kann es sein, dass du dich verknallt hast?< Diesmal wirkt er skeptisch, verschränkt die Arme vor der Brust.

>Niemals.< Dass das eine sehr unglaubwürdige Antwort ist, in Kombination mit dieser Reaktion, weiß er hoffentlich selbst. >Ich habe schon eine Menge starker und schöner Frauen kennen gelernt und mit nicht wenigen von denen hatte ich auch eine schöne Zeit, aber verdammt. Ich habe nicht mal geflirtet und sie auch nicht.< Er wirkt sehr überzeugt, aber so einfach ist das Leben eben nicht.

>Wie du weißt, habe ich es bei Violet auch nicht darauf angelegt. Manche Dinge passieren.<

>Aber doch nicht mir!<, betont er und ich schweige. Mein Lächeln sollte ihm alles sagen. >Ja, das habe ich auch über dich gesagt. Nie etwas mit Frauen am Hut und verliebt sich in seine Schülerin.< Es scheint es langsam einzusehen, wenn auch sehr widerwillig. >Elly hat aber Recht damit, dass ich nicht als Partner oder sonst irgendetwas für Scarlet geeignet bin. Ich hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung und von Babys habe ich auch keine Ahnung.<

>Ich auch nicht.< Er atmet tief durch, lässt mich aber weiterreden. >Trotzdem werde ich mein Bestes tun, Violets Kind aufzuziehen, wenn sie es behält. Du solltest das genau so angehen. Solange es dich nicht stört, dass es nicht dein Kind ist, steht euch nichts im Weg. Mach es so, wie du es mir empfohlen hast. Wenn du dir sicher bist, was deine Gefühle angeht, leg die Karten auf den Tisch. Wenn sie dich auch mag, hilft sie dir dabei, eine Beziehung auf die Beine zu stellen und ein Kind aufzuziehen. Zumindest schätze ich sie so ein. Diese beiden Schwestern haben ihr Herz am rechten Fleck.< Er seufzt, lässt seine Arme sinken.

>Und wenn nicht? Wenn sie nichts an mir findet? Das könnte ich schon verstehen, schließlich bin ich nur ein dahergelaufener Aufreißer für sie.< Ratlos hebe ich die Schultern, schenke ihm aber ein aufmunterndes Lächeln.

>Das siehts du dann schon. Entspann dich, nimm dir Zeit und dann wirst du den richtigen Weg schon finden.< Mehr kann ich ihm nicht raten und wenn er nichts überstürzt, kann er im Grunde auch nichts falsch machen. 

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