5. Kapitel - Violet
Violet Elaine Craig
Die heiße Schokolade mit Sojamilch ist noch süßer als die Normale und das ist super. Ich liebe alles was süß ist, womit mein Geschmack das genaue Gegenteil von dem meines Freundes ist.
>Ich hätte längst einen Zuckerschock<, kommentiert Tristan meinen glückseligen Blick, welcher schon mehrere Sekunden auf meine dampfende Tasse gerichtet ist. Wir sind spontan in ein gemütliches und sehr beliebtes Café in der Nähe gegangen, weil Luca Hausarrest wegen der Prügelei bekommen hat und wir uns deshalb nicht treffen können. Tristan hatte nichts zu tun und damit ich nicht allein zu Hause herumsitze, habe ich ihn hier her eingeladen, obwohl er immer nur einen Espresso trinkt und dann wartet, bis ich fertig bin. Da lohnt es sich fast nicht, ihm etwas auszugeben.
>Und ich einen Koffeinschock.< Ich komme mit Koffein nicht klar. Ein Schluck Cola oder Kaffee und ich bin den ganzen Tag lang hyperaktiv. Mal abgesehen davon, dass Kaffee nicht schmeckt. Auch nicht mit viel Zucker.
>Wie findest du den neuen Referendar?<, will er wissen, mustert mich. Er ist nicht so der Typ, der nebenher etwas fragt. Er stellt nur dann Fragen, wenn er sich für die Antwort wirklich interessiert, und diese bringt mich tatsächlich kurz zum Nachdenken.
Herr Lesharo wirkt sehr umgänglich, gleichzeitig hat er aber auch eine klare Linie vorgegeben. Außerdem ist er kompetent und man merkt richtig, dass er Mathematik wirklich mag. Dann kann er auch noch gut erklären und man kann ihm gut zuhören, finde ich. Nur leider verstehe ich trotzdem nicht sonderlich viel davon.
>Gut und schlecht<, gebe ich zu, denn nach den ganzen Regeln war dann auch noch der Unterricht streng und wirklich schwierig. Aber letzteres liegt nur an mir. >Die Regeln braucht er, sonst wächst ihm unsere Klasse über den Kopf. So wie letztes Jahr in Englisch, als wir dann irgendwie nur noch zu fünft im Unterricht waren. Aber ich fürchte, er macht keine Ausnahmen und Luca lässt es sich nicht verbieten, mit mir zu reden. Wenn ich nicht antworte, ist er beleidigt und wenn ich es tue, fliege ich aus dem Unterricht.< Und ja, das ist meine größte Befürchtung.
>Dann setz dich von ihm weg.< Das ist durchaus eine Option, aber der einzige freie Platz ist neben Penny. Gut, direkt vor mir ist auch ein Tisch frei, aber das würde Luca nicht davon abhalten, mit mir zu reden.
>Das ist keine Lösung.< Er grinst nur, hebt die Schultern.
>Ich sehe das genau wie du. So lernen wir wenigstens im letzten Jahr mal etwas. Ich bin schon gespannt wie viele Strafarbeiten er morgen in der ersten Stunde los wird.< Natürlich denkt er nur wieder an das Leid der anderen, aber wer nicht mitmachen will und lieber Arbeitsblätter bearbeitet, hat sein Schicksal selbst gewählt. Allerdings kann es auch gut sein, dass die zusätzliche Übung einigen meiner Mitschüler ganz gut tun wird, womit das auch wieder ein kluger Schachzug sein könnte und nicht nur eine Strafe. >Ich habe übrigens genau gesehen, wie du vor Lachen fast geplatzt bist, als er Penny wegen ihrem Shirt angesprochen hat.< Diesmal kann ich nicht anders als ihn richtig breit anzugrinsen, immerhin muss ich es hier auch nicht verstecken. Ich meine, Pennys Versuche heute waren mal wieder einfach nur schrecklich und peinlich, aber sie hat es auch noch nie bei einem Lehrer versucht. Obwohl sie schon damit hätte rechnen müssen, dass er nicht auf sie eingeht. Schon gar nicht mitten im Unterricht.
Niemand, der ernsthaft Lehrer werden oder bleiben will, würde sich das ohne Kommentar gefallen lassen. Wenn daraus nämlich nur ein einziges Gerücht entstehen würde, wäre seine Karriere am Ende. Zumindest denke ich das, genau genommen habe ich mich da nie informiert. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er nur seinen Job verliert. Ein Lehrer, der etwas mit einer Schülerin anfängt, dürfte keinen Job an einer anderen Schule finden und vertuschen dürfte man das auch nicht so leicht können.
>Ich habe noch nie erlebt, dass sie so einen Korb bekommen hat.< Auch wenn man das eigentlich nicht so nennen darf.
>Tina hat mir einen gegeben.< Mein Lachen erstirbt, auch er lächelt nicht mehr und ein ungutes Gefühl beschleicht mich.
>Was?< Ich glaube, ich habe mich verhört. Er hat noch nie zugegeben, dass er auf Tina steht, ich habe es einfach daran bemerkt, wie er sich in ihrer Nähe verhält. Gleichzeitig hätte Tina mir sicher davon erzählt.
>Gestern habe ich sie zum Essen eingeladen. Sie hat deutlich gemacht, dass sie kein Interesse hat<, redet er weiter, sieht mich an. Ich weiß, dass er sich von mir eine Erklärung erhofft. Aber wie soll ich ihm eine geben?
>Was willst du von mir hören?< Er rauft sich die sandfarbenen Haare, sieht weg. Vermutlich hat er mehr als nur eine Frage und doch will er eigentlich von ihr selbst wissen, warum sie ihm einen Korb gegeben hat. So wie ich sie kenne, hat sie nämlich sonst nichts dazu gesagt.
>Will sie nur nichts von mir oder hat sie einen anderen?<, will er wissen, sieht mich wieder an. >Du sollst sie nicht verraten und mir seinen Namen sagen, wenn sie einen anderen hat<, redet er weiter und ich hole tief Luft.
>Sie hat niemanden, den sie mag, soweit ich weiß.< Nur jemandem, mit dem sie schläft, aber das sollte sie eigentlich nicht daran hindern mit Tristan auszugehen. Immerhin könnte sie es jederzeit beenden, wenn sie gefallen an Tristan findet.
Er lässt die Schultern etwas sinken, hebt eine Hand, um einen Kellner zu uns an den Tisch zu winken.
>Noch einen Espresso<, bestellt er und ich hebe eine Braue. Ihm würde jetzt bestimmt vieles gut tun, aber kein Koffein.
>Willst du nicht etwas hiervon haben?<, biete ich ihm meine heilige, köstliche, heiße Schokolade an, doch er winkt ab. Das kann ich gar nicht verstehen. Um nichts in der Welt würde ich eine heiße Schokolade mit Sojamilch ablehnen.
>Zu süß.< Ich will ihm etwas sagen, das ihn aufmuntert. Tristan und ich sind seit der fünften oder sechsten Klasse befreundet und haben uns immer richtig gut verstanden. Wenn er geknickt ist, bin ich es irgendwie auch. Nur kann ich ihm lediglich wehtun oder Tina zur Rede stellen. In diesem Moment kann ich nichts Gutes für ihn tun.
>Gehen wir auf den Bolzplatz?< Skeptisch starrt er mich an, runzelt die Stirn.
>Du hasst Fußball.< Schulterzuckend rühre ich in meiner heißen Schokolade herum.
>Ich hasse es mehr, wenn du schlecht drauf bist.< Langsam schleicht sich ein Lächeln in seine Züge, er rollt die Augen und das lässt mich wieder lächeln.
>Ich hasse dich<, meint er leise, nimmt seinen zweiten Espresso entgegen. >Stell dich für mich nicht immer auf den Kopf. Ich schulde dir auch so schon genug.< Schnaubend trinke ich noch etwas von meiner heißen Schokolade, womit sie fast leer ist.
>Ich mache das so oft und für wen ich will. Abgesehen davon bekomme ich immer Blumen von dir, wenn ich besonders nett zu dir bin.< Er lacht auf, womit ich ihn dann hoffentlich erfolgreich abgelenkt habe. Falls nicht, muss ich eben schwerere Geschütze auffahren.
>Die letzten waren nach einer Woche kaputt.< Diesmal sehe ich ihn skeptisch an, nehme den kleinen Keks, welchen er mir reicht. Ich liebe diese kleinen Dinger und das weiß er. Es ist nur schade, dass bei einer heißen Schokolade nie welche dabei sind und er immer nur einen bekommt. Ich könnte sie die ganze Zeit nebenher in mich rein stopfen, aber dann wäre ich wohl kugelrund und darauf kann ich durchaus sehr gut verzichten.
>Ich habe dir gesagt, dass nur Wüstenpflanzen bei mir überleben. Blumen sind zwar wunderschön und ich liebe sie, aber ich habe keinen grünen Daumen.< Er versucht sein Lachen zu unterdrücken, stößt mit mir an, obwohl ich beinahe nichts mehr in der Tasse habe.
>Dir fehlt nicht nur der grüne, Elly. Du hast einen schwarzen Daumen.< Wortlos versuche ich mich an einem Schmollmund, aber er lacht nur, so wie immer, weil ich das nicht kann. Dazu müsste ich nämlich mit dem Lächeln aufhören und das ist meistens gar nicht so leicht. >Lass uns zahlen, ich muss langsam nach Hause, sonst habe ich keine Zeit mehr für die Hausaufgaben<, schlägt er vor, dann trinken wir aus. Da wir somit ohnehin fertig sind, hebe ich mich von dem bequemen Stuhl, setzte meinen Rucksack auf und er tut es mir nach. Er geht schon zur Tür und nach draußen, wie üblich, während ich zum Tresen gehe und für uns bezahle. Zum Glück muss ich dazu nicht anstehen und bin nur wenig später draußen bei Tristan, auf dem Weg nach Hause.
Es ist etwas kühler geworden und auch windiger, aber es ist noch durchaus angenehm. Es sind zwar noch ein paar Wochen, aber ich freue mich überhaupt nicht auf den Herbst mit seinen trüben, windigen und nassen Tagen. Von mir aus könnte es nur den Sommer und den Winter geben, solange sich in den kalten Monaten auch etwas Schnee zeigt. Richtiger Schnee, kein Schneematsch, versteht sich.
>Wollen wir die Aufgaben zusammen machen?< Er sieht kurz zu mir herunter, dann grinst er.
>Vor oder nach dem Bolzplatz?< Schweigend wäge ich ab, wie ich darauf reagieren soll, doch er wartet gar nicht auf eine Antwort. >Ich erspare es dir, wenn du mir bei dem Aufsatz hilfst.< Langsam drehe ich den Kopf, sehe ungläubig zu ihm auf.
>In Spanisch? Ich bin schlechter in Spanisch als du.< Er hebt die Schultern.
>Dann fühle ich mich zumindest nicht mehr so dumm.< Schmunzelnd boxe ich ihm gegen den Arm, er tut tief getroffen, fasst sich ans Herz. >Warum verprügelst du mich denn? Womit habe ich das verdient?<, will er klagend wissen und ich rolle die Augen. Es ist also alles wie immer, weil er mein doofer, bester Freund ist.
>Holzkopf.<
>Nein ehrlich<, meint er, reibt sich den Arm, wo ich ihn getroffen habe. >Meine Eltern denken noch, ich werde von dir geschlagen. Jedes Mal komme ich mit neuen blauen Flecken nach Hause.< Diesmal bekommt er einen skeptischen Blick von mir und beinahe noch einmal einen Schlag auf dieselbe Stelle.
>Meinst du nicht, dass die vom Fußball kommen? Ein zartes Mädchen wie ich kann doch einem großen, starken Mann wie dir nichts anhaben.< Er vergrößert den Abstand zwischen uns, läuft aber weiter die Straße entlang.
>Niemand glaubt dir diese Lügen<, meint er, grinst aber und kommt auch wieder zurück zu mir, um einen Arm um meine Schultern zu legen. >Aber jetzt, wo du mich einen Mann genannt hast-< Bevor er weiter irgendwelchen Unsinn von sich geben kann, schiebe ich seinen Arm von meinen Schultern, boxe ihm diesmal etwas energischer gegen seine Schulter.
>Bilde dir bloß nichts ein.< Er grinst, hebt nur kurz die Schultern und ich weiß genau, dass er es doch tun wird.
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