4. Kapitel - Ash
Ash Lesharo
Es hat sich nichts verändert. Alles ist so geblieben, wie es damals noch war, als ich vor Jahren die Oberstufe verlassen habe. Die Trennung der Gruppen, das Ausschließen von einzelnen und natürlich diese jungen Mädchen wie Penny, welche sich selbst auf ihre Reize reduzieren. Sogar dann, wenn sie keine haben.
>Und, wie sind deine ersten Klassen?<, will Kelly wissen, eine meiner Kolleginnen hier. Sie ist ganz nett und auch hübsch, hat die blondierten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trägt normale Alltagskleidung. So wie die meisten hier, abgesehen von den älteren, männlichen Kollegen, welche alle im Hemd arbeiten.
>Das kann ich nach so wenigen Stunden schlecht beurteilen. Schon gar nicht, nachdem ich drei vollkommen neue Klassen am selben Tag hatte<, antworte ich nur, denn ich bin immer lieber auf alles vorbereitet, als mich schnell zu entscheiden und den offenen Blick für das große Ganze zu verlieren. Es wäre auch unvernünftig nach ein oder zwei Schulstunden in einer Klasse behaupten zu wollen, man könnte sie einschätzen.
>Da ist was dran. Mit den Fußballern wirst du womöglich noch ein paar Schwierigkeiten haben, aber wenn man bei ihnen von Anfang an durchgreift, können sie sich benehmen.< Ich empfinde das nicht so, zumindest waren die beiden Stunden mit zwei der Fußballer in der C-Klasse ganz in Ordnung und in den anderen beiden Abschlussklassen waren zwar auch Sportler, aber niemand aus dem Fußballteam. Die anderen scheinen alle im elften Jahrgang zu sein, aber ich unterreichte in diesem Jahr nur Abschlussklassen. Vielleicht haben sie meine Regeln aber auch ruhiggestellt, wenigstens für diesen einen, ersten Tag. Das werde ich wohl spätestens morgen herausfinden. >Du solltest auch darauf achten, in der C-Klasse Penny von ihnen und Elaine fern zu halten, was die Sitzordnung angeht, falls du mal jemanden umsetzten willst. Da gibt es viel böses Blut.< Violet hat auf mich bisher einen vernünftigen Eindruck gemacht, obwohl sie am Anfang etwas abwesend gewirkt hat, da kann ich mir gut vorstellen, dass sie mit jemandem wie Penny nicht sehr gut auskommt. Ich glaube allgemein nicht, dass Penny an der Schule sonderlich viele Freunde hat, höchsten ein paar Mitläufer. Etwas, das ich aus meiner Schulzeit noch gut kenne.
>Warum nennst du sie bei ihrem zweiten Namen?< Sie hebt die Schultern, nippt an ihrem schwarzen Kaffee. Sie hat vorhin vier Würfel Zucker darin versenkt und hatte den fünften schon in der Hand, es sich dann aber noch Mal anders überlegt. Auf ihrem Tisch steht auch eine Dose mit Gummibärchen, demnach liebt sie wohl süßes, ist allerdings recht schmal. Vielleicht ist es auch nur Nervennahrung, obwohl sie ziemlich entspannt wirkt.
>Alle machen das so und für mich macht es keinen Unterschied. Es ist auch leichter. Wenn jeder sie Elaine nennt, fällt es irgendwann schwer, sie anders anzusprechen. Warum fragst du?< Kurz hebe ich die Schultern, lade ein paar Schnellhefter auf meinen Arm. Ich arbeite nicht gern in der Schule, darum werde ich alles mit nach Hause nehmen, was ich brauche. Obwohl das gelogen ist, schließlich habe ich noch nie hier gearbeitet, das ist mein erster Tag, aber ich will nach Hause. Da habe ich meine Ruhe und die Kartons erinnern mich dort daran, dass ich auch noch anderes zu tun habe. Obwohl ich natürlich meine Pflichten als Referendar zuerst erfüllen und nicht vernachlässigen werde.
>Es war im Unterricht kurz Thema<, weiche ich aus, denn bei ihrem zu interessierten Blick denke ich nicht, dass sie mir glauben würde, dass es reines Interesse war. Nach ihrem Stirnrunzeln zu Urteilen glaubt sie mir auch die Ausrede nicht, obwohl es die Wahrheit ist. >Wie wird es hier geregelt, wegen dem Sportunterricht und den Mädchen, wenn sie ihre Regel haben?< Ihre Wangen röten sich leicht, sie blinzelt überrascht. Das wollte ich wirklich noch in Erfahrung bringen und da ich morgen die ersten beiden Stunden Sportunterricht gebe, habe ich dazu nicht mehr viel Zeit. Nur wollte ich eigentlich etwas diskreter danach fragen und ohne sie mit dem Thema aus der Bahn zu werfen, aber es passt grade einfach gut. Außerdem wirkt es perfekt als Ablenkung.
>Die meisten machen immer mit. Ich kenne keinen Vorfall, wo es schon Mal ein Problem war, weil jemand zu oft nicht mitmachen wollte.< Das hat mir nicht unbedingt geholfen, aber vielleicht muss ich das auch nicht wissen. Solange keines der Mädchen jede Woche dieselbe Ausrede vorbringt, muss ich auch keine Lösung finden. Falls es doch zum Problem wird, kann ich sie auch später noch Mal danach fragen, denke ich.
>In Ordnung, danke.< Sie nickt nur knapp, wendet sich ab und ist offenbar froh, dass ich es dabei belasse. >Dann bis morgen<, verabschiede ich mich von ihr, sie nickt nur abwesend und dann verlasse ich das Lehrerzimmer.
Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, erklingen hohe Absätze im Flur, welche mich an die von Jennifer erinnern. Sie hat genau so einen schnellen, strengen Gang.
Ich denke nicht, dass sie es tatsächlich ist, trotzdem beeile ich mich das Gebäude zu verlassen, folge dem breiten Hauptflur bis zum Haupteingang und dann nach draußen. Hier kann ich die Schritte nicht mehr hören und meine Schultern entspannen sich etwas. Besser wird es vermutlich erst, wenn ich zu Hause bin und ich meinen üblichen Kräutertee in der Hand halte. Den brauche ich einfach, um nach einem langen Tag Ruhe zu finden.
Hier draußen ist es angenehm warm, eine leichte Brise streicht über den Pausenhof. Im Schulgebäude ist es ein wenig stickig, aber in den Klassenräumen geht es. Allerdings haben wir heute auch einige Male gelüftet, aber ich beschwere mich nicht, schließlich ist es heute nicht allzu warm. Bei dreißig Grad wäre der Unterricht unangenehmer, aber wir kommen aktuell nur auf fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig Grad.
Mit einer Hand umklammere ich die Ordner auf meinem Arm, mit der anderen suche ich meine hellbraune Ledertasche nach meinem Schlüsselbund ab. Er stört mich in der Jeans, darum habe ich ihn immer in meiner Tasche, aber ich finde ihn nicht. Meine Schritte werden langsamer, prüfend schüttle ich die Tasche ein wenig, aber das vertraute Klimpern ist nicht zu hören. Augenblicklich gehe ich den Tag noch einmal durch, überlege genau, wo ich ihn hingelegt haben könnte, doch jemand lenkt mich ab.
>Herr Lesharo!< Fragend sehe ich auf, finde Violet und Tristan. Er steht am Schultor, die Hände in den vorderen Taschen seiner Jeans vergraben. Sie kommt mit einem vorsichtigen Lächeln auf mich zu, hält einen Schlüsselbund hoch, welcher meinem sehr ähnlich sieht. >Einer der Jungs wollte sich einen Spaß machen, aber er hat ihn wieder rausgerückt<, erklärt sie, legt den Schlüsselbund in meine ausgestreckte Hand, sobald sie bei mir angekommen ist.
>Danke.< Nach kurzer Prüfung kann ich bestätigen, dass es tatsächlich meiner ist und noch alle Schlüssel da sind. Ich bezweifle allerdings, dass Violet ihn mir entwendet hat und sehe deshalb zu Tristan. Er kann nur hier sein, weil er sich diesen „Spaß" erlaubt hat. Er sieht zwar nicht so aus, als würde er Leute bestehlen, aber man soll Menschen bekanntlich nicht nach ihrem Aussehen beurteilen.
>Er war es nicht<, lenkt sie mich ab, ich sehe wieder zu ihr herunter, in ihre hellen, grünen Augen. Sie ist ein ganzes Stück kleiner als ich, so wie die meisten Mädchen in ihrem Alter, doch jetzt, wo sie so dicht vor mir steht, muss ich zugeben, dass sie auch ziemlich hübsch ist. Dabei finde ich eigentlich nicht mehr sonderlich viel an Frauen in ihrem Alter.
Neben ihren schönen Augen hat sie weiche Gesichtszüge und ihre Lippen immer zu einem sanften Lächeln verzogen, wodurch sie ehrlich und unschuldig wirkt, was auch ihr Verhalten vermuten lässt. Sie gestikuliert fieberhaft mit ihren Händen, sucht offenbar nach Worten und wenn ich etwas jünger wäre, würde ich das süß finden, glaube ich. >Tristan ist nicht so, wirklich. Er hat es nur bemerkt und den Schlüssel zurückgefordert. Es hat mir nicht gesagt, wer es war. Er verrät seine Freunde nicht, aber genau so wenig unterstützt er so ein Verhalten.< Der logisch denkende Teil in mir will ihr nicht glauben. Mit Sicherheit hätte er dann den Schlüssel selbst zurückgegeben und sich ein paar Pluspunkte erhofft. Aber mein Gefühl sagt mir, dass sie ihm glaubt und die Wahrheit sagt. Sie kennt ihn mit Sicherheit länger und besser als ich.
>Dann danke ich euch beiden. Richtest du ihm das aus?< Sie nickt knapp, wendet sich halb ab.
>Dann bis morgen und schönen Feierabend<, wünscht sie mir, dabei weiß sie gar nicht, wie viel Arbeit zu Hause auf mich wartet. Neben den Ordnern auf meinem Arm sind da schließlich auch noch die ganzen Kartons in meinem neuen Wohnzimmer.
>Bis Morgen<, erwidere ich schlicht, steuere den Lehrerparkplatz an. Misstrauisch zu sein gehört zu mir, seit ich denken kann, deshalb gehe ich noch einmal jeden Schlüssel an dem Bund durch. Es sind alle da, keiner ist beschädigt.
Mein Blick huscht auch noch Mal zu Violet und Tristan. Sie ist bei ihm angekommen, er legt eine Hand auf ihren Kopf, bringt ihre schlichte, dunkelblonde Frisur durcheinander und sie schlägt seinen Arm weg. Trotzdem lacht sie, ist gelassen und auch er grinst. Die beiden wirken sehr vertraut miteinander, kennen sich also tatsächlich sehr gut und ich glaube nicht, dass sie mich angelogen hat, um ihn in Schutz zu nehmen.
>Hör auf darüber nachzudenken, sonst hörst du nicht mehr auf damit<, murmle ich vor mich hin, biege auf meine Parkbucht zu und stelle meine Sachen wieder auf den Beifahrersitz. Dann umrunde ich es, finde dabei einen kleinen Zettel unter dem Scheibenwischer, falte ihn auf. Die Handschrift stammt eindeutig von einer Frau, es ist nur eine Handynummer, mehr nicht.
Seufzend schüttle ich den Kopf, zerknülle den Zettel und stecke ihn ein, weil der nächste Mülleimer zu weit weg ist und zu Hause kann ich ihn genauso gut entsorgen. Danach steige ich ein, um endlich nach Hause zu fahren.
Mein erster Tag heute war großartig. Ich bin nicht perfektionistisch, darum werde ich mich nicht über das Verhalten von Penny beschweren oder mir unnötig viele Gedanken wegen der Sache mit meinem Schlüsselbund machen. Die drei Klassen, welche ich unterrichte, scheinen alle im Großen und Ganzen so sein, wie ich erwartet habe. Es gibt einige sehr motivierte Schüler und ein paar Einzelgänger, die nur ihre Zeit absitzen, aber die meisten machen gut mit. Es dürfte alles schon recht gut laufen, wenn ich mich lediglich auf das Mittelmaß konzentriere, ohne groß auf die Einzelgänger einzugehen. Zwar werden am Ende alle dieselben Prüfungen schreiben, aber Schüler müssen es von sich aus wollen. Ich kann sie nicht zwingen zu lernen oder sich auf den Unterricht zu konzentrieren, wenn sie das nicht wollen. Natürlich werde ich sie unterstützen und diejenigen, die sich leicht ablenken lassen, etwas mehr in den Unterricht einbeziehen, aber mehr auch nicht.
Neben meinem neuen Haus steht ein Carport, wo ich mein Auto unterstellen kann, ehe ich aussteige und meine Sachen vom Beifahrersitz hole. Der Stapel ist auf der Fahrt ein wenig verrutscht, aber das macht nichts.
>Lesharo?< Fragend sehe ich mich um, finde einen Postboten auf mich zukommen, darum nicke ich knapp.
>Das bin wohl ich.< Er lächelt freundlich, drückt mir drei Briefe in die Hand.
>Die sind für Sie. Einen schönen Tag noch<, wünscht er mir und ich wünsche ihm dasselbe, werfe einen kurzen Blick auf die Absender, bevor ich nach drinnen gehe. Es sind zwei Werbungen und eine Rechnung, deshalb laden erst einmal alle Briefe auf der Kommode neben der Haustür. Darum kann ich mich später in Ruhe kümmern, jetzt brauche ich erst einmal etwas zu Essen und eine Tasse Tee, damit ich mich auf die Unterrichtsvorbereitung für morgen konzentrieren kann. Wobei schon ersteres schwierig wird, wenn ich mir den kaum vorhandenen Inhalt meines Kühlschranks so ansehe.
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