3. Kapitel - Violet

Violet Elaine Craig

Ich bin müde und das irgendwie schon den ganzen Tag, aber jetzt gerade wird es noch schlimmer. Die ersten drei Stunden waren wirklich nicht lustig und jetzt kommt auch noch Mathe dran. Der neue Referendar ist wohl da und in zwei Minuten ist die Pause um. Dann habe ich keine Zeit mehr, mich von Spanisch zu erholen.

Ich mag die Sprache nicht, aber Französisch ist viel schlimmer, darum habe ich sie gewählt. Genau wie Luca. Bisher hat er mir also beigestanden, aber die nächsten drei Stunden bin ich allein. Er hat sich in der Pause mit jemandem angelegt, sich dabei verletzt und ist nach Hause gegangen. Ich verstehe immer noch nicht, warum er sich so leicht hat provozieren lassen. Normalerweise ist er nicht so impulsiv. Genau genommen ist er sogar einer der eher ruhigen im Fußballteam. Mit anderen Leuten kann ich ihn nicht wirklich vergleichen, weil ich außerhalb dieses Teams eigentlich nur mit Tina befreundet bin, aber ich denke, dass er auch im Vergleich zu den anderen in unserem Jahrgang einer der entspannten und besonnenen Kerle ist.

>Guten Morgen<, begrüßt uns eine tiefe, unbekannte Stimme, welche wohl unserem neuen Referendar gehört. Kraftlos lasse ich meinen Kopf auf dem Tisch liegen, suche die Motivation, mich wieder richtig hinzusetzten. Aber es ist eben Mathe. Ganz egal, was er uns heute beibringen will, ich werde es nicht verstehen und mir den Kopf nach der Schule über das neue Thema zerbrechen, um wenigstens ein bisschen was zu lernen. >Mein Name ist Ash Lesharo, ich mache mein Referendariat für Mathematik und Sport hier. Wir verzichten auf eine Vorstellungsrunde, ihr nennt in der ersten Woche eure Namen, wenn ich euch aufrufe<, erklärt er weiter und mir fallen die Augen wieder zu. Solange er nur solche Sachen erzählt, kann ich immerhin einfach nur liegen bleiben. Wobei ich durchaus aufpassen muss, dass ich nicht einnicke. Das wäre gar nicht gut. >Ja?<, will er wissen und ich frage mich schon fast, wer dazu etwas sagen könnte, da höre ich ihre ätzende Stimme.

>Ich bin Penny<, stellt sie sich vor und klingt widerlich schleimig. Das bringt mich sogar dazu aufzusehen, sie zu fixieren und mit meinen Blicken zu töten, damit sie aufhört zu reden. Ich bekomme ihre Stimme sowieso schon viel zu oft zu hören. >Geben Sie auch Nachhilfe? Ich bin nicht sonderlich gut in Mathematik<, meint sie, obwohl sie meistens besser abschneidet als ich. Was zugegeben nicht sehr schwierig ist, aber es gibt einige andere Kandidaten, denen Nachhilfe weitaus mehr bringen würde.

>Ich bin von der Lehrervertretung gebeten worden donnerstags Nachhilfe zu geben, du kannst in der siebten und achten Stunde dazu kommen<, bietet er ihr freundlich an, was nun meine Aufmerksamkeit auf ihn lenkt.

Ich habe einen schmächtigen, pickligen Brillenträger erwartet, aber er ist das genaue Gegenteil. Normalerweise bin ich nicht so schnell mit Vorurteilen, aber die letzten beiden Referendare waren so. Dieser Herr Lesharo allerdings ist vollkommen falsch hier. Als Fitnesstrainer oder Model wäre er viel besser aufgehoben.

Als unser Referendar muss er nach meiner Rechnung mindestens sechsundzwanzig oder etwas älter sein und so alt würde ich ihn auch schätzen. Wobei das aber auch nicht so leicht ist, weil er ziemlich gut aussieht und das macht es mir immer schwer, jemandes Alter zu schätzen.

Aber zumindest weiß ich jetzt, warum sich Penny sofort bemerkbar machen musste. Sie wäre sogar dumm genug etwas mit einem Referendar oder Lehrer anzufangen, wenn er nur heiß genug ist. Selbst ich muss zugeben, dass er etwas für sich hat, obwohl ich Männer in meinem Alter bevorzuge.

Er trägt seine dunklen, schwarzen Haare kurz, hat helle Augen, welche sehr gut zu seinem blauen Shirt passen und dazu ein markantes, durchaus attraktives Gesicht. Somit ist er vermutlich das Beste, was ihr seit langem unter die Augen gekommen ist. Zumindest sagt mir das ihr kläglicher Versuch sexy auszusehen, den sie immer dann startet, wenn er nur ungefähr in ihre Richtung sieht.

Ich habe nicht zugehört, wie es dann mit dem Gespräch weitergegangen ist, aber er hat nun ein kleines Buch in der Hand, notiert sich etwas.

>Noch jemand?<, will er wissen sieht in die Runde und ich beiße mir auf die Lippe. Vielleicht hätte ich doch aufpassen sollen. >Wenn ihr euch noch eintragen lassen wollt, meldet euch einfach bei mir. Ab fünf Leuten findet der Nachhilfeunterricht statt<, sagt er und mein Arm schnellt hoch. Es ist mir egal, dass Penny auch da sein wird. Ich will mein Abi bestehen und nicht nur beten, dass ich die Mindestpunktzahl erreiche. Mit etwas Glück kann ich sie auch ausblenden. Obwohl, eher nicht. >Dein Name?<, will er wissen, sieht mich an und ich muss schlucken. Er hat grüne oder blaue Augen, das kann ich von hier aus nicht sehen, aber sein Blick ist wachsam und irgendwie fühle ich mich jetzt schlecht, weil ich ihm nicht zugehört habe. Er hat garantiert mitbekommen, dass ich im Halbschlaf war.

>Elaine.< Er senkt den Blick auf sein Notizbuch, mein Herz setzt aus. >Entschuldigen Sie, ich heiße Violet. Also Violet Elaine, meine Freunde nennen mich nur immer Elaine, deshalb-< Er lächelt beruhigend und ich entscheide, dass ich einfach aufhören sollte zu reden. Es ist schon peinlich genug. Wenn ich meinen Mund nicht schließe, wird es nur schlimmer.

>Ich habe die Namensliste der Klasse schon ein paar Tage, demnach kann ich das zuordnen. Aber danke für den Hinweis.< Er schreibt weiter und ich wende den Blick ab. Gleich am ersten Tag habe ich mich bei ihm blamiert und Penny schießt Feuerbälle mit ihren Augen auf mich. Das kann sie ruhig machen, ich komme ihr mit Sicherheit nicht in die Quere, aber er soll mich auch nicht für einen totalen Versager halten oder jemanden wie Penny. Das muss einfach nicht sein. >Dann sind wir schon vier, bis Donnerstag sollten wir genug zusammen haben. Ich teile euch in den nächsten Tagen mit, wo der Unterricht stattfinden wird<, redet er weiter, als wäre nichts gewesen und ich versuche mich einfach mitziehen zu lassen. Weiter darüber zu grüben würde auch niemandem helfen. >Da wir morgen die ersten beiden Stunden Sport haben, sage ich euch gleich, dass ich Arbeitsblätter für jeden habe, der ohne Attest nicht mitmacht. Da gibt es auch keine Ausnahmen.< 

Das bedeutet dann wohl, dass Luca morgen mitmachen oder zum Arzt gehen muss. Von unseren Schulsanitätern hat er mit Sicherheit keines bekommen und ich weiß nicht, ob er mit der verletzten Hand morgen Sport machen kann. So blau wie es geworden ist, denke ich aber nicht, dass er mitmachen kann. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat er sich geprügelt, einige Schläge ausgeteilt, aber auch ein paar einstecken müssen. Dabei muss er seinen Gegner ungünstig getroffen haben und ich schätze Mal, er hat sich das Handgelenk verstaucht. Einer der Gründe, warum ich Prügeleien nicht verstehen kann. Man kann doch über alles reden, sich anschreien oder sich mit Sport abreagieren. Es gibt so viele Wege, aber Jungs in meinem Alter prügeln sich ständig und dann meistens auch noch wegen Kleinigkeiten. >Zurück zum Thema. Die Klausuren stehen fest, die Termine nenne ich euch. Wenn mir auffällt, dass ihr nicht aufpasst oder die Hausaufgaben nicht abgegeben werden, rechnet mit einer Kurzarbeit. Wer im Unterricht redet, wird ein Mal ermahnt, beim zweiten Mal dürft ihr den Klassenraum verlassen und euch eine spannendere Beschäftigung suchen.< 

Das klingt nicht so toll. Luca und ich Reden nicht viel im Unterricht, aber es kommt vor. Obwohl mir das besonders in Mathe vermutlich ganz gut tun wird. Ein bisschen Disziplin schadet niemandem und spart mir auch die Stunden nach dem Unterricht am Mathebuch, die meistens ohnehin nichts bringen. Oder zumindest nicht sonderlich viel. >Und ich möchte dich bitten, Penny, zieh dein Shirt normal an oder verlasse den Raum. Ich lasse dir die Wahl, aber ich möchte mir das nicht noch ein ganzes Jahr lang antun.< Oh mein Gott. Ich muss die Hand auf meinen Mund pressen, um nicht laut los zu lachen. Ich kann gar nicht glauben, dass er das tatsächlich vor allen laut gesagt hat. Nach ihrem Gesichtsausdruck und den unterdrückten Lachern um uns herum zu urteilen, hat er es allerdings tatsächlich getan. 

Es wurde durchaus mal Zeit, dass ihr das jemand sagt, aber es hätte wohl niemand damit gerechnet, dass unser Referendar das in seiner ersten Stunde bei uns übernehmen würde. >Wo wir schon dabei sind, haltet euch bitte auch im Sportunterricht bei mir an die Kleiderordnung. Damit meine ich nicht nur die Mädchen<, erklärt er trocken weiter, als wäre nichts gewesen, sieht nun zu den Jungs. Vermutlich geht es hauptsächlich darum, dass er die üblichen, oberkörperfreien Muskelwettbewerbe vermeiden will. Er scheint demnach ein erfahrener Referendar zu sein oder seine Schulzeit ist noch nicht allzu lange her. Da er erst Mitte zwanzig sein dürfte, versteht und kennt er uns vermutlich besser, als die ganzen älteren Lehrer. >Violet.< Die Überreste meines Lachens verschwinden Augenblicklich. Irgendwie fühle ich mich ertappt, obwohl ich nichts getan habe. Außer vielleicht in Schadenfreude zu baden.

>Ja?< Er sieht nicht wütend aus, eher neutral mit einem ganz dezenten, vielleicht sogar neckenden Lächeln, das mein Herz schneller schlagen lässt. Aus Angst vor einer Ermahnung, vermute ich.

>Da du die Klassensprecherin bist, übernimm bitte die Anwesenheitskontrolle für heute, solange ich die Mathebücher und Arbeitsblätter verteile<, bittet er mich, hält das Klassenbuch in der Hand. Schnell schlucke ich meine unnötige Nervosität herunter, stehe auf und durchquere die Klasse, um das Buch und damit meine Aufgabe entgegenzunehmen.

Er lässt es nicht gleich los und unsere Blicke begegnen sich, einen winzigen Moment lang bin ich von dem Blick seiner blauen Augen gefesselt, doch dann wendet er sich wieder ab. Für ein paar Sekunden bin ich verwirrt, weil mich das aus irgendeinem Grund aus dem Konzept gebracht hat, aber dann habe ich mich schon wieder gefasst und bin auf dem Weg zurück zu meinem Platz.

Um meiner Verwirrung entgegenzuwirken, vielleicht sogar eine Antwort darauf zu finden, was gerade mit mir los war, sehe ich noch einmal nach vorn, mustere Herrn Lesharo kurz, aber er verhält sich ganz normal. Wahrscheinlich habe ich mir da nur etwas eingebildet. 

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