23. Kapitel - Violet
Violet Elaine Craig
Ich bin ein wenig eingerostet, aber die wenigsten Mädchen aus meiner Klasse schwimmen sonderlich viel, deshalb weiß ich, dass ich die Schnellste bin. Bis ich mit Luca zusammengekommen bin, war ich fast jeden Tag mit Tristan hier, weil er findet, dass ihm das Schwimmen beim Fußball hilft, wegen dem Muskelaufbau. Entweder das oder er hat einfach einen Vorwand gesucht, mit mir hier her zu kommen. So oder so bin ich mir recht sicher, dass er immer noch herkommt und demnach der schnellste von den Jungs ist. Zugegeben habe ich zwar das Schwimmen vernachlässigt, aber ich war viel Joggen in den letzten Monaten, meine Ausdauer hat also nicht gelitten. Luca war da manchmal ein ganz schöner Sklaventreiber, aber es hat mir gutgetan, darum kann ich mich nicht beschweren.
>Ich gewinne sowieso<, meint Tristan neben mir, was mich freut. Er hat mich angeschwiegen, seitdem wir hier sind, deshalb ist das ein großer Fortschritt. Ehrlichgesagt kommt er mir damit sogar mehr entgegen, als ich erwartet habe.
>Sei dir da mal nicht so sicher.< Jetzt, wo Luca und ich getrennt sind, meine Abende demnach lang und ohne Beschäftigung, komme ich vielleicht wieder mit Tristan her. Auch, wenn mir das Joggen gefällt, schwimmen macht mir mehr Spaß. Aber darüber rede ich wann anders mit ihm. Jetzt wäre es noch zu früh.
>Ich habe die letzten sechs Monate trainiert, fünf Mal die Woche, damit ich dich heute schlagen kann<, erklärt er mir und verkneift sich ganz offensichtlich ein Lächeln.
>Ich weiß von mindestens einem Abend, an dem du nicht hier warst.< Fragend hebt er eine Braue, mustert mich.
>Wir haben letzte Woche die Spanischaufgaben zusammen gemacht, da ist es ziemlich spät geworden. Das Freibad hat nicht ewig offen.< Er rollt die Augen, steigt auf den Startblock ganz außen. Er hat die Bahn am Beckenrand, ich schwimme auf der Bahn neben ihm.
>Dann gebe ich mir eben ein bisschen Mühe.< Mit einem Lächeln steige ich nun auch auf meinen Startblock, binde meine Haare neu zusammen. Dabei fällt mein Blick auf Herr Lesharo, der uns beide genau beobachtet.
Auch mir ist es heute schwergefallen, ihn nicht anzusehen. Penny schmachtet ihn die ganze Zeit an und auch die anderen sehen oft zu ihm, aber das ist verständlich. Er sieht eben ziemlich gut aus, hat neben dem hübschen Gesicht auch noch einen leicht gebräunten, trainierten Körper und in den Badeshorts macht er eine wirklich gute Figur. Es ist ein bisschen unfair, dass wir Badeanzüge tragen müssen und er hier Oberkörperfrei herumlaufen darf.
>Seid ihr soweit?<, holt mich seine Stimme aus meinen Gedanken und ich ermahne mich, wieder auf das Wasser unter uns zu achten. Es ist sowieso keine gute Idee, länger als absolut nötig über ihn nachzudenken. Ich erwische mich auch so schon oft genug dabei, wie ich überlege, wann und wo wir uns wieder begegnen, oder wann wir bei ihm einen weiteren, entspannten Tag mit Emil haben. Das Wochenende war wirklich schön, aber das lag nur an Emil, nicht an Ash. Ich meine natürlich Herr Lesharo.
Tristan zeigt ihm einfach einen Daumen nach oben, dann gehen wir beide in Position.
>Ich mache dich fertig<, meint er überzeugt, aber ich weiß, dass er mich nur ablenken will, darum achte ich nicht auf ihn, warte auf die Stimme von Herr Lesharo. Wobei auch das mich ein wenig ablenkt, aber ich kann die Augen kurz schließen und mich sammeln. Das hilft zumindest ein bisschen.
>Drei... zwei... eins... los!<, ruft er, dann sind wir schon im Wasser und ich liebe das Gefühl, wenn das kühle Nass über meine Haut streift.
Tristan ist weiter gesprungen als ich, aber das macht er immer. Meine Stärke ist das Tauchen danach und das Wenden, am Ende der Bahn. Weil ich das schon weiß, beeile ich mich, spare aber auch etwas von meiner Kraft. Wir sind alle schon ziemlich viel geschwommen und langsam bin ich müde, die Muskeln um meine Schultern herum schmerzen ein bisschen, aber ihm geht es mit Sicherheit nicht anders.
Wie erwartet bin ich nur ganz kurz nach ihm am Ende der Bahn, meine Wende klappt besser, unter Wasser kann ich ihn gut einholen, aber dann verkrampft sich meine Wade. Schnell will ich an die Oberfläche, atmen, aber mit nur einem Bein ist das nicht so leicht, denn ich bin beim Tauchen zu tief gegangen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mich einfach nach unten sinken lassen und von da nach oben stoßen, aber ich habe kaum noch Luft übrig. Und genau deshalb schnürt sich meine Brust zusammen und allein die Angst hindert mich daran, eine sinnvolle Lösung zu finden.
Plötzlich legt sich von hinten ein Arm um meine Taille, jemand drückt mich an seine Brust, zieht mich nach oben. In weniger als zwei Sekunden sind wir wieder an der Wasseroberfläche und ich ringe erleichtert nach Luft, umklammere mit einer Hand meine Wade, mit der anderen den Arm meines Retters. Sie tut höllisch weh, aber immerhin hält er mich gut fest und ich muss sie nicht bewegen. So geht der Krampf sicher schnell vorbei und ich kann in Ruhe wieder zu Atem kommen, mein Herz beruhigen.
>Alles in Ordnung, Violet?< Mir wird ganz heiß, als ich die raue Stimme von Herr Lesharo dicht an meinem Ohr höre. Offenbar hat er mich gerettet und das ändert alles. Ich dachte es ist Tristan oder eben irgendjemand, aber es ist seine warme Brust, welche sich an meinen Rücken presst und sein Arm, dessen Wärme durch meinen dünnen Badeanzug dringt und an den ich mich gerade klammere. Mein Lehrer, der viel zu gut aussieht, viel zu nett ist und einfach alles in mir durcheinanderbringt. Durch all das Chaos fühle ich mich beinahe nackt und das stellt eine Menge, merkwürdiger Dinge mit mir an.
>Ähm, ja. Ich habe einen Krampf in der Wade.< Meine Stimme klingt komisch, aber das ist gerade nicht so wichtig. Wichter ist es, dass ich meine Gefühle wieder in den Griff bekomme und mein Bauch aufhört so zu flattern.
>Zum Glück bin ich die Runde mitgelaufen<, sagt er leise, bringt mich zurück an den Beckenrand, damit ich mich dort festhalten kann. Dabei hält er mich noch etwas fester und mein Rücken verglüht gleich an seiner Brust, wenn ich mich nicht langsam wieder in den Griff bekomme.
>Hey, alles klar?< Tristan ist wohl aus dem Becken gestiegen und zurückgelaufen, mustert mich besorgt.
>Nur ein Krampf.< Er reicht mir eine Hand, will mir raushelfen, aber ich will hierbleiben. Herr Lesharo lässt mich los, sobald ich mich am Beckenrand festklammere, hebt sich aus dem Becken und ich versuche fieberhaft, nicht hin zu sehen. Wie seine Muskeln dabei spielen, seine nasse Haut in der Sonne schimmert, das alles sollte ich gar nicht beachten. Habe ich auch noch nie gemacht, glaube ich. Aber er sorgt ständig dafür, dass ich Dinge mache, die eigentlich überhaupt nicht zu mir passen.
>Ich möchte noch kurz im Wasser bleiben<, erkläre ich Tristan, der noch immer seine Hand vor mein Gesicht hält. Das Wasser ist nämlich kühl und hilft mir hoffentlich dabei, meinen Puls zu beruhigen.
>Paula, du kannst den anderen sagen, dass sie sich in der letzten, halben Stunde hier selbst beschäftigen können. Bis viertel nach Zehn sollen aber alle draußen sein<, erklärt Herr Lesharo Paula, wischt sich dabei das Wasser aus dem Gesicht, dann fährt er sich durch seine kurzen, schwarzen Haare. Der Anblick lässt mich schwer schlucken, darum beschließe ich einfach, meine Augen zu schließen und tief durchzuatmen. Ich muss wirklich aufhören, ihn so anzustarren.
Paula löst ihren besorgten Blick von mir und geht davon, um den anderen Bescheid zu sagen. >Geht es dir besser?<, will er dann von mir wissen und ich bin versucht den Kopf zu schütteln. Wenn er mich so ansieht, mit seinen besorgten, blauen Augen, ist gar nichts in Ordnung und das macht alles nur schlimmer. Diese Gefühle sind falsch und auch ganz bestimmt nur eine Schwärmerei. Weil er eben nett ist und mich gerettet hat. In ein paar Tagen verflüchtigt sich das.
>Ja, der Krampf ist fast wieder weg.< Er bekommt sogar ein schwaches Lächeln von mir, dann wendet er sich an Tristan.
>Sei so gut, bleib bei ihr, solange sie im Wasser ist.< Tristan nickt, dann wendet sich Herr Lesharo ab und ich verfluche mich, weil ich sogar seinen Rücken attraktiv finde, drücke mich kurz unter Wasser. Ich muss endlich meinen Kopf wieder abkühlen und aufhören, solche Gedanken zu haben. So schlimm war ich noch nicht einmal in meiner besonders verknallten Phase mit Luca.
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Tristan ist einfach ein Engel. Er ist die ganze Zeit bei mir geblieben, obwohl er bestimmt noch sauer auf mich ist, hat auf jede Kleinigkeit geachtet. Sobald ich mich aus dem Wasser raus getraut habe, hat er mir mein Handtusch geholt und mich praktisch gezwungen, auf dem nächsten Stuhl zu sitzen, ohne einen Finger krumm zu machen. Dann hat er unsere Sachen zu diesem Stuhl gebracht und sich eine halbe Stunde lang mit mir unterhalten, obwohl ihm nicht danach war. Ich habe das gemerkt, weil wir uns wirklich schon lange und sehr gut kennen, aber er hat sich viel Mühe damit gegeben, es zu überspielen.
>Du bist heute ganz schön weggetreten<, bemerkt er, mustert mich nachdenklich. Er begleitet mich gerade zu den Duschräumen für die Damen, weil er nicht zulassen will, dass ich meine Sachen selbst trage. Selbstverständlich habe ich mich dagegen gewehrt, aber er hat so oft darauf bestanden meine Sachen zu tragen, dass ich ihn einfach irgendwann gelassen habe.
>Mir geht nur viel durch den Kopf.< Das ist nicht einmal gelogen. Allerdings denkt er, dass es nur um den Embryo geht, dabei habe ich heute fast gar nicht an ihn gedacht. Es geht immer nur um meinen verdammten Lehrer, den ich nicht aus meinem Kopf bekomme. Schon gar nicht, seitdem er mich an sich gedrückt hat, um mich zu retten.
>Das wird vermutlich auch noch eine Weile so sein<, murmelt er, sieht sich noch einmal um, bevor er seine Stimme senkt. >Luca will sich mit mir aussprechen.< Mit großen Augen starre ich meinen besten Freund an, versuche zu verstehen, was er da eben gesagt hat.
>Was?< Luca hat so etwas noch nie gemacht. Wirklich nicht. Solange ich mich erinnern kann, hat er schon jede Menge Streit angefangen, aber er hat noch nie versucht sich zu versöhnen oder auszusprechen. Mal abgesehen von kleinen Zankereien mit mir, wobei ich da auch meisten auf ihn zugegangen bin und nicht umgekehrt.
>Nach der Sache mit dem Bild gestern kann er das erst Mal vergessen, aber das macht mich durchaus neugierig<, meint er und da kann ich ihn zu einhundert Prozent verstehen.
>Du musst mir dann auf jeden Fall sagen, wie es war.< Er grinst breit und nickt knapp, dann biegen wir zu den Schließfächern ab.
>Jedes noch so kleine Detail. Im Gegenzug will ich von dir wissen, ob er sich auch mit dir aussprechen will und wie das dann lief.< Es war irgendwie klar, dass er nicht fragt, sondern einfach davon ausgeht, dass ich das will. Leider muss ich zugeben, dass er Recht hat. Ich will die Sache zwischen Luca und mir klären. Es ist vorbei und so wird es bleiben, aber es gibt noch Unklarheiten, finde ich. Vielleicht hilft es mir auch einfach ein bisschen voranzukommen, wenn ich mit ihm reden und abschließen kann.
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