21. Kapitel - Violet
Violet Elaine Craig
Das ist so unglaublich merkwürdig. Ich spüre seine Blicke auf mir, wie schon das ganze Wochenende über und es fühlt sich gut an. Zu wissen, dass er sich für mich interessiert, gibt mir ein so gutes Gefühl, dass ich ständig lächeln muss. Daran erkenne ich, dass ich mich durchaus auch für ihn interessiere und genau deshalb war es das einzig Richtige, es zu unterbinden.
Herr Lesharo ist mein Referendar, ich bin seine Schülerin. Das geht nicht.
Was er an mir findet, weiß ich nicht und ich halte mich auch nicht für naiv, aber ich bin nicht blind. Er verhält sich einfach nicht wie ein einfacher Lehrer oder Bekannter. Er ist zu nett, zu umsichtig und rücksichtsvoll. Ich dagegen bin ihm wahrscheinlich nur für seine Hilfe dankbar oder es sind meine Hormone wegen der Schwangerschaft und meine Gefühle fahren einfach nur deswegen Karussell. Einen anderen Grund gibt es ganz bestimmt nicht. Das wird sich wieder legen, wenn wir Abstand halten und das dürfte nicht allzu schwer sein.
>Hey Elly.< Mit einem unterdrückten Gähnen sehe ich zu Tristan auf, welcher soeben die Klasse betreten hat. Es ist die letzte Stunde für heute, dann kann ich endlich nach Hause und ein Mittagschläfchen machen. Ich bin vollkommen erledigt von dem langen Wochenende. >Du siehst müde aus.<
>Bin ich auch<, gebe ich zu, spiele mit einem meiner Stifte.
>Wer ist denn Emil?<, will er wissen, hat den Blick auf meinen Block gerichtet. Ich hatte in der letzten Pause Langeweile und habe den Namen in verschiedenen Blautönen gemalt. Es ist ganz hübsch geworden, finde ich. Vielleicht schenke ich es ihm, wenn ich ihn wiedersehe. Kinder freuen sich über solche Dinge und wegwerfen will ich es nicht.
>Ein ganz bezaubernder Kerl, den ich am Freitag kennengelernt habe<, will ich ihn aufziehen, doch so geschockt wie er aussieht, glaubt er mir das sogar. >Ganz ruhig, Emil ist vier. Ich war Babysitten am Wochenende.< Er wirkt erleichtert, sieht mich strafend an. Mir ist nicht danach ihm zu sagen, dass Emil der Neffe von Herr Lesharo ist und ich finde auch nicht, dass ich das dazusagen muss.
>Dass du mich immer so schocken musst<, beschwert er sich, legt sich eine Hand über das Herz. >Gemeinheit.<
>Holzkopf.< Ich sage das möglichst neutral, kann mir dann aber ein Lächeln nicht verkneifen. Er legt den Kopf schief, zieht eine Braue nach oben.
>Gib mir mal einen neuen Namen<, fordert er, doch ich denke gar nicht daran. So nenne ich ihn schon immer und das wird auch so bleiben.
>Nein, Holzkopf passt perfekt zu dir.< Er rollt die Augen, murmelt etwas vor sich hin, dann betritt Luca die Klasse und mir vergeht die Laune. Ihn hätte ich heute wirklich nicht mehr gebraucht. Oder am besten den ganzen Monat nicht mehr. Wegen dem Baby habe ich das ganze Wochenende immer Mal wieder über ihn nachgedacht, was sich natürlich nicht vermeiden lässt. Nur wenn ich ihn jetzt wieder sehe, kommen noch die ganzen Erinnerungen an unsere Trennung dazu.
Zum Glück beachtet er mich gar nicht, setzt sich auch nicht neben mich, sondern zu Sam. Was mir natürlich nur recht ist.
>Guten Morgen<, grüßt uns Herr Lesharo, was Tristan und mich einen verwirrten Blick wechseln lässt. Wir hatten zwar eben eine Stunde Mathe bei ihm, aber jetzt wäre eigentlich Englisch dran. Frau Fiegler ist krank, deswegen hatten wir schon eine Vertretung in Politik und Spanisch heute Morgen. Es ist schon ziemlich ungewöhnlich ist, dass gleich zwei Lehrer am selben Tag ausfallen, zumal Referendare normalerweise nur Vertretungen in ihren eigenen Fächern machen. Zumindest kenne ich es nur so. >Es gibt leider keine passende Vertretung für die beiden Englischstunden. Ich kann euch nur anbieten, diese Stunde Englisch oder Spanisch mit euch zu machen. Allerdings hat Frau Jung mir nur eine Seite mit Vokabeln für Englisch genannt, die ich euch aufgeben soll. Ihr könnt euch also aussuchen, ob ihr hier lernen wollte oder nach Hause geht.< Grade Spanisch wäre wichtig gewesen und Englisch schadet mir auch nicht, aber wenn kein Lehrer dafür da ist, kann ich auch nach Hause gehen. In Englisch habe ich keine großartigen Probleme. >Mein Spanisch ist nicht das Beste, aber wenn ihr Fragen habt, kann ich euch sicher weiterhelfen<, bietet er an, sieht sich um, aber es packen eigentlich alle ihre Sachen. Nur ich nicht. Natürlich will ich es meiden, länger in seiner Nähe zu sein und wenn Tristan nicht mit mir bleibt, gehe ich auch, aber Spanisch ist wichtig. Eigentlich kann ich es mir nicht erlauben die Stunde ausfallen zu lassen. Herr Lesharo kann gut erklären und beherrscht die Sprache bestimmt auch besser als ich. Zumal ich zu Hause ganz bestimmt nicht lernen werde. >Seite zweihundertvierzig sollt ihr bis zur nächsten Stunde lernen<, versucht er sich Gehör zu verschaffen, doch kaum jemand schenkt ihm seine Aufmerksamkeit. Abgesehen von mir natürlich, weil ich komisch bin und ihn schon wieder anstarre.
>Gehen wir?<, will Tristan wissen, doch ich schüttle den Kopf, kann endlich den Blick von meinem gutaussehenden Referendar lösen.
>Ich werde zu Hause nichts machen, wenn ich jetzt nicht bleibe.< Er wirkt unzufrieden, bleibt aber ebenfalls sitzen. Womit dann nur noch wir zwei und Penny da sind, was irgendwie nicht verwunderlich ist.
>Ich habe eine Menge Fragen<, verkündet diese und Herr Lesharo wirkt überhaupt nicht glücklich darüber. Tristan zieht eine Grimasse, holt sein Buch hervor und auch ich schlage meines auf. Dabei weiß ich gar nicht, wie und wo ich anfangen soll, betrachte darum Penny in ihren zu hohen Schuhen. Sie trägt wie immer enge und zu kurze Sachen, stolziert auf Herr Lesharo zu und ich wünsche mir unwillkürlich, dass ihr Absatz abbricht und sie sich auf den Hintern setzt.
>Tut mir leid, da kann ich dir nicht weiterhelfen<, erklärt er sofort, als sie ihm eine Buchseite hinhält. Ich bin mir irgendwie sicher, dass er sie anlügt, aber ich weiß nicht, woran ich das erkenne.
>Aber-< Nach dem Ton zu urteilen ist es das Handy von Herr Lesharo, welches sie davon abhält weiter zu reden und er scheint auch nichts gegen die Unterbrechung zu haben.
>June, ich bin im Unterricht<, hebt er ab und ich bin neugierig. Vielleicht braucht sie wieder einen Babysitter und ich hätte durchaus Lust, Emil wieder zu sehen. Auch wenn wir schon das ganze Wochenende zusammen verbracht haben, von dem kleinen Sonnenschein bekomme ich einfach nicht genug. Obwohl da natürlich das Problem mit Herrn Lesharo ist. Babysitten sollte ich aber auch bei June können oder Emil kommt zu mir nach Hause. >Ich schreibe dir deswegen, bis dann<, verabschiedet er sich schon, dann legt er auf und Penny will etwas sagen, doch er richtet sich an mich.
Er hat eine gewisse Distanz in seinen blauen Augen, aber ich habe in der letzten Stunde durchaus bemerkt, dass er mich länger als nötig angesehen hat. Immerhin versucht er es aber.
Am Samstag dachte ich noch, dass ich mir das einbilde, aber seit gestern bin ich mir sicher. Er war locker und entspannt, was ganz normal ist, aber er hat mich auch immer wieder angesehen, ohne etwas zu sagen. Und sein Blick war dabei nicht besorgt oder einem anderen, gängigen Gefühl zuzuordnen. Ich kann das nicht beschreiben, aber ich wusste einfach, dass er mich so ansieht, weil er sich für mich interessiert. Mehr, als er sollte.
>Kannst du am Mittwoch noch einmal ein paar Stunden auf Emil aufpassen?< Penny ist wütend, sieht zwischen ihm und mir hin und her. Tristan starrt mich von der Seite an, zieht vermutlich vollkommen falsche Schlüsse.
>Sehr gern. Sagen Sie mir einfach wann und wo.< Er nickt, schreibt eine Nachricht auf seinem Handy. Tristan nutz den Moment, packt meine Schulter, damit ich ihn ansehe.
>Du passt auf seinen Sohn auf?< Ich muss lachen, weil er tatsächlich falsch geraten hat.
>Seinen Neffen<, korrigiere ich ihn und er wirkt erleichtert, aber auch verwirrt.
>Wie kommst du denn dazu, auf seinen Neffen aufzupassen?< Schulterzuckend sehe ich in mein Buch, denn ich habe eigentlich keine Lust ihm das zu erzählen.
>Er hatte keine Zeit, darum hat er mich gebeten das zu übernehmen.< Er sagt nichts dazu und das ist gut so. Ich möchte nicht so viel über Herr Lesharo reden, sonst rutscht mir vielleicht etwas raus, das ich gar nicht sagen will.
>Und was ist hiermit?<, versucht es Penny noch einmal, doch er weicht wieder aus und ich muss lächeln. Dass er ihr nicht einfach sagt, dass sie ihn in Ruhe lassen soll, wundert mich ein bisschen. Aber vermutlich will er nur nett sein.
>Violet?< Fragend sehe ich zu Tristan, der auf sein Handy starrt. Ich folge seinem Blick, dann wird mir ganz kalt, mein Lächeln verschwindet innerhalb weniger Sekunden. Luca hat ihm ein Foto geschickt. Eines von Tina und Henry.
>Das ist ein altes Bild<, versuche ich ihn zu beruhigen, aber er schüttelt nur den Kopf.
>Seit wann?<, will er wissen, sieht mich eindringlich an und ich kann den Vorwurf in seinen Augen sehen. Dieser ist durchaus berechtigt.
>Sie hatten eine Weile etwas miteinander, aber sie hat es beendet und es war auch nichts Ernstes.< Ich denke, er glaubt mir, glücklich wirkt er allerdings nicht darüber.
>Warum hast du mir nichts gesagt?<, will er wissen und ich kann verstehen, warum er das wissen will. Nur kommen mir meine Gründe jetzt vollkommen lächerlich vor.
>Es ist ihre Sache und es war ja nichts dabei. Außerdem hast du nie etwas gesagt und Tina hat es sofort beendet, als du ihr gesagt hast, dass du sie magst.< Er wirkt verletzt, was ich nachvollziehen kann. >Ich wollte dich nicht verletzten<, versichere ich ihm, lege eine Hand an seinen Arm, doch er schüttelt sie ab.
>Ich gehe nach Hause.< Stumm bleibe ich sitzen, in dem Wissen, dass ich es verbockt habe. Tristan ist mir schon so lange ein guter Freund gewesen. Ich hätte es ihm sagen sollen oder Tina erzählen, dass er sie mag. Irgendetwas, aber nicht nur zusehen und schweigen.
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Der Spruch ist alt und nervig, aber so was von wahr. Das bekomme ich grade wieder am eigenen Leib zu spüren und ja, ich bereue, dass ich es ihm nicht gesagt habe.
Er war immer ehrlich zu mir, hat mir immer mit Luca geholfen und vermittelt, wenn wir mal gestritten haben. Und ich schaffe es nicht einmal, Tina sanft in seine Richtung zu stupsen oder zumindest anzudeuten, dass es da jemanden gibt, der sie mag. Dann hätte sie das ganze früher beendet und die beiden wären vermutlich schon länger zusammen.
Aber nein, ich war nur wieder egoistisch und habe auf Luca gehört. Er wollte den Dingen ihren Lauf lassen und es Tristan verschweigen. Am Anfang war ich der Meinung, dass das eine dumme Idee ist, aber ich habe mich bequatschen lassen. Damit ich mich nicht schlecht fühle, habe ich nach Ausreden gesucht und naja. Wir sehen alle, wohin das geführt hat.
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