20. Kapitel - Ash

Ash Lesharo 

Still liege ich in meinem Bett, starre die Zimmerdecke an, versuche zu verstehen, was los ist. Warum sich in so kurzer Zeit derart viel verändert hat. Warum ich etwas für ein Mädchen empfinde, das ich kaum kenne, das viel zu jung ist und warum sie im Schlaf meinen Namen gesagt hat. Am meisten jedoch zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie es sein kann, dass die Freude darüber größer ist, als die Sorge.

Es ist erst eine Woche. Am Montag sind wir uns zum ersten Mal begegnet und doch ist sie mir gleich aufgefallen. Nicht wie Penny, die sich mir praktisch aufgedrängt hat, sondern auf ihre ganz eigene, sehr sympathische Art. Sie hat wirklich süß ausgesehen, als sie wegen der Erklärung zu ihrem Namen etwas rot geworden ist und auch, als sie mir die Sache mit meinem Schlüsselbund erklärt hat.

Am Dienstag war diese eine, kleine Berührung im Sportunterricht und schon habe ich mehr auf sie geachtet als ich sollte, dann war sie ganz verlegen, wegen ihrem Arzttermin und hat sich damit noch mehr in meinem Kopf eingenistet. Sie hat sich mir nicht aufgezwungen, mich nur so weit einbezogen, wie sie es musste. Ich dagegen habe alles versuch, um sie zu verstehen und ihr zu helfen. Zumindest alles was ich als Referendar machen kann und darf. Und dennoch viel mehr als ich sollte.

Dazu ist dann noch die Sache am Donnerstag gekommen. Sie im Arm zu halten und sie zu trösten hat mich ihr irgendwie nähergebracht und seitdem kann ich nicht mehr aufhören, über Dinge nachzudenken, die mit ihr zu tun haben. Nicht nur über sie persönlich, ich habe auch noch nie so viel über Schwangerschaften und Kinder nachgedacht. Geschweige denn eigene Kinder.

>Ash?< Emil kommt in mein Schlafzimmer, darum schiebe ich die Gedanken bei Seite, setzte mich auf und sehe fragend zu ihm.

>Was hast du denn?< Er wirkt traurig, darum frage ich und die Sorge um ihn sorgt dafür, dass ich mich ganz auf ihn konzentrieren kann.

>Wo ist Vio?<, will er wissen, macht ganz große Augen und schon ist sie wieder in meinem Kopf.

>Sie hat im Wohnzimmer geschlafen<, erkläre ich ihm ruhig, erwarte, dass er zu ihr geht, doch er schüttelt den Kopf.

>Ich war schon unten, sie ist nicht mehr da. Ist sie nach Haus gegangen?< Verwirrt stehe ich auf und gehe zu ihm, um seine Hand zu nehmen. Sie hat nicht gesagt, dass sie gehen würde. Womöglich war ihr unsere Begegnung heute Nacht unangenehm, aber es würde mich dennoch überraschen, wenn sie einfach so gegangen ist.

>Komm, wir sehen mal nach.< Er nickt, nimmt meine Hand und wir gehen nach unten, wo sie die Couch offenbar wieder zu Recht gemacht hat, aber von ihr selbst ist keine Spur. Das Gäste-WC ist nicht abgeschlossen, in der Küche ist sie auch nicht und im Waschkeller sehe ich gar nicht erst nach. >Violet?< Ich bekomme keine Antwort, sehe zu Emil herunter, welcher traurig zu mir aufsieht.

>Mag sie nicht mehr mit mir spielen?<, fragt er leise, doch das soll er gar nicht erst vermuten, darum hebe ich ihn auf meine Arme.

>Natürlich möchte sie noch mit dir spielen. Bestimmt musste sie nach Hause und-< Es klingelt, darum unterbreche ich mich, gehe zur Tür.

>Ist sie wieder da?<, will Emil gleich hoffnungsvoll wissen, doch ich wüsste nicht, warum sie gehen und wiederkommen sollte, ohne etwas zu sagen. Dann ist es wahrscheinlicher, dass ich ihr heute Nacht zu nahegetreten bin und sie deshalb gegangen ist. Allerdings würde sie mich dann länger meiden und nicht wiederkommen. Das könnte ich auch sehr gut verstehen und nachvollziehen.

>Guten Morgen<, grüßt uns Violet mit einem schönen, fröhlichen Lächeln, hat zwei Bäckertüten in den Händen, als ich die Tür öffne. Ich bin erleichtert, dass offenbar alles in Ordnung ist und auch froh, dass sie wieder hier ist. Es ist immer schön, sie in meiner Nähe zu haben. >Ich konnte nicht schlafen, deshalb war ich eine Runde joggen und dann kurz zu Hause. Auf dem Rückweg war ich dann beim Bäcker<, erklärt sie, Emil achtet aber überhaupt nicht darauf. Er streckt nur die Arme nach ihr aus, darum nehme ich die Tüten entgegen, reiche ihn an sie weiter.

>Ich dachte, du hast genug von mir<, erklärt er ihr, ihm schwimmen Tränen in den Augen, die sie ihm gleich wegwischt.

>So was darfst du gar nicht denken, niemals. Du bist mein Lieblingskind<, erklärt sie ihm sanft, streicht über seinen Rücken und trägt ihn nach drinnen.

>Wirklich?<, will er wissen und sie nickt, verschwindet in der Küche. Ich dagegen schließe die Tür, folge dann erst den beiden. Etwas hat sich an ihr verändert, das spüre ich. Ich weiß nur nicht was.

>Möchtest du einen Kaffee oder Tee?< Sie schüttelt den Kopf, darum lege ich die Tüten bei Seite und hole die Teller, um den Tisch zu decken.

>Oh, war das etwa dein Magen?< Emil kichert, als sie seinen Bauch kitzelt, ganz auf den kleinen konzentriert ist.

>Ich habe nur Hunger<, erklärt er lachend, versucht sich zu wehren. Der Anblick lässt mich lächeln und auch Violet wirkt sehr entspannt.

>Für mich klang das eher, als hättest du heute Nacht einen Dinosaurier verschluckt.< Er lacht noch mehr, schiebt ihre Hand weg und sie gewährt ihm eine kleine Pause.

>Habe ich nicht, das geht gar nicht<, beteuert er, dann sieht sie plötzlich zu mir.

>Kann ich Ihnen helfen?< Knapp schüttle ich den Kopf, wende den Blick von ihr ab.

Ich muss wirklich aufhören sie immer anzusehen. Es spielt keine Rolle was ich fühle, denn René hat vollkommen Recht damit, dass Schülerinnen ein Tabu sind. Sie ist meine Schülerin und hat außerdem ganz andere Probleme als einen Mann, der sich nicht beherrschen kann. Viel Größere und Wichtigere. Sie sollte sich damit nicht auseinandersetzen müssen.

Sie darf es auch nicht herausfinden. Was ich fühle, muss ich für mich behalten und wenn es irgendwie möglich ist, muss ich die Gefühle auch wieder loswerden. Wenn sie es nämlich bemerkt, wird sie sich von mir zurückziehen. Dann kann ich ihr nicht mehr helfen und für sie da sein. Sie würde mich meiden, zwar zu Recht, aber das will ich nicht.

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Nach einigen Filmen und ein paar Stunden auf einem nahegelegenen Spielplatz haben wir den Abend damit verbraucht, die Stadt für Emils Dinos wieder aufzuräumen, bis June vorbeigekommen ist. Emil war nicht sonderlich begeistert davon, von Violet getrennt zu werden, was June sehr verwundert hat. Er kommt nach wie vor mit neunen Babysittern eher selten zu Recht. Allerdings ist Violet auch einfach liebenswert.

Sie war die ganze Zeit über gut gelaunt, hat Emil ununterbrochen bespaßt und war den ganzen Tag über da. Wir haben uns auch ganz normal unterhalten, ich kenne sie nun etwas besser und ich bin endlich fertig mit den ganzen Kartons.

Geschafft von dem langen Tag lasse ich mich auf die Couch fallen, schließe einen Moment lang die Augen.

>Wenn ich morgen im Unterricht einschlafe, wissen Sie warum<, scherzt sie, darum sehe ich zu ihr. Sie hat sich bis eben noch mit June unterhalten, doch nun scheint sie gegangen zu sein.

Sie lächelt und rollt ihre Schultern. Ich freue mich jetzt schon, sie morgen wiederzusehen, dabei ist sie noch gar nicht weg.

Seufzend schließe ich für einen Moment meine Augen wieder, versuche meinen Kopf zu klären. Das muss aufhören. Jetzt sofort, sonst schiebe ich das ewig vor mir her.

>Danke, dass du hier warst. Das hat mir sehr geholfen<, sie nickt nur, wendet sich halb zum Gehen.

>Sehr gerne und auch gerne wieder<, versichert sie mir. >Ich gehe dann Mal. Bis morgen.< Ich will mich nicht von ihr verabschieden. Ich möchte, dass sie bleibt. Wir sind nun allein hier, ganz für uns. Das ist gut, gleichzeitig aber auch genau der Grund, warum sie gehen sollte.

>Bis morgen.< Meine Stimme klingt belegt, was sie merkt. Zumindest wüsste ich nicht, warum sie sonst stehenbleiben sollte.

>Geht es Ihnen gut?< Sie klingt besorgt, mustert mich, darum beiße ich die Zähne zusammen. Ich bin zu alt, um mich nur von meinen Gefühlen beherrschen zu lassen.

>Ja, natürlich. Komm gut nach Hause.< Diesmal klinge ich abweisend, beachte sie nicht weiter und gehe zur Treppe. Weiter komme ich jedoch nicht.

>Ash.< Mein Körper erstarrt förmlich, dann drehe ich mich langsam zu ihr um. Ich kann ihr ansehen, dass sie es weiß. Und ihre traurige Mine dazu macht mir nicht gerade Hoffnung.

>Danke für alles und ich würde auch gern wieder auf Emil aufpassen, aber ich denke, ich sollte doch nicht mehr hier her kommen. Ich denke ich weiß, was los ist und ich will das nicht schlimmer machen oder provozieren. Das würde nur Probleme machen. Also, falls ich richtig liege.< Sie klingt recht sicher, aber ich kann durchaus sehen, wie sie nervös mit dem Saum von ihrem Shirt spielt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es sie eine Menge Überwindung gekostet hat, das anzusprechen.

>Was meinst du?<, höre ich mich fragen, bevor ich darüber nachdenken kann. Sie betrachtet mich einen Moment lang stumm, scheint sich selbst noch nicht ganz sicher zu sein, doch dann lächelt sie schwach.

>Ich bemerke durchaus, wie Sie sich mir gegenüber verhalten, wie Sie mich ansehen. Wir wissen beide, dass das nicht richtig ist und deshalb werde ich Abstand halten. Dann wird es aufhören<, versichert sie mir, als wüsste sie genau, wovon sie da redet, wendet sich ab. Ich hätte gern ihre Zuversicht oder eine Alternative, aber da ist keine. Die einzige Lösung, die es gibt, ist Abstand. So weit wie irgend möglich. >Ich gehe jetzt. Bis Morgen.< Langsam nicke ich, denn das ist nur vernünftig. Ich habe eben noch selbst gesagt, dass es so sein muss, auch wenn mir das überhaupt nicht gefällt und ich anders Halden will. Das ist der einzige, richtige Weg.

>In Ordnung. Gute Nacht.< 

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