2. Kapitel - Ash

Ash Lesharo 

Die Umzugskartons stapeln sich im gesamten Wohnzimmer, erinnern mich daran, dass ich noch viel zu tun habe. Selbst an diesem Montagmorgen. In zwei Stunden startet der Unterricht und ich habe in der ganzen letzten Woche kaum mehr als fünf Kartons ausgepackt. Und die nur, weil ich wenigstens ein paar Dinge brauche, um durch den Tag zu kommen. So wie zum Beispiel meine Schulsachen, Klamotten und das Kochgeschirr.

Zwar bin ich kein großartiger Koch, aber ich will mir auch nichts bestellen. Das hat mir mein Ausbilder bei der Bundeswehr gründlich ausgetrieben. „Du bist, was du isst", ist sein Mantra, abgesehen von all den Kampf- und Kriegsbezogenen. Er hat immer Wert daraufgelegt, dass seine Jungs Bestleistungen erziehen und das wird schwierig, wenn man sich von Pizza ernährt.

Seufzend lasse ich den Blick über die Kartons schweifen, überlege, welchen ich als nächstes in Angriff nehmen soll, denn keiner von ihnen sieht irgendwie ansprechend aus. Viele der Sachen will ich eigentlich gar nicht einräumen. Die Hälfte von dem ganzen Zeug endet ohnehin auf dem Dachboden. Es wäre vermutlich das Beste, wenn ich bei der Gelegenheit mal ordentlich ausmiste. Der Umzug kam so kurzfristig, dass ich mir beim Packen nicht die Zeit dafür genommen, sondern einfach alles in Kartons geworfen habe. Allerdings hätte ich diesmal keine Ausrede, sondern jede Menge Zeit, die ganzen unnötigen Dinge auszusortieren.

Es klingelt an der Tür, darum wende ich mich sofort ab, öffne den beiden Männern, welche mir meine neue Waschmaschine bringen. Zum Glück pünktlich um sechs Uhr, wie abgemacht. Sie waren gestern schon Mal hier, darum lasse ich sie nur rein und ihre Arbeit machen. Nebendran zu stehen und ihnen zuzusehen wäre noch nutzloser, als den ganzen Krimskrams aus den Kartons zu räumen. Vermutlich sortiere ich sie tatsächlich gleich heute noch aus. Da ich vor drei Wochen erst gepackt habe, weiß ich noch, was alles zusammen in einem Karton gelandet ist und muss nur einen Blick reinwerfen, um zu entscheiden, ob ich ihn noch brauche.

>Du bist also wieder da.< Kurz schließe ich meine Augen, atme tief durch, bevor ich mich zu Jennifer umdrehe. Meine Freude sie zu sehen, hält sich in sehr engen Grenzen.

Die beiden Männer haben wohl die Tür offen stehen gelassen und selbstverständlich hat sie ausgenutzt, dass ich sie nicht ignorieren kann. Gestern habe ich sie nämlich einfach draußen stehen lassen.

>Sieht so aus.< Ihre langen, braunen locken sind perfekt gestylt, passen zu ihrer roten Bluse und dem knielangen, schwarzen Rock. Geschminkt ist sie auch, wie üblich, aber mir gefällt es nicht. Ich habe bei einem solchen Anblick immer das Gefühl, dass Frauen Masken aufgesetzt haben und sich hinter ihr verstecken wollen. Obwohl Jennifer in wirklich jeder Lebenslage gleich ist und sich niemals etwas verkneift.

Sie ist wohl eigentlich auf dem Weg zur Arbeit, hat sich dann aber entschieden hier her zu kommen, um mich zu belästigen. Was sie sich meiner Meinung nach sehr gern hätte sparen können.

>Du hättest etwas sagen können.< Sie macht das immer so. Zu aller erst beschwert sie sich über irgendetwas, dann gibt sie einem die Schuld dafür und verschwindet anschließend wieder. So war sie schon immer und so wird sie wohl auch immer sein.

>Und du hättest erwähnen können, dass du jetzt verheiratet bist.< Ihre Augen verengen sich, sie verschränkt die Arme vor der Brust, sodass ich den goldenen Ring nicht mehr sehen kann. Dieser ist mir nämlich keineswegs entgangen. Sie ist für gewöhnlich keine Frau, die gern Ringe trägt oder Schmuck im Allgemeinen.

>Du hast mich verlassen, schon vergessen?<, zischt sie und wir sind schneller bei der Schuldzuweisung angekommen, als ich vermutet habe. Was mir allerdings ganz Recht ist. Das bedeutet nämlich, dass sie bald verschwindet und mich in Ruhe lässt.

>Nein, daran erinnere ich mich sehr gut.< Abgesehen von der Entscheidung, die Grundausbildung bei der Bundeswehr zu machen, war das die beste Entscheidung meines Lebens. >Was willst du hier?<

>Einen alten Freund besuchen<, antwortet sie schroff, ist offenbar wütend. >Du glaubst es vielleicht nicht, aber ich habe dich vermisst<, schnauzt sie mich an, ihre rot geschminkte Lippe zittert. Ich kann unmöglich sagen, ob das wieder eines ihrer guten Schauspiele ist oder doch ernst gemeint. So oder so spielt es aber keine Rolle für mich. Das zwischen uns ist Geschichte. Schon sehr lange.

>Das glaube ich tatsächlich nicht. Wenn sonst nichts ist, möchte ich dich bitten zu gehen.< Innerhalb einer Sekunde verschwindet der traurige Ausdruck in ihrem Gesicht, ihr Blick wird gleichgültig. So wie immer, wenn sie nicht erreichen kann, was sie haben will. Was auch immer das in diesem Fall ist.

>Du warst schon immer so kalt und rücksichtslos<, beschwert sie sich, dabei falle ich nur nicht mehr auf sie herein und sage meine Meinung. >Genau deshalb wirst du für den Rest deiner Tage allein sein und einsam sterben.< Ich muss schmunzeln, weil sie genau das auch bei unserer Trennung gesagt hat. Und natürlich, weil sie nun deutlich kälter zu mir ist, als ich es je war. Es verletzt mich auch nicht, dass sie mir das wieder an den Kopf wirft. Ihre Worte treffen mich einfach nicht mehr, dafür ist sie schon zu lange kein Teil meines Lebens mehr.

>Weiß dein Mann, dass du hier bist?< Trotz ihrer Worte sieht sie nicht so aus, als würde sie gehen wollen, nur darum frage ich. Für meinen Geschmack war das genug, sie kann gehen und mich wieder in Frieden lassen. Für etwas Ruhe wäre ich jetzt sehr dankbar. Es ist mein erster Schultag und ich will auf keinen Fall vorbelastet in den Tag starten, deshalb soll sie gehen. Noch kann ich ihr Auftauchen bei Seite schieben, sobald ich sie nicht mehr sehen muss, aber ich weiß nicht, was noch alles passiert, wenn sie bleibt.

>Untersteh dich<, mahnt sie, als würde ich ihn kennen oder hätte auch nur die geringste Lust dazu herauszufinden, wer so dumm war, Jennifer zu heiraten. >Ich war nie hier<, erklärt sie, dreht sich um und stolziert endlich zur Haustür. Wie jedes Mal nach so einem Auftritt verstehe ich nicht, warum sie zu mir wollte. Wäre sie glücklich verheiratet, hätte sie mir das sofort unter die Nase gerieben und wäre sie sehr unglücklich, hätte sie versucht mich wieder für sich zu gewinnen, doch sie hat nichts von beidem getan. Vermutlich wollte sie nur Frust ablassen.

>Wir sind fertig<, kommt es vom Flur, darum sehe ich nach den beiden, gebe ihnen etwas Trinkgeld und sie gehen davon. Ich dagegen sehe auf die Uhr an meinem Handgelenk, atme tief durch. So viel zu meinem Vorhaben, wenigstens ein oder zwei Kartons vor der Schule auszuräumen. In zehn Minuten muss ich los.

Um die Erinnerungen an Jennifer schnell los zu werden, tausche ich mein schwarzes Shirt gegen ein blaues, bevor ich meine Unterlagen hole. So habe ich das Gefühl, die Erinnerungen an sie hier zu lassen und den Tag neu starten zu können.

Aus der Küche hole ich mir anschließend die Gemüsesticks, welche ich mir gestern zu Recht gemacht habe, packe sie ein und schnappe mir den Stapel Unterlagen von der Kommode im Flur. Diesen stelle ich allerdings auch gleich wieder zurück, um meine Schuhe anzuziehen.

Ich freue mich auf diesen Tag. Seit meinem Abschluss an dem Oberstufengymnasium damals, habe ich auf diesen Tag hingearbeitet. Selbst kurz vor der Abschlussprüfung wusste ich nicht, was ich danach machen will, bis mir mein Vater damals geraten hat, einfach ein paar Praktika zu machen. Dabei habe ich zufällig gehört, dass man an einer benachbarten Mittelschule ein Praktikum machen kann und ich war neugierig genug es zu versuchen.

Am Anfang war ich noch skeptisch, wollte einfach nur mal sehen, wie es so ist, wie die Lehrer den Alltag in der Schule wahrnehmen. Es hat keine zwei Stunden gedauert, dann war ich fest davon überzeugt, dass es genau das ist, was ich machen will. Jugendliche zu unterrichten, ihnen zu helfen, sich auf ihr späteres Leben und das Studium vorzubereiten.

Mein Vater hat mich sofort unterstützt, weil er der Meinung war, dass das einfach perfekt zu mir passt. Ich war in seinen Augen schon immer jemand, der anderen gern geholfen hat und der sehr gut Dinge erklären kann, dem das sogar tatsächlich Spaß macht.

Meine Mutter war am Anfang skeptisch, doch nach meinen beiden Wochen an dieser Schule hatte ich so viel von meinen Erfahrungen und neuen Zielen geschwärmt, dass auch sie mich voll unterstützt hat. Keiner meiner Freunde konnte das Verstehen, aber das war auch nie wichtig für mich. Ich wollte schon immer meinen eigenen Weg finden und gehen, ohne mich von irgendwem ausbremsen zu lassen. Genau das mache ich nun auch endlich.

Heute ist der erste Tag meines Referendariats und meine Freunde darüber, die Aufregung und Nervosität, bringen mich immer wieder zum Lächeln. Besser hätte mein Leben bisher kaum laufen können.

>Abgesehen vielleicht von Jennifer<, höre ich mich seufzen, verwerfe den Gedanken aber auch gleich wieder. Zwar sind wir nicht im Besten auseinander gegangen, aber sie hat mich unterstützt und mir geholfen, wenn ich unsicher war. Auch, wenn ich sie heute nicht mehr in meinem Leben haben will, muss ich zugeben, dass ich ohne sie vielleicht nie so weit gekommen wäre.

Mein Handy klingelt, erinnert mich daran, dass ich nun wirklich los muss und ich beeile mich das Haus zu verlassen, die Unterlagen auf dem Beifahrersitz von meinem Mazda unterzubringen und Gas zu geben.

Das hier ist mein erster Tag und ich will nicht gleich damit starten, dass ich zu spät bin oder irgendetwas vergesse. Es war schon schwierig genug den Umzug so schnell zu organisieren, dass ich es zum Schuljahresbeginn hier her schaffe. Was auch nur geklappt hat, weil mir Harald, ein guter Freund der Familie, geholfen hat. Er ist der Direktor der Schule und war meine Rettung, was die gesamte Organisation hierfür betrifft. Nur dank ihm kann ich hier heute Anfangen meinen Traum wahr werden zu lassen. Nachdem alles hier angefangen hat, ich einen Schlussstrich unter mein altes Leben gezogen habe, kann ich jetzt endlich etwas zurückgeben. 

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