16. Kapitel - Ash

Ash Lesharo 

>Meine Klassen sind schrecklich<, beklagt sich Jeremy, einer meiner Freunde und nun Kollegen von der Uni. Wir haben uns in der ersten Vorlesung kennengelernt und sofort verstanden. Er war wohl auch für die Grundausbildung bei der Bundeswehr, sogar beinahe zur selben Zeit, aber wir sind uns dort nie begegnet. >Ich kann machen, was ich will. Wenn Unruhe aufkommt, hilft gar nichts mehr. Hätte ich vorher gewusst, wie anstrengend und nervenaufreibend das wird, wäre ich bei der Bundeswehr geblieben.< Die Bemerkung lässt mich lächeln, denn die Bundeswehr ist keineswegs entspannt. Er wirkt sehr unzufrieden, starrt nüchtern auf sein Bierglas. Er hat den ganzen Abend über kaum gelächelt, ist im Kopf nur bei seinen Schülern und ich hoffe, dass wir ihm damit ein bisschen helfen können.

>Es waren erst zwei Wochen<, kommentiert René halb lachend, denn er ist glücklich mit seinen Schülern. Genau wie ich.

Er war vor dem Studium im Ausland, ist erst im zweiten Semester an dieselbe Uni gekommen und hat sich einfach bei uns eingeklinkt. Es hat gepasst, er ist ein wirklich toller Kerl, wir verstehen uns blenden, darum sind wir seitdem immer zu dritt unterwegs.

Diese beiden, ich und eigentlich auch noch Lena waren hier verabredet, aber sie hat kurzfristig abgesagt. Wegen Problemen mit ihrem Hund, wenn ich das richtig mitbekommen habe.

>Was ist mit klaren Regeln und Strafarbeiten? Bei mir hat die Androhung allein sehr geholfen.< Jeremy sieht von seinem Glas zu mir auf, hebt die Schultern.

>In meiner ersten Woche hat das auch funktioniert, aber nachdem ich in der zweiten fünf Strafarbeiten verteilt habe, hat das sofort wieder nachgelassen.< Ich glaube nicht, dass das bei mir auch so laufen wird. Meine zweite Woche kommt erst noch, aber bisher läuft es sehr gut. Keine meiner drei Klassen ist sonderlich schlimm oder anspruchsvoll, abgesehen von ein paar nervigen Schülern wie Penny. Aber das wird sich schon noch klären.

>Nachsitzen hilft auch nicht?<, will René wissen, trinkt etwas von seinem Whisky. >Wenn ich das Wort nur in den Mund nehmen würde, wären alle Mucksmäuschen still, aber ich musste noch nicht mal Strafarbeiten androhen<, schwärmt er und ein bisschen neidisch bin ich schon auf ihn. Aber nur ein kleines Bisschen, denn ich würde meine Stelle an dieser Schule niemals wieder hergeben. Auch wenn ich das nicht wirklich begründen kann. Vielleicht fühle ich mich einfach nur wohl dort. Schließlich wollte ich von Anfang an wieder an diese Schule, nur ist es irgendwie anders als gedacht. Was nicht bedeutet, dass es schlechter ist.

>Das hilft mir nicht weiter<, beschwert sich Jeremy, rauft sich die Haare.

>Dann musst du klarstellen, dass du das Ruder in der Hand hast und sie notfalls sogar gegen die Wand fahren lassen. Wir müssen diesen Teenagern nicht nur den Lehrplan beibringen, sondern ihnen auch zeigen, wie es im echten Leben läuft. Bis zu einem gewissen Punkt sind wir auch Erzieher<, meint René und da stimme ich ihm voll zu. >Lass sie direkt am Montag eine Kurzarbeit schreiben und wenn sie es nicht lernen, in der nächsten Stunde gleich noch eine. Sie wollen zwar alle nichts machen, aber ihr Notenschnitt wird sich verschlechtern, wenn sie sich keine Mühe geben und ihr Verhalten ändern. Das wird sie früher oder später wachrütteln. Im schlimmsten Fall schalten sich dann die Eltern ein, aber so weit sollte es nicht kommen.< Wenn sich die Eltern zu Wort melden, ist es nach meiner Meinung entweder unbegründet oder es ist schon sehr viel schiefgelaufen. Die meisten Eltern denken auch, dass ihre Kinder alle Musterschüler sind, was ein weiteres Problem ist. Pennys Mutter zum Beispiel weiß ganz sicher nicht, dass ihre Tochter jede verfügbare Sekunde nutzt, um mit mir zu flirten. Zumindest versucht sie es.

>Oh, Ash denkt an etwas widerliches<, lenkt René meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Es wittert solche Dinge immer. Bei ihm geht es viel um Frauen, das ist eigentlich sogar sein Lieblingsthema, nur ist er damit bei mir bisher immer vor verschlossenen Türen gelandet. Mit Frauen habe ich seit Jennifer nichts mehr am Hut. >Ich habe es dir angesehen. Erzähl schon, das Thema von Jeremy ist langweilig<, fordert er und ich atme tief durch. Eigentlich sollte ich nicht darüber reden, denke ich, aber die beiden haben vielleicht einen guten Rat für mich. Mir fehlt die Erfahrung oder einfach nur die Ideen, weil ich ihr nicht aus dem Weg gehen oder ihr klar sagen kann, dass sie mir vom Leib bleiben soll. Zumindest nicht so, wie ich es manchmal gern tun würde.

>Es gibt da eine auffällige Schülerin, die mich eindeutig nicht als Autoritätsperson sieht und sich mit ihren Flirtversuchen selbst herabwürdigt. Aber was ich auch sage, wie ich auf sie reagiere, sie macht einfach immer weiter.< René wirkt wenig überrascht, Jeremy dagegen starrt mich ungläubig an.

>Tauschen wir? Eine einzelne, nervige Schülerin werde ich los, aber zwei ganze Klassen?< Eigentlich will ich etwas Lustiges sagen, die Stimmung locker halten, aber ich kann nicht. Ohne einen Grund, den ich benennen könnte, habe ich plötzlich Violets Gesicht vor Augen.

>Und jetzt träumt er<, murmelt René, mustert mich aufmerksam. >Was ist denn heute los? Wie viel hast du getrunken?<, will er wissen, dann sehen wir alle zu meinem Glas. Es ist tatsächlich leer und das schon zum zweiten Mal, aber es war nur Wasser.

>Ich habe an den Nachhilfeunterricht gestern gedacht. Der ist wirklich gut gelaufen<, weiche ich aus und irgendwie stimmt das auch. Penny hat sich recht ruhig verhalten und alle haben aufgepasst. Es waren immerhin auch alle freiwillig da. Nur sind meine Gedanken vermehrt auf das Ende gerichtet, als nur noch Violet da war. Diese Zeit mit ihr hängt mir irgendwie nach, aber im guten Sinne.

>Ich will auch so aussehen, wenn ich an meinen Unterricht denke<, beschwert sich Jeremy weiter, trinkt sein Bier aus.

>Wegen dieser Schülerin solltest du dir nicht zu viele Gedanken machen. Behandle sie einfach wie alle anderen und zeige ihr die kalte Schulter, wenn es geht.< René wirkt, als hätte er damit Erfahrung und ich will ihn danach fragen, lasse es aber. Wenn er auch solche Schülerinnen wie Penny hat und mir diesen Rat gibt, reicht mir das. Ich werde es versuchen und wenn es nichts bringt, frage ich ihn eben noch einmal. >Glaub mir, das hilft<, versichert er mir und ich nicke einfach. Mehr als versuchen kann ich es nicht, denn die Schulleitung will ich da nicht mit reinziehen. Es wäre mir nämlich sehr recht, wenn überhaupt niemand dort davon erfährt.

>Ich muss Mal<, meint Jeremy, lässt sein leeres Glas stehen und geht davon. René sieht ihm kurz nach, genau wie ich, doch dann verzieht sich sein Mund zu einem neckenden Lächeln.

>Erzähl mir von ihr<, fordert er leise, seine Augen glänzen aufgeregt und mein Magen zieht sich unsanft zusammen. Es ist nicht unbedingt unangenehm mit ihm über Frauen zu reden, zumindest nicht im Allgemeinen. Nur ist da nichts zwischen Violet und mir, keine Gefühle und auch keine unangebrachten Gedanken, das geht gar nicht. Das würde ich nie zulassen. Ich sorge mich nur ein bisschen zu sehr um sie, das ist alles. >Ich weiß, du bist anständig und so, aber ich habe auch ein paar süße Schülerinnen und ein bisschen schwärmen darf man ja. Also, wie ist sie so?<, will er wissen und ich frage mich, wie lange er schon so ist. Ob er tatsächlich so über seine Schülerinnen denkt und wie ich das finden soll.

>Es geht um eine Kollegin.< Sein Lächeln wird schwächer, dann lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. Dass ich lüge und ihn nicht korrigiere, ist ein schlechtes Zeichen, aber ich versuche es zu ignorieren. 

>Schade<, brummt er, glaubt meine Lüge. >Obwohl ich auch eine nette Kollegin habe<, überlegt er, dann lacht er plötzlich los. >Zieh nicht so ein Gesicht, Ash. Das war ein Scherz<, meint er Augenrollend, klopft mir auf die Schulter. Ich finde das nicht lustig, versuche aber zumindest zu lächeln. >Ich wäre kein Lehrer geworden, wenn ich wirklich so denken würde, sondern Stammkunde bei einem sehr teuren Psychologen<, fügt er hinzu, nimmt noch einen Schluck von seinem Whisky. >Aber jetzt mal Klartext. Schülerinnen sind Tabu für uns Beamte, das ist nicht grundlos gesetzlich geregelt. Mal abgesehen davon, dass es genug Frauen in unserem Alter gibt. Schauen darf man, aber unter keinen Umständen mehr und sie auch zu nichts verleiten<, hält er mir eine kurze, strenge Predigt, dabei habe ich nichts gesagt. Er führt im Grunde einen Monolog, seitdem ich behauptet habe, ich würde an eine Kollegin denken. Was natürlich nicht bedeutet, dass er unrecht hat. Wenn ich tatsächlich anfange, mehr als eine Schülerin in Violet zu sehen und ich meine Gedanken dahingehend nicht mehr im Griff habe, muss ich etwas tun. Ich darf sie nicht beeinflussen und wenn ich mich dazu mit Kelly ablenken muss, dann ist das zwar falsch, aber immer noch besser, als gegen meinen Eid zu verstoßen. Zumindest ist das meine Meinung. Schließlich muss ich Kelly nichts versprechen und vielleicht entsteht ja doch eine Beziehung, die nicht so übel ist. Wie falsch das klingt. >Aber wem erzähle ich das? Du schaust ja nicht mal den Frauen mit den knappen Kleidern in dieser Bar auf den Hintern.< Tatsächlich bringen mich seine Worte dazu, mich zum ersten Mal richtig umzusehen. So weit ich das sehen kann, sind hier nicht sehr viele Leute, aber Damen in kurzen Kleidern gibt es durchaus ein paar. Auch, wenn sie mich nicht ansprechen oder sonst irgendwie interessieren. Wenn ich ein rotes Kleid sehe, denke ich sowieso an Jennifer und ich will nur noch nach Hause, meinen Kopf abschalten. Wenn sie allerdings blond ist, verbiete ich mir jeden weiteren Gedanken.

>So, zwei für jeden<, lenkt Jeremy meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, stellt vier Shots auf den Tisch. Er weiß, dass ich nicht trinke und wenn die beiden mit Shots anfangen, wird das ein langer Abend, aber dagegen habe ich nichts. Es ist mir sogar ganz recht, denn ich habe Zeit und will auch nicht unbedingt nach Hause, wo Violet vermutlich schon schläft. Sie kümmert sich um Emil und ich werde ein neues Thema finden, dann kann das hier noch ein schöner, entspannter Abend werden. Einer, an dem ich mal wenigstens ein paar Stunden nicht aufpassen muss, woran ich denke, sondern einfach nur die Zeit mit meinen Freunden genießen kann.  

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