Spekulationen

Am nächsten Morgen rieb sich Zoe den schmerzenden Kopf. Die Nacht war der blanke Horror gewesen. Nicht nur, dass sie schlecht geschlafen hatte. Wenn sie endlich eingeschlafen war durchlitt Zoe Albträume, in denen ihr entweder das blasse Gesicht und der purpurne Turban von Professor Quirrell oder aber das Grab ihrer Eltern erschien. Immer wieder war sie schweißgebadet aufwacht, bis sie es irgendwann aufgab und stattdessen begann im Handbuch zur Animagusausbildung zu lesen.

Die ersten Kapitel waren recht uninteressant. Es war mehr eine Einleitung und Erklärung zu Phänomenen die in der Vergangenheit lagen. Etwas enttäuscht verstaute Zoe das Buch in ihrem Nachtschrank, als der erste Wecker ihrer Zimmergenossin rappelte.

„Zoe, du siehst ja furchtbar aus!", meinte Tracey als sie gemeinsam den Schlafraum verließen, um frühstücken zu gehen.

„Du siehst aus, wie der Blutige Baron", scherzte Daphne und stieß Zoe aufmunternd an.

„Hab' nicht gut geschlafen", sagte Zoe gähnend und folgte den Mädchen müde.

Nach dem Frühstück gingen sie zusammen mit dem Rest der Slytherins hinauf, denn zunächst würden sie Verteidigung gegen die dunklen Künste zusammen mit den Gryffindors haben.

Zoe hasste dieses Fach inzwischen, war damit jedoch nicht alleine. Professor Lockhart war, seit dem Vorfall mit den Wichteln, dazu übergegangen aus einem seiner unzähligen Büchern vorzulesen. Besonders dramatische Situationen spielte er gerne ausführlich nach, wobei er meistens Harry die Nebenrolle zuteil kommen ließ. Die meisten Slytherins amüsierten sich darüber, wenn Harry sich lächerlich machte.

Zoe war einfach nur genervt, dass sie keinen richtigen Unterricht hatten. Als sie das Klassenzimmer erreichten, wo wie Gryffindors bereits warteten, kam Hermine unverwandt zu ihnen.

„Morgen. Hey, kann ich dich kurz", Hermine stockte als sie die dunklen Ringe unter Zoes Augen sah, „du siehst ja gar nicht gut aus!"

„Ich bin etwas müde", nuschelte sie nur, „was gibt's?"

Hermine zögerte, als ihr Blick auf Pansy und Millicent fiel, die sie gerade nachäfften, sagte dann aber: „Ich wollt dich was fragen, wegen des Aufsatzes neulich. Hab' ihn drüben in der Tasche. Kommst du mit?"

Es war mehr eine Information als eine Frage, denn Hermine wartete Zoes Antwort gar nicht ab, sondern marschierte zurück zu Ron und Harry, die etwas abseits warteten und aus einem Fenster auf die Ländereien schauten.

Zoe entschuldigte sich bei ihren Slytherinfreundinnen und folgte Hermine, die bereits in ihrer Tasche wühlte. Schließlich gab sie Zoe eine Rolle Pergament in die Hand und sagte leise: „Eigentlich geht es gar nicht um den Aufsatz. Wir wollten dich nur alleine sprechen."

„Wieso?", fragte Zoe verblüfft und sah wieder von dem Pergament auf.

„Naja, wir haben gestern Abend noch ein wenig gegrübelt. Wegen dem Erben und wer dahinter stecken könnte."

„Habt ihr 'was herausgefunden?"

„Nicht direkt ...", druckste Hermine und nahm den Aufsatz wieder an sich. „Es ist nur so, dass wir ... Also wir dachten, wenn wir schon nicht wissen, wer es war, dann könnten wir die Verdächtigen doch einfach ausschließen?"

„Die Verdächtigen?", hakte Zoe nach.

„Also ja ... Wir dachten also ..."

„Sag' es doch einfach heraus, Hermine", sagte Harry ungeduldig. „Draco. Draco Malfoy!"

Zoe sah die drei ungläubig an.

„Ihr glaubt, dass Draco der Erbe ist?"

„Einhundertprozentig", sagte Ron nun, „denk doch mal nach! Er gibt doch immer mit seinem reinem Blut an und er war es auch, der sagte: ‚ Ihr seid die Nächsten, Schlammblüter!'"

„Hat er sich nicht in der letzten Zeit irgendwie merkwürdig verhalten?", fragte Harry.

Zoe dachte kurz nach. „Also, nicht dass ich wüsste ... Ich achte auch nicht sonderlich darauf, wenn ich ehrlich bin."

Hermine seufzte und meinte: „Nun ja, theoretisch wäre es schon möglich. Und weil wir dachten, er würde auch niemals in deiner Anwesenheit etwas erzählen, haben wir einen anderen Plan ausgeheckt."

„Wir wollen ihn gerne aushorchen", sagte Harry, „und dafür brauchen wir deine Hilfe."

Die Slytherin runzelte misstrauisch die Stirn.

„Was für einen Plan?", fragte Zoe.

„Wir werden zu Slytherins! Am besten zu Crabbe und Goyle, kommen mit dir in den Gemeinschaftsraum und horchen ihn aus."

Zoe sah die drei verblüfft an. Das klang ziemlich verrückt.

„Und wie soll das gehen?"

Hermine sah sich um und flüsterte „Vielsaft-Trank. Professor Snape hat es neulich im Unterricht erwähnt, erinnerst du dich? Er sagte es sei in einem Buch namens Höchst potente Zaubertränke beschrieben."

„Ja, und er sagte auch dass es verboten ist!" Einen Moment sahen sie einander nur schuldbewusst an, dann fuhr Zoe fort: „Wie und wo wollt ihr das eigentlich anstellen?"

„Wir dachten an Myrtes Klo. Da kommt eh nie jemand hin", sagte Hermine, „und wir könnten den Kessel in einer Kabine verstecken, bis der Trank fertig ist. Zu allererst brauchen wir jedoch das Rezept."

„Und jetzt kommst du ins Spiel", sagte Ron und grinste breit.

Zoe schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Also", Hermine versicherte sich abermals, dass sie niemand belauschte, „wenn wir so tun, als ob wir einfach an der Theorie interessiert wären, haben wir vielleicht eine Chance an das Buch heran zu kommen. Und wir dachten, wenn du Professor Snape bitten könntest, dann ..."

„Oh Hermine!", stöhnte Zoe. „Wenn da irgendwas schief geht, bekomme ich einen riesen Ärger."

„Was soll denn da schief gehen?", fragte Ron versöhnlich.

„Er muss nur davon Wind bekommen, dann kann er eins und eins zusammenzählen ...", unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen. Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch ihren Freunden zu helfen und nicht in eine prekäre Situation mit Professor Snape zu geraten.

„Gibt's denn keinen anderen, den wir fragen können ... Jemand, der vielleicht nicht direkt den Zusammenhang versteht ..."

„Guten Morgen, Klasse!", sagte Gilderoy Lockhart fröhlich, als er die wartenden Schüler begrüßte und die Tür zum Saal öffnete.

Hermine strahlte plötzlich über das ganze Gesicht, schulterte ihre Tasche und sagte: „Super Idee, Zoe! Also ich würde sagen, wenn alles glatt läuft treffen wir uns in der Pause bei Myrte, ja?" Und mit diesen Worten folgte sie den anderen in die Klasse und ließ die drei ziemlich verdutz dreinblickend stehen.

Auch in dieser Stunde nahm Lockhart Harry wieder nach vorne um eine seiner Heldentaten nachzustellen. Dieses Mal musste Harry einen Werwolf mimen, während Lockhart ihn immer und immer wieder dazu anhielt laut und gefährlich zu Heulen.

Zoe hörte gar nicht richtig zu, blätterte stattdessen in ihren Lehrbüchern und suchte nach interessantem Artikel. Erst als Harry einen leichten Schmerzenslaut ausstieß und Vincent und Gregory laut lachten, hob sie den Kopf.

„... und dann, stellt euch vor, stürze ich mich auf ihn ‑ wie jetzt ‑ und drück ihn zu Boden – so ‑ mit der einen Hand halte ich ihn unten ‑ mit der andern steche ich den Zauberstab gegen seine Kehle ‑ dann nehme ich meine letzten Kräfte zusammen und führe den immens komplizierten Homorphus-Zauber aus ‑ der Werwolf fiept jämmerlich ‑ weiter, Harry ‑ noch höher – gut ‑ der Pelz verschwindet ‑ die Reißzähne schrumpfen ‑ und er verwandelt sich zurück in einen Menschen. Einfach, aber wirksam.

Und noch ein Dorf wird meiner auf ewig gedenken als jenes Helden, der es von den Schrecken der allmonatlichen Werwolfangriffe erlöst hat."

Und endlich unterbrach das Läuten der Schulglocke Lockharts Theaterstück. Noch bevor die Schüler alle zusammen gepackt hatten rief ihr Lehrer über ihre Köpfe hinweg: „Hausaufgaben: Schreibt ein Gedicht über meinen Sieg über den Wagga Wagga Werwolf! Mein Buch Magisches Ich mit Autogramm als Belohnung für das beste Gedicht!"

„Oh, Mann", murmelte Zoe genervt und warf einen Blick über ihre Schulter, um sich von Hermine, Ron und Harry zu verabschieden.

Hermine sah nervös aus und schien absichtlich zu trödeln. Zoe sah auf die Uhr. Vielleicht konnte sie noch kurz vor dem Klassenzimmer auf ihre Freunde warten.

„Ich komm gleich nach!", sagte sie zu Tracey, blieb im Türrahmen stehen und spähte ins nun leere Klassenzimmer.

Hermine ging mit einem Zettel nach vorne zu Lockharts Pult, warf Zoe einen flüchtigen Blick zu und stammelte: „Ähm ‑ Professor Lockhart? Ich möchte gerne ‑ dieses Buch ‑ aus der ‑ Bibliothek haben. Nur zur Hintergrundlektüre. Das Problem ist nur, es steht in der Verbotenen Abteilung, also brauche ich einen Lehrer; der mir diese Erlaubnis unterschreibt ‑ ich bin sicher, es hilft mir zu verstehen, was Sie in Gammeln mit Ghulen über langsam wirkende Gifte sagen ‑"

Zoe schmunzelte in sich hinein, das war wirklich eine gute Ausrede.

„Ah, Gammeln mit Ghulen!", sagte Lockhart und nahm Hermines Zettel an sich. „Vielleicht mein Lieblingsbuch. Hat es Ihnen gefallen?"

„Oja, so schlau, wie Sie diesen letzten mit dem Teesieb gefangen haben ‑"

„Nun, sicher wird niemand etwas dagegen haben, wenn ich meiner besten Schülerin in diesem Jahr noch ein wenig weiterhelfe ja, hübsch, nicht wahr?", Lockhart nickte zu der Pfauenfeder, die er ergriff, um Hermines Blatt zu unterschreiben, „ich benutz ihn normalerweise nur, um Bücher zu signieren."

Hinter seinem Rücken streckte Ron den Daumen in die Höhe und grinste breit. Zoe erwiderte die Geste, und eilte dann den Slytherins nach um nicht zu spät zum Unterricht zu kommen.

Die Zeit ging kaum vorüber. Immer wieder fragte sich Zoe, wie die Gryffindors ihren Plan umsetzten wollten. Immer wieder musste die Slytherin daran denken, was geschehen würde, wenn sie aufflogen. Würde man sie von der Schule werfen?

Und was sollten sie tun, wenn sich herausstellte, dass Harry, Ron und Hermine mit ihrer Vermutung richtig lagen? Auch wenn es kaum möglich war ... Irgendwie zog Zoe es dann ja doch in Betracht, dass Draco der Übeltäter sein könne. Ihr Blick fiel auf den blonden Hinterkopf, der gerade mit Vincent zusammensteckte. Wenn dem wirklich so war, dann konnte sich Draco Malfoy gut verstellen.

Als es läutete lief Zoe ohne viele Ausreden schnurstracks in den zweiten Stock. Bevor sie eintrat, vergewisserte sie sich allerding, dass sie von keinem gesehen wurde. Doch zu ihrer Enttäuschung war niemand da. Niemand, außer Myrte natürlich.

„Wer ist da?!", der perlweiße Geist der jungen Schülerin kam herabgeschwebt und betrachtete Zoe neugierig. „Oh, du bist es ... In letzter Zeit bekomme ich häufig Besuch."

„Liegt sicher an dem Unfug, den jemand an die Wand vor der Tür geschrieben hat", sagte Zoe und sah sich schon mal nach einem geeigneten Platz für den Kessel um.

„Ja genau", sagte Myrte verstimmt, „Schaulustige ... Was sonst auch?! Wer sollte schon meinet wegen hierher kommen."

Die Slytherin verzog den Mund und betrachtete den angesäuerten Geist.

„So meinte ich das gar nicht", versuchte sie zu erklären.

„Oh, ich weiß sehr wohl, wie das gemeint war!", fauchte Myrte schnippisch. „Solche Dinge bekomme ich immer zu hören. Nun gut, wenn sich niemand für meine Anwesenheit interessiert, dann kann ich auch gehen!"

Noch bevor Zoe etwas hätte einwenden können, war die Maulende Myrte durch die Wand verschwunden. Die Slytherin drehte der Stelle, an der Myrte zuletzt zu sehen war den Rücken zu und verdrehte genervt die Augen. Diesem wehleidigem Geist konnte man es nie Recht machen.

Nach einer Weile ging die Tür vom Klo wieder auf und Zoe konnte die Stimmen ihrer Freunde erkennen. Sie verließ die Kabine, in der sie gewartet hatte und staunte nicht schlecht, als sie das alte, dreckig wirkende Buch in Hermines Armen sah.

„Ihr habt's tatsächlich bekommen!", sagte Zoe ungläubig.

„Lockhart hat noch nicht mal gefragt, wofür wir es brauchen", amüsierte sich Ron. „So ein Aufschneider."

„Sei doch froh, darüber!", schimpfte Hermine und schlug das Buch vorsichtig auf. „Und er ist kein Aufschneider!"

Sie traten näher heran, um Hermine über die Schulter zu schauen, als sie mit spitzen Fingern die stockfleckigen Seiten umschlug. Zoe wurde sofort klar, warum dieses Buch in die Verbotene Abteilung gehörte. Die Abbildungen zu manch einem Trank waren mehr als gruselig. Da waren Menschen, den mehrere Arme aus dem Kopf wucherten und ein Zauberer dessen Inneres nach außen gekehrt war. Zoe schloss angewidert die Augen und versuchte die Bilder zu verdrängen.

Erst als Hermine sagte: „Da ist es" schlug Zoe wieder die Augen auf.

Auf der aufgeschlagenen Seite prangte die Überschrift „Vielsafttrank". Zoe überflog die Zutatenliste und presste die Lippen fest aufeinander.

„Das bekommen wir doch nie hin", meinte sie.

Hermine stimmte ihr zu: „Das ist der komplizierteste Trank, von dem ich je gehört hab. Florfliegen, Blutegel, Flussgras und Knöterich. Nun gut, das ist recht einfach, das ist im Vorratsschrank für die Schüler, da können wir uns bedienen ... oh, seht Mal, gemahlenes Horn eines Zweihorns ‑ weiß nicht, wo wir das herkriegen sollen ‑, klein geschnittene Haut einer Baumschlange ‑ auch das wird nicht einfach sein ‑ und natürlich ein Stück von demjenigen, in den wir uns verwandeln wollen."

„Ueeeeah, ihr braucht ein Stück von Vincent und Gregory?", feixte Zoe und sah Harry an, der aussah als wäre ihm ziemlich schlecht.

„Wie bitte?", Ron sah schockiert aus, „was meinst du damit, ein Stück von dem, in den wir uns verwandeln? Ich trinke nichts mit Crabbes Zehennägeln drin ‑"

Hermine ignorierte sie beide und sprach einfach weiter: „Darüber müssen wir uns jetzt noch keine Sorgen machen, weil wir diese Stückchen zuletzt reintun ..."

„Also ich finde die ganze Sache immer noch riskant", meinte Zoe und betrachtete die Mengenangaben der Zutatenliste. „Selbst wenn wir unsere Vorräte zusammenlegen, woher bekommen wir dann all das andere Zeug?"

Harry sah nachdenklich durch den Raum und schüttelte dann den Kopf, als wolle er seinen Gedanken los werden.

„Wir haben ja schon geahnt, dass wir nie alle Zutaten haben werden, aber ist dir klar, wie viel wir stehlen müssen, Hermine? Klein geschnittene Haut einer Baumschlange, das ist bestimmt nicht im Schülerschrank, was sollen wir tun, bei Snape einbrechen und seine privaten Vorräte klauen? Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist ..."

„Das ist absolut, KEINE gute Idee!", bestätigte Zoe und riss die Augen auf.

Sie zucken gemeinsamen zusammen, als Hermine das Buch laut zuklatschen ließ.

„Nun, wenn ihr kalte Füße kriegt, schön", sagte sie und ihre Nasenflügel blähten sich auf. „Ich will ja keine Regeln brechen, wisst ihr. Ich glaube, Schüler aus Muggelfamilien zu bedrohen ist viel schlimmer als einen schwierigen Zaubertrank zu brauen. Aber wenn ihr nicht rausfinden wollt, ob es wirklich Malfoy ist, geh ich jetzt gleich zu Madam Pince und geb das Buch wieder zurück ‑"

Zoe kaute nervös auf ihrer Zunge. Natürlich wollte sie ihren Freunden helfen, aber etwas so Verbotenes tun ‑ das konnte richtigen Ärger geben. Was würde ihr Großvater dann sagen?

Aber was würde passieren, wenn der Erbe wieder zuschlug? Und wären nicht alle glücklich und stolz auf sie, wenn sie deren Erben entlarven würden?

„Hätte nie gedacht, dass ich den Tag erleben würde, an dem du uns dazu überredest, die Regeln zu brechen", sagte Ron. „Na gut, wir machen mit. Aber keine Zehennägel, ist das klar!?"

„Wie lange brauchen wir eigentlich dafür?", fragte Harry.

Hermine lächelte zufrieden und schlug das Buch wieder auf, und begann weiter zu lesen.

„Na ja, wenn das Flussgras bei Vollmond gezupft werden muss und die Florfliegen einundzwanzig Tage schmoren müssen ..."

„Einundzwanzig Tage?!", fragte Zoe ungläubig und steckte ihre Nase ebenfalls in den Wälzer.

„... würd ich schätzen, wenn wir alle Zutaten kriegen können, bin ich in einem Monat fertig."

„Ein Monat", sagte Ron. „Bis dahin könnte Malfoy alle Schüler aus Muggelfamilien angreifen!"

„Aber einen besseren Plan haben wir nicht", sagte Hermine fest entschlossen. „Also volle Kraft voraus, meine ich."

Sie verstaute das Buch vorsichtig in ihrer Tasche und die Mädchen sahen zusammen nach, ob der Korridor leer war. Dann huschten auch Ron und Harry hinaus. Während sie hinunter zur Großen Halle gingen schmiedeten sie weiterhin Pläne. Für Hermine schien alles klar zu sein. Ron und Harry hatten allerdings noch Bedenken.

Als Hermine energisch voran an ihren Tisch ging sagte Ron grimmig zu Harry: „Wir hätten viel weniger Scherereien, wenn du Malfoy morgen einfach vom Besen hauen könntest."

Harry lachte leise und verabschiedete sich von Zoe, die heute am Slytherintisch essen wollte.

Am nächsten Morgen ging es Zoe um einiges besser. Die schlechte Nacht vom Vortag hatte sie nun aufgeholt und voller Tatendrang sah sie dem Samstag entgegen. Ihre Stimmung änderte sich jedoch schlagartig, als sie den Gemeinschaftsraum betrat und daran erinnert wurde, dass heute das Quidditchspiel gegen Gryffindor stattfand.

Sie ignorierte Pansys euphorische Lobeshymnen auf Draco, während sie zum Frühstück gingen. Auch am Gryffindortisch saßen die Mannschaftsmitglieder schon am fast leeren Tisch zusammen und so beschloss Zoe sich zu Theodore und Blaise zu gesellen, die sich über einen Ort unterhielten, in dem beide anscheinend schon Urlaub gemacht hatten. Alles in allem war die Stimmung angespannt und Zoe konnte es kaum erwarten, dass sich das Schloss nach und nach leerte und ruhig wurde. Die Mehrheit der Schüler und Lehrer besuchten das Quidditchspiel und so war dies eine gute Gelegenheit das Schloss zu erkunden, oder die absolute Stille zu genießen.

Zoe schüttete sich Milch über ihre Flakes und überlegte, was sie in der Zeit tun konnte. Der Gemeinschaftsraum würde leer sein, es war also die Chance sich einen der guten Plätze vor dem Kamin zu sichern und etwas zu lesen. Sie konnte allerdings auch Hagrid wieder einen Besuch abstatten, falls dieser nicht auch auf dem Spiel war. Zoe warf einen Blick auf die verzauberte Decke, die den Himmel draußen wiederspiegelte. Einige Wolken hingen auf dem blauen Firmament. Vielleicht sollte sie das gute Wetter noch nutzen, solange sie konnte.

Nach dem Frühstück ging sie hinunter in den Kerker, um sich einen wärmeren Umhang zu holen und auf dem Weg hinaus war das Schloss schon leer geworden. Als sie das Portal durchquerte schwappten die Anfeuerungsrufe der Ravenclaws und Hufflepuffs, jedoch auch einige Buhrufe der Slytherins zu ihr herüber.

Grimmig schüttelte Zoe den Kopf. Sie mochte diese Konkurrenzkämpfe zwischen den Häusern überhaupt nicht. Sie kickte einen Stein weg, der vor ihr auf dem Pfad lag dem sie folgte und schlug schließlich einen Weg ein, dem sie bisher noch nich gefolgt war.

Offensichtlich würde dieser sie zum See führen, doch kurz bevor Zoe das Ufer des Wasser sehen konnte, dass sich in der Senke gesammelt hatte machte der Weg einen Bogen und führte sie weiter nach rechts. Die Wolken am Himmel verdichteten sich und bald war schon nichts mehr von dem Azurblau zu sehen, das heute Morgen noch an der Decke der Großen Helle gestrahlt hatte. Ein Gewitter lag in der windstillen Luft. Der Weg endete plötzlich und mitten in der Landschaft. Irritiert blieb Zoe schließlich stehen. Von hier konnte sie den Waldrand einige hundert Meter vor ihr sehen, Hagrids Hütte auf der anderen Seite und die Peitschende Weide, die sich sanft hin- und her wiegte. Einige Äste von dem imposanten Baum waren abgebrochen und Zoe ging näher heran um sie zu betrachten, als ihr einfiel, dass Harry und Ron mit dem fliegenden Auto am Anfang des Jahres in eben jenem Baum gelandet waren.

In sicherem Abstand blieb sie stehen und betrachtete das Loch, das die Karosserie in das Holz geschlagen hatte. Auch am Boden konnte man die mittlerweile verwaschenen Spuren der Räder sehen, als das Auto in den Wald geflüchtet war.

Zoe hatte nie verstanden, wie es die Muggel ohne Magie schafften, etwas herzustellen, das offenbar einen eigenen Willen hatte. So manch ein Geheimnis schienen sie dann doch in sich zu tagen.

Ihre Gedanken wurden von einem lauten Krachen unterbrochen, das aus dem verbotenen Wald kam. Zoe zuckte erschrocken zusammen und zog ihren Zauberstab. Das Jaulen eines Hundes erklang und anschließend ein Fluchen.

„T'schuldigung, Fang!" Es war Hagrids Stimme.

Das Krachen wurde lauter und schließlich kam der Wildhüter mit seinem Saurüden aus dem Wald gestolpert. An seinem Maulwurfsfellmantel klebten weiße Speichelfäden und trockenes Laub. Erleichtert steckte die Slytherin ihren Zauberstab weg und ging zu Hagrid hinüber. Fang kam stürmisch auf sie zu gesprungen.

„Ach, hallo Zoe! Was machst du denn hier, so alleine."

„Hab keine Lust auf Quidditch, da wollte ich ein bisschen spazieren gehen", sagte Zoe.

„Nein, Fang!", meinte Hagrid und zog Fang von Zoe weg, damit dieser sie nicht um rempelte. „Hat das Spiel schon angefangen?"

„Schon lange."

„So'n Mist ... Wollt' Harry doch spielen sehen. Nun, dafür isses nun zu spät, oder?"

„Wahrscheinlich."

Hagrid brummte. „Kommst du mit zu einem Tee?"

„Gerne", sagte Zoe strahlend und folgte Hagrids riesen Schritten. „Wo bist du denn gewesen?"

„Hab' nach Fluffy geschaut. Hat sich ne Dorne in die Pfote gedrückt, armer Kerl. Ist ganz schön entzündet."

Zoe erinnerte sich noch zu gut an den dreiköpfigen Höllenhund und dessen riesige Pfoten.

„Der arme ...", sagte sie unberührt.

„Nett, dass du das sagst. Wird aber wieder gesund, dann kann er wieder herum tollen, wie ein Welpe."

Der Himmel verdunkelte sich zunehmend und als sie in Hagrids Hütte angekommen waren hatte es bereits zu regnen begonnen. Hagrid ging noch einmal kurz hinaus, um nach seinen Hühnern zu schauen und als er wieder kam, war sein Mantel triefend nass.

Zoe beschloss nach ihrem Tee wieder hinauf zu gehen, bevor sich noch ein richtiger Sturm zusammenbraute. Sie bedankte sich bei Hagrid, zog sich die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht und lief ohne Pause die Hügel hinauf zurück zum Schloss.

Das Quidditchspiel schien schon beendet zu sein, zumindest konnte sie keine Rufe mehr vom Spielfeld her hören. Und als sie das Schloss erreicht hatte, kamen gerade die letzten Nachzügler vom Spielfeld. Den Gesichtern und Jubeln nach hatte Gryffindor wohl gewonnen.

Sie quetschte sich mit ein paar Erstklässlern durch den Eingang. Darunter war auch der kleine, blonde Junge, der nirgends ohne seine Kamera hin ging.

„Gehen wir direkt hoch zum Krankenflügel?", fragte er seinen Freund. „Ich würd gerne ein Foto von Harry machen. Mein Dad hat den Krankenflügel noch gar nicht gesehen."

Zoe wurde hellhörig und hielt den Jungen an der Schulter fest und zog sich die nasse Kapuze vom Kopf.

„Harry ist im Krankenflügel?", fragte sie ihn.

Er zuckte erschrocken zusammen, wandte sich um, als er jedoch Zoe sah, lächelte er freundlich und sagte ohne Luft zu holen: „Ja, ein Klatscher hat ihn erwischt. Und er hat trotzdem den Schnatz gefangen. Und er ist vom Besen gekippt. Und ..."

Doch Zoe hörte ihm nicht länger zu, quetschte sich durch die Schülermengen und rannte hinauf zum Krankenflügel. Auf halben Weg musste sie eine kurze Pause einlegen, weil ihre Seiten schmerzlich stachen und als sie endlich ankam war sie völlig außer Atem.

Sie drückte die Tür auf ohne zu klopfen und sah auch direkt eine kleine Traube von Leuten um das hinterste Bett stehen.

Hermine und Ron drehten die Köpfe zu ihr und Hermine legte ihren Zeigefinger auf die Lippen.

„Sie hätten gleich zu mir kommen sollen. Ich kann Knochen in einer Sekunde wieder heilen ‑ aber neu wachsen lassen ‑" Die Krankenschwester, Madam Pomfrey tobte.

Zoe hatte sie noch nie so wütend gesehen. Vorsichtig trat an Harrys Bett heran und sah hinab auf Harry schlaffen, rechten Arm, den sie gerade untersuchte.

Harry schien verzweifelt: „Das werden Sie doch schaffen, nicht wahr?"

„Ich werde es schaffen, selbstverständlich, aber es wird schmerzhaft sein. Sie werden die Nacht über hier bleiben müssen ..." Sie warf ihm einen Schlafanzug aufs Bett, zog die Vorhänge des Bettes zu und schickte die Mädchen hinaus, während Ron Harry beim anziehen half.

Zoe nutzte die Gelegenheit, um mit Hermine zu reden: „Was ist passiert?"

„Irgendwie haben die Klatscher verrückt gespielt." Hermine seufzte theatralisch. „Sie hatten es nur auf Harry abgesehen. Sie waren schon kurz davor, dass Spiel abzusagen, aber Harry wollte nicht. Und dann hat ihn einer erwischt und er wäre fast vom Besen gefallen ..."

Der Blick von Zoe verfinsterte sich. Quidditch war einfach so dämlich und unnötig gefährlich.

„... auf jeden Fall", fuhr Hermine fort, „hat Harry trotzdem weiter gemacht und sogar den Schnatz gefangen und als er unten war ... Da ... Da ist Professor Lockhart gekommen und hat gesehen, dass Harrys Arm gebrochen ist und ... und er hat irgendwie Harrys Knochen aus seinem Arm verschwinden lassen ..."

„Er hat was?", fragte Zoe entsetzt.

Hermines Gesicht wirkte gequält: „Er wollte doch nur helfen ..."

„Wie kannst du jetzt noch zu Lockhart halten, Hermine?", rief Ron durch den Vorhang. „Wenn Harry eine Entknochung gewollt hätte, dann hätte er danach gefragt."

„Jeder kann mal einen Fehler machen", sagte Hermine. „Und es tut nicht mehr weh, oder, Harry?"

„Nein, aber ansonsten tut sich auch nichts mehr", antwortete Harry beflissen.

Madam Pomfrey kam hinter dem Vorhang hervor, steckte kurz den Kopf hinein und zog ihn wieder auf. Die Mädchen traten wieder näher heran, während die Krankenschwester einen Becher auf den Nachttisch stellte und ihn mit einer dampfenden Flüssigkeit aus einer Flasche mit der Aufschrift „Skele-Wachs" füllte.

„Du hast eine schwere Nacht vor dir", sagte sie und sah Harry mitleidig an. „Knochen nachwachsen lassen ist eine scheußliche Sache."

Harry trank den Becher mit verzogenem Gesicht aus und prustete und hustete.

„Guter Junge", lobte Madam Pomfrey, „ich weiß einfach nicht, wie man so junge Kinder eine so gefährliche Sportart zumuten kann. Sie gehört verboten. Genauso wie unfähiges Lehrpersonal. Gibt es denn hier keine Aufnahmeprüfungen!"

Sie packte die Flasche und den Becher und ging ins Hinterzimmer.

„Immerhin haben wir gewonnen." Ron grinste breit und sagte zu Zoe. „Das war ein toller Fang von ihm. Du hättest Malfoys Gesicht sehen sollen ... er sah aus, als wollte er Harry umbringen ..."

Zoe fand das allerdings überhaupt nicht witzig und zog unbeeindruckt die Brauen nach oben. Ihr Blick fiel auf Harry, der mit einer schrägen Körperhaltung auf dem Krankenbett saß. Sein rechter Arm hing nutzlos und wie eine fleischfarbene Wurst an seiner Seite herunter. Zoe schauderte.

„Ich möchte wissen, wie er diesen Klatscher verhext hat", sagte Hermine mit düsterer Stimme.

„Hatte er denn überhaupt die Gelegenheit dazu?", fragte Zoe. „Ich meine ... irgendjemand hätte ihn doch sehen müssen?

Harry ließ sich erschöpft in das Kissen zurücksinken und sagte: „Das können wir auf die Liste der Fragen setzen, die wir ihm stellen, wenn wir den Vielsaft-Trank eingenommen haben. Ich hoffe, er schmeckt besser als dieses Zeugs ..." Er deutet auf die Flasche Skelewachs.

„Wenn Stückchen von Slytherins drin sind? Du machst wohl Witze." Ron verzog angewidert das Gesicht.

Zoe wollte gerade auf Ronalds Spekulationen eingehen, als es laut krachte, weil die Tür des Krankenzimmers schwungvoll aufgeschlagen wurde. Hinein kamen durchnässte und schmutzige Gryffindors. Allesamt noch in ihrer Mannschaftsuniform, mit roten Wangen und glühenden Augen. In ihren Armen trugen sie Kuchen, Süßigkeiten und Kürbissaft, offensichtlich um ihren Quiddichsieg zu feiern.

Die Weasley Zwillinge hatten Harrys Bett als erste erreicht und lobten ihn euphorisch.

„Unglaubliche Fliegerei, Harry", sagte George, „ich hab gerade gesehen, wie Marcus Flint Malfoy fertig gemacht hat.

Von wegen dem Schnatz direkt über dem Kopf haben und nichts bemerken. Malfoy guckte nicht besonders glücklich aus der Wäsche."

Sie hatten gerade ihre Mitbringsel auf das Krankenbett abgeladen, als Madam Pomfrey wie eine wütende Furie herbei gestürmt kam und schimpfte: „Dieser Junge braucht Ruhe, schließlich müssen dreiunddreißig Knochen nachwachsen! Raus! RAUS"

Jeglicher Widerspruch war vergebens und schließlich warf die Krankenschwester auch Ron, Hermine und Zoe mit hinaus. Zoe begleitete sie Gryffindors noch so weit, bis sich ihre Wege trennten, ihre Freunde in den Turm und sie selbst in die Kerker zurückkehrte.

In ihrem Gemeinschaftsraum herrschte eine bedrückte Stimmung. Es war ruhig und angespannt und als Zoe durch die Tür kam, fiel ihr Blick gleich auf Draco, der nur mit Vincent und Gregory in einer dunklen Ecke saß und tuschelte. Er sah sie an, als hätte er Zoe am liebsten mit ihrem Blick erdolcht und irgendwie schien es der Zwölfjährigen immer weniger abwegig, dass Draco es vielleicht tatsächlich sein konnte, der für die Schmiererei im zweiten Stock verantwortlich war. Gekonnt ignorierte sie seinen Blick und gesellte sich zu Daphne und Tracey die nicht weniger enttäuscht, jedoch um einiges freundlicher waren um, mit ihnen den Tag ausklingen zu lassen.

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