Der geheime Zugang

Als Zoe die Große Halle betrat versuchte sie so gut es ging das Getuschel zu ignorieren. Schnurstracks ging sie hinüber zu Harry und Ron. Der Appetit war ihr mittlerweile vergangen und doch zwang sie sich dazu einen Toast zu essen und nutze die Fragen der Aufdringlichen Gryffindors zu beantworten. Als deren Neugierde befriedigt war und es wieder ruhiger am Tisch zuging wandte sie sich den Jungs zu, mit finsterer Miene.

„Ich muss mich bei Lockhart entschuldigen", sagte sie griesgrämig.

„Hat Snape gesagt?", fragte Ron mit vollem Mund.

Zoe nickte und verdrehte die Augen und wollte etwas erwidern, doch Harry unterbrach sie: „Hör mal, ich hab' die letzte Nacht noch lange nachgedacht."

Die Slytherin legte den angebissenen Toast zur Seite. Eigentlich hatte sie gehofft das Geschehene schnell hinter sich lassen zu können.

„Was Aragog über das Mädchen sagte", erklärte Harry leise, „dass sie in einem Klo gestorben ist. Wir glauben es ist ‑"

„Myrte, ja", beendete Zoe den Satz. „Das hab ich mir auch gedacht."

Harry sah sie ein wenig verdutzt an, zögerte kurz und nahm den Faden wieder auf: „Vielleicht kann sie sich erinnern wer es war ..."

„Und wie willst du dorthin kommen? Wir stehen jede Minute unter Beobachtung und ich kann mir nicht noch einen Fehltritt erlauben."

„Aber was willst du denn sonst tun?", fragte Harry ein wenig pikiert.

„Warten bis mein Großvater wieder im Haus ist und dann müssen wir ihm alles sagen, was wir wissen."

„Und wenn bis dahin noch einer stirbt?", warf Ron etwas lauter dazwischen.

Die Köpfe ihrer Sitznachbarn drehten sich neugierig zu ihnen um, und so hatten sie erst einmal keine Gelegenheit mehr, die Diskussion zu beenden.

Kurz darauf brachen auch die Lehrer auf und führten die Schüler in ihre Klassenräume. Zoe hatte sich direkt an Professor Flitwicks Fersen geheftet. Auf Sticheleien von Draco oder Anfeindungen ihrer Mitschüler wegen des Punkteabzugs hatte sie nun wahrlich keine Lust.

Noch während der ersten Stunde, brachte Ihr Zauberkunstlehrer sie alle wieder zurück in die Realität. In genau einer Woche würden ihre Abschlussprüfungen beginnen. Ein unzufriedenes Raunen ging durch den Saal. Keiner von ihnen hatte, angesichts der aktuellen Umstände, damit gerechnet, dass die noch Prüfungen haben würden. Auch Zoe war ein wenig überrumpelt worden.

Die ganzen letzten Wochen hatten sich nur um den Erben und die Kammer gedreht. Und seit Hermine angegriffen worden war, hatte sie keinen einzigen Gedanken mehr an die Prüfungen verschwendet.

Da sie in ihrer Freizeit nun meistens eingesperrt in ihre Gemeinschaftsräume waren, hatten sie nun zwar noch ein wenig Zeit etwas Unterrichtsstoff nachzuholen, doch für Zoe war diese Zeit fast unerträglich. Um den fiesen Anspielungen und bösartigen Sprüchen zu entkommen zog sie sich meistens direkt in ihren Schlafsaal zurück und lernte alleine.

Das machte zwar nicht wirklich Spaß und war ziemlich einsam, doch es war allemal besser, als Draco dabei zu beobachten, wie er sie zum einhundertsten Mal nachäffte, wie sich bei Lockhart entschuldigte. Und immerhin gesellten sich Tracey und Daphne sich auch ab und an zu ihr, um sie aufzumuntern.

Die Zeit verging wie im Fluge.

Schon drei Tage vor ihrer Prüfung saß Zoe gegenüber von Ron und Harry am Frühstückstisch und fragte die Beiden für Kräuterkunde ab, als Professor McGonagall sie alle zur Ruhe bat.

„Ich habe eine gute Nachricht", begann sie wurde jedoch augenblicklich durch Zwischenrufe unterbrochen.

„Dumbledore kommt zurück!", riefen einige ausgelassen.

„Sie haben den Erben Slytherins gefangen", kam es vom Ravenclaw-Tisch.

Und Oliver Wood, der nur zwei Plätze von Zoe entfernt saß rief begeistert: „Es gibt wieder Quidditch-Spiele!"

Professor McGonagall ließ sich nicht irritieren und wartete stattdessen, bis die Menge so neugierig geworden war, dass sie von selbst ruhig waren. Dann fuhr sie fort: „Professor Sprout hat mir mitgeteilt, dass die Alraunen endlich reif zum Schneiden sind. Wir werden die Versteinerten heute Abend noch wieder beleben können. Ich muss Sie wohl kaum daran erinnern, dass einer von ihnen uns vielleicht sagen wird, wer ‑ oder was ‑ ihn angegriffen hat.

Ich habe die große Hoffnung, dass dieses schreckliche Jahr damit enden wird, dass wir den Schurken fassen."

Die ganze Halle brach in Jubellaute aus und auch Ron und Harry stimmten fröhlich mit ein. Zoe fiel ein Stein vom Herzen. Endlich würde sie wieder mit Hermine reden können und vielleicht, hatte diese das Rätsel schon lange gelöst. Und dann würde endlich wieder alles gut werden.

„Dann ist es egal, dass wir Myrte nicht gefragt haben", meinte Ron gelassen zwischen dem Lärm hindurch. „Hermine wird wahrscheinlich alles wissen, wenn sie aufwacht! Ich sag dir, sie dreht durch, wenn sie erfährt, dass wir in drei Tagen Prüfungen haben. Sie hat ja nichts wiederholt. Vielleicht wäre es besser, sie in Ruhe zu lassen, bis alles vorbei ist."

Zoe kicherte fröhlich. Endlich würde alles gut werden!

Just in dem Moment, da Zoe sich entspannt hatte tauchte Ginny neben Ron auf und setzte sich neben ihn. Zoe fiel sofort ihre nervöse und angespannte Haltung auf.

Ron, der sich gut gelaunt Haferbrei auf den Teller warf fragte munter: „Was gibt's?"

Seine Schwester hob den Blick von ihren Händen, die sie aneinander rieb und sah ängstlich den Tisch hinauf.

Als Ron Zoes besorgten Gesichtsausdruck bemerkte musterte er seine Schwester aufmerksam und meinte: „Spuck's aus"

„Ich muss euch etwas sagen", murmelte Ginny mit einem glasigen Blick in Richtung Raven­claw­tisch

„Was denn?", fragte Harry.

„Ist irgendwas passiert?", hakte auch Zoe nach.

Ginny öffnete den Mund, fand offensichtlich nicht die richtigen Worte und schloss ihn wieder.

„Was?", drängte Ron.

Harry beugte sich zu ihr herüber und flüsterte so leise, dass Zoe nur ‚Kammer des Schreckens' verstand. Die Rothaarige atmete einmal tief durch, öffnete den Mund erneut und wurde genau in diesem Moment unterbrochen.

„Wenn du fertig bist mit Essen, setz ich mich auf deinen Platz, Ginny, ich komm gerade vom Wachdienst." Es war ihr älterer Bruder Percy, ein wenig blasser als sonst und ziemlich müde.

Ginny sprang wie ein aufgescheuchtes Huhn von ihrem Platz auf und verschwand einfach, ohne ein Wort gesagt zu haben. Percy setzte sich ungefragt zu ihnen und griff nach einem Becher und goss sich Tee ein.

Ron, der nun ziemlich wütend war, fauchte seinen Bruder an: „Percy! Sie wollte uns gerade etwas Wichtiges sagen!"

Dieser verschluckte sich augenblicklich und prustete über den Tisch. Als er sich gefangen hatte, fragte er: „Um was geht es?"

„Ich hab sie nur gefragt, ob sie etwas Merkwürdiges gesehen hätte, und sie wollte gerade etwas sagen ‑"

„Oh – das ‑ das hat nichts mit der Kammer des Schreckens zu tun", druckste Percy herum und begann rosa anzulaufen.

Sein Bruder war über die Reaktion des älteren sichtlich irritiert, zog die Brauen nach oben und fragte: „Woher weißt du das?"

„Nun, ähm, wenn ihr es unbedingt wissen müsst, Ginny, ähm, lief mir letztens über den Weg, als ich ‑ nun, egal ‑ der Punkt ist, sie hat mich bei etwas gesehen und ich hab sie gebeten, es keinem zu erzählen. Ich muss sagen, sie hat offenbar Wort gehalten. Es ist nichts, wirklich, ich würde lieber ‑"

Zoe hatte Percy noch nie so peinlich berührt gesehen und seine Ohren glühten mittlerweile in einem Dunkelrot. Rons Grinsen wurde immer breiter.

„Wobei hat sie dich erwischt, Percy?", fragte er süffisant. „Komm schon, erzähl's uns, wir lachen bestimmt nicht."

Percys Miene verzog sich und sah plötzlich Professor McGonagall verblüffend ähnlich.

„Kannst du mir die Brötchen reichen, Harry, ich verhungere."

Und damit war das Thema für ihn erledigt. Kurz darauf musste Zoe sich auch wieder verabschieden weil, sie für den Unterricht abgeholt wurden.

Dieser Tag ging schleppend langsam voran. Zoe schaute jede gefühlte Minute auf die Uhr doch die Zeit wollte einfach nicht vorbeigehen. Während die Klasse stumm ihre Aufgaben für die Prüfungsvorbereitung erledigte wurde das Ticken in Zoes Ohren immer lauter.

Tick-Tack. Nur noch wenige Stunden und sie würde wieder mit Hermine sprechen können.

Tick-Tack. Tick-Tack. Und dann würden sie vermutlich wissen, wer oder was hinter den Angriffen steckte.

Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Dann war es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis Zoe ihren Großvater wieder in die Arme schließen konnte.

Sie vermisste ihn so sehr.

Eine halbe Stunde vor dem Gong gingen sie gemeinsam die Lösungen durch, doch Zoe hörte kaum zu, packte stattdessen ihre Unterlagen schon zusammen und wartete. Doch das Klingeln blieb aus. Stattdessen erklang die magisch verstärkte Stimme von Professor McGonagall durch das Schloss: „Die Schüler kehren sofort in ihre Schlafsäle zurück. Die Lehrer versammeln sich im Lehrerzimmer. Unverzüglich, bitte."

Professor Flitwick fiel fast vor Schreck von seinem Bücherstapel.

„Wurde wieder jemand angegriffen?", fragte Lisa Turpin ängstlich.

Die Stimmung in der Klasse schlug schlagartig in Panik um, und der kleine Professor Flitwick hatte alle Hände voll zu tun, sie wieder zu beruhigen. Schaffte dies aber binnen einiger Minuten.

„Und jetzt zügig in ihre Gemeinschaftsräume! Keine Umwege, kein Herumtrödeln. Folgen sie ihren Vertrauensschülern!"

Er achtete darauf, dass sich die Ravenclaws und Slytherins in einer ordentlichen Zweierreihe aufstellte und schickte sie dann erst los, bevor er sich selbst auf den Weg machte.

Diese Ordnung hielt jedoch nur einige Korridore an und schon war aus der ordentlichen Reihe ein kleiner Pulk geworden, der sich laut tuschelnd seinen Weg bahnte. Unterwegs trafen sie immer mehr Slytherins und schließlich hatten die älteren Vertrauensschüler wieder die Oberhand ergriffen und führte sie zielstrebig in die Kerker.

Dort angekommen brach das Chaos aus und die Gerüchteküche kochte über. Miles Bletchley behauptete, er habe herzzerreißende Schreie gehört und er vermutete, dass dieses Mal jemand umgekommen sei. Während Derrick stur behauptete, er hätte gesehen, wie der Geist von Ravenclaw, die graue Dame, kopfüber und starr von der Decke im fünften Stock gehangen habe.

„Sie haben wieder etwas an die Wand geschmiert", meinte Adrian Pucey darauf. „Wir sind eben dran vorbei gekommen."

„Wo?", wollte Blaise wissen.

„Unter dem ersten", sagte Terence Higgs, „ich habe auch gesehen.

„Was stand denn da?", fragte Vaisey Adrian.

„‚Ihr Skelett wird für immer in der Kammer liegen'."

Zoe englitten jegliche Gesichtszüge.

„Sie haben jemanden in die Kammer verschleppt?", fragte Daphne schockiert.

„Wen?", wollte Pansy sofort wissen.

Die meisten von ihnen sahen geschockt aus doch keiner schien wirklich mehr zu wissen. Die Spekulationen nahmen die wildesten Gestalten an, doch Zoe hörte nicht weiter zu. Jetzt war es tatsächlich passiert. Das Monster hatte eine Schülerin verschleppt. Niedergeschlagen ließ sie sich für einige Minuten auf eines der Sitzkissen fallen ohne ihren Freunden, oder den anderen Gehör zu schenken. Wie sollte es nun weiter gehen.

Als die Mauer des Gemeinschaftsraumes sich mit einem schleifenden Geräusch öffnete verstummten alle für die wenigen Sekunden, in denen sie nach dem Neuankömmling schauten.

Dann trat ihr Hauslehrer aus dem Schatten und das Geschnatter fing von neuem los.

„Stimmt es, dass das Monster eine Schülerin verschleppt hat?"

„Ist jemand gestorben?

„Werden sie die Schule nun schließen?"

Professor Snape hob eine Hand und diese Geste genügte, um sie alle verstummen zu lassen.

„Es ist wahr", antwortete Snape, „das Monster hat eine Schülerin verschleppt und ‑"

„Wer ist es?"

„Eine Gryffindor?"

„Was passiert jetzt?"

„RUHE!", bellte Snape zornig und auch die letzten neugierigen Kommentare verstummten nun.

Zoe rappelte sich auf und trat nach Vorne um ihren Lehrer sehen zu können.

„Der Hogwarts-Express wird sie alle gleich morgen früh nach Hause bringen. Sie werden nun, ausnahmslos, in ihre Schlafräume gehen und ihre Habseligkeiten packen.

Niemand – wirklich niemand verlässt heute noch diesen Gemeinschaftsraum!

Ich werde sie morgen für das Frühstück abholen und von da an werden sie an den Bahnhof gebracht."

„Wird die Schule ganz geschlossen?", wollte eine der Vertrauensschülerinnen wissen.

„Das ist noch nicht abzusehen", sagte Snape knapp. „Zunächst gilt es ihre Sicherheit zu gewährleisten. Also sputen sie sich!"

Er gab ihnen ein Zeichen und die Slytheringruppe löste sich langsam, widerwillig und murmelnd auf. Einen Moment blieb Snape stehen um zu prüfen, ob sie sich wirklich in ihre Schlafräume zurückzogen, dann wandte er sich um und verschwand wieder im Schatten.

Zoe reagierte sofort.

Mit einem Satz war sie ihm hinterhergegangen und hatte Snape eingeholt, bevor die Mauer sich hinter ihm wieder Schloss.

„Was ist mit mir?", wollte Zoe wissen. Sie hatte kein Zuhause mehr, in das sie zurückkehren konnte. Hogwarts war ihr zuhause geworden und nun sollte es geschlossen werden?

Snape hielt inne und sagte dann: „Das kläre ich später. Bis dahin gelten für Sie die gleichen Anweisungen, wie für die anderen."

Seine Handbewegung deutete ihr, zurück zu gehen, doch Zoe zögerte.

„Ich muss mit meinem Großvater reden, bitte!", flehte sie.

„Das können Sie morgen. Und jetzt gehen sie zurück!"

„Bitte, Professor, es ist vielleicht wichtig!"

Snape sah sie aus seinen unergründlichen Augen einen Moment an und dann hakte er nach: „Was wollen Sie ihm sagen?"

Die Gedanken in Zoe überschlugen sich mit einem Mal und sie schnappte nur kurz nach Luft, bevor sie anfing hervorzusprudeln: „Von der Stimme, die Harry und ich gehört haben, bevor Hermine angegriffen wurde. Wir müssen sie erwecken, weil sie in die Bibliothek lief und noch zu uns sagte, dass ihr ein Licht aufgegangen sei. Sie hat sicher etwas herausgefunden.

Außerdem ist Hagrid unschuldig! Ganz sicher! Aragog hat es uns erzählt. Riddle hat den falschen erwischt, aber das Tagebuch ist plötzlich gestohlen worden aus Harrys Schlafraum!

Und das Mädchen ‑" Jetzt fiel es Zoe wie Schuppen von den Augen. „Das tote Mädchen ‑ es muss Myrte sein! Im zweiten Stock, sie weiß vielleicht etwas darüber!"

Ohne zu überlegen, wollte sie an ihrem Lehrer vorbei laufen, doch Snape hielt sie auf.

„STOP!" Sie lief etwas unsanft gegen seinen Arm und taumelte einige Schritte zurück. „Miss Dumbledore", begann er im strengen Ton. „Gerade in jenem Augenblick ist eine Schülerin in Lebensgefahr. Mit jeder unnötigen Minute, die wir hier diskutieren vergeht mehr Zeit. Der Geist dieses Mädchens, kann keinerlei nützliche Hinweise geben ‑ dies wurde selbstverständlich vor Jahren schon recherchiert.

Und wenn sie tatsächlich herausgefunden haben, wo der Eingang der Kammer liegt, wäre das eine große Hilfe. Wenn nicht ‑ dann tragen sie mit jeder Verzögerung nur dazu bei, die Hilfemaßnahmen zu behindern!"

Er machte eine kurze Pause, damit Zoe nachdenken konnte und fragte dann nüchtern: „Wissen Sie, wo der Eingang zur Kammer liegt?"

„Nein, Sir", antwortete Zoe mit hängenden Schultern.

„In Ordnung. Dann gehen sie nun packen!"

Widerwillig folgte Zoe der Aufforderung und verschwand wieder hinter der geheimen Wand in ihren Gemeinschaftsraum.

Stunden vergingen. Stunden, in denen sich alle Gespräche um nichts anderes drehten, als um das Monster, den Erben und die Kammer. Sie alle waren schon lange fertig mit packen. Gespannt warteten die Slytherins auf weitere Anweisungen, doch diese blieben zunächst aus.

Unruhig lief Zoe vom Gemeinschaftsraum in ihren Schlafraum und wieder zurück. Sie sah immer wieder ihre Schubladen durch und dann auf die Uhr. Ob sie das Mädchen gefunden hatten?

Zu gerne hätte Zoe selbst mit Myrte gesprochen oder zumindest mit ihren Gryffindorfreunden. Und dann fiel ihr plötzlich der Vorfall von heute Morgen wieder ein: Ginny hatte ihnen etwas mitteilen wollen und sie hatte ängstlich und verstört gewirkt. Vielleicht wussten Harry und Ron bereits mehr als sie selbst. Zoe sprang wieder vom Bett auf, verließ den Schlafsaal und steckte den Kopf in den Gemeinschaftsraum.

Die Slytherins saßen dort in Grüppchen zusammen. Spielten Karten, Schach oder alberten einfach nur herum. Für sie war dieser Vorfall nicht wirklich.

Aber Zoe hatte diese Stimme gehört. Sie hatte Hermines triumphierenden Blick gesehen und die Angst in Ginnys Augen. Es war alles da, es musste nur richtig zusammen gebracht werden.

Unschlüssig wandte sie sich wieder ab. Ging in ihren Schlafsaal und griff sich das einzige Buch, dass sie nicht eingepackt hatte: Magische Tierwesen und wo sie zu finden sind.

Immer und immer wieder hatte sie es durchgeblättert und nichts gefunden. Es war einfach zum verrückt werden. Abermals ging sie die Seiten mit den Illustrationen durch.

Nichts.

Aber vielleicht wussten die Gryffindors schon mehr. Zoe musste einfach mit ihnen reden, aber sie würde vor morgen früh nicht die Gelegenheit haben. Und morgen ‑ morgen war es möglicherweise schon zu spät für die Schülerin. Zoe sah auf die Uhr. Es war später Nachmittag.

Ob sie die versteinerten Personen schon wieder belebt hatten?

Alles grübeln half einfach nicht. Zoe würde nicht weiterkommen, wenn sie nicht mit den anderen reden konnte. Einige Sekunden schloss sie die Augen, dann war ihr Entschluss gefallen. Sie würde zum Gryffindorturm gehen. Alles andere brachte sie nicht weiter.

Sie hatte fast die Tür zum Schlafraum erreicht, als sie inne hielt. Hermine hatte einen Spiegel dabei gehabt und damit hatte sie um die Ecken gesehen. Sie musste etwas gewusst haben, was sie nicht wussten.

Zoe lief zurück zu ihrem Koffer. Nahm einen Spiegel heraus und steckte ihn in ihren Umhang, bevor sie zurück in den Gemeinschaftsraum ging.

Den richtigen Moment abzupassen, um nicht gesehen zu werden war eine Kunst für sich gewesen. Doch nach einer knappen halben Stunde hatte sich eine Gelegenheit ergeben, als einer der Fünftklässler einen Streit angezettelt hatte, der die Aufmerksamkeit der anderen Slytherins auf ihn gelenkt hatte.

Zoe huschte durch die steinerne Wand und stand schließlich mit heftig klopfendem Herzen in dem dunklen Korridor. Wenn sie jemand erwischen würde, dann war ihr der Rauswurf schon fast sicher. Auf der anderen Seite, würde Hogwarts wahrscheinlich sowieso geschlossen werden.

Doch was war, wenn sie dem Monster in die Arme lief? Mit zittrigen Fingern zog Zoe den Spiegel aus ihrem Umhang und schlich los. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie jetzt ein Animagus wäre. Dann hätte sie einfach als kleines, unscheinbares Wesen durch die Gänge huschen können und niemand würde etwas auffallen.

Das Adrenalin in ihren Adern hatte auf dem halben Weg seinen Höchststand erreicht, so nervös war Zoe. An jeder Ecke hielt sie an, lugte mit dem Spiegel in den nächsten Gang und lauschte, ob jemand in der Nähe war. Doch sie begegnete niemand.

Niemanden, bis sie die Eingangshalle passiert hatte.

Gerade als Zoe die Treppe passiert hatte, zog das Knarren des Eingangstores ihre Aufmerksamkeit auf sich. Zoe warf sich mit dem Rücken an die Wand und hielt den Spiegel an die Kante. Nach kurzem suchen, sah sie zwei Personen eilig eintreten. Ein großer, schlanker Mann, mit fadem Haar und einer kleinen pummeligen Frau, die heftig in ihr Taschentuch schniefte. Zoe konnte durch das zittrige Spiegelbild nicht viel erkennen, doch das flammend rote Haar war unverwechselbar: Es waren Mr und Mrs Weasley.

Ohne zu überlegen, hasteten sie weiter und schlugen den Weg Richtung Lehrerzimmer ein.

Zoe seufzte leise. Sie hatte so sehr gehofft, dass es ihr Großvater gewesen sei. Doch was machten die Weasleys hier? Ob sie ihre Kinder bereits abholen wollten?

Und wenn das stimmte, dann musste Zoe sich nun wirklich beeilen. Schließlich ließ sie jede Vorsicht fallen und durchquerte im Laufschritt die Korridore, nahm eine Abkürzung und kam schließlich mit Seitenstechen an dem Portrait der Fetten Dame an.

„Was machst du denn hier", krächzte die Dame in lila, die den Eingang zum Gryffindor Gemeinschaftsraum bewachte, „Niemand soll sich in den Korridoren aufhalten!"

„Dann lass mich ein!", verlangte Zoe.

„Passwort?"

„Das weiß ich nicht!", erwiderte die Slytherin genervt. „Bitte, es ist wichtig."

„Ohne Passwort, kann ich dich nicht hinein lassen", sagte das Bild und verschränkte die Arme vor der mächtigen Brust.

„Aber du hast selbst gesagt, niemand soll auf den Korridoren sein!", flehte Zoe.

„Das ist dein Problem!", erwiderte sie kalt und reckte die Nase in die Höhe.

„Bitte! Bitte! Nur eine Ausnahme! Es ist wirklich wichtig!"

„Das behauten sie alle, junge Dame."

Wütend ging Zoe einen Schritt zurück, dann fasste sie sich ein Herz, sprang energisch auf die Ecke des Bilderrahmens zu und zerrte mit aller Kraft an der Ecke. Das Portrait schimpfte entsetzt und verfluchte Zoe und schließlich schwang das Bild so unerwartet zur Seite, dass Zoe rücklings in den Korridor fiel. Sie landete hart auf dem Rücken und für einige Sekunden blieb ihr die Luft weg und das Portrait schloss sich wieder.

„Zoe!"

„Was tust du hier?"

Die Slytherin rappelte sich auf und rieb die schmerzenden Ellbogen. Vor ihr standen Ron und Harry.

„Das gleiche könnte ich euch fragen!", erwiderte sie und nahm dankbar Harrys Hand, um aufzustehen.

„Wir gehen zu Lockhart!", sagte Ron energisch.

„Was wollt ihr denn von dem?", fragte Zoe überrascht.

„Ihm alles erzählen, was wir wissen. Er will in die Kammer einsteigen", sagte Harry.

Die beiden Jungs schlugen den Weg zu Lockharts Büro ein und Zoe folgte ihnen verwirrt.

„Der wird doch direkt gefressen, egal was in der Kammer ist", sagte sie schnippisch. „Was habt ihr noch herausgefunden? Habt ihr noch mit Ginny gesprochen?"

Ron fuhr sich in einer verzweifelten Geste über das Gesicht und Harry antwortete schließlich: „Ginny ist entführt worden ..."

Zoe blieb wie angewurzelt stehen. Aus diesem Grund waren Rons Eltern angereist. Ron und Harry rannten weiter und Zoe konnte gar nicht anders als ihnen folgen.

„Aber ... aber was wollt ihr Lockhart denn sagen, wie wollt ihr ihm denn helfen?"

„Wir waren heute Morgen bei Hermine", keuchte Harry und hielt sich die Rippen fest. „Und in ihrer Hand fanden wir einen Zettel. Hermine hat herausgefunden, was für ein Monster in der Kammer steckt. Wir müssen Lockhart darauf vorbereiten!"

Sie preschten durch einen Wandteppich und folgten dem Geheimgang in das nächste Stockwerk.

„Was ist es?", wollte Zoe sofort wissen.

„Ein Basilisk", antwortete Harry, „eine riesige Schlange, die sich durch die Abflussrohre windet. Deswegen haben wir die Stimmen gehört, Zoe!"

Der Slytherin lief es eiskalt den Rücken herunter.

„Aber", widersprach sie, „der Blick eines Basilisken ist tödlich ... Das weiß doch jeder ... Und – es ist niemand gestorben ..."

„Er ist nur tödlich, wenn man ihm direkt in die Augen sieht", erklärte Harry. „Aber das hat niemand! Hermine hatte den Spiegel. Colin hat durch seine Kamera und Justin durch den Fast kopflosen Nick geschaut. Mrs Norris muss die Spiegelung im Wasser gesehen haben, als der Korridor überflutet war ..."

„Unglaublich ...", murmelte Zoe.

Harry nickte. „Und weist du was dort noch stand? Spinnen fürchten den Basilisken und das Krähen eines Hahns kann ihn töten. Hagrids Hähne wurden doch alle umgebracht!"

„Er dachte es sei eine Kelpie", erwiderte Zoe.

„Es muss der Erbe gewesen sein!", sagte Ron.

Als sie Lockharts Büro endlich erreicht hatten hielten sie zunächst irritiert inne. Von Drinnen war ein lautes Poltern, Kratzen und eilige Schritte zu hören. Als Harry an die Tür klopfte war es plötzlich still. Dann näherten sich die Schritte der Tür und diese öffnete sich kurz darauf ein kleines Stück. Gilderoy Lockhart konnte gerade mit einem Auge auf sie herab schielen.

„Oh ‑ Mr Potter ‑ Mr Weasley ‑", sagte er und als er Zoe erkannte fügte er weniger freundlich hinzu: „Und Miss Dumbledore. Ich bin im Augenblick sehr beschäftigt ‑ wenn Sie sich beeilen würden ‑"

„Professor, wir haben Ihnen etwas Wichtiges zu sagen", versuchte Harry zu erklären. „Wir glauben, es wird Ihnen helfen."

„Ähm – nun ‑ es ist nicht unbedingt ‑" Sein Gesicht war leicht rosa angelaufen. „Ich meine – nun ‑ also gut ‑"

Er trat zur Seite und öffnete ihnen die Tür und als sie hereintraten fiel ihnen gleich das Durcheinander auf. Er hatte sein Büro fast komplett ausgeräumt. Zwei große Koffer mit farbenfrohen Umhängen standen in einer Ecke. Offenbar hatte Lockhart nicht einmal die Zeit gefunden, diese zusammenzulegen sondern sie nur hastig in den Koffer geworfen.

Seine Selbstportaits, die einmal an der Wand hingen stapelten sich nun in einem Karton und daneben lag ein Stapel seiner Bücher. Es sah ganz so aus, als würde sich Lockhart sich nicht auf die Kammer vorbereiten, sondern auf seine Abreise.

Auch Harry war schockiert.

„Gehen Sie etwa fort?", fragte er.

Lockhart, der gerade dabei war ein lebensgroßes Poster von sich selbst einzurollen wandte sich verlegen ab: „Ähm, nun, ja. Dringender Ruf – unvermeidlich ‑ muss gehen ‑"

„Was ist mit meiner Schwester?", stieß Ron hervor.

„Nun, was das angeht ‑ unglückliche Sache", antwortete er ohne auch nur einen von ihnen anzusehen. Er zog eine Schreibtischschublade heraus und kippte den Inhalt in eine Tasche. „Keiner bedauert das mehr als ich ‑"

Harry war empört und sagte: „Sie sind der Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste! Sie können doch jetzt nicht gehen! Bei all den dunklen Machenschaften hier!"

„Nun, ich muss sagen, als ich die Stelle übernahm ‑ nichts davon in der Stellenbeschreibung ‑ hab nicht erwartet ‑", sprach Lockhart leise und packte einfach weiter.

„Wollen Sie sagen, Sie hauen ab?", sagte Harry ungläubig. „Nach all dem, was Sie in Ihren Büchern tun ‑"

Lockhart seufzte tief und wandte sich Harry zu „Bücher können irreführen."

„Sie haben sie selbst geschrieben!", meinte Harry vorwurfsvoll.

„Mein lieber Junge. Benutzen Sie doch Ihren gesunden Menschenverstand. Meine Bücher hätten sich nicht halb so gut verkauft, wenn die Leute nicht glauben würden, ich hätte das alles getan. Keiner will etwas über einen hässlichen alten armenischen Zauberer lesen, auch wenn er ein Dorf vor den Werwölfen gerettet hat. Auf dem Umschlag würde er fürchterlich aussehen. Keinen Schimmer, wie man sich gut anzieht. Und die Hexe, die die Todesfee von Bandon verbannt hat, hatte eine Hasenscharte. Na hören Sie mal ‑"

Zoe, die noch immer hinter der Bürotürstand war wie vor den Kopfgestoßen.

„Dann ... dann ist es wahr ...", sagte sie leise und sah Lockhart abschätzend an. „All das, was ich Ihnen vorgeworfen habe ... wofür ich mich entschuldigt habe ..."

Lockhart lächelte traurig. „Ich muss zugeben über die Dreistigkeit Ihrer Worte war ich ziemlich überrumpelnd. Ich hatte einen Moment gedacht, dass Sie etwas wüssten, aber es war offensichtlich Zufall ..."

„Also haben Sie einfach den Ruhm für das eingeheimst, was andere Leute getan haben?", fragte Harry ungläubig.

Lockhart sah sie einen Moment mitleidig an, dann atmete er tief durch und sagte: „Harry, Harry. Gar so einfach ist es nicht. Es hat Arbeit gekostet. Ich musste diese Leute aufspüren. Sie fragen, wie sie es genau gemacht haben. Dann musste ich sie mit einem Vergessenszauber belegen, so dass sie sich nicht daran erinnern würden.

Wenn es etwas gibt, auf das ich stolz bin, dann sind es meine Vergessenszauber. Nein, es war eine Menge Arbeit, Harry. Es reicht nicht, Bücher zu signieren und Fotos in den Zeitungen zu haben, müssen Sie wissen. Wenn Sie Ruhm wollen, müssen Sie sich auf eine ziemliche Schinderei vorbereiten."

Zoe starrte ihn ungläubig an, als er sich von ihnen abwandte und den Kofferdeckel verschloss. Das alles war noch viel haarsträubender, als sie es sich hätte ausmalen können.

„Mal sehen", meinte Lockhart schließlich. „Ich glaube, ich hab alles. ja. Nur noch eins."

Als er sich wieder zu ihnen umdrehte, hielt er seinen Zauberstab in der Hand und zeigte auf sie.

„Tut mir furchtbar leid, aber ich muss euch jetzt mit einem Vergessenszauber belegen. Kann es nicht brauchen, wenn ihr all meine Geheimnisse ausplaudert. Ich würde kein Buch mehr verkaufen ‑"

Zoe zuckte zusammen, wühlte in ihrem Umhang nach ihrem Zauberstab, doch sie bekam nur den Spiegel zu greifen. Aber dann hatte sie ihn endlich gefunden und herausgezogen, jedoch war Harry schneller gewesen. Noch bevor Lockhart etwas sagen konnte, hatte er seinen Zauberstab auf ihn gerichtet und „Expelliarmus!" gerufen.

Lockhart fiel nach hinten und sein Zauberstab flog durch die Luft und landete vor Rons Füßen. Ronald sprang nach vorne, hob den Zauberstab auf und warf ihn durch das offene Fenster.

Einen Moment stand Zoe nur verwirrt da und im nächsten fing sie herzhaft an zu lachen. Das erinnerte sie sehr an ihre Unterrichtsstunde mit den Wichteln. Ron grinste kurz.

Harry jedoch ließ sich nicht ablenken. Mit erhobenem Zauberstab war er auf Lockhart zugegangen und meinte trocken „Den hätten Sie uns von Professor Snape nicht zeigen lassen dürfen."

„Was haben Sie vor?", fragte Lockhart geschlagen. „Ich weiß nicht, wo die Kammer des Schreckens ist. Ich kann nichts tun."

„Sie haben Glück", sprach Harry und deutete Lockhart aufzustehen. „Wir glauben zu wissen, wo sie ist. Und was drin ist. Gehen wir."

Sie traten aus seinem Büro und folgten dem Korridor bis zur nächsten Treppe hinunter.

„Ist es wirklich eine gute Idee ihn mitzunehmen?", fragte Zoe leise, als sie den zweiten Stock erreichten.

„Na besser es frisst ihn, anstatt uns!", meinte Ron sofort.

Lockharts Augen flackerten nervös und sie verstummten, als sie vor der Klotür standen. Zoe warf einen letzten Blick auf die rot-leuchtende Schrift, die der Erbe hinterlassen hatte, bevor sie eintraten.

Drinnen war es trist und dunkel – wie immer. Nichts deutete auf einen geheimen Gang oder ein Versteck hin. Und es war vollkommen still.

Zoe trat an Ron und Harry vorbei und lugte in den Gang mit den Kabinen.

„Myrte? Bist du da?", rief sie.

Der Geist des Mädchens streckte den Kopf aus der letzten Kabine und Zoe fiel ein Stein vom Herzen. Was hätten sie nur tun sollen, wenn sie gar nicht da gewesen wäre?

„Oh, du bist es", sagte sie im tristen Ton. „Was willst du diesmal?"

Harry schubste den zitternden Lockhart mit dem Zauberstab ein wenig zur Seite, um einen Blick auf Myrte zu erhaschen.

„Dich fragen, wie du gestorben bist", sagte er.

Die Miene des Geistes änderte sich schlagartig in Wohlwollen. Noch nie hatte Zoe Myrte so entzückt gesehen. Es war ganz so, als hätte Harry ihr ein Kompliment gemacht.

Theatralisch kam sie aus der Kabine geschwebt und sprach genüsslich: „Ooooh, das war schrecklich. Es ist hier drin geschehen. Ich bin in dieser Kabine gestorben. Ich erinnere mich noch so gut daran. Ich versteckte mich, weil Olive Hornby mich wegen meiner Brille hänselte. Die Tür war verriegelt, und ich weinte, und dann hörte ich jemanden hereinkommen. Dann wurde etwas Komisches gesagt. Eine andere Sprache muss es gewesen sein. jedenfalls, was mich wirklich gewundert hat, war, dass ein Junge sprach. Also hab ich die Tür aufgemacht, um ihm zu sagen, er solle gefälligst verschwinden und sein eigenes Klo benutzen, und dann ‑" Ihre Brust schwoll an und für Sekunden hielt sie den Atem an. „‑ dann bin ich gestorben."

„Wie?", fragte Harry.

„Keine Ahnung", antwortete Myrte.

„Na toll!", sprach Zoe missmutig und wandte sich ab und ging hinüber zu den Waschbecken.

Professor Snape hatte also Recht behalten. Es brachte sie kein Stück weiter. Deprimiert betrachtete sie ihr Spiegelbild in den angelaufenen Spiegel.

Myrte verzog das Gesicht und sprach dann mit leiser Stimme zu Harry: „Ich weiß nur noch, dass ich ein Paar großer gelber Augen gesehen habe. Mein ganzer Körper wurde starr und dann bin ich davon geschwebt ..." Sie machte eine Pause und Zoes Blick durch den Spiegel fiel auf den Geist des Mädchens, die Harry verträumt ansah. Sie sah Harry traumverloren an. „Und dann kam ich wieder zurück. Ich war entschlossen, mit Olive Hornby meinen Schabernack zu treiben. Oh, es tat ihr ja so leid, dass sie jemals über meine Brille gelacht hatte."

„Wo genau hast du diese Augen gesehen?", fragte Harry.

„Irgendwo dort" antwortete sie und deutete auf Zoe.

Harry und Ron stürzten los und Zoe zuckte erschrocken zusammen. Ihr Blick fiel kurz auf den völlig entsetzten Lockhart, der versuchte unauffällig in einer dunkeln Ecke zu verschwinden.

Sie sah den Jungs dabei zu, wie sie jeden Zentimeter der Waschbecken untersuchten und hielt gleichzeitig Lockhart im Auge.

„Könnt ihr irgendwas finden?", fragte Zoe ohne sich von Lockhart abzuwenden.

Sicherheitshalber hatte sie ihren Zauberstab auf ihn gerichtet, damit er nicht auf dumme Ideen kam.

Harry brummte nur leise. Doch dann blieb er plötzlich wie versteinert stehen, beugte sich über einen der kupfernern Wasserhähne und betrachtete ihn genauer.

„Hier ... hier ist etwas", sagte er.

Ron sprang zu ihm herüber und beugte sich ebenfalls hinab.

„Sieht aus, als hätte jemand ein ‚S' hineingekrazt", meinte er.

„Oder eine Schlage", sagte Harry und versuchte den ihn aufzudrehen.

„Der Hahn hat nie funktioniert", sprach Myrte plötzlich.

„Harry!", meinte Ron und stieß seinem Freund den Ellenbogen in die Rippen. „Sag was. Etwas in der Parselsprache."

Neugierig drehte Zoe den Kopf herum.

„Aber ‑", meinte Harry und starrte den Wasserhahn an.

Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und es vergingen einige Sekunden. Dann sagte er: „Mach auf"

Nichts geschah und Ron schüttelte heftig den Kopf.

„Noch mal", verlangte der Rothaarige.

Wieder starrte Harry hinab auf den kupfernen Wasserhahn. Er konzentrierte sich, atmete einmal tief durch und sprach: „Mach auf."

Rons verblüfften Gesichtsausdruck konnte Zoe entnehmen, dass es geklappt hatte. Und dann sah sie es auch. Der Wasserhahn begann zu glühen und sich zu drehen. Kurz darauf strahlte er so hell, dass es den Raum erleuchtete. Myrte war panisch durch die Decke geflohen, während das Waschbecken in der Wand verschwand und das Ende eines großen Rohres offenbarte sich. Gerade groß genug, dass ein Mensch hindurch rutschen konnte.

Vollkommen verblüfft starrten sie in das dunkle Loch hinein.

„Wir haben's echt gefunden?!", sagte Zoe leise.

„Ich gehe da runter", sagte Harry sofort.

„Ich auch", meinte Ron.

„STOP!", rief Zoe als die beiden losstürzen wollten. „Wir müssen Hilfe holen!"

„Dazu haben wir keine Zeit!", widersprach Harry.

„Vielleicht ist Ginny noch am Leben!", sagte Ron hoffnungsvoll.

Es folgte ein kurzes Schweigen, in der Zoe mit sich rang. Schließlich nahm ihr Lockhart die Entscheidung ab.

„Nun, Sie scheinen mich wohl kaum zu brauchen", sprach er milde lächelnd „Ich werde dann ‑"

„Sie werden als Erster gehen", knurrte Ron.

Die beiden Jungs richteten ihre Zauberstäbe auf ihn und Lockharts Gesicht wurde noch eine Nuance bleicher. Widerwillig näherte er sich der Öffnung, streckte die Beine hinein und flehte dann: „Jungs, mit schwacher Stimme. Jungs, was nützt das? Ich glaube wirklich nicht ‑"

Ron gab ihn einen heftigen Stoß in den Rücken und schreien verschwand er im Lock. Als es still wurde fluchte er leise.

„Scheint in Ordnung zu sein", meinte Harry der hinein gelauscht hatte.

„Los", sagte Ron entschlossen.

Zoe zögerte und Harry bemerkte es sofort.

„Komm schon", sagte er eindringlich, „wir schauen uns unten um und dann können wir immer noch Hilfe holen, okay?"

Zoe stimmte zu und so kletterten Harry und Ron in die Öffnung hinein und verschwanden anschließend in der Dunkelheit. Zoe steckte ihren Zauberstab in den Umhang, krabbelte angewidert in das Rohr hinein konnte sich jedoch einfach nicht überwinden loszulassen. Mit ihren Fingern klammerte sie sich immer noch am Rand fest, bis sie schmerzten. Irgendwo aus der Dunkelheit erklangen Ron und Harrys Stimmen. Riefen nach ihr.

Zoe fasste sich schließlich ein Herz, schloss die Augen und ließ los. Sie rauschte die enge, schleimige Röhre hinab, ohne dass sie sie sich irgendwo hätte festhalten können. Von den vielen Windungen und Bögen wurde ihr schlecht, weil diese sie immer wieder an die Rohrwandung schleuderten. Aus Angst unterdrückte sie unterdrückte ein Schreien, um nicht den Basilisken anzulocken, und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit wurde die Rutschpartie langsamer und Zoe landete schließlich schlitternd und unsanft auf einem steinernen Boden.

Panisch rappelte sie sich auf und erkannte sofort Lockhart sowie Harry und Ron, die den mannhohen Tunnel mit ihren Zauberstäben ausleuchteten.

„Ihr habt mich erschreckt", sagte sie atemlos und zuckte zusammen, als ihre Stimme von den Wänden zurückgeworfen wurde.

„Wir müssen meilenweit unter der Schule sein", sagte Harry, leise und leuchtete den Tunnel aus.

„Unter dem See wahrscheinlich", spekulierte Ron und betrachtete die glitschigen Wände.

Zoe suchte nach ihrem Zauberstab und zog ihn mit spitzen Fingern aus der Tasche. Ihr ganzer Umhang war voller Schleim.

„Ist ja ekelhaft!", sagte sie und dann fiel ihr sorgenvoller Blick auf das Rohr hinter ihr. „Da kommen wir nie wieder hoch!"

„Es gibt vielleicht einen anderen Ausgang", sagte Harry hoffnungsvoll. „Von hier aus gibt es nur einen Weg. Also, weiter geht's!"

Sie scheuchten Lockhart vor sich her und Zoe wurde es ganz flau im Magen. Jedoch nicht allein von der Rutschpartie. Im Tunnel war es stockfinster und durch ihre Zauber konnten sie nur einige Meter vor sich sehen, während ihre Schritte knirschten und patschten und das Echo sich durch den Tunnel übertrugen. Es war geradezu wie eine Ankündigung für den Basilisken.

„Ich hab' angst", flüsterte sie und drückte sich zwischen Ron und Harry. „Was ist, wenn der Eingang sich wieder verschließt? Dann wird uns hier unten niemand finden ..."

„Myrte hat uns gesehen", sagte Ron, der auch versuchte sich selbst zu beruhigen, doch das fruchtete kaum bei Zoe.

„War da was?", sie blieben abrupt stehen und lauschten.

Doch jetzt, da sie stehen geblieben waren, war es im Tunnel wieder so still, wie in einem Grab.

„Nicht vergessen", sagte Harry, „wenn sich irgendwas bewegt, gleich die Augen schließen ..."

Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung, bis das nächste unheilvolle Geräusch sie inne halten ließ. Ein beängstigendes Knacken, direkt unter ihnen. Zoe leuchtete auf den Boden. Ron war auf einen alten Rattenschädel getreten, der nun zerbrochen auf dem feuchten Pflastersteinen lag. Doch als auch Harry seinen Zauberstab gen Boden richtete blieb ihnen allen für einen Moment der Atem weg. Der Tunnel vor ihnen war übersät mit kleinen, weißen Tierknochen.

Zoe hob den Blick erst wieder, als Ron sich an Harrys Schultern klammerte und sagte: „Harry ‑ da oben ist etwas ‑!

Ohne an Harrys Warnung zu denken sah Zoe nach oben. Da lag etwas großes Rundes quer im Tunnel. Vollkommen regungslos. Lockhart schlug sich die Hände vor die Augen und nun erst erinnerte Zoe sich ebenfalls und starrte auf Harrys Schulter. Angestrengt versuchte sie ihren Atem zu kontrollieren, um das wilde Herzklopfen in ihrer Brust zu verringern, doch es wollte ihr nicht recht glücken.

„Vielleicht schläft es", flüsterte Harry und setzte sich wieder in Bewegung.

„Harry, pass auf!", flehte Zoe.

Nun schien auch Ron mutiger zu werden und zusammen traten sie näher und blieben schließlich zwei Meter vor Zoe wieder stehen.

„Ich fass es nicht", sagte Ron matt. „Schau dir das an, Zoe."

Die Slytherin kam mit zittrigen Knien näher und erkannte im Licht des Zauberstabs nun, was vor den Füßen der Jungs lag. Es war eine vertrocknete, alte Haut eines schlangenähnlichen Wesens. Milchig beige und mindestens sechs Meter lang. Es war nicht nur ein Schock für Zoe. Gilderoy Lockhart ging in die Knie. Verwirrt sahen sie ihn an.

„Stehen Sie auf", sagte Ron scharf und deutete wieder mit dem Zauberstab auf ihn.

Mühsam rappelte sich ihr Lehrer auf und sprang dann mit einem unberechenbaren Satz auf Ron zu und schlug ihn einfach nieder. Er hatte sich Ronalds abgeknickten Zauberstab angeeignet und strahlte sie nun breit an Bevor auch nur einer von ihnen hätte reagieren können. Triumphierend sprach Lockhart: „Schluss mit lustig! Ich nehme ein Stück von dieser Haut nach oben und sag ihnen, es sei zu spät gewesen, um das Mädchen zu retten, und dass ihr beide angesichts ihres zerfleischten Körpers tragischerweise den Verstand verloren hättet ‑ sagt eurem Gedächtnis Adieu!"

Das war zu viel für Zoes Nerven.

Wütend ließ sie die helle Lichtkugel ihres Zauberstabs verschwinden und richtete ihn zornig auf Lockhart. Von diesem Scharlatan würde sie sich nicht mehr erschrecken lassen.

Lockhart reagierte ad hoc. Wie ein Lasso schwang er Rons zusammengeflickten Zauberstab über den Kopf und rief: „Amnesia!"

Der Zauberstab explodierte über Lockharts goldener Mähne mit einer Wucht, die Zoe zurückschleuderte. Sie stolperte und fiel zu Boden. Ein schauriges Krachen ertönte und ließ den Boden erzittern. Zoe rollte sich zusammen und zog die Arme über den Kopf, als die Tunneldecke zusammenstürzte. Harrys Licht verschwand in der Dunkelheit und die staubige Luft ließ Zoe husten. Als sie sich gefangen hatte, tastete sie den Boden nach ihrem Zauberstab ab, den sie zu ihrer Erleichterung bald fand und sagte „Lumos".

Vor ihr stapelten sich Felsbrocken und versperrten den Eingang. Lockhart und Ron lagen vor ihr auf dem Boden, schienen aber unverletzt zu sein. Doch Harry fehlte.

Eine eisige Faust schien nach ihrem Herzen zu greifen.

„HARRY!", Zoe sprang auf, stolperte über die am bodenliegenden Steine und schlug sich das Knie an den Trümmern auf. „HARRY!"

„Ich bin ok!" Seine Stimme klang dumpf.

Zoe atmete erleichtert aus. Einen winzigen Moment lang hatte sie befürchtet, dass Harry unter den Steinen begraben wurde.

„Ron! Bist du okay? Ron!"

Ronald hatte sich aufgerappelt und trat an Zoes Seite bevor er zurückrief: „Ich bin hier. Ich bin okay ‑ der Aufschneider allerdings nicht ‑ der Zauberstab hat ihn umgerissen ‑"

„Au!" Lockhart wimmerte und legte seine Arme schützend um seinen Körper.

Zoe wandte sich um und sah gerade noch, wie Ron Lockhart getreten hatte, der einfach am Boden liegen blieb und sich nicht wehrte. Der Gryffindor holte erneut zum Schlag aus, doch Zoe hielt seinen Arm fest.

„Lass mich!", zischte Ron wütend. „Es ist alles seine Schuld!"

„Das bringt uns nun aber auch nicht weiter!", rief Zoe und rangelte mit dem Rothaarigen. „Wir müssen zu Harry, das ist wichtiger!"

Rons Zorn ließ ein wenig nach, als er wieder die dumpfe Stimme seines Freundes rufen hörte. Er trat zu den Trümmern heran und lauschte kurz.

„Was jetzt?", rief Ron und Zoe ließ ihn dankbar los. „Wir kommen hier nicht durch ‑ das dauert eine Ewigkeit ..."

„Warte dort", antwortete Harrys Stimme. „Wartet mit Lockhart. Ich geh weiter ... wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin ..."

„Dann was?!", rief Zoe panisch.

Harry jedoch antwortete nicht.

Es war Ron, der die Stille brach: „Ich probier ein paar dieser Felsen wegzuschieben."

Er bemühte sich offensichtlich ruhig zu klingen, doch Zoe durchschaute ihn.

„So dass du ‑ zurückkannst. Und, Harry ‑"

„Wir sehen uns gleich", rief Harry, dann war es still.

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