Tannenholz und Phönixfeder
Knapp sechs Jahre später lag Hogwarts an einem trüben und regenreichen Tag im dichten Nebel. Regentropfen hingen noch an den Fensterscheiben und wurden erst nach und nach vom Wind herunter geblasen. Der Turm im siebten Stock, mit seinem dunklen, durch die Feuchtigkeit fast schwarzen, Schieferdach, hielt durch seine runde Bauform den heftigen Böen mit Leichtigkeit stand. Während draußen der unangenehm Wind fegte, war es in dessen Innern jedoch warm und gemütlich.
Zoe lag, in ein Buch vertieft, auf dem Bett in einem der Zimmer jenes Turmes, das ihr Großvater eigens für ihre Besuche bereithielt. Dieser Raum war nur eines der privaten Räumlichkeiten des Schulleiters, die sich hinter seinem Büro im siebten Stockwerk befanden und das Mädchen hatte in den vergangenen Jahren bereits etliche Ferien hier verbracht. Nun jedoch sollten es die letzten Ferien sein, welche die Elfjährige als Besucherin in Schloss verbringen würde. Denn bereits im kommenden Schuljahr würde sie endlich selbst Schülerin an dem magischen Internat sein.
„Zoe?"
Das blonde Mädchen blickte von seinem Buch auf. Es war so vertieft darin gewesen, dass es gar nicht bemerkte, wie jemand hereinkam. Mit großen, fragenden Augen sah Zoe zu ihrem Großvater auf.
„Es sind nur noch zwei Wochen bis zum Anfang des Schuljahres. Möchtest du nicht zuvor noch mal nach Hause? Mum und Dad vermissen dich schon."
„Jaaa", meinte sie, legte ihren Daumen in das Buch und klappte es zu. „Kommst du mit?"
Dumbledore sah sie traurig an.
„Nein, das geht leider nicht. Ich werde morgen Mittag nach Paris reisen, einige Tage dort bleiben müssen und anschließend einen Freund in Devon besuchen. Aber ich werde dir zuvor einen Portschlüssel genehmigen lassen, wenn du magst."
Zoe seufzte und zog eine Schnute.
Seit nunmehr sechs Jahren besuchte sie ihren Großvater regelmäßig während der Ferienzeit in Hogwarts. Doch in keinem dieser Jahre hatten sie so wenig Zeit miteinander verbracht wie in diesem. Ständig hatte ihr Großvater Termine gehabt oder Besucher empfangen, sodass sich Zoe häufig hatte alleine beschäftigen müssen. Nun neigte sich ihre gemeinsame Zeit schon dem Ende zu.
„Du warst fast die ganzen Ferien weg!", sagte sie vorwurfsvoll.
Albus Dumbledore setzte sich zu ihr aufs Bett und nahm sie in den Arm: „Ich weiß, ich hatte diese Ferien kaum Zeit für dich. Doch dieses Jahr werden wir uns ja öfter sehen!" Er drückte sie aufmunternd. „Was liest du denn da?"
„Große Errungenschaften der Zauberkunst."
„Oh jaaa, ein außerordentlich gelungenes Buch, findest du nicht?"
„Hmm, naja", antwortete sie noch immer ein wenig betreten.
Dumbledore dachte einen Moment lang nach, dann fiel ihm etwas ein, das sie aufmuntern würde.
„Was hältst du davon, wenn ich Professor Snape frage, ob er dich in die Winkelgasse begleitet, um deine Schulsachen zu besorgen? Die könntest du dann gleich hier lassen."
Zoes finstere Miene hellte sich auf. „Meinst du, er sagt ja?"
„Ich glaube nicht, dass er sich zweimal bitten lässt." Dumbledore lächelte, als er Zoe eifrig nicken sah.
„Gut, ich werde ihn sofort fragen. Und anschließend muss ich mir eine Genehmigung für deinen Portschlüssel geben lassen. Am besten sagst du deinen Eltern gleich Bescheid, dass du morgen Abend zurück bist."
Zoe strahlte und warf das Buch zur Seite, um ihren Großvater zu umarmen. Dann verließ sie eilig das Zimmer.
~ * ~
Die Sonnenstrahlen am Morgen versprachen einen herrlichen Tag. Zoe sprang motiviert aus dem Bett und trat aus ihrem Zimmer. Enttäuscht stellte sie fest, dass sie wieder alleine war und sie fragte sich, ob ihr Großvater bereits abgereist oder noch irgendwo im Schloss war.
Auf einem silbernem Tablett, das auf einem storchbeinigen Tisch am Fenster stand, fand Zoe wie jeden Morgen das Frühstück. Sie nahm sich einen Toast, bestrich ihn mit Marmelade und ging hinüber zu Fawkes, um ihn am Kopf zu kraulen. Der Phönix stimmte einen zärtlichen Summton an, als genieße er diese Aufmerksamkeit. Während Zoe aß, sah sie sich im leeren Büro um. Heute Abend würde sie wieder zurück nach Albanien reisen. Sie mochte das Schloss mit seinen zahlreichen Geheimnissen und schon in zwei Wochen würde sie selbst Schülerin sein. In welches Haus sie wohl kommen würde?
Ihr Blick ging zu dem alten, abgewetzten Hut, der auf einem hohen Schrank lag, als der Phönix plötzlich verstummte. Noch bevor Zoe in Versuchung geraten konnte, ging die Tür auf und Albus Dumbledore trat ein.
„Guten Morgen, meine Liebe", begrüßte er seine Enkelin freundlich. „Solltest du dich nicht langsam umziehen? Professor Snape wird in einer halben Stunde hier sein."
Zoe gähnte und nickte zustimmend. Dann klopfte sie sich die Toastkrümmel vom Pyjama und ging auf ihr Zimmer.
Als sie zurückkam, saß ihr Großvater auf einem der Sessel am Fenster und hatte die Augen geschlossen.
„Schläfst du?", flüsterte seine Enkelin vorsichtig und schlich sich zu dem Sessel, um ihn nicht aufzuwecken.
Doch die gletscherblauen Augen des Schulleiters zuckten auf und fixierten Zoe.
„Nein", antwortete er sanft.
Das Mädchen krabbelte auf die Sessellehne und umarmte ihren Großvater besorgt.
„Geht's dir nicht gut?"
„Es ging mir nie besser", antwortete er beruhigend. „Ich habe bloß ein wenig nachgedacht."
„Worüber?"
„Über das kommende Schuljahr und ob sich unser neuer Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste wieder gut einleben wird."
„Glaubst du, er bleibt länger als ein Jahr?", fragte Zoe, die mitbekommen hatte, dass bereits der letzte Lehrer, vor dem vollendeten Schuljahr gekündigt hatte.
„Nun, ich will es hoffen", antwortete Dumbledore heiter.
„Ich glaube nicht", meinte Zoe unverschämt ehrlich und ihr Großvater gluckste.
„Ich bin gespannt, in welches Haus ich komme", fuhr sie fort.
„So lange ist es nicht mehr hin."
Zoe sah sehnsüchtig zu dem Sprechenden Hut: „Sollen wir nicht schon mal testen?"
„Und die ganze Überraschung am Tag deiner Einschulung verderben? Nein!"
„Ich werd' auch ganz überrascht tun, niemand wird's merken ..."
Dumbledore kicherte und blickte zur Tür, an der soeben geklopft worden war.
„Kommen Sie herein, Severus!"
Der Zauberer trat ein. Er sah müde und erschöpft aus, doch als Zoe aufsprang, um ihn zu begrüßen, schien er es zumindest für einen Moment zu vergessen, denn er lächelte erfreut.
Severus nickte Dumbledore zur Begrüßung zu und dieser erhob sich.
„Guten Tag, Severus. Am besten geht ihr sofort los, denn auch ich werde schon bald aufbrechen müssen." Er zog seine goldene Uhr aus seinen Roben, um einen Blick darauf zu werfen.
„Hast du Severus Geld gegeben?", fragte Zoe, während sie sich den Reiseumhang umwarf.
„Professor Snape", korrigierte Dumbledore und zog eine Braue hoch. „Du solltest dich an diese Anrede schon mal gewöhnen!"
Zoe betrachtete ihren Großvater verwundert. Hatte er das ernst gemeint?
Dumbledore wandte sich nun an Snape und reichte ihm einen kleinen Beutel, dessen Inhalt hell klimperte: „Das sollte genügen!" Er zog aus seinem Umhang den Stummel einer Kerze und reichte sie ebenfalls Snape.
„Der Portschlüssel geht um viertel nach vier los. Jim und Evelyn wissen Bescheid."
Snape nickte knapp.
„Kann's losgehen?", unterbrach Zoe das Gespräch, hüpfte aufgeregt zum Kamin und griff in den zinnernen Becher mit Flohpulver.
„Nicht, bevor du dich verabschiedet hast", antwortete Dumbledore und versuchte beleidigt zu klingen.
Zoe kam zurückgerannt, umarmte ihren Großvater und sagte lapidar: „Tschüüss, bis in zwei Wochen!"
Dumbledore jedoch hielt seine Enkelin einen Moment lang fest und als er sie losließ, lächelte sie ihn liebevoll an.
„Jetzt", sagte Dumbledore mit einem Lächeln, „kann's losgehen."
Strahlend nickte Zoe, trat in den Kamin, ließ das Pulver fallen und sprach klar und deutlich: „Winkelgasse."
Snape nickte Dumbledore zum Abschied zu, dann folgte er Zoe durch den Kamin.
Ein wenig wehmütig sah Albus Dumbledore ihnen nach. Nun würde das erste Schuljahr seiner Enkelin schon bald beginnen und damit auch die ersten selbstständigen Schritte in dieser Welt. Und mit jedem dieser Schritte, würde sie seine führende Hand weiter loslassen, bis sie schließlich vollkommen alleine gehen würde.
Dies war der Lauf der Dinge. Er hatte es schon oft erlebt bei seinen Schülern, bei Gwendolyn ... und doch war es dieses Mal bei Zoe umso schwerer zu begreifen, denn das Mädchen war das Wertvollste, was ihm im Leben noch geblieben war.
~ * ~
Als Zoe aus dem Kamin herauskam, betrat sie einen kleinen schmuddeligen Pub, in dem ein kahlköpfiger Wirt gerade die Theke wischte. Gäste waren zu dieser Stunde keine anwesend. Das Mädchen begrüßte den Wirt freundlich und lächelte ihm zu, dann spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie sah hinauf zu Snape und wehrte sich nicht, als dieser sie behutsam, aber bestimmt zum Hinterausgang schob, als wolle er keine Zeit verlieren.
Im Hof zog er seinen Zauberstab und zählte die Steine an der Mauer ab.
„Nun, weißt du schon, wo du zuerst hin möchtest?", fragte er und tippte dreimal gegen einen Ziegel in der Mauer.
Zoe brauchte dafür nicht auf ihren Zettel zu schauen. Bereits die ganzen Ferien über hatte sie auf dieses Ereignis hin gefiebert: Endlich würde sie einen eignen Zauberstab, einen echten bekommen!
„Zum Zauberstabmacher!", antwortete sie sofort und Ehrfurcht lag dabei in ihrer Stimme.
Ungeduldig sah sie dabei zu, wie die Steine erzitterten und erst einen Spalt und kurz darauf einen großen Torbogen bildeten, der die Winkelgasse frei gab.
Snape grinste zufrieden: „Eine gute Entscheidung!"
Gemeinsam kämpften sie sich durch die überfüllte Gasse, und als sie endlich vor Ollivanders Zauberstabladen ankamen, war Zoe schon sichtlich nervös und einen kleinen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, vielleicht doch zunächst die anderen Dinge einzukaufen. Doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte Snape bereits die Tür geöffnet und Zoe ging mit weichen Knien hinein. Aus dem hinterem Bereich des Ladens erklang sofort Ollivanders sanfte Stimme: „Nehmen Sie bitte Platz, ich bin in fünf Minuten bei Ihnen!"
Snape setzte sich auf einen Chippendale-Stuhl am Schaufenster und Zoe schlenderte an den meterhohen Regalen entlang, auf denen unzählige kleine, längliche Schachteln gestapelt waren. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, als sie die Aufschriften der Etiketten studierte. Hier gab es die unterschiedlichsten Zauberstäbe aus den verschiedensten Hölzern und mit diversen Kernmaterialien bestückt. Wie konnte der Zauberstabmacher in dieser großen Masse nur den richtigen für sie finden? Und was war, wenn der richtige Zauberstab gar nicht in Mr. Ollivanders Besitz war? Wenn er keinen geeigneten Stab für sie finden würde?
Zoe schluckte besorgt, wandte sich um und ging, nach Beistand suchend, zurück zu Snape.
„Was", flüsterte sie leise und in ihrer Stimme schwang ihre Angst deutlich mit, „wenn er keinen geeigneten für mich findet?"
„Glaub mir, Ollivander wird einen passenden für dich haben und ...", meinte Snape ermutigend, während er sich in dem Raum mit den vollgestopften Regalen umsah, „er wird ihn auch finden."
Aber seine zuversichtlichen Worte beruhigten Zoe kaum. Nervös ging sie am Schaufenster auf und ab, ohne die vielen Gestalten zu beachten, die sich draußen auf der Straße tummelten.
Nach Stunden, so schien es Zoe, kam Ollivander endlich nach vorne in den Laden. Er wurde von einer Hexe mittleren Alters und deren Tochter begleitet und alle drei gingen hinüber zur Theke, auf der eine kleine, mechanische Kasse stand.
„Das macht fünf Galleonen, acht Sickel und drei Knuts, Mrs Abbott. Vielen Dank."
Er begleitete seine Kunden noch an die Tür, wobei das Mädchen mit rosa Gesicht und blonden Zöpfen Zoe freundlich anlächelte. Sie erwiderte ihre Geste.
„Einen schönen Tag noch!" Mr Ollivander schloss die Tür hinter ihnen und wandte sich um. „So, kommen wir zu den Nächsten."
Zoe bemerkte, wie er stockte, als er sie sah, und hoffte inständig, dass dies kein schlechtes Zeichen sein würde. Er musste einfach einen Zauberstab für sie finden!
„Miss Dumbledore, schön Sie zu sehen. Dies ist ein ausgezeichnetes Jahr, wirklich, sehr vielversprechend!" Er reckte den Hals, um einen Blick auf ihre Begleitung zu erhaschen und sein strahlendes Lachen verschwand augenblicklich. Sichtlich enttäuscht wandte er seinen Blick von Snape ab, als könne er ihn nicht ertragen und sprach direkt zu Zoe: „Wie schade. Ich hatte gehofft, Sie kämen in Begleitung Ihres Großvaters. Zu gerne hätte ich mit ihm gesprochen, um ihn zu fragen, was mit dem Zauberstab geschah, den ich ihm vor vielen, vielen Jahren verkaufte. Holunderholz mit einem Kern aus Thestralschweifhaar, sechzehn Zoll lang. Doch offenbar benutzt er ihn nicht mehr."
Zoe sah den Mann noch immer verdutzt und aus großen Augen an. Nie hatte sie ihn gesehen, er jedoch hatte sie sofort erkannt.
„Wenn Sie mir bitte folgen, Miss, ich habe schon eine Ahnung, was zu Ihnen passen könnte."
Zaghaft folgte sie seiner Bitte, jedoch nicht ohne einen unsicheren Blick zurück zu Snape zu werfen, der kaum sichtbar lächelte und ihr bekräftigend zunickte.
„Sooo ... ", sie waren im selben Hinterzimmer verschwunden, aus dem eben das Mädchen mit dem blonden Zöpfen gekommen war. Er nahm ein Maßband aus seiner Hemdtasche und begann ihre Maße zu nehmen. Danach zog er eine kleine Leiter zu sich herüber und kletterte die ersten Sprossen hinauf.
„Phönixfeder, Phönixfeder."
Er strich mit seinen Fingern über die Etiketten der Schachteln und zog einige davon hervor.
„Wissen Sie, Ihre Mutter trug einen Zauberstab mit Phönixfederkern, Lärche, zwölfeinhalb Zoll lang. Sie sehen ihr wirklich außerordentlich ähnlich."
Der Zauberstabmacher kletterte von der Leiter herab, stellte die Kartons auf einen kleinen Stuhl und öffnete die erste Schachtel. Darin lag in Samt gebetet, ein Stab aus orangerotem Holz und ausgeprägter Maserung.
„Versuchen Sie diesen hier: Dasselbe Holz, derselbe Kern, elf Zoll."
Zoe griff nach dem reich verzierten Zauberstab und schwang ihn leicht aus dem Handgelenk, als hätte sie noch nie etwas anderes getan. Der Stapel Kartons, den Ollivander abgestellt hatte, wurde vom Stuhl gerissen und dessen Inhalt kullerte durch den Raum. Erschrocken riss Zoe die Augen auf und entschuldigte sich augenblicklich, doch der Zauberstabmacher achtete nicht darauf und, nahm Zoe lediglich den Zauberstab weg, ordnete die Kisten mit einem Schlenker seines eigenen Zauberstabes wieder und griff nach dem nächsten Karton.
„Äußerst beruhigend, also keine Lärche. Versuchen Sie diesen mal: Hainbuche, Phönixfederkern, zehneinhalb Zoll."
Zoe schwang erneut den Zauberstab, jedoch wesentlich vorsichtiger als zuvor. Doch nichts geschah und so reichte ihr Ollivander drei weitere Stäbe. Doch auch bei diesen rührte sich nichts und allmählich bekam die Elfjährige schwitzige Finger.
„Gut, gut, gut", er ließ die Kartons zurück ins Regal schweben und zog weitere fünf heraus, „Tanne, Phönixfeder, zehn Zoll."
Zoe atmete nervös ein und wieder aus, dann schwang sie den Zauberstab leicht durch die Luft und – endlich – stoben dabei kleine Funken aus dessen Spitze.
„Hervorragend!", sprach Ollivander zufrieden, „gleich haben wir ihn." Er nahm Zoe erneut den Zauberstab aus der Hand und gab ihr einen neuen. „Elfdreiviertel Zoll, versuchen Sie es, versuchen Sie es!"
Zoe griff ihn und das Holz fühlte sich plötzlich vertraut und beinahe warm an. Es war fast, als wäre er schon immer in ihrer Hand gewesen. Interessiert betrachtete sie das honigfarbene Holz und schwang den Stab erneut leicht aus dem Handgelenk und nun schien das einzutreffen, worauf Ollivander gewartet hatte.
Aus der Spitze des Zauberstabes prasselten große, rotgoldene Funken hervor wie aus einer Wunderkerze.
„Ausgezeichnet! Ihr Zauberstab hat seine Besitzerin gefunden, Miss Dumbledore. Tannenholz mit Phönixfeder. Elfdreiviertel Zoll, reich verziert wie Sie sehen. Sehr schöne Arbeit!"
Zoe lächelte erleichtert, als sie den Zauberstab ehrfürchtig in den Karton zurücklegte, den ihr Ollivander hinhielt.
„So sehr Sie ihrer Mutter optisch ähneln, so sind sie doch zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten", meinte Ollivander und setzte den Deckel auf den Karton.
„Kannten Sie sie?" Das erste Mal seit Zoe den Laden betreten hatte, sah sie dem Zauberstabmacher in seine seltsam silbrigen Augen.
„Ob ich sie kannte? Miss, sie hat ihren Zauberstab bei mir gekauft!" Er lächelte auf eine geheimnisvolle Art und Weise und Zoe war sich nicht sicher, was sie von diesem Mann halten sollte.
Snape zahlte sechzehn Galleonen und fünf Sickel für den Zauberstab. Kaum waren sie vor der Tür, brauchte er eine Menge Überredungskunst, um Zoe davon abzuhalten, ihren Zauberstab nicht gleich vor dem Laden zu testen.
Als nächstes wollten sie zur Apotheke gehen, um die gebräuchlichsten Substanzen für den Zaubertrankunterricht zu besorgen. Sie drängten sich an unzähligen Hexen und Zauberern vorbei, deren bunte Gewänder im Wind flatterten. Zoe beobachtete unterwegs einige Muggel, die mit ihren Kindern umherirrten, verwirrt oder staunend, und sie musste grinsen. Wie seltsam war es, dass manche Schüler nichts von der Zaubererwelt oder gar Hogwarts, dem wunderbaren Schloss mit seinen vielen Geheimnissen, wussten, bevor sie ihren Brief bekamen. Zoe liebte Hogwarts und dieses Jahr würde endlich das Schuljahr anfangen, auf das sie bereits wartete, seit sie zum ersten Mal die riesigen Tore mit den geflügelten Ebern passiert hatte. Die Elfjährige war so sehr in Gedanken vertieft gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass Snape stehen geblieben war. Erst nach einigen Metern stoppte sie und schaute zurück. Anscheinend hatte er angehalten, weil er von einem Mann angesprochen worden war. Dieser war ein Kopf größer als Snape, hatte schulterlanges, blondes Haar und ein fahles, spitzes Gesicht. Der Junge, der neben ihm stand, konnte nur sein Sohn sein. Denn er war ebenfalls blond und blass, und vermutlich in Zoes Alter. Seine ganze Haltung strahlte Desinteresse aus, während er neben seinem Vater zu warten schien. Als Zoe zurück zu Snape ging, fiel der stechende Blick des Mannes auf sie und er verstummte mitten im Gespräch. Snape wandte sich leicht zu ihr um und es schien, als habe er sie einen Moment lang vergessen. Zoe sah dem Fremden in die kalten blaugrauen Augen, während sie sich dabei äußerst unwohl in ihrer Haut fühlte, da er sie so schweigend anstarrte, als wäre sie eine Skurrilität in einer Menagerie.
„Miss Dumbledore, welch eine Ehre!" Sie zuckte bei dem Klang ihres Namens zusammen.
Woher kannte er sie? Ungefragt griff er nach ihrer Hand und neigte leicht den Kopf.
„Wenn ich mich vorstellen darf: Lucius Malfoy!" Er schien nicht ein einziges Mal zu blinzeln.
„Ähm ... ich heiße Zoe", sagte sie perplex und versuchte seinem Blick auszuweichen, als er ihre Hand losließ.
„Und das", fuhr der Mann fort und rempelte seinen Sohn unsanft an, der desinteressiert die Winkelgasse hinunterblickte, „ist mein Sohn Draco. Sagt man einer Lady nicht ‚Guten Tag', Draco?! Wo bleiben deine Manieren?"
Der blonde Junge wandte sich ihnen zu, sah genervt zu seinem Vater auf und blaffte gelangweilt: „Tag!"
Zoe nickte nur. Diese ganze Szene kam ihr äußerst merkwürdig vor.
„Nun Draco", Mr Malfoy zog eine blanke, goldene Galleone aus seiner Tasche, „was hältst du davon, wenn ihr beiden zu Florean Fortescue geht und euch ein Eis holt, solange ich noch etwas mit Professor Snape kläre?"
Die Laune des blonden Jungen hob sich augenblicklich. Ohne ein Wort des Dankes griff er nach dem Geldstück und marschierte nach einem „Kommst du?", das wohl an Zoe gerichtet war, los.
Unsicher sah sie zu Snape hoch. Dieser nickte, also folgte sie Draco etwas widerwillig.
Als die beiden außer Hörweite waren, nahm Mr Malfoy den Faden wieder auf: „Bezahlt Dumbledore dich nun auch fürs Babysitten?" Er löste den Blick von dem blonden Mädchen und fixierte Snape. „Oder ist sie etwa von deinem Blut?"
„Ist es das, was du mit mir zu klären hast, Lucius?", spottete Snape. „Nein, sie ist nicht von meinem Blut. Und auch nicht von deinem!", fügte er nach einem Blick in Lucius' Gesicht hinzu.
„Bist du dir da so sicher?", höhnte Lucius und lachte.
„Da bin ich mir absolut sicher!", antwortete Snape kühl und ließ Lucius' Lächeln aus seinem Gesicht verschwinden.
„Gehst du auch dieses Jahr nach Hogwarts?", fragte der blonde Junge.
„Ja."
„In welches Haus willst du?"
Sie schlängelten sich zwischen den vielen Leuten hindurch und nach kurzem Überlegen sagte Zoe: „Ich weiß nicht ... Sie haben alle etwas Gutes."
„Dann ist es dir egal, ob du nach Hufflepuff kommst?!?", unterbrach er sie. „Boar, da hätt' ich keinen Bock drauf. Aber ich lande wohl eh in Slytherin. Meine ganze Familie war in Slytherin. Wo waren deine Eltern?"
Zoe überlegte. Wenn sie sich recht entsann, hatte sie ihre Eltern nie gefragt, welchem Haus sie angehörten.
„Naja, ist ja auch egal", sprach Draco weiter. „Ist ja letztendlich auch keine Garantie, nicht? Bei den Blacks fiel auch des Öfteren mal einer aus der Reihe."
Zoe konnte schon das Schild von Florean Fortescues Eissalon sehen und hoffte, dass dort nicht so viel los war, damit sie schnell an der Reihe sein würden. Die Art des jungen Malfoys war ihr auf eine gewisse Weise etwas unangenehm.
„Dad wollte mich eigentlich nach Durmstrang schicken. Du kennst Durmstrang, oder? Mum war dagegen, ist ihr wohl zu weit weg. Vater sagt, Hogwarts habe stark nachgelassen, seit Dumbledore dort Schulleiter ist. Er sagt, Dumbledore wäre der ..."
„... ist mein Großvater!", unterbrach Zoe ihn und schaute ihn wütend an. Dieser arrogante Junge wurde ihr mit jedem Wort unsympathischer.
„Oh, stimmt." Er sah sie an, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, während er krampfhaft nachzudenken schien. „Dumbledore ..."
„Was darf's denn sein, mein Junge?"
Eine freundliche Hexe mittleren Alters mit rundem Gesicht und wallend braunem Haar lächelte ihn an. Sie waren am Eissalon angekommen. Draco gab seine Bestellung auf und die Hexe hinter der Theke eilte zu den vielen Schalen und türmte die Bällchen auf die kleine Waffel. Erst als sich keine mehr auf die Waffel drücken ließ, schien Draco zufrieden.
„Was willst du?", fragte er erneut in seinem gelangweilten Ton.
„Ein Bällchen Zitrone, bitte."
Die Frau hinter der Theke lächelte sie warm an und setzte ein besonders großes Bällchen auf die Waffel. Als die beiden zurückschlenderten, sprachen sie kein Wort mehr miteinander.
Lucius schien sie bereits erwartet zu haben, wobei der Anblick seines gierigen Sohnes einen unschönen Ausdruck auf sein Gesicht brachte. Draco gesellte sich zu ihm, ohne Anstalten zu machen, seinem Vater das Restgeld zurückzugeben.
„Nun Severus, man hört voneinander", schloss Lucius und wandte sich um.
„Danke, Mr Malfoy!", sagte Zoe hastig und hob ihr Eis in die Höhe.
Er nickte kurz und schob dann seinem Sohn grob die Winkelgasse hinunter.
Als sie in der Menge verschwunden waren, begann Zoe das Gespräch: „Woher kennt er mich und dich ... äääh Professor, meine ich", fragte sie leicht verschämt, als sie sich an die Worte ihres Großvaters erinnerte.
„Er war zusammen mit deiner Mutter und mir in Hogwarts", antwortete der Tränkelehrer knapp.
Zoe dachte an Ollivanders Worte: „Sehe ich ihr wirklich so ähnlich?"
„Ja. Du siehst genauso aus wie sie in deinem Alter." Seine Stimme war angenehm sanft geworden, wie immer wenn er über Gwendolyn sprach. Zoe hatte ihm schon viele solcher Fragen gestellt. All die Fragen, die sie nicht wagte, an ihre Zieheltern oder ihren Großvater zu stellen. Dumbledore hatte ihr nie eine Antwort verwehrt und doch spürte Zoe, dass dies ein wunder Punkt bei ihm war, worüber er nicht gerne sprach.
Sie vergaß diese Gedanken schnell wieder, als sie ihre Einkäufe fortsetzten. Sogar Mr Malfoys seltsames Verhalten und die Arroganz seines Sohnes waren ihr entfallen. Als sie alles Wichtige in der Apotheke besorgt hatten, gingen sie weiter, um die Kessel, neue Schreibfedern und andere Utensilien zu kaufen. Nachdem sie fertig waren, gelang es Zoe noch, Snape dazu zu erweichen, kurz in Salomons Süßwaren reinzuschauen und ehe sie sich versah, war es auch schon vier Uhr.
Etwas wehleidig kehrte sie mit Snape zurück in den Tropfenden Kessel und verabschiedete sich von ihm. Pünktlich um viertel nach vier verschwand Zoe mit dem Kerzenstummel und ließ Severus Snape alleine und mit einem Gefühl von Leere zurück.
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