Prüfungsstress
Harry und die Gryffindors schwelgten auch Tage später, weiterhin im Glück und sprachen fast nur noch von Quidditch. Je mehr Zeit verging, desto dankbarer war Zoe, dass die spektakulären Manöver und der hart erkämpfte Sieg in die Vergangenheit rückten.
Der Juni brachte ihnen endlich den herbeiersehnten Sommer. Doch richtig genießen konnten sie ihn alle nicht, denn nun standen die Prüfungen unmittelbar bevor und die Lehrer ermahnten sie ständig, die Freizeit für deren Vorbereitungen zu nutzen.
Dabei war Zoe nicht die Einzige, die sich wünschte draußen in der Sonne zu liegen, um die Sommerluft zu genießen. Auch hätte sie alles dafür getan, um Sirius wenigstens noch einmal besuchen zu können.
Nach all den Monaten, ohne ein weiteres Wort von ihm, hatte Zoe die Hoffnung aufgegeben, dass sich alles zum Guten wenden würde. Peter Pettigrew war entweder tot oder auf schlaue Art und Weise entkommen, davon war sie mittlerweile überzeugt.
Das Einzige was ihr blieb, waren die kommenden Sommerferien, in denen sie genügend Zeit haben würde, sich mit ihrem Dad zu beraten. Dann musste auch die Entscheidung fallen, wie es mit ihm weiter gehen würde. Immerhin konnte er nicht für immer in der Heulenden Hütte bleiben. Bisher hatte Zoe jeden trüben Gedanken daran gut verdrängen können. Doch je näher die Ferien rückten, desto bewusster wurde ihr, dass es dann höchstwahrscheinlich zu einem Abschied kommen würde und damit waren all ihre Träume, all ihre Hoffnungen auf einen Streich zerplatzt.
Als die Prüfungstermine endlich ausgegeben wurden, verlor Hermine fast die Nerven. Keiner von ihnen fürchtete sich so sehr vor den Prüfungen, wie Hermine. Sie war derzeit ein Pulverfass, das bei jedem falschen Wort hochgehen konnte. Leider war es Ron, der ein besonderes Händchen dafür bewies, eben jene Worte zu finden, und darum lagen die beiden einander ständig in den Haaren. Gerade als Zoe die zwei Streithähne wieder einmal voneinander trennte, war es Harry, der vorzeitig die Aufmerksamkeit auf sich zog, weil er mit Hedwig auf der Schulter zu ihnen kam und einen Umschlag aufriss.
„Der ist von Hagrid", sagte er und machte eine kurze Pause, um den Brief zu lesen. Dann fuhr er fort: „Die Berufungsverhandlung von Seidenschnabel – findet am achten Juni statt."
„Das ist doch unser letzter Prüfungstag", meinte Hermine, die unter ihren Unterlagen nach einem Buch kramte.
„Sie kommen dafür eigens hierher", murmelte Harry stirnrunzelnd weiter, „jemand vom Zaubereiministerium und ... und ein Henker."
„Ein Henker?!", rief Zoe ungläubig und sah Hermine verdutzt an.
„Sie bringen den Henker mit zur Berufung!", sprach die Gryffindor empört. „Das klingt doch, als hätten sie schon alles entschieden!"
„Ja, allerdings", meinte Harry und ließ entsetzt den Brief auf den Tisch vor ihnen gleiten.
„Das können sie nicht machen!", warf Ron ein. „Ich hab Ewigkeiten gebraucht, um für Hagrid diese Wälzer durchzuarbeiten, das können sie nicht einfach abtun!"
„Dracos Dad hat sicher all seine Kontakte spielen lassen", meinte Zoe düster und sah in die Menge.
„Also ist es hoffnungslos?", fragte Ron traurig.
„Nein", sprach Hermine energisch, „wir geben jetzt nicht auf! Noch ist der achte Juni nicht vergangen!"
Doch es war, als ob Zoes Prognose sich bewahrheitete. Draco, welcher nach der Niederlage der Slytherins auffällig kleinlaut war, entwickelte sich in den kommenden Tagen wieder zu dem alten Kotzbrocken, der er immer gewesen war. Seine bösartigen und hämischen Bemerkungen wurden für Zoe mit jedem weiteren Tag schwerer zu ertragen.
Als die Prüfungswoche dann anlief, legte sich ein Schleier angespannter Stille über das Schloss. Auch Zoe bekam allmählich Nervenkitzel. Ihre erste Prüfung begann an einem Montag. Verwandlung war zwar das Lieblingsfach der Dreizehnjährigen, doch sie fand die Prüfungsaufgabe trotzdem schwierig. Professor McGonagall hatte ihnen eine Teekanne mit japanischer Porzellanmalerei vorgesetzt, welche sie in eine Schildkröte verwandeln sollten. Zoe ging diese erste Prüfung mit hoher Motivation an und es gelang ihr auch tatsächlich, die Kanne in der vorgegebenen Zeit in das vorgegebne Reptil zu transformieren. Allerdings besaß diese noch einen Deckel mit einem handlichen Knauf auf dem Schild. Je öfter Zoe sich bemühte den Panzer des Tieres zu verändern, desto mehr ähnelte sie wieder einer Teekanne und so blieb der Slytherin schließlich nichts anderes übrig, als die Schildkröte mit Teedeckel abzugeben.
Danach gab es zunächst Mittagessen, welches Zoe am Slytherintisch einnahm. Dabei hörte sie sich die Prüfungsgeschichten ihrer Mitschüler an, von denen es ebenfalls keiner geschafft hatte, eine perfekte Schildkröte zu zaubern, um im Anschluss das Klassenzimmer für Zauberkunst aufsuchten.
Diese Prüfung fand Zoe etwas einfacher, denn Professor Flitwick prüfte sie der Reihe nach in Aufmunterungszauber, was Zoe so gut hinbekam, dass sie sogar ein extra Lob von ihrem Lehrer erhielt. Freudestrahlend wartete sie vor dem Klassenzimmer auf Daphne und Tracey, die ebenfalls zufrieden aus ihren Klausuren kamen.
Mit dröhnenden Köpfen steuerten sie anschließend den kühlen Gemeinschaftsraum der Slytherins an, um sich dort noch ein wenig zu entspannen und abzuschalten, bevor sie wieder für Zaubertränke, Astronomie und Pflege magischer Geschöpfe lernen würden.
Letzteres war jedoch reine Zeitverschwendung, wie sie am nächsten Tag herausfinden würden. Denn Hagrids Prüfung bestand darin, während einer Stunde einen Flubberwurm zu betreuen, und man hatte den Test absolviert, solange der Wurm am Ende der Stunde noch lebte. Da die anspruchslosen Tierwesen sich jedoch am besten entwickelten, wenn man sie einfach in Ruhe ließ, hatten sie diese Note mit Leichtigkeit in der Tasche.
Nachmittags sollte es allerdings schwieriger werden. In Zaubertränke mussten sie für Professor Snape ein Verwirrungs-Elixier brauen. Dies war ein anspruchsvoller Trank, bei dem es auf genaues Timing ankam und der den einen oder anderen Schüler die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Als Zoe jedoch ihre Probe, des etwas zu dünn geratenen Elixieres abgab, lobte ihr Lehrer sie so überschwänglich, dass die Slytherin dies als gutes Omen deutete.
Um Mitternacht ging es schließlich mit Astronomie weiter, wofür sie sich auf dem höchsten Turm des Schlosses trafen. Hier hatte ihnen die Professorin Sinistra bereits alle, für die Klausur benötigten, Gerätschaften aufgebaut.
Als Ausgleich schrieben sie die nächste Prüfung, für Geschichte der Zauberei, erst am Vormittag und nach den Mittagessen ging es wegen Kräuterkunde wieder hinaus auf die Ländereien.
Die Sonne brannte auf sie hinunter und erhitzte die Luft im Gewächshaus auf ein subtropisches Klima und machte es Zoe schwer, die Konzentration zu wahren.
Als sie diese Klausur hinter sich hatte, zog sich die Slytherin den durchgeschwitzten Umhang von den Schultern und genoss die frische, wenn auch warme Sommerluft, während sie zur vorletzten Prüfung ging.
Professor Lupin hatte sich etwas Besonderes für sie ausgedacht: Er ließ die Schüler nacheinander einen Hindernisparcours, den er draußen aufwendig vorbereitet hatte, bewältigen. Hierfür hatte er die unterschiedlichsten Lebensräume der Kreaturen, die sie in seinem Unterricht kennen gelernt hatten, simuliert und die Aufgabe bestand darin, möglichst geschickt ins Ziel zu gelangen. Zoe hatte keinerlei Probleme, den Tümpel mit dem Grindeloh zu durchqueren oder die Erdlöcher voller Rotkappen zu überwinden. Sie ließ sich auch nicht von dem Hinkepanks in die Irre führen, die versuchten sie in einer nebeligen Sumpflandschaft vom Weg abzubringen. Als es jedoch so weit war, dass sie in einen alten Schrankkoffer klettern musste, um sich einem Irrwicht zu stellen zögerte die Slytherin.
„Das schaffst du schon, Zoe", sprach Lupin aufmuntern und machte sich eine Notiz auf sein Klemmbrett. „Nur zu!"
Schließlich fasste sich die Dreizehnjährige ein Herz und überwand ihre Ängste. Sie besiegte das Tierwesen, indem sie der bedrohlichen und rotäugigen Gestalt einfach einen purpurfarbenen Turban falsch herum auf den Kopf zauberte. Verwirrt und mit den Armen rudernd taumelte der Irrwicht zurück in sein Versteck und Professor Lupin klatschte begeistert.
„Hervorragend, Zoe, ganz hervorragend! Das hast du prima gemeistert. Ein sehr verdientes Ohnegleichen!"
Vor Stolz strahlend, wartete die Slytherin am Ende des Parcours auf ihre Freunde. Harry meisterte die Prüfung mit voller Punktzahl, während Ron Punkte verlor, weil Professor Lupin ihn hatte aus dem Morast ziehen müssen, da der Rothaarige sich von einem Hinkepank hatte in die Irre führen lassen.
Gespannt beobachteten die drei Hermine, wie sie ihre letzte Aufgabe erledigte. Nervös war sie in ihren Schrankkoffer gekrabbelt und nur wenige Sekunden danach so schreiend herausgeplatzt, dass Zoe kurz der Atem stockte.
Doch Professor Lupin war sofort zur Stelle, um sie zu beruhigen.
„Hermine! Was ist denn los?", fragte er verblüfft.
Doch diese brauchte einen Moment, bevor sie wieder fähig war, zu sprechen, dann stammelte sie: „P ... Professor McGonagall! S-sie sagt, ich sei überall durchgerasselt!"
Ron, der neben Zoe stand, lachte prustend los und wandte sich von ihnen ab. Die Slytherin jedoch, der Hermines blasses und panisches Gesicht aufgefallen war, versuchte ihre Freundin ein wenig zu trösten. Dies gelang ihr auch nach einer Weile. Dem Irrwicht stellte sich die Gryffindor jedoch nicht mehr und kurz darauf machten sie sich gemeinsam auf den Weg zurück ins Schloss.
Als sie das Portal erreichten, fiel ihnen direkt eine Person im Nadelstreifenanzug auf, die dort stand und über das Land spähte.
„Das ist Cornelius Fudge", flüsterte Zoe leise, die den Zaubereiminister erkannte.
„Was macht der denn hier?", fragte Harry nachdenklich.
„Vielleicht haben sie Black erwischt?", sprach Ron hoffnungsvoll.
Zoe wurde bei diesen Worten auf einen Schlag übel und sie hoffte, dass sich der Rothaarige irrte. Als sie näher kamen, nahm der Minister anscheinend erst Notiz von ihnen und sein Blick fixierte sofort den Schwarzhaarigen.
„Oh, hallo, Harry! Du kommst von einer Prüfung, nicht wahr? Hast es bald geschafft?", sagte er freundlich.
„Ja", antwortete dieser schlicht.
„Schöner Tag", meinte Fudge dann seufzend. „Ein Jammer, wirklich ein Jammer ... Ich bin wegen einer unangenehmen Aufgabe hier, Harry.
Der Ausschuss für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe braucht einen Zeugen für die Hinrichtung eines verrückten Hippogreifs. Da ich ohnehin in Hogwarts vorbeischauen musste, um mich in Sachen Black umzutun, wurde ich gebeten einzuspringen."
„Soll das heißen, die Berufungsverhandlung ist schon vorbei?", fragte Ron verdutzt.
„Nein, nein, sie ist für heute Nachmittag angesetzt", antwortete Fudge und nahm nun auch von Harrys Begleitungen Notiz.
„Dann werden Sie ja vielleicht gar keine Hinrichtung bezeugen müssen!", sagte Ron optimistisch. „Der Hippogreif könnte ja freigesprochen werden!"
Noch bevor der Minister auf Rons Einwand hätte reagieren können wurden sie von zwei weiteren Zauberern unterbrochen, die gerade durch das Schlossportal traten. Es handelte sich dabei um einen sehr alten, dünnen Mann der in Begleitung eines in ganz in schwarz gekleideten kräftigen Zauberers, der einen kurzen Schnurrbart trug, war. Dieser hatte eine große Axt am Gürtel hängen und Zoe war sofort klar, dass diese beiden zum Ausschuss gehörten.
„Meine Güte, ich werd' langsam zu alt für diese Geschichten ... es ist doch schon zwei, nicht wahr, Fudge?", fragte der Alte, nachdem sie den Minister erreicht hatten.
Als auch Rons Blick auf die Axt fiel, öffnete dieser empört den Mund, aber Hermine stieß ihm einen Ellenbogen in die Seiten und er ächzte nur schmerzvoll.
„Lasst uns gehen!", flehte Zoe leise, ging voraus und steuert zielstrebig den Eingang an.
Harry, Ron und Hermine folgten ihr kurz darauf.
Der Rothaarige rieb sich die schmerzende Seite, fragte jedoch erst, als sie außer Hörweite der Erwachsenen waren: „Warum hast du mich aufgehalten? Hast du die beiden gesehen? Die haben ja schon das Beil bereit! Das ist doch nicht fair!"
„Ron", antwortete Hermine gequält, „dein Dad arbeitet im Ministerium, da kannst du doch nicht so mit seinem Chef reden! Wenn Hagrid diesmal die Nerven behält und seine Sache richtig vertritt, können sie Seidenschnabel auf keinen Fall töten ..."
„Da bin ich mir nicht so sicher ...", sagte Zoe leise jedoch mehr zu sich selbst.
Die Pause verbrachten sie in einem ruhigen Korridor und sahen aus einem Fenster hinab zu Hagrids Hütte. Sich der gut gelaunten Schülerschar im Hof anzuschließen, danach stand nun keinem mehr der Sinn. Als es irgendwann läutete, lag die letzte Prüfung vor ihnen und ihre Wege trennten sich wieder. Während Ron und Harry sich auf Wahrsageturm machten, gingen Zoe und Hermine zu Arithmantik.
Die Klausur bei Professor Vektor war kniffelig, aber lösbar gewesen. Dennoch war Zoe ungemein erleichtert, als sie diese hinter sich gebracht hatte.
„Das war doch gar nicht so schwer!", meinte Hermine befreit, während sie die Klasse verließen.
„Ich fand es schwierig", klagte Daphne. „Hattet ihr bei Aufgabe drei auch fünfundzwanzig heraus?"
„Ich hatte da sieben", meinte Zoe grübelnd.
„Ich auch", bestätigte Hermine, „du hast wohl vergessen zu reduzieren."
„Oh nein!", klagte die Slytherin. „Das wird übel ..."
„Naja, jetzt haben wir es geschafft", meinte Tracey freudig. „Lass uns raus gehen. Kommt ihr – huch!"
Eine kleine Eule hatte ihren Weg geschnitten und sich kreischend auf der Fensterbank neben ihnen nieder gelassen. Verwundert tauschten die Mädchen Blicke miteinander und schließlich nahm Hermine dem Vogel den Brief ab. Sie öffnete die Botschaft und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen.
„Was ist passiert? Von wem ist der?", wollte Zoe sofort wissen.
„Von Hagrid", antwortete Hermine mit erstickter Stimme, „Seidenschnabel hat verloren ..."
Zoe sah ihre Freundin geschockt an.
„Seidenschnabel?" fragte Daphne verwirrt.
„Hagrids Hippogreif", erklärte Zoe knapp, „er wird heute ... hingerichtet ..."
„Oh, das tut mir leid", sprach Daphne mitfühlend.
„Das ist so frustrierend!", klagte Hermine und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Ihr habt sicher alles getan, was ihr konntet", meinte Tracey aufmunternd, weil sie wusste, wie viel Zeit Zoe und die Gryffindor in der Bibliothek mit den Recherchen verbracht hatten.
Betreten schwiegen sie ein paar Sekunden. Dann sagte Hermine schniefend: „Wir müssen es Harry und Ron mitteilen!"
Zoe nickte betrübt.
„Dann sehen wir uns im Gemeinschaftsraum?", meinte Daphne letztendlich.
„Ja ... Bis später ..." bestätigte Zoe.
Die beiden Slytherinmädchen schlossen sich Blaise und Theodore an, die gerade ebenfalls aus der Prüfung gekommen waren und kurz darauf verschwanden sie Richtung Ausgang.
Hermine seufzte traurig, hakte sich bei Zoe ein und gemeinsam schlugen sie den Weg zum Gryffindorturm ein.
„Es ist so schrecklich .... Auch wenn ich irgendwie nicht an ein gutes Ende geglaubt habe. Trotzdem hofft man es ja doch, nicht wahr?"
„Ja", sagte Zoe leise. „Das ist so unfair!"
Sie gingen an den misstrauisch dreinblickenden Sicherheitstrollen vorbei und Hermine öffnete den Eingang zum Gemeinschaftsraum, damit sie hineinklettern konnten. Doch dieser beinahe war leer, weil die Mehrheit der Schüler ihren Prüfungsabschluss bei dem herrlichen Wetter draußen genossen. Aber nur beinahe, denn Ron saß in einer Ecke und fächerte sich Luft mit einem Bogen Pergament zu, um sich abzukühlen. Als er die Gesichter seiner Freundinnen sah, erstarb das Grinsen auf seinen Lippen.
„Was?", fragte er sofort besorgt und legte das Pergament auf den Tisch.
„Seidenschnabel hat verloren!", sagte Zoe knapp.
„Sie richten ihn bei Sonnenuntergang hin!", ergänzte Hermine, ließ sich neben ihren Freund auf einen Stuhl fallen und reichte ihm Hagrids Nachricht.
Ronald sah sie fassungslos an und begann zu lesen. Als er fertig war, hatte es ihm die Sprache verschlagen.
„Wo ist Harry?", wollte Zoe wissen.
„Er war nach mir dran", erzählte der Rothaarige tonlos, „schätze er kommt jeden Moment."
Es war, als hätten seine Worte ihn heraufbeschworen. Das Porträtloch schwang auf und Harry kam eilig hinein.
„Professor Trelawney hat mir eben gesagt-", keuchte er, stockte jedoch, als er seine Freunde sah.
„Seidenschnabel hat verloren", erklärte Ron und gab den Brief an seinen Freund weiter. „Das hier kam gerade von Hagrid."
Auch Harry brauchte einige Sekunden, um die Nachricht im vollen Ausmaß zu verstehen. Dann sah er wieder auf und meinte: „Wir müssen hin! Wir können ihn nicht alleine rumhocken und auf den Henker warten lassen!"
„Das finde ich auch!", unterstütze ihn Zoe sofort.
Ron sah geistesabwesend aus dem Fenster und meinte: „Sonnenuntergang ... Das erlauben sie uns nie ... und dir schon gar nicht, Harry ..."
„Das stimmt allerdings", gab die Slytherin niedergeschlagen zu.
„Wenn ich nur den Tarnumhang hätte ...", klagte Harry und Hermine fragte überrascht: „Wo ist er?"
„Ich hab ihm im Geheimgang unter der einäugigen Hexe liegen lassen", erklärte der Schwarzhaarige ein wenig befangen, weil er wusste dass Hermine, seine Geschichte nicht gefallen würde. „Als ich das letzte Mal in Hogsmeade war ... Da hat Malfoy mich erwischt und ich bin zurück ins Schloss gerannt. Zum Glück hab ich den Umhang im Geheimgang der buckligen Hexe versteckt, denn Malfoy ist sofort zu Snape gerannt, und hat mich dann direkt abgepasst. War'n riesen Drama ... Wenn Snape mich noch mal in dieser Ecke trifft, sitz ich wirklich in der Patsche."
„Das stimmt", bestätigte Hermine. „Wenn er dich sieht ... wie geht dieser Hexenbuckel noch mal auf?"
„Du – tippst dagegen und sagst ‚Dissendium' – aber"
„Komm mit!", unterbrach Hermine ihren Freund und packte Zoe energisch am Arm und zog sie mit sich und ließ die Jungs einfach zurück.
Perplex gehorchte die Slytherin und folgte ihrer Freundin hinaus und wieder an den Sicherheitstrollen vorbei.
„Du willst ihn holen gehen?", fragte Zoe rhetorisch, weil sie Hermine sofort durchschaut hatte.
„Es ist wirklich unsere einzige Chance zu Hagrid zu gelangen", sprach ihre Freundin leise. „Er wird am Boden zerstört sein. Er braucht uns!"
„Ja, das stimmt", bestätigte Zoe und folgte ihr die Treppe hinunter. „Du kannst mich jetzt aber loslassen."
„Oh entschuldige", meinte die Gryffindor und lächelte nervös. „Ich bin nur ein bisschen angespannt."
Sie begegneten niemand auf ihrem Hinweg. Die Korridore waren vollkommen ausgestorben, denn die meisten Schüler waren draußen und genossen den Sommertag. Ab und an drang ausgelassenes Gelächter zu ihnen hinauf, wenn sie gerade an einem geöffneten Fenster vorbeigingen, und schließlich blieb Zoe am Ende eines Ganges stehen und stand Schmiere.
Nervös trat Hermine an die Statue heran, sah sich unauffällig um und tippte mit dem Zauberstab dagegen. Dann war sie für einige Sekunden in der Öffnung verschwunden und kam kurz darauf mit rosigem Gesicht heraus. Sorgfältig verschloss sie den Buckel wieder und steuerte zielstrebig Zoe an.
„Hab' ihn", presste sie zwischen den Zähnen hindurch und klopfte sich mit der rechten Hand auf den Bauch.
Die unscheinbare Beule unter ihrem Shirt war nur zu sehen, wenn man wusste, dass dort etwas versteckt war. Zoe schmunzelte triumphierend und sagte: „Na dann los!"
Die Trolle beäugten sie abermals misstrauisch, als sie zum Porträt der Fetten Dame zurückkehrten und erneut durch das Loch dahinter schlüpften. Doch der Blick der völlig verdutzten der Jungs, die im Gemeinschaftsraum auf sie gewartete hatten, stand dem der Trolle in nichts nach.
Hermine zog mit triumphaler Geste den Tarnumhang hervor und Ron meinte anerkennend: „Hermine, ich weiß nicht, was seit neuestem in dich gefahren ist! Erst vermöbelst du Malfoy, dann marschierst du bei Professor Trelawney einfach aus dem Unterricht-"
Die Gryffindor lächelte geschmeichelt und antwortet: „Also nach dem Abendessen gehen wir sofort runter zu Hagrid, in Ordnung?"
„Aber wo willst du den Umhang anlegen?", fragte Harry der sichtlich erleichtert war, den Tarnumhang wieder in seinem Besitz zu wissen.
„Ja, Hermine", sprach Ron, „wir können nicht einfach in der Eingangshalle verschwinden.
„Die Besenkammer", sagte Zoe, die sich an den kleinen Raum in einer Nische erinnerte, „wir verstecken uns in der Besenkammer!"
Ungeduld saßen sie im Anschluss die Zeit ab, wobei ihnen jede Minute, wie eine Ewigkeit vorkam. Schließlich gingen sie als einer der ersten hinab in die Große Halle, um dem Abendessen beizuwohnen. Harry hatte den Tarnumhang sorgfältig unter seiner Kleidung versteckt.
Großen Appetit hatte jedoch keiner von ihnen, trotzdem blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Nachdem sich die Schülerschar in der Halle allmählich lichtete, standen auch die Vier auf und taten so, als würden sie aufbrechen. In einer freien Minute, während die Eingangshalle leer war, schlüpften sie eilig in die Besenkammer und Harry zog den Tarnumhang hervor. Hermine hatte ein Ohr an die Tür gepresst und lauschte. Als es vor der Tür schließlich still wurde, flüsterte sie hektisch: „Gut, keiner mehr da – unter den Umhang-"
Sie rückten nah aneinander, damit sie alle unter den Umhang passten.
„Wir müssen aufpassen", meinte Zoe kritisch, „dass man unsere Füße nicht sieht!"
Ron stieß behutsam die Tür auf und gebannt warteten sie, ob jemand darauf reagierte. Doch sie blieben unerkannt und so schlichen sie sich auf leisen Sohlen hinaus.
Nachdem sie auf den Ländereien angekommen waren, wurden sie weniger vorsichtig und dafür etwas schneller. Schließlich erreichten sie Hagrids Hütte und klopften an.
Der Wildhüter brauchte eine Weile, bis er die Tür öffnete, und sah dann misstrauisch einfach durch sie hindurch.
„Wir sind's", zischte Harry. „Wir tragen den Tarnumhang. Lass uns rein, dann können wir ihn ablegen."
Hagrid gehorchte, schloss die Tür hinter ihnen, sagte jedoch: „Ihr hättet nicht kommen sollen!"
Harry zog den Umhang herunter und stopfte ihn sich in die Tasche.
„Wir konnten dich doch unmöglich alleine lassen!", sagte Zoe sofort und musterte den Hünen.
Er war blass, doch auf eine merkwürdige Art gefasst – oder er stand unter Schock – denn er hatte weder eine Träne vergossen, noch roch er nach Alkohol.
„Wollt ihr 'n Tee?", meinte er tonlos und griff mit zittrigen Pranken nach dem Kessel.
„Wo ist Seidenschnabel, Hagrid?", fragte Hermine zögernd, nachdem sie sich umgesehen hatten.
„Ich – ich", antwortete Hagrid zerstreut und füllte den Milchkrug auf. „Hab ihn rausgebracht. Er ist hinter meinem Kürbisbeet an der Leine. Dachte, er sollte noch mal die Bäume sehen und - und ein wenig frische Luft schnappen – bevor -"
Hagrid zitterte so sehr, dass er die Milch auf den Tisch verschüttete und Zoe direkt nach einem Lappen griff. Doch es dauerte keine Minute, da hatte er den ganzen Milchkrug auf den Boden geworfen.
„Ich mach das schon, Hagrid", sprach Hermine sofort, schnappte Zoe den Lappen aus der Hand und begann den Boden zu wischen.
„Da ist noch einer im Schrank", meinte Hagrid nur, ließ sich auf einen Stuhl fallen und wischte sich über die Stirn.
Harry betrachtete ihn besorgt und fragte: „Kann man denn gar nichts mehr machen, Hagrid? Dumbledore -"
„Er hat's doch versucht", unterbrach er Harry. „Aber er hat nicht die Macht, das Urteil zu ändern. Er hat den Leuten vom Ausschuss erklärt, dass Seidenschnabel in Ordnung ist, aber die haben doch Angst ... ihr kennt Lucius Malfoy ... der hat sie bedroht, vermut' ich mal ... und der Henker, Macnair, ist ein alter Kumpel von Malfoy ... aber es wird schnell und sauber gehen ... und ich wird' bei ihm sein ..."
Zoe sah den Wildhüter traurig an und als er ihren Blick traf, da sagte er: „Dumbledore will auch dabei sein, wenn es ... wenn es passiert. Hat mir heute Morgen geschrieben. Er will ... will bei mir sein. Großartiger Mensch, dein Großvater ..."
Die Slytherin spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten und verruchte verzweifelt diese wegzublinzeln. Hermine stellte einen neuen Milchkrug, auf den Tisch und sagte zu dem Wildhüter: „Wir bleiben bei dir, Hagrid!"
Doch der Hüne schüttelte nur mit dem Kopf.
„Ihr müsst zurück ins Schloss", sagte er. „Ich hab euch doch gesagt, ich will nicht, dass ihr zuseht. Und ihr solltet ohnehin nicht hier unten sein ... wenn Fudge und Dumbledore euch hier finden, Harry, dann kriegt ihr gewaltigen Ärger."
Nun begann auch Hermine zu weinen und es zu verbergen ging sie hinüber zum Teekessel und griff schließlich nach einer Milchflasche, um die Kanne zu füllen. Da stieß sie plötzlich einen spitzen Schrei aus.
„Was?", fragte Zoe zugleich erschrocken, doch Hermine rief nach Ron.
„Ron! Ich - das gibt's doch nicht - es ist Krätze!"
Der Rothaarige rührte sich zunächst nicht, doch Zoe war aufgesprungen und zu Hermine gegangen und lugte neugierig in die Milchkanne hinein. Darin befand sich tatsächlich panisch Quiekend eine Ratte. Sirius hatte Recht behalten!
„Was redest du da?", fragte Ron sichtlich verwirrt.
Hermine trug die Kanne hinüber zum Tisch, und drehte sie um damit die Ratte auf den Tisch kullerte.
„Krätze!", rief Ron überrascht und packte das Tier. „Krätze, was machst du denn hier?"
Wie vom Donner gerührt betrachtete Zoe die Ratte, nur um sicher zu sein, dass es sich dabei wirklich um Krätze handelte. Sie war sehr viel dünner geworden, als Zoe sie zuletzt gesehen hatte und sein Fell wies etliche kahle Stellen auf. Außerdem versuchte sie sich verzweifelt aus Rons Griff zu befreien.
„Bist du sicher, dass es Krätze ist?", fragte Zoe zweifelnd.
„Na klar!", sagte Ron. „Ist schon gut, Krätze! Keine Katzen! Keiner hier will dir was antun!"
Hagrid sprang plötzlich von seinem Stuhl auf, ging zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite.
„Sie kommen ...", sagte er und die Vier sahen den Wildhüter erschrocken an.
Zoe lief zu ihm hin und konnte von weitem schon ihren Großvater erkennen, der in Begleitung des Ausschusses den Abhang herabkam.
„Ihr müsst gehen", sagte Hagrid mit zittriger Stimme. „Sie dürfen euch hier nicht finden ... verschwindet jetzt, schnell ... Ich lass euch hinten raus."
Er schob sie Richtung Tür und Ron stopfte Krätze mit sanfter Gewalt in seine Tasche. Zoe öffnete die Hintertür und trat hinaus in den Garten, wo Seidenschnabel am Zaun beim Kürbisbeet angebunden war. Der Hippogreif war unruhig, warf den Kopf herum und scharrte auf dem Boden, als wüsste er, dass Unheil drohte.
„Ist schon gut, Schnäbelchen. Es ist alles gut ...", sprach Hagrid leise und wandte sich dann zu ihnen um. „Geht jetzt, sputet euch!"
Das ganze Szenario kam Zoe so irreal vor, dass sie seine Aufforderung gar nicht richtig registrierte. Doch auch die Gryffindors rührten sich nicht.
„Hagrid, wir können nicht einfach-", begann Harry.
„Wir sagen ihnen, was wirklich passiert ist -", meinte Ron
„Sie dürfen ihn nicht umbringen-", flehte Zoe
„Geht!", sprach Hagrid endgültig. „Ist alles schon schlimm genug, da müsst ihr nicht auch noch Ärger kriegen!"
Hermine zog schließlich den Umhang aus Harrys Tasche und warf ihn über sie. Hagrid sah zu der Stelle herab, an der sie gerade noch gestanden hatten.
„Geht schnell", meinte er mit Nachdruck, „und lauscht nicht ..."
An der Vordertür klopfte es und nun drang das Geschehen allmählich an Zoes Hirn.
„Das passiert wirklich", flüsterte sie entsetzt, als sie sich in Bewegung setzten. „Sie werden ihn umbringen?"
„Beeilen wir uns, bitte", flüsterte Hermine. „Ich kann das nicht sehen, ich kann es nicht ertragen ..."
Durch die Eile tapsten sie tollpatschig den Rasenhang hinauf und Zoe war sich sicher, dass man ihre Füße sehen konnte. Die Sonne ging allmählich im Westen unter und tauchte die Ländereien in ein warmes, blutrotes Licht.
Dann blieb Ron plötzlich stehen.
„O bitte, Ron", flehte Hermine.
„Es ist Krätze - gibt einfach keine Ruhe -", sagte er verzweifelt und versuchte die Ratte in der Tasche zu behalten.
Doch dieser versuchte in blinder Panik alles, um eben dort heraus zu kommen. Quiekte laut und kratze am Stoff von Ronalds Umhang.
„Krätze, ich bin's, Ron, du Dummkopf!", versuchte der Rothaarige sein Haustier zu beruhigen.
Von Hagrids Hütte drangen Stimmen zu ihnen heran und Hermine keuchte entsetzt.
„O Ron, bitte, geh'n wir weiter, sie tun's jetzt!", bat sie erneut.
„Gut - Krätze, bleib hier -"
Mit ungeschickten Schritten gingen sie weiter, doch dann blieb Ron erneut stehen.
„Ich kann sie nicht mehr festhalten - Krätze, halt's Maul, die hören uns doch –", sagte Ron verzweifelt über das immer lauter werdende Quieken hinweg.
Zoe versuchte verzweifelt die Stimmen aus Hagrids Garten zu ignorieren. Dann wurde es einen kurzen Moment still und das Nächste, was sie hörten war der dumpfe Aufschlag einer Axt. Hermine klammerte sich verzweifelt an Zoes Arm und flüsterte entsetzte: „Sie haben es wirklich getan! Ich k ... kann's nicht fassen - sie haben's getan!"
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