Die Flucht der fetten Dame

Zoe schlug die Augen auf und blickte geradewegs auf das sommergrüne Blätterdach eines uralten Baumes. Ein sanfter Wind strich über ihr Gesicht und kitzelte sie leicht. Das Säuseln der Blätter erfüllte die Luft. Ohne darüber nachzudenken, setzte sie sich auf und saß nun mit dem Rücken zu dem dicken Stamm des Baumes.

Die Sonne war kurz davor hinter der großen Gebirgskette zu verschwinden. Sie sah hinüber, zu dem kleinen Haus, das einige hundert Meter abseits stand, und in dem Licht brannte. Der Anblick war für Zoe vertraut und ihr Herz wurde von einer wohltuenden Wärme umhüllt.

Hier war sie Zuhause.

Sie stand auf, weil es an der Zeit war, ohne sich den Schmutz von den Kleidern zu klopfen und trat den Heimweg an. Ihre Schritte fühlten sich staksig und unkontrolliert an und ein seltsamer, unheimlicher Nebel zog auf.

Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Zoe die offene Gartentür erreicht hatte. Im Rahmen blieb sie schließlich stehen und schaute hinein. Aus der Küche kam ein verführerischer Duft. Das Mädchen erkannte ihn sofort: Ihre Mutter hatte offenbar einen Johannisbeerkuchen gebacken. Durch den Spalt unter der Küchentür leuchtete ein sanfter Lichtschein hervor und die vertrauten Stimmen, die sie hörte, waren eindeutig die ihrer Eltern. Zoe frohlockte. Endlich war sie Zuhause.

Mit unsichereren Schritten, steuerte sie die Küche an. Dabei nahm sie einen Gegenstand vom Sideboard, der ihr sehr vertraut vorkam und ohne darüber nachzudenken.

Sie sah ihre eigene Hand, die Küchentür aufdrücken, sah, wie sich ihre Eltern liebevoll lächelnd zu ihr umdrehten und wie sich ihre Gesichter verwandelten: in blasse, haarlose Fratzen mit blutroten Augen. Und sie kamen auf Zoe zu, mit spindeldürren Fingern griffen sie nach ihrer Tochter. Hallendes Gelächter erfüllte die Küche und Schreie, dessen Ursprung sie nicht sehen konnte. Dann legte sich eine eiskalte, blasse Hand um Zoes Handgelenk, zog sie zu sich heran und das letzte, was das Mädchen sehen konnte, waren blutrote Iriden mit schlitzförmigen Pupillen bevor der Raum in gleißendes grünes Licht getaucht wurde ...

„NEEEEIN!", schweißgebadet schreckte Zoe auf und saß gleich kerzengerade im Bett.

„Was ist passiert?"

„Wer ist da?!"

„War das Zoe?"

„Ich glaube schon ..."

„Zoe?!?"

„Alles in Ordnung mit dir?"

Zitternd lauschte Zoe den Stimmen ihrer Zimmergenossinnen. Sie hörte, wie Tracey den Vorhang ihres Bettes einen Spalt breit zur Seite zog und aus ihrem Bett schlich.

„Bist du ok?", fragte sie besorgt.

„Tut mir leid!", entschuldigte sich Zoe sofort. „Ich ... ich hab nur schlecht geträumt."

Pansy am anderen Ende des Zimmers zischte genervt.

„Wie viel Uhr ist es?", fragte Daphnes Stimme.

„Halb fünf", antwortete Millicent verschlafen.

Tracey steckte ihren Kopf durch den Vorhang von Zoes Bett und fragte: „Bist du sicher?"

Zoe nickte. „Danke, ich hau mich gleich wieder hin."

„Ok."

Die nächsten Minuten waren etwas unruhig, während die Mädchen sich wieder bequem in ihre Betten kuschelten und noch das ein oder andere Wort miteinander wechselten. Zoe lauschte dem mit klopfenden Herzen.

Wann würden diese Albträume sie endlich in Frieden lassen? Auch wenn sie es schon vermutet hatte, dass sie Begegnung mit dem Irrwicht alte Wunden wieder aufschlagen könnte, hatte sie ja doch gehofft, dass es anders kommen würde.

Vielleicht hatte Professor Lupin ihr deswegen einen so langen Vortrag gehalten, doch Zoe hatte es gar nicht in Erwägung gezogen, dass die Worte ihres neuen Lehrers ihr irgendwas nützen würden. Sie dachte noch lange über seine Worte nach, ohne dass sie müde wurde.

Die gleichmäßigen Atemzüge und das Schnarchen von Millicent verrieten der Slytherin, dass ihre Klassenkameradinnen bereits wieder schliefen. Doch Zoe war noch immer hellwach. Noch einige Minuten wälzte sie sich schließlich in ihrem Bett herum und entschied sich schließlich dazu aufzustehen.

Vorsichtig schob sie den Vorhang ihres Bettes zur Seite und nahm ihre neue Errungenschaft aus von Flourish & Blotts aus dem Nachttischschrank. In den kuscheligen, grün-silbernen Morgenmantel und in ihre Pantoffel gehüllt schlich Zoe sich aus dem Schlafraum und betrat den Gemeinschaftsraum. Ein leises Plop offenbarte ihr, dass sie offensichtlich einige Hauselfen bei ihrem Putzdienst gestört hatte, jedoch machte sich die junge Hexe nichts daraus.

Schnurstracks ging sie auf die Lehnsessel vor dem Kamin zu und schmiegte sich in einen hinein, den Blick auf die feurige Glut, die zwischen den rußigen Steinen zündelte. Im Kopf erschienen ihr die Bilder aus dem Traum und Zoe schauderte. Unzählige Male, war sie im Traum den Weg hinab zum Haus gegangen. Immer wieder hatte sie die Geräusche und den Duft des frischen Kuchens vernommen. Doch dann war sie immer aufgewacht.

Noch nie, hatte sie die Küche betreten und ihre Eltern gesehen.

Das Feuer verschwamm vor ihren Augen und Zoe versuchte die Tränen wegzublinzeln. Wann würde sie endlich aufhören ihre Eltern und ihr Zuhause zu vermissen. Leise weinend hatte sich die Slytherin in den Sessel gerollt, ihr Buch Der richtige Weg zum Animagus fest an ihre Brust geklemmt, bis sie schließlich eingeschlafen war. Und wenigstens blieben ihr dieses Mal jegliche Albträume erspart.

~ * ~

Anfang Oktober bereits war Verteidigung gegen die dunklen Künste in Nullkommanix, das Lieblingsfach fast aller Schüler. Professor Lupin hatte offensichtlich ein Händchen dafür den Unterricht für sie anschaulich und spannend zu gestalten. Nach dem Irrwicht lernten sie weitere Kreaturen der Nacht kennen, wie die Rotkappen und Kappas und er legte noch immer Wert darauf, dass der Unterricht sowohl aus einem praktischen, wie auch theoretischen Teil bestand.

So wurde Lupin auch schnell zu ihrem Lieblingslehrer. Lediglich Draco und seine Clique ließen, aufgrund seines schäbigen Aussehens, immer wieder gehässige Kommentare fallen, für die sich Zoe sogar schämte. Sie wusste nichts über Professor Lupin, doch sich darüber lustig zu machen, dass seine Umhänge geflickt und seine Utensilien abgewetzt waren fand Zoe vollkommen daneben.

Doch zum Glück hatte Professor Lupin die Schüler schnell durch seine freundliche und faire Art für sich gewonnen, welche anmaßende Kommentare Draco in seiner Abwesenheit auch losließ.

Pflege magischer Geschöpfe hingegen war für Zoe nun fast genauso schlimm, wie Geschichte der Zauberei und mit dieser Meinung war sie nicht alleine.

Hagrid war zum Glück nicht von der Schule geflogen, doch offensichtlich war er nun vorsichtiger geworden. Seit ihrer zweiten Stunde kümmerten sie sich nun um Flubberwürmer. Diese mussten sie mit Salat füttern, ihre Aquarien säubern und über ihre Beobachtungen Aufsätze schreiben. Das Schlimmste daran war, dass diese Tierwesen den ganzen Tag eigentlich nichts taten. Sie lagen unter ihren Salatblättern, gruben sich in die Erde und kamen nur heraus, um einen flubberigen Schleim abzusondern. Das allein war schon eklig genug, doch diesen Schleim sollten sie sogar abschöpfen, weil dieser zum Eindicken von Zaubertränken genutzt werden konnte. Als Zoe jedoch Professor Snape nach dem Sinn von Flubberwurmschleim fragte, erhielt sie lediglich die Antwort, dass ‚man gut gemischte Tränke nicht zusätzlich eindicken müsse'.

Zoe verkniff sich diesen Einwand allerdings in Hagrids Unterricht, da ansonsten die Daseinsberechtigung dieser widerlichen Dinger, vollkommen vernichtet wäre und Hagrid sich somit einen anderen Inhalt für ihre Stunden hätte suchen müssen.

Aber gab es etwas Schlimmeres als Flubberwürmer?

Wenigstens konnte Zoe sich weiterhin für Arithmantik begeistern. Zwar wurde es mit jeder Stunde kniffliger den Überblick über die teilweisen komplexen Rechengänge zu bewahren, doch wenn man sich die einzelnen Schritte verständlich aufschrieb und auswendig lernte, war auch das bald keine Schwierigkeit mehr. Vor allem jedoch freute es die Slytherin, dass sie den Unterricht mit ihrer besten Freundin teilte. Hermine liebte dieses Fach und mit jedem weiteren Tag, den sie bei Professor Vektor verbrachten wurde ihre Meinung über Wahrsagen schlechter. Zoe hatte die Gryffindor noch nie schlecht über eine Lehrkraft sprechen hören, doch über Professor Trelawney, ließ sie sich ab und an in einem zischenden Flüsterton aus.

Zoe genoss diese Zeit. Durch die vielen Fächer, die Hermine belegt hatte, hatte diese nun kaum mehr Zeit für Zoe. So trafen sie sich nur für gemeinsame Mahlzeiten oder zum Hausaufgaben machen.

Der Slytherin blieb nun allerdings eine Menge überschüssige Freizeit übrig, die sie dann engagiert mit dem Studium ihres neuen Lieblingsbuches füllte, um sich vor all den anderen Fragen in ihrem Kopf abzulenken.

Der richtige Weg zum Animagus, war im Gegensatz zu dem Bibliotheksband, den sie bereits wieder zurückgegeben hatte, ein wirkliches Handbuch zur Ausbildung. Jeder Schritt wurde hier anschaulich behandelt und erklärt und Zoe war so fasziniert davon, dass sie die Hälfte des über achthunderseitigen Trümmers bereits in wenigen Tagen verschlungen hatte. Und mit jeder weiteren Seite, mit der sie sich weiter mit der Thematik auseinandersetzte wurde ihr Wunsch größer es einmal selbst zu versuchen.

Eines Abends hatte sie tatsächlich auf der Tagesdecke ihres Himmelbettes gelegen und mit dem Gedanken gespielt es einmal zu versuchen. Doch als sie sich an das Kapitel Risiken und Gefahren dachte, hatte sich die Dreizehnjährige doch nicht getraut. Zu gut erinnerte sie sich auch noch an die Warnung ihrer Verwandlungslehrerin, vor bleibenden Schäden bei Fehlversuchen und schließlich hatte sie weiter geblättert und war an die Stelle zurückgekehrt, an der sie aufgehört hatte zu lesen.

Doch das Verlangen in ihrem Innern wollte einfach nicht nachgeben. Zoe begann ganze Passagen des Buches im Geiste zu wiederholen. Geschichte der Zauberei war dafür wie geschaffen, denn Professor Binns interessierte es nicht, wenn die Schüler während seines Unterrichts einnickten oder ihre Augen glasig wurden, solange sie seinen Unterricht nicht störten. So dauerte es nicht lange, da hatte Zoe selbst die Schritt für Schritt Anleitung verinnerlicht und kämpfte nur noch mit ihrem Gewissen.

Sollte sie es nicht doch einmal versuchen? Vielleicht nur um zu wissen, welche Gestalt sie annehmen würde. Niemand müsste es schließlich erfahren – zumindest, wenn nichts schief ging ... Doch wo sollte sie es versuchen?

Einmal hatte sich die Slytherin sogar dabei ertappt, wie sie während der Pause durch eine Tür gehuscht war, von dem sie wusste, dass es das Klo der Maulenden Myrte war. Der jämmerliche Geist, war zu ihrer Erleichterung auch nicht anwesend gewesen, doch nachdem sich Zoe in einer der defekten Kabinen eingeschlossen hatte und ihr Buch aus der Tasche zog, hatte sie der Mut verlassen.

Was war, wenn sie ein großes Tier werden würde? Dann wäre sie letzten Endes vielleicht sogar in dieser Kabine eingeklemmt und somit gefangen.

Und was sollte Zoe machen, wenn sie sich nicht mehr zurückverwandeln konnte?

Sie gab ihrem aufgeregten Herzklopfen nach und öffnete wieder den Riegel der Kabine und trat heraus. Sie war einfach noch nicht bereit es zu versuchen. Sie musste besser vorbereitet sein. Noch einmal sah sie auf das Leseband in ihrem großen Handbuch herab. Ein Drittel hatte sie noch zu lesen. Vielleicht sollte sie es erst versuchen, wenn sie das Buch komplett gelesen hatte.

Fest entschlossen nickte sich die Slytherin zu und verließ das Mädchenklo, während sie das Buch in ihrer Tasche verstaute. Sie war allerdings noch keine drei Schritte gegangen, da ging hinter ihr die Klotür auf und jemand kam herausgetreten.

Verwundert wandte sich Zoe um und war noch mehr überrascht, als sie nicht Myrte, sondern Hermine sah.

„Wo kommst du denn her?", fragte Zoe perplex und sah ihre Freundin an.

„Da her", antwortete Hermine und ruckte mit dem Kopf Richtung Tür, „ich hatte mich nochmal umsehen wollen ..."

Misstrauisch zog Zoe die Brauen zusammen und fragte: „Wie lang bist du denn schon da drin?"

„Ach, nur ein paar Minuten. Hab' kurz mit Myrte geplaudert."

Zoe sah Hermine an und ihre Freundin schaute zurück. Ihr Mundwinkel zuckte nervös und sie begann zu erröten, als sie den skeptischen Blick der Slytherin sah.

„Myrte ist gar nicht da!", sagte Zoe berechnend, gespannt auf Hermines Reaktion.

„Oooh, doch", meinte Hermine und sah auf ihre Schuhe, „sie ist nur gleich wieder abgedampft ... Hat das halbe Klo unter Wasser gesetzt."

Einen Moment sah Zoe Hermine prüfend an. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass Hermine etwas verheimlichte. Doch was sollte Zoe nicht wissen, dass es ihrer Freundin eine Lüge wert war. Ein wenig gekränkt, weil die Gryffindor ihr offensichtlich nicht genügend Vertrauen zumaß, entschloss Zoe sich dafür Hermine direkt auffliegen zu lassen.

„Gerade noch, war ich dort drin gewesen Hermine, und ich hab in jeder Kabine nachgesehen, ob die Myrte dort ist. Sie war jedoch nicht da – und du auch nicht!"

Die Braunhaarige schnappte nach Luft und fragte dann: „Was hast du denn alleine im Klo gemacht?"

„Jetzt lenk nicht ab, Hermine!", meckerte Zoe gereizt.

„Gut!", sprach die Gryffindor trotzig, machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte los. „Wenn du es mir nicht sagen willst, dann akzeptiere ich das natürlich!"

Vollkommen perplex sah die Slytherin ihrer Freundin hinterher, bemerkte jedoch rechtzeitig, dass diese den Spieß umgedreht hatte. Mit einem kurzen Sprint hatte Zoe Hermine eingeholt und sagte noch mürrischer als vorher: „Hermine! Jetzt tu nicht so, als wäre ich es, die ein Geheimnis vor dir hat!"

Die Gryffindor wich ihrem Blick aus und kaute auf ihrer Zunge. Ihre Schritte wurden jedoch keinesfalls langsamer.

„Jetzt rück schon mit der Sprache raus!", fauchte Zoe wütend.

„Ich kann nicht!", antwortete Hermine wehklagend.

„Warum nicht?!"

„Ich musste es Professor McGonagall versprechen!" Hermine war so abrupt stehen geblieben, dass Zoe in sie hinein gelaufen war. Mit einem schuldbewussten Blick wandte sie sich zu Zoe um und sah sie an.

„Also frag bitte nicht und sei vor allem nicht sauer auf mich! Ich darf niemandem etwas erzählen ... Es war schon schwer genug Rons und Harrys Fragerei Stand zu halten."

„Du musstest es Professor McGonagall versprechen?", fragte Zoe ungläubig.

„Bitte", flehte Hermine, „sag es nicht so laut!"

„Warum?"

Hermine druckste noch immer herum, hakte sich schließlich bei Zoe unter und zog sie mit sich.

„Es hat etwas mit meiner Fächerbelegung zu tun", sagte die Gryffindor schließlich nach einem prüfenden Blick um die Ecke. „Das war alles sehr Aufwändig und es soll eine Art Vorzeigeprojekt werden. Ich muss mich aber unbedingt an bestimmte Regeln halten und dazu zählt auch, dass ich niemanden etwas erzählen darf."

Zoe beruhigte sich allmählich wieder, als sie die Verzweiflung in Hermines Augen sah.

„Ehrlich! Ich würde dir doch alles erzählen, Zoe, nur dafür kann ich mächtigen Ärger bekommen. Und Professor McGonagall, als meine Betreuerin, auch."

Sie gingen gemeinsam ein paar Meter ohne weiter darüber zu reden, während Zoe fieberhaft überlegte, an welchem Vorzeigeprojekt Hermine teilnehmen konnte. Immerhin fühlte sie sich nun ein wenig besänftigt, nachdem Hermine ihr erklärt hatte, dass diese Heimlichtuerei nichts mit Misstrauen gegenüber ihr selbst zu tun hatte.

„Und wie lange geht dieses Projekt?", wollte Zoe wissen.

„Das ganze Schuljahr", sagte Hermine stolz und zeigte allmählich wieder ihr wahres Gesicht. „Und wenn es erfolgreich ist, dann wird darüber entschieden, es künftig auch für andere Schüler zugänglich zu machen."

„Ich muss diese Neugierde ein ganzes Schuljahr aushalten?", klagte Zoe nun mehr zum Spaß als verärgert.

Hermine nickte kichernd.

„Und dann wirst du die Erste sein, der ich davon erzähle – versprochen!"

Zoe nickte zufrieden und folgte Hermine zum Gryffindortisch, wo sie gleich zu Abend essen würden. Allmählich füllte sich die Halle und auch Ron, Harry und einige andere Gryffindors nahmen am Tisch Platz. Harry entledigte sich seiner Quidditchausrüstung und ließ sie unter den Tisch auf den Boden gleiten.

„Wie war das Training?", fragte Hermine munter, nachdem sich Harry sortiert hatte.

„Anstrengend!", antwortete der Gryffindor schlapp und sah über den Tisch hinweg zu seinem Kapitän hinüber. „Es ist Olivers letzte Saison und er hat ehrgeizige Pläne entwickelt. Er will mit aller Gewalt den Hauspokal gewinnen, weil es seine letzte Gelegenheit ist und er hat es immer noch nicht verdaut, dass das Turnier letztes Jahr abgesagt worden ist."

„Die Chancen stehen optimal", meinte Ron munter und begann zu essen. „Ihr macht die anderen schon platt! Und mit drei Mal Training pro Woche seid ihr doch bestens vorbereitet."

Zoes Miene verfinsterte sich.

„Dieses dämliche Quidditch bring nur noch mehr Unruhe zwischen die Häuser, als es sowieso schon gibt", meinte Zoe genervt.

Ron rollte zur Antwort nur mit den Augen. Er hatte Zoes Sicht auf Quidditch nie verstanden.

„So'n Quatsch!", stritt er ab.

„Das ist kein Quatsch. Du hast doch gerade selbst gesagt", meinte Zoe, „'...ihr macht die platt', um nichts anderes geht's doch."

„Nur weil sie es verdient haben", grummelte Ron missmutig.

„Und genau das meine ich, Ron!", meckerte die Slytherin, doch bevor sie weiter schimpfen konnte fiel ihr Hermine ins Wort.

„Es ist doch nur ein Spiel!", sagte sie beschwichtigend.

„Ja, es ist ein Spiel", sagte Zoe missmutig. „Es sollte Spaß machen und nicht für schlechte Stimmung sorgen!"

„Und es gehört zu der Tradition von Hogwarts", fuhr Hermine fort.

„Dämliche alte Regel", murmelte Zoe und kaute auf ihrem Rotkohl herum. „Ich glaub kaum, dass die vier Gründer vor hatten uns zu Konkurrenten zu machen!"

„Nun ja, Konkurrenz treibt dich auch zu Höchstleistungen an", meinte Hermine munter, „sicher haben sie gewollte, dass jeder einzelne Schüler sein bestes gibt. Ich denke, das steckt dahinter."

~ * ~

Als Zoe am Abend ihren Schlafsaal betrat, und feststellte, dass sie alleine war, war der Gedanke wie von selbst in ihrem Kopf. Sie zog das Handbuch aus ihrer Tasche, legte es auf dem Nachttisch ab und betrachtete es unschlüssig, während ihre Neugier mit der Angst rang. Eigentlich hätte Zoe doch zu gerne gewusst, welche Gestalt sie annehmen würde, doch was war wenn etwas schief gehen würde? Madam Pomfrey war zwar in wenigen Minuten erreichbar, und sie war qualifiziert genug um viele magische Krankheiten und Unfälle zu heilen, doch Zoe würde dann auch noch zusätzlich Ärger bekommen. Es war minderjährigen Hexen und Zauberern untersagt eine solche Ausbildung zu machen. Und dazu kam, dass diese Fähigkeit vom Ministerium überwacht und registriert wurde.

Angespannt kaute Zoe auf ihrer Lippe, setzte sich im Schneidersitz auf das Bett, griff nach der Lektüre und öffnete das Lehrbuch. Wie von selbst, klappte die Schritt für Schritt Anleitung auf, vielleicht auch, weil die Slytherin sie schon so oft gelesen hatte, dass es im Buch schon Spuren hinterließ. Sie brauchte die Sätze gar nicht zu lesen. Zoe konnte sie mittlerweile auswendig.

Ihr Herz klopfte aufdringlich.

Wenn sie nur einen Versuch wagte? Nur der Neugierde wegen. Sie konnte in ein paar Jahren immer noch offiziell eine Ausbildung machen. Mit zittrigen Fingern legte Zoe ihren Zauberstab beiseite. Allein der Gedanke, Magie zu wirken, ohne den Zauberstab zu nutzen faszinierte Zoe ungemein. Lehrte man sie doch hier in der Schule, dass der Zauberstab das Fokussiermittel war, ohne den man nicht fähig war konstruktive Magie zu wirken. Zoe zog die Vorhänge ihres Bettes sorgfältig zusammen, nur um sicher zu gehen, dass kein Spalt vorhanden war, durch den jemand hätte hindurchsehen können.

Entschlossen klappte sie das Buch zu und ging innerlich die Punkte durch. Einmal – nur einmal wollte sie es versuchen. Nur um zu wissen, welche Gestalt sie annehmen würde.

Zoe schloss die Augen, versuchte das heftige Herzklopfen in ihrer Brust zu ignorieren. Ihre Hände faltete sie im Schoß, einander umklammert, damit sie weniger zitterten.

‚Den Geist leeren ... den Geist leeren ... Wie bei Professor Flitwick, das ist nicht schwer', dachte sie aufmunternd, doch so leicht wie im Zauberkunstunterricht fiel es Zoe nicht.

Sie tat etwas Verbotenes, jederzeit konnte jemand hereinkommen und sie erwischen.

Entschieden atmete Zoe durch, um sich wieder zu beruhigen und diese Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie musste ihr Ziel fokussieren und alles andere ausblenden. Dazu gehörte auch das Schnarchen von Bastet, die auf Millicents Bett schlief, das gleichmäßige Surren von Daphnes Planetarium und auch die leisen Geräusche, die aus dem vollen Gemeinschaftsraum kamen.

Es dauerte ein wenig, bis Zoe es geschafft hatte, all diese Umwelteinflüsse auszublenden. Bis sie sich nur noch ihrer regelmäßigen Atemzüge und dem rhythmischen Herzschlag bewusst war, dass das magische Blut durch ihre Adern drückte. Mit jedem Herzschlag wurde es ihr bewusster, die Magie war wie ein schwacher Impuls in ihr, den es zu bündeln galt.

Die Kraft verteilte sich kribbelnd in ihrem Körper, kaum wahrnehmbar, doch es reichte aus, dass sich Zoes Nackenhärchen aufstellten. Ihr Herzschlag erhöhte sich um einen Takt und sie versuchte ihren Puls wieder herunter zu fahren.

Doch die Geduld der Slytherin reichte dafür noch nicht aus. Schließlich ging sie die Fünf goldenen Regeln noch einmal durch und fixierte ihr Ziel. Das Kribbeln in ihrem Körper wurde stärker. Verbreitete sich in ihrem Brustkorb und kroch beinahe kitzelnd ihre Arme hinab, bis zu den Fingerspitzen. Einen winzigen Moment lang, konnte Zoe sich allein auf dieses Gefühl konzentrieren. Auf das Adrenalin das sich mit der Magie mischte und zu einer imposanten Mixtur wurde. Für einen kurzen Moment, hatte die Dreizehnjährige den gewünschten Zustand erreicht: Raum und Zeit vergessen, die Welt um sich herum vergessen und nur einen einzigen Gedanken ihn ihr verinnerlicht und festgehalten.

Und dann ging die Tür des Mädchenschlafsaals auf und Zoe wurde aus der Metamorphose gerissen, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Albernes Mädchengekicher füllte den Raum und Zoe erkannte ihre Freundinnen sofort. Hastig schlug sie die Augen auf, griff nach ihrem Buch und versteckte es unter ihrem Kopfkissen, obwohl der Vorhang ihres Himmelbettes sie vor allen Blicken schütze.

Das Herz schlug ihr mit einem Mal bis zum Hals und Zoe hielt gespannt den Atem an, während sie den Schritten der beiden Eindringlinge lauschte.

„Schhhhh", machte eine der beiden plötzlich.

„Was?", zischte die andere, dann war es kurz still.

„Bist du schon am Schlafen, Zoe?", fragte Daphne leise.

„Fast", antworte sie mit zittriger Stimme.

„Tschuldigung", nuschelte Daphne und schließlich unterhielten sich die beiden Mädchen flüsternd miteinander.

Zoe zitterte am ganzen Leib. Einige Minuten hatte sie nur dagesessen und den Stimmen ihrer Zimmergenossinnen gelauscht, bis sie sich einigermaßen gefasst hatte. Schließlich krabbelte sie leise unter ihre Decke und zog sie sich bis zum Kinn. Als ihr Blick auf ihre Hände fiel und Zoe plötzlich unfähig war sich weiter zu bewegen. Mit starrem Blick sah sie auf ihre Handrücken, die mit einem zarten Flaum, sandfarbenem Fells bedeckt waren.

Dann lief es der Slytherin eiskalt den Rücken hinab. Mit den Händen betastete sie ihr Gesicht, das sich nun weich und haarig anfühlte. Auch auf den Armen und Beinen waren ihr diese feinen, zarten Haare gewachsen.

Sofort schoss ihr Professor McGonagalls warnende Worte ins Gedächtnis und panische Angst ergriff plötzlich ihr Herz. Zoe drückte sich sofort die Decke aufs Gesicht, um ihr Schluchzen zu ersticken und im gleichen Moment kamen Pansy und Millicent ins Zimmer und so hörte keiner ihrer Zimmergenossinnen ihr leises Weinen.

Eine ganze Weile lag sie schniefend unter ihrer Decke während ihr Gehirn ratterte, um nach einer Lösung zu suchen. Sollte sie sofort zu Madam Pomfrey gehen? Vielleicht sogar zu Professor McGonagall? Sollte sie bis morgen abwarten und sich einfach krank melden? So entkam sie vielleicht der Blöße von all ihren Mitschülern gesehen zu werden.

Verzweifelt dachte Zoe an Hermine, die sich letztes Jahr mit Hilfe des Vielsafttrankes in eine Katze verwandelt hatte. Madam Pomfrey hatte auch das wieder hinbekommen, doch Hermine hatte einige Wochen im Krankenflügel verbracht. Allerdings war Hermines Problem durch einen Trank verursacht worden und für viele Tränke gab es nun einmal Gegenmittel. Das kam in Zoes Fall nicht in Frage.

Das Licht wurde gelöschte und die Gespräche verstummten allmählich. Unruhig warf sich Zoe in ihrem Bett hin und her. Immer wieder tastete sie sich dabei über den Handrücken, das Gesicht, oder die Arme. Manches Mal bildete sie sich ein, dass der Flaum zurückging, doch im nächsten Moment war sie sich dessen nicht mehr so sicher.

Schließlich war die Slytherin irgendwann kurz nach Mitternacht vor Erschöpfung eingeschlafen und wurde schließlich von Traceys quietschenden Wecker geweckt. Zunächst war sie zu verwirrt, um zu verstehen, was geschehen war doch im nächsten Moment fuhren ihre Finger blitzschnell zu ihren Wangen. Die Haut unter ihren Fingerkuppen war zart und glatt. Die Vorhänge einiger Betten wurden aufgezogen und das Licht ging an und Zoe konnte ihre Hände im faden Schein des Lichts erkennen. Die sandfarbenen Haare waren verschwunden.

Daphne zog ihren Vorhang auf und sagte munter: „Aufstehen, Zoe!"

Ihr Blick war weder erschrocken, noch angewidert und mit einem Lächeln wandte sich die Blonde um und klaubte ihren Umhang vom Boden auf.

Erleichtert fiel Zoe ein Stein vom Herzen. Noch nie, so dachte sie zumindest in diesem Moment, war sie so glücklich gewesen ganz normal zu sein.

~ * ~

Diese unangenehme Erfahrung jedoch verminderte Zoes Wunsch nicht weniger. Ganz im Gegenteil, sie fühlte sich nun geradezu so, als hätte sie Blut geleckt. Es war ihr bereits eine körperliche Veränderung ohne Zauberstab gelungen! Das war äußerst erstaunlich.

Allerdings benötigte Zoe dringend einen Ort, an dem sie vollkommene Ruhe hatte, um sich zu konzentrieren. In ihrem Schlafraum fühlte sie sich einfach zu unsicher. Jederzeit konnte eines der anderen Mädchen den Vorhang beiseiteschieben, oder ihre eine Frage stellen. Wenn sie wirklich an sich arbeiten wollte – und diesen Entschluss hatte Zoe bereits gefasst – dann musste sie zunächst einen Ort finden, an dem sie ungestört war.

Von diesen Orten gab es in Hogwarts während der Schulzeit nicht wirklich viele. Zunächst hatte Zoe an das Klo der Maulenden Myrte gedacht, doch durch den Geist, der dort ab und an sein Unwesen trieb, konnte Zoe sich auch hier nicht vollkommen konzentrieren.

Sie inspizierte ebenfalls einige selten genutzten Klassenzimmer. Jedoch waren die meisten davon auch anderen Schülern bekannt und so konnte jederzeit jemand hereinplatzen und sie erwischen. Es schien auf Anhieb einfach kein geeigneter Raum da zu sein.

Ein wenig niedergeschlagen tapste Zoe durch die Gänge, in der Hoffnung auf die erleuchtende Idee, als ihr Weg von einem kleinen, roten Blitz gekreuzt wurde. Zoe lief die wenigen Meter, bis zu der Korridorkreuzung und sah in die Richtung, in der das Phantom gerannt war. Und sie erkannte Krummbein.

Der Kater schlich sich inzwischen an eine kleine Schülergruppe an, welche die Slytherin nach kurzem Überlegen, als Ron, Harry und Neville Longbottom identifizierte.

„Pass auf, Ron, du bekommst Besuch!", rief Zoe dem Rotschopf hinterher, da alle Anzeichen darauf hindeuteten, dass Krummbein zum Sprung ansetzte.

Just in dem Moment, da der Kater sich tatsächlich zum Angriff gerichtet hatte, wandte Ron sich um und sein Blick wurde wütend, als er Krummbein erkannte.

„Du schon wieder!", schrie er und stampfte auf Hermines Kater zu. „Hau ab! HAU AB, HAB ICH GESAGT!"

Er wedelte wild mit den Armen, was Krummbein jedoch nicht beeindruckte. Der Kater erhob sich stattdessen flink, suchte Schutz auf dem Sockel einer Statue und musterte Ron mit berechnendem Blick.

„Lass ihn endlich in Ruhe!", fauchte Ron weiter.

„Komm Ron, lass uns doch einfach weiter gehen", meinte Harry beschwichtigend.

„Aber er verfolgt mich schon!", rief Ronald wütend. „Was stimmt nur nicht mit ihm?! Kann er nicht rausgehen und Mäuse jagen, wie die anderen auch?"

Zoe hatte mittlerweile zu ihren Freunden aufgeschlossen und betrachtete den Kater interessiert, der noch immer gefasst dasaß und Ron beobachtete.

„Er war bestimmt nur zufällig hier", meinte Zoe und schloss sich Harry und Ron an, die auf dem Weg zur großen Halle waren.

„Oh ja, zufällig. Zufälle gibt es! Komisch, dass das Vieh immer gerade da ist, wo zufällig ich bin! Aber auch nur dann, wenn ich Krätze dabei hab. Wenn nicht, dann steht er nämlich im Gemeinschaftsraum parat."

„Er ist ne Katze, klar dass er Krätze interessant findet", erklärte Neville und schloss sich ihnen an.

„Er findet Krätze aber nicht nur interessant, er ist besessen von Krätze!", wehrte sich Ron und folgte ihnen schließlich. „Krätze lebt schon in ständiger Angst. Wird immer dünner ... Ich mache mir echt Sorgen."

Als sie Hermine vor der großen Halle trafen und gemeinsam zum Gryffindortisch gingen, um zusammen zu Essen, ging die Streiterei sofort weiter. Beim Essen schwiegen sich Ron und Hermine schließlich die ganze Zeit an. Noch bevor der Nachtisch gegessen war, versteckte sich Hermine hinter der aktuellen Ausgabe des Tagespropheten, wobei ihr ruhiger Blick sofort verriet, dass sie die Zeitung gar nicht las.

Als Ron satt war, schob er seine Dessertschüssel auf den Tisch, sah Harry auffordernd an und fragte: „Gehen wir, Harry?"

Dieser warf den Mädchen einen entschuldigenden Blick zu und folgte dann seinem Freund.

„Der schmollt ja ganz schön", meinte Zoe, als sie weg waren.

Hermine ließ den Tagespropheten, hinter dem sie sich versteckt hatte unbeachtet auf den Tisch fallen und antwortete. „Ich kann ja seine Sorgen verstehen, aber er tut immer so, als sei es meine Schuld."

„Meinst du?"

„Und ob! Er denkt Krätze ist so krank, weil Krummbein ihn jagt!", erklärte Hermine mit erstickter Stimme. „Und dann sagt er noch Krummbein täte das extra und verhielte sich nicht normal und dass er böse sei ..."

Hilflos sah Zoe ihre Freundin an, die versuchte die Tränen weg zu blinzeln.

„Dabei hat er Krummbein schon von Anfang an nicht gemocht und jetzt hasst er mich, weil ich ihm erklärt habe, dass es normal sei, dass Katzen Ratten jagen."

„Ron hasst dich doch nicht", sagte Zoe beschwichtigend. „Er wird nur ein paar Stunden sauer sein und heute Abend ist wieder alles gut."

„Hoffentlich", schniefte Hermine, „wie kann ich das Krummbein nur abgewöhnen. Ich kann ihn doch nicht im Schlafsaal einsperren."

„Gib ihm mehr zu fressen", schlug Zoe vor, „vielleicht hat er dann keine Lust mehr Krätze zu jagen.

Hermine nickte zustimmend. Gemeinsam verließen sie die große Halle, jedoch trennten sich ihre Wege dort, weil Hermine hinaus zu den Gewächshäusern musste und Zoe den Weg zum Klassenzimmer für Verwandlung einschlug.

~ * ~

Am Halloweenwochenende war Zoe früher wach als gewöhnlich. Damit war sie jedoch nicht die Einzige. Alle freuten sich auf das Hogsmeadewochenende und die anschließende Halloweenfeier im Schloss. Alle freuten sich bereits auf diese Abwechslung. Alle bis auf Harry.

Weder seine Tante, noch sein Onkel hatten den Zettel unterschrieben, den die Schüler zu Beginn des Schuljahres hatten abgeben müssen und der die Drittklässler dazu berechtigte nach Hogsmeade zu gehen. Harry hatte zwar versucht bei seiner Hauslehrerin eine Ausnahme zu erreichen, Professor McGonagall war jedoch hart geblieben.

So blieb Harry nichts anders übrig, als alleine in Hogwarts zu bleiben, zusammen mit den Erst- und Zweitklässlern. Seine Miene hatte während dem Frühstück nicht finsterer sein können und nicht nur Zoe, die Mitleid mit ihren Freund hatte, sondern auch Ron und Hermine versuchten ihn aufzuheitern. Nach dem Essen begleitete Harry sie in die Eingangshalle, wo sich mittlerweile eine riesige Schlange gebildet hatte. Argus Filch, der Hausmeisters, stand am Portal, mit einer Namensliste die so lang war, dass sie auf dem Boden schleifte und beäugte jeden einzelnen, bevor er sie passieren ließ. Dann hakte er, leise vor sich hin murrend, die Namen ab und rief die Nächsten heran. Aus dem Grund ging es nur schleppend voran.

„Wir bringen dir eine Menge Süßigkeiten aus dem Honig Topf mit", sprach Hermine mitfühlend als sie Harrys Blick nach draußen gefolgt war.

„Ja, ganze Wagenladungen", stimmte Ron mit ein.

„Macht euch keine Sorgen um mich", meinte Harry, bevor Zoe hatte mit einstimmen können –"

„Du bleibst hier, Potter?", feixte Draco laut, der einige Meter vor ihnen in der Schlange stand. „Hast Bammel vor den Dementoren draußen?"

Harry wandte ihm den Rücken zu und sagte dann tonlos zu ihnen: „Also ich geh dann schon mal hoch. Wir treffen uns dann beim Essen. Viel Spaß."

„Bis später, Harry", antwortete Zoe traurig und sah ihrem Freund hinterher.

Es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis sie Filch für sie endlich in Hörweite rückte. Als jedoch nur noch drei kleine Grüppchen Hufflepuffs vor ihnen waren, hörte Zoe, wie jemand nach ihr rief. Die Slytherin wandte sich um und sah ihren Hauslehrer. Stirnrunzelnd löste sie sich aus der Reihe und ging zu ihm hinüber.

„Sie sollen zu Ihrem Großvater kommen", sagte Snape knapp.

„Jetzt?!", fragte Zoe empört und warf einen Blick über die Schulter zu Ron und Hermine. „Aber warum?"

Snape zog betont eine Augenbraue nach oben und sagte mit einer Strenge, die keine Widerrede duldete: „Sofort!"

Nervös kaute die Dreizehnjährige auf ihren Lippen, dann trottete sie mit hängenden Schultern zu Ron und Hermine, um sich bei ihnen zu entschuldigen.

„Ich muss nachkommen!", sagte Zoe, kurz bevor die beiden von Filch erfasst wurden. „Ich soll noch hoch zu meinem Großvater kommen?"

„Ist etwas passiert?", fragte Hermine überrascht.

„Kannst du das nicht auf später schieben?", meinte Ron direkt.

Zoe schüttelte missmutig den Kopf.

„Ich würde sagen wir treffen uns in einer halben Stunde vor dem Honigtopf, oder?"

„In Ordnung!", rief Hermine, als Filch sie durchgewinkt hatte. „Dann bis gleich!"

„Bis gleich!", antwortete Zoe, machte auf dem Absatz kehrt und rannte die Stufen hinauf in das erste Stockwerk, sich des Blickes von Professor Snape im Rücken durchaus bewusst.

Sie trabte durch die Gänge und während sie auf der Treppe im dritten Stock die Hälfte der Stufen erklommen hatte, tat diese einen kräftigen Ruck und änderte ihre Richtung.

„Oh nein! Warum denn jetzt!", fluchte Zoe und trat gegen eine der Stufen.

Das beeindruckte die Treppe allerdings recht wenig und so stand Zoe ein paar Minuten später in dem Korridor, der zum Gryffindorturm und nicht mehr zum Schulleiterbüro führte. Leise vor sich hin grummelnd überlegte sie kurz, ob es eine Abkürzung gab, die ihr den Umweg erspart hätte, doch leider existierte diese nicht.

Missmutig machte die Slytherin also auf dem Absatz kehrt und lief hinab, um am anderen Ende des zweiten Stocks die Treppe zu nehmen. Gerade als sie an einem Gemälde von ruhig grasenden Schafen vorbeikam, hinter dessen Ecke sie Richtung Westen abbiegen wollte, stieß sie mit jemanden zusammen.

„Tut mir leid!", sagte eine leise und verträumte Stimme direkt, ohne sich zu beschweren.

„Nix passiert, nicht so schlimm!", antwortete Zoe sofort und wollte weiter gehen, doch das Mädchen sprach einfach weiter.

„Oh, du bist es, Zoe?" Es war Luna Lovegood, eine Ravenclawschülerin aus der zweiten Klasse. „Gehst du nicht nach Hogsmeade?"

„Hallo Luna, doch, ich muss nur kurz zu meinem Großvater!", antwortete Zoe und hoffte, die Ravenclaw wäre mit dieser Antwort zufrieden.

„Es ist sicher schön dort", sagte Luna heiter, „nächstes Jahr kann ich auch dorthin gehen. Dann werde ich die Heulende Hütte besuchen. Angeblich soll es ja in ihr spuken, doch ich weiß von Dad, dass das nicht stimmt. Denn es ist das Zuhause eines Werwolf‑ ..."

„Du Luna", unterbrach Zoe sie, „tut mir leid, ich muss dringend weiter! Ich ‑"

„Du musst dich nicht entschuldigen", sagte Luna gleich mit glasigem Blick. „Die anderen Schüler tun das auch nicht, sie gehen einfach weg."

Zoe stöhnte innerlich auf, weil sie es als so unhöflich empfand und so rang die Slytherin mit ihrem Gewissen.

„Das ist aber nicht nett", sagte sie und trippelte von einem Bein auf das andere.

„Das stimmt", gab Luna vor, „aber das macht nichts. Ich kann sie ja nicht zwingen mir zuzuhören, oder?"

Eine peinliche Stille folgte und schließlich sagte Luna.

„Nun geh' schon, du hast es doch eilig, oder?"

Zoe nickte eifrig.

„Ja, mein Großvater will mich noch sehen."

„Dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag, Zoe. Und eine tolle Halloweenfeier!"

„Vielen Dank, dir auch!", sagte Zoe, winkte der Ravenclaw zu und spurtete wieder los.

Völlig außer Atem erreicht sie, eine gefühlte Ewigkeit später, den Wasserspeier im siebten Stock, der den Eingang des Schulleiterbüros bewachte. Genervt lehnte sich Zoe gegen die Wand und sprach: „Kesselkuchen!"

„Das ist nicht korrekt!", antwortete der Wasserspeier knirschend.

Perplex brauchte Zoe einige Sekunden, um die Worte zu verstehen, was der steinerne Bewacher zu ihr gesagt hatte.

„Doch!", beharrte Zoe. „Kesselkuchen!"

„Das ist nicht korrekt!", wiederholte der Wasserspeier.

„Natürlich ist das korrekt!", behauptete Zoe. „Es ist das Passwort für dieses Schuljahr!"

„Das Passwort wurde geändert!", sprach die Figur.

„Wann?!", wollte Zoe wissen.

„Heute Morgen."

Zoe stöhnte genervt. „Warum wird das Passwort mitten im Schuljahr geändert?"

Ihr Gegenüber blieb steinern und stumm.

„Ach komm schon", flehte Zoe, „du kennst mich doch. Lass mich rein!"

Nichts geschah.

„Bitte!"

Keine Reaktion.

Schmollend hüpfte Zoe auf der Stelle. Was sollte sie nur tun? Die Zeit rann ihr davon und wenn Filch alle Schüler durch gelassen hatte, würde er die Kontrolle sicher schließen und dann kam Zoe nicht mehr nach Hogsmeade. Ungeduldig ging sie zu einem der Fenster und reckte dem Kopf um am Dach eines Turmes hinaus auf den Hof zu sehen. Doch verließen kleine Schülergruppen das Gelände, es war also noch nicht zu spät, wenn der Wasserspeier sie nur endlich einlassen würde.

Ein knirschendes Geräusch ließ Zoe herumfahren, der Wasserspeier hatte sich gerührt und heraus kam Professor McGonagall. Zoe japste erleichtert auf.

„Professor! Wie lautet das neue Passwort?"

Überrascht sah die stellvertretende Schulleiterin die Slytherin an. „Pfefferminzdragees", antwortete sie. „Ihr Großvater befindet sich allerdings noch im Gespräch ..."

„Vielen Dank!", rief Zoe unachtsam und huschte durch die Öffnung, bevor sie wieder verschlossen war und erklomm die gewendelte Treppe.

Sie klopfte nur aus Höflichkeit an und huschte durch die Tür, ohne auf eine Antwort zu warten. Im kreisrunden Schulleiterbüro stand ihr Großvater vor dem Kamin und sprach zu einem Gesicht im Feuer. Als Zoe eintrat wandte er sich kurz zu ihr um, jedoch ohne sich irritieren zu lassen.

„Es wäre uns eine Ehre", sprach das kantige Gesicht im Feuer mit einem harten Akzent.

Als Zoe näher heran trat erkannte sie einen Mann mit strengen Gesichtszügen, buschigen Brauen und einer Pelzmütze auf dem Kopf.

„Das freut uns sehr, Igor. Das Ministerium hat bereits zugestimmt und sogar ein Preisgeld ausgesprochen unter der Bedingung, dass einige Regeln überarbeitet werden. Manche von ihnen sind doch recht altbacken."

„Altbacken? Es ist magische Tradition! Was wollen sie ändern?!"

„Nimm doch schon einmal Platz, Zoe", sprach Dumbledore und deutete auf einen kleinen runden Tisch am Fenster und sprach dann wieder ins Feuer: „Entschuldige bitte. Ich schlage vor, dass wir uns einmal zusammen mit Olympe und den Abgesandten der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit treffen, um die Details zu besprechen. Es gibt noch einiges zu klären und die Zeit wird allmählich knapp."

Zoe wandte sich um und schaute überrascht zu dem kleinen Tisch. Er war gedeckt mit edlem Porzellan, Tee und leichtem Gebäck. Erwartete ihr Großvater noch Besuch?

Ungeduldig nahm Zoe auf der Sessellehne Platz und wartete. Das Gespräch wurde noch einige Minuten fortgeführt. Minuten, die Zoe wie eine Ewigkeit vorkamen.

Schließlich sprach Dumbledore: „Ich werde schnellstmöglich einen Terminvorschlag einreichen und euch dann informieren."

„Schicken Sie mir einfach eine Eule, Albus, ich erwarte sie!", antwortete das Gesicht im Feuer. „Bis dann!"

Auch der Schulleiter verabschiedete sich, dann erlosch das Feuer zischend und ihr Großvater wandte sich lächelnd zu Zoe um.

„Entschuldige, dass du hast warten müssen. Ich dachte du hättest vielleicht Lust auf eine kleine Teegesellschaft." Er kam herüber und nahm in dem Lehnsessel Platz und schenkte den beiden eine Tasse Tee ein.

Zoe sah ihn ungläubig an und wusste nicht so recht, was sie sagen wollte.

„Magst du dich nicht vernünftig hinsetzten?", fragte Dumbledore und sah sie auffordernd an.

„Jetzt?", fragte Zoe nervös.

„Warum nicht?"

Die Slytherin fummelte nervös am Ärmel ihres Umhangs und druckste ein wenig herum. Schließlich sagte sie: „Es ist doch Hogsmeade-Wochenende!"

Der Schulleiter sah überrascht drein, dann seufzte er, senkte den Kopf und sah seine Enkelin über die Halbmonde seiner Brille hinweg an, als er sagte: „Achso ... und du möchtest womöglich lieber mit deinen Freunden in die Stadt gehen, als hier bei deinem alten Großvater zu bleiben?"

Schuldbewusst ließ Zoe den Blick über den liebevoll gedeckten Tisch gleiten.

„Sie warten auf mich ...", sagte sie leise.

„Verstehe", sagte Dumbledore schlicht und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Es gibt dieses Jahr auch nur noch ein weiteres Hogsmeade-Wochenende. Es ist also die vorletzte Gelegenheit."

Hin- und hergerissen trippelte Zoe auf der Stelle. Einerseits wollte sie so gerne mit Ron und Hermine nach Hogsmeade auf der anderen Seite, wollte sie ihren Großvater auch nicht enttäuschen. Schließlich glitt sie auf den Sessel und zog sich die Jacke aus. Für eine schnelle Tasse Tee würde sie doch Zeit haben.

Allerdings blieb es nicht bei dieser einen Tasse Tee. Ihr Großvater hatte Zoe einiges zu erzählen und forderte seine Enkelin im Gegenzug auf ihr über die vergangenen Schulwochen zu berichten. Im Anschluss spielten sie gemeinsam eine Partie Zauberschach und als das Licht draußen allmählich verschwand wurde Zoe bewusst, dass es für ihren Ausflug bereits zu spät sein würde. Hoffentlich hatten Hermine und Ron nicht allzu lange auf sie gewartet.

Als sich Zoe endlich loseisen konnte, war es schon später Nachmittag und Filch hatte die Ausgangskontrolle bestimmt schon seit Stunden geschlossen.

Ein wenig schmollend schlurfte sie durch die Gänge und blieb an einem der bodenhohen Fenster stehen. Zoes Blick fiel auf die Peitschende Weide und sie erinnerte sich an das Geheimnis, dass dieser Baum hütete und da fiel es Zoe wie Schuppen von den Augen: Die Heulende Hütte wäre der perfekte Ort für sie, um die Verwandlung in einen Animagus zu üben. Dort hatte sie Ruhe und genügend Platz, falls sie ein großes Tier werden würde. Die Frage war nur, wie und wann sie sich ungesehen hinunter schleichen könnte.

In Gedanken vertieft ging sie weiter und an jedem Fenster, an dem sie vorbei kam, ließ sie einen Blick auf den magischen Baum werfen, der im Schatten des Verbotenen Waldes stand. Als Zoe in den nächsten Korridor einbog fiel ihr Blick auf jemanden, der vor ihr ihren Weg kreuzte. Es war eine bekannte Silhouette und Zoe freute sich über diese Begegnung.

„Harry!", rief sie ihm hinterher.

Der Gryffindor wandte sich überrascht um.

„Warum bist du nicht in Hogsmeade?", fragte Harry überrascht.

Zoe zog eine Schnute. „Mein Großvater hatte andere Pläne", antwortete sie und rollte mit den Augen. „Und dann war es schon zu spät zum Gehen. Und wo bist du gewesen?", fragte Zoe überrascht und trat an seine Seite.

Harry ruckte mit dem Kopf zurück und sagte: „Bei Professor Lupin. Er hat mir einen Grindeloh gezeigt, den er für den Unterricht bekommen hat."

„Oh toll!", meinte Zoe ehrlich. „Der Unterricht bei ihm macht richtig Spaß!"

„Das stimmt", antwortete Harry und gemeinsam schlugen sie den Weg Richtung Eingangshalle ein. „Ich hoffe er bleibt länger als die beiden letzten Lehrer!"

„Ja, das hoffe ich auch!"

Sie gingen einige Weile nebeneinander her, ohne viele Worte zu wechseln. Dann ergriff Harry wieder das Wort: „Eben, bei Lupin, da ist was Seltsames passiert ..."

„Was denn?", wollte Zoe wissen.

„Snape kam herein und hat ihm einen Trunk gebracht", erklärte Harry. „Und er meinte, dass Lupin mehr davon haben könne, weil er einen ganzen Kessel davon gemacht habe ..."

„Und weiter?", fragte Zoe.

Harry druckste ein wenig herum. „Du weißt doch selbst, wie gerne Snape selbst Lehrer für Verteidigung ge-"

„Was hat das damit zu tun?", fragte Zoe gereizt. „Willst du jetzt behaupten, Professor Snape will Lupin vergiften?!"

Harry blieb stumm.

„Das ist lächerlich, Harry!", meinte Zoe.

„Was meinst du denn, was er ihm gebracht haben könnte?", fragte Harry nach einer kurzen Pause.

Zoe brauchte nicht lange zu überlegen: „Vielleicht einen Stärkungstrank, oder etwas zum Genesen. Professor Lupin macht ja nicht gerade einen gesunden Eindruck."

„Würde er dann nicht eher zu Madam Pomfrey gehen?", fragte Harry, als sie die Treppe zum zweiten Stock hinunter gingen.

Dem konnte Zoe nichts entgegenbringen. Schließlich meinte sie: „Ich werd' Professor Snape einfach Fragen, bei der nächsten Gelegenheit."

„NEIN!", sagte Harry sofort energisch. „Er wird gleich wissen, dass du das von mir weißt. Dann hab' ich nur noch mehr Ärger mit ihm."

„Ach Quatsch!"

„Doch! Bitte, Zoe!", flehte Harry.

Die Slytherin gab klein bei, weil es sie nicht wirklich interessierte und sie keine weitere Diskussion mit Harry wollte. Zoe war über die schlechte Meinung die Harry über Professor Snape hatte, schon immer genervt gewesen und sie wusste auch, dass jegliche Widersprüche vergebens waren. Besonders in Rons Anwesenheit, der gerne noch etwas Öl ins Feuer goss, damit sie ihren Hauslehrer gemeinsam hassen konnten, waren ihre Gemeinheiten oft schwer zu ertragen. Dass diese Einstellung im Unterricht für weitere Reibereien sorge, war eigentlich kein Wunder. Doch die beiden Jungs waren trotzdem der festen Überzeugung, dass Professor Snape sie benachteiligte, weil sie Gryffindors waren.

„Freust du dich schon auf das Fest?", fragte Harry um ein fröhlicheres Thema anzustimmen.

„Eigentlich schon", meinte Zoe nachdenklich.

„Eigentlich?"

„Ja. Ich freue mich auf das Fest, das Essen und alles ... Aber irgendwie hab' ich auch Angst ...", gab die Slytherin leise zu.

Harry sah sie fragend an. „Aber wovor denn?"

„Das wieder irgendwas passiert", meinte Zoe schulterzuckend. „Denk mal an unser erstes Schuljahr: Da wurde der Troll herein gelassen! Und letztes Jahr wurde die Kammer des Schreckens zum ersten Mal geöffnet ..."

Harry trottete nachdenklich ein paar Schritte neben ihr her. Dann sagte er: „Aber wenn der Troll nicht herein gekommen wäre, dann wären wir vielleicht auch nie Freunde geworden."

Verwundert wandte Zoe sich dem Schwarzhaarigen zu und lächelte ihn an.

„Das habe ich ganz vergessen", sagte sie schließlich.

Harry grinste verschmitzt und fuhr sich mit der Hand durch das strubbelige Haar, um es zu bändigen. Vergeblicherweise.

„Ich nicht", sagte er. „Mein Hogwartsbrief war das Beste, was mir bisher geschehen ist. Er gab mir ein Zuhause, etwas Freiheit und echte Freunde!"

Sie betraten die Treppe in der Eingangshalle und Harry ließ sich schließlich auf eine der Stufen nieder. Zoe tat es ihm gleich, wenn auch etwas zögerlich.

„Die Vorstellung ist wirklich komisch", meinte Zoe. „Dass man so gar nichts über Hogwarts und unsere Welt weiß, bis man seinen Brief erhält."

Harry lachte leise, als er sich erinnerte.

„Mein Onkel und meine Tante haben es am Anfang sogar versucht geheim zu halten. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätte ich meinen Brief nie erhalten."

„Wirklich?", fragte Zoe fassungslos.

„Ja. Und dann kamen immer mehr Briefe und dann sind wir verreist, an einen Ort, von dem mein Onkel dachte, dass uns niemand findet. Das war an meinem elften Geburtstag", erzählte Harry.

„Aber sie haben dich doch gefunden ..."

„Hagrid hat mich gefunden", erzählte Harry stolz. „Und er gab mir meinen Brief und hat mir alles erklärt und da dachte ich noch, die Dursleys würden mir einen fiesen Streich spielen.

Doch dann hat er mich mitgenommen in die Winkelgasse und wir haben meine Schulsachen gekauft und so. Das war alles irgendwie so unwirklich und dann hat er mich zum Bahnhof gebracht und ich hab' langsam begriffen, dass das alles wahr ist. Es war wie ein Wunder."

Zoe kicherte leise.

„Und wie war das bei dir?", fragte Harry interessiert.

„Oh, ich hab keinen Brief bekommen", meinte Zoe munter. „In den Sommerferien war ich oft hier gewesen, um Großvater zu besuchen und irgendwie war es immer klar, dass ich irgendwann die Schule besuchen würde. Und ich konnte es kaum erwarten elf zu werden!

Durmstrang wäre zwar näher an Zuhause gewesen, aber das kam irgendwie nie in Frage."

„Du hast in Albanien gelebt, nicht?", fragte Harry und Zoe nickte. „Warum?"

„Meine Mutter, also meine Ziehmutter, hat dort Pflanzen erforscht", erklärte Zoe. „Es ist wunderschön dort, wo wir gewohnt haben! Es gibt viele alte Eichenwälder, Eukalyptus-, Feigenbäume. Und ganz viele Tiere: Bären, Wölfe und Luchse ... Es war wirklich schön dort."

Sie schwiegen eine Weile und Zoe erinnerte sich daran, wie sehr sie ihr Zuhause vermisste. Die Ungestörtheit, den Frieden und die freundlichen Menschen in den kleinen Dörfern. Es waren nicht ihre Eltern allein, denen sie nachtrauerte, sondern diesem alten, friedlichen und behüteten Leben, das sie dort geführt hatten.

„Tut mir leid, was passiert ist", sagte Harry plötzlich.

Offensichtlich hatte man ihre Gedanken aus ihrem Gesicht herauslesen können. Zoe atmete tief durch und war zumindest erleichtert, dass sie bei den Gedanken, an ihre Eltern nicht mehr einfach losheulen musste. Sie hatte verstanden, dass sie nie mehr zurückkehren würden und sie hatte es offenbar akzeptiert.

„Danke, Harry", sagte Zoe schließlich. „Du weißt ja selbst, wie das ist."

„Nicht ganz", meinte der Gryffindor melancholisch. „Ich hatte sie ja nie kennen gelernt ..."

Eine Zeit lang saßen die beiden nebeneinander. Eine Slytherin und ein Gryffindor, in Freundschaft verbunden und mit ähnlichen Schicksalen, und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Ab und an, kamen kleine Grüppchen von Schülern zurück aus Hogsmeade und schlugen den Weg in ihre Häuser ein. Zoe und Harry beobachteten sie ein wenig, um die Zeit tot zu schlagen und schließlich tauchten auch Ron und Hermine auf. Mit leuchtenden Augen und roten Wangen.

„Wo bist du nur gewesen?", fragte Hermine Zoe vorwurfsvoll.

„Ja, wir haben echt ewig auf dich gewartet!", fügte Ron schmollend hinzu.

„Tut mir leid", antwortete Zoe enttäuscht, „als ich mich loseisen konnte war es schon so spät, dass Filch die Kontrolle geschlossen hatte.

„Wie schade", meinte Hermine traurig, „aber wir haben dir dann auch etwas Süßes mitgebracht."

Ron hatte bereits seine Taschen geleert und Harry einen Haufen bunter Süßigkeiten in den Schoß geschmissen.

„Hier, bitte sehr! Wir haben mitgebracht, so viel wir tragen konnten", meinte er mit strahlenden Augen.

Harry war einen Moment lang überfordert und Zoe schnappte sich eine Tüte der Pfefferkobolde in seinem Schoß und riss die Packung auf, während Harry fragte: „Wie ist es in Hogsmeade? Wo seid ihr gewesen?"

„Oh, fast überall", erzählte Ron und begann loszuplappern. „Bei Zonkos, Derwisch und Banges, die haben Zaubereiausstattung. Dann waren wir noch ein warmes Butterbier in die Drei Besen trinken und –"

„Auf dem Postamt, Harry!", sprudelte Hermine los. „Die haben da gut zweihundert Eulen, alle auf Stangen, alle in verschiedenen Farben, je nachdem, wie schnell der Brief ankommen soll!"

„Im Honigtopf gibt es einen neuen Sirup", begann Ron Zoe zu erzählen. „Sie haben Kostproben verteilt, hier ist ein wenig, sieh mal ‑"

„Wir glauben, wir haben einen Oger gesehen, in den Drei Besen treibt sich wirklich einiges herum ‑"

„Am liebsten hätten wir dir ein wenig Butterbier mitgebracht, das wärmt richtig durch ‑"

„Wir sollten uns aber langsam für das Fest umziehen", meinte Hermine mit einem nervösen Blick auf die Uhr. „Wir können dir unterwegs noch mehr erzählen. Kommst du auch mit, Zoe?"

Die Slytherin schüttelte den Kopf. „Ich zieh mir auch etwas anderes an", sagte sie und zupfte an ihrem Winterumhang. „Der ist mir dann doch etwas zu warm fürs Fest."

„Okay", meinte Hermine und zog Zoe auf die Füße. „Dann treffen wir uns später am Gryffindortisch?"

„Ja."

Sie halfen den Jungs noch dabei die Süßigkeiten zu verstauen und Zoe schloss sich schließlich Theodore und Blaise an, die gerade ebenfalls aus Hogsmeade zurück kamen und auf den Weg in die Kerker waren.

„Ich frag mich, wann sie Black schnappen", meinte Blaise, als sie fast unten waren. „So viele Plakate wie in Hogsmeade hingen müssten ihn doch früher oder später einer entdecken."

„Naja", sagte Theodore, „wenn er clever ist, dann versteckt er sich an Muggelorten."

„Die suchen ihn doch auch", meinte Zoe beiläufig.

„Er hat's geschafft auszubrechen, er kann also nicht ganz unclever sein, Theo!", sagte Blaise, als sie die Mauer ihres Gemeinschaftsraumes erreicht hatten.

„Ich an seiner Stelle, würde allerdings schauen, dass ich England so schnell wie möglich verlasse."

„Wie willst du das denn anstellen, ohne Zauberstab?", fragte Blaise neugierig, doch Zoe hörte den Jungs nicht weiter zu, sondern schlug sofort den Weg zu den Schlafräumen ein.

Nachdem Zoe sich umgezogen hatte folgte sie den Mädchen hinauf in die große Halle und als sie durch das Portal traten ging Zoes erster Blick hinauf zur verzauberten Decke an der schwarze Wolken aus Fledermäusen flatterten. Ab und an warfen sie dunkle Schatten auf den Boden, wenn der stürmische Himmel durch einen Blitz erhellt wurde, der den Kerzenschein für Sekunden übertrumpfte.

Zoe verabschiedete sich von den Slytherins und schlug den Weg zu ihren Gryffindorfreunden ein. Ihr Tisch war rot-golden dekoriert, mit grinsenden Kürbisfratzen, weißen Mäusen und Miniaturskeletten, von denen einige mit ihren kleinen Pferden über den Tisch galoppierten.

Durch die verpasste Gelegenheit mit ihren Freunden den Nachmittag zu verbringen, genoss Zoe das gemeinsame Festessen umso mehr. Rons Zwillingsbrüder erheiterte die Runde zusätzlich mit ihren Witzen und so verging die Zeit wie im Flug.

Schließlich kam es zu keinen weiteren Vorfällen und der Schulleiter beendete das Fest schließlich mit einer kleinen aufheiternden, aber sinnfreien Rede. Nur widerwillig verabschiedete sich Zoe von ihren Freunden, jetzt da ihr Spaß am größten gewesen war ging das Fest zu Ende.

Einheitliches Gemurmel und Geraschel erfüllte die Große Halle, als all die Schüler den Weg zu ihren Gemeinschaftsräumen einschlugen. In dem Gerangel hatte Zoe die Slytherins verpasst und zockelte ihren Hausgefährten schließlich alleine hinterher und stieß erst im Gemeinschafsraum wieder zu ihnen.

Nachdem sich Zoe in ihren flauschigen Pyjama und die weichen Pantoffeln geschlüpft war, verließ sie den Mädchenschlafsaal, um sich ihren Klassenkameraden anzuschließen.

Rund, satt und müde hatten es sich Daphne, Tracey, Blaise und Theodore auf dem Boden vor dem Kamin gemütlich gemacht um den Abend ausklingen zu lassen und Zoe ließ sich bei ihnen nieder. Während Blaise und Theo eine Runde Zauberschach spielten, tauschten sich Tracey und Daphne über das Aussehen der Spieler ihres Quidditchquartettes aus. Die Mädchen kicherten albern und zogen so manches Mal Blaises Aufmerksamkeit auf sich, sehr zu Bedauern seiner Schachdame.

„Gardez!", sagte Theo, um die Aufmerksamkeit seines Gegenübers wieder auf das Spiel zu lenken.

Blaise fluchte leise, weil er seine Dame retten musste und dadurch seinen zweiten Turm verlor.

Zoe zog sich den Morgenmantel enger um die Schultern und gähnte genüsslich. Zufrieden dachte sie über das heutige Gespräch mit Harry nach. Das dritte Halloweenfest war nun beendet und es war nichts Außergewöhnliches passiert. Heute Abend konnten sie alle wie gewohnt in ihre Betten gehen, nach diesem ereignisreichen Tag.

Gerade, als sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, schob sich knirschen die Mauer des Gemeinschaftsraumes auf und herein trat Professor Snape mit wehendem Umhang und ernstem Gesicht. Ein unheilvoller Schatten legte sich über Zoes Gemüt und mit einem Mal war es mucksmäuschenstill im Gemeinschaftsraum. Nur das Prasseln des Kaminfeuers war noch zu hören.

„Sie alle packen sofort ihre Schlafsachen zusammen!", sagte Snape im strengen Ton, der keine Widerrede duldete. „Ich werde sie in die Große Halle geleiten! Sie haben fünf Minuten!"

Überraschtes und verwundertes Gemurmel bracht los, das Snape gekonnt ignorierte. Stattdessen verdeutlichte er seine Anweisung, bis die Schüler dem schließlich Folge leisten.

Auch Zoes Freunde standen auf, um sich umzuziehen und Zoe, die mit einem Mal hellwach war, nutze die Gelegenheit, dass sie sich zuvor schon bettfertig gemacht hatte und ging zu ihrem Hauslehrer hinüber.

„Was ist passiert, Professor?", fragte sie ängstlich.

„Sie werden heute Nacht alle gemeinsam in der Großen Halle übernachten!", antwortete Snape knapp.

„Aber warum?", fragte ein Sechstklässler, der nun ebenfalls hinzustieß.

„Weil sie dort besser zu überwachen sind", sagte Snape und betrachtete die zurückkehrenden Schüler prüfend.

„Ist etwas Schlimmes passiert?", wollte die Vertrauensschülerin der Slytherins wissen und schob die Gruppe Erstklässler vor sich her.

„Jemand ist ins Schloss eingedrungen und hat das Portrait am Eingang des Gryffindorturms beschädigt", erklärte Snape, abermals kurz angebunden.

Zoe lief es eiskalt den Rücken herab. Eine unheilvolle Befürchtung drang in ihren Geist und plötzlich hatte sie abermals Angst.

„Wer?", fragte Zoe durch das unruhige Gemurmel, der Slytherins hindurch, obwohl sie die Antwort bereits erahnte.

Snape wandte sich wieder zu ihr um, mit einem ernsten Blick und die anderen Fragen der Schüler ignorierend und sagte mit Nachdruck: „Sirius Black."

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