Wiedersehen in Hogsmeade
Auch wenn Harry derzeit die Hölle durchlitt, so beneidete Zoe ihn doch insgeheim darum, dass er bereits in zwei Wochen mit Sirius sprechen konnte. Sie hätte alles dafür geben, um ihren Vater wieder nach Belieben in der Heulenden Hütte besuchen zu könnte, doch sie wusste auch, dass es zu gefährlich war und so behielt sie diesen Wunsch für sich. Ihnen war im vergangenen Jahr viel zu wenig Zeit mit ihm geblieben und es gab fast keinen Tag, an dem sie nicht darauf hoffte im Tagespropheten etwas über Peter Pettigrew und sein mysteriöses Auftauchen zu lesen.
Doch anstelle eines Artikels über Wurmschwanz brachte die Redaktion einen vergleichbaren, wenn auch ganz anderen Knüller aufs Titelblatt. Rita Kimmkorn hatte eine eindrucksvolle Schlagzeile formuliert, die jede Menge Leser generierte: Sensation beim Trimagischen Turnier – Harry Potter ist Hogwarts-Champion, lautete die Überschrift und ein Porträt von Harry nahm zwei Drittel des Deckblattes ein. In dem Artikel ging es folglich kaum um den anstehenden Wettbewerb zwischen den drei Zaubererschulen, sondern vielmehr um Harry selbst. Kimmkorn berichtete darin lebhaft über seine Lebensgesichte. Die Namen der anderen Champions wurden nur am Rande erwähnt und waren dabei auch noch allesamt falsch geschrieben und Cedric war sogar ganz ausgelassen worden.
Nach dem Erscheinen der Ausgabe machte sich Draco, zusammen mit den anderen Slytherins, einen riesen Spaß daraus den Artikel in ihrem Gemeinschaftsraum laut und deutlich zu zerfleischen. Zoe, die ihm keine Reaktion darauf gönnte, war zwar innerlich am Kochen, tat jedoch so, als lese sie in ihrer Zeitschrift Verwandlung heute.
„Ich glaube, es sind meine Eltern, die mir Kraft geben, ich weiß, sie würden sehr stolz auf mich sein, wenn sie mich jetzt sehen könnten", las Draco mit jämmerlicher Stimme vor und kassierte dafür etliche Lacher. „Wartet! Es wird noch besser: ... ja, nachts weine ich manchmal noch, wenn ich an sie denke, ich schäme mich nicht, das zuzugeben ...'"
Zoe atmete unauffällig durch und starrte auf den Artikel über ‚Tierische Transfiguration'. Bei all dem Aufruhr, die Harrys Teilnahmebestätigung, verursachte, fragte sie sich, was sich ihr Freund bloß dabei gedacht hatte, so persönliche Dinge mit einer Reporterin zu besprechen. Hatte er denn nicht geahnt, dass man sein Interview veröffentlichen würde?
Doch wie sich schon bald herausstellte, sah die Wirklichkeit ganz anders aus.
„Das hab ich nie zu ihr gesagt!", verteidigte sich der Gryffindor sofort, als Zoe ihn darauf ansprach. „Sie hat jeden von uns ein paar Fragen gestellt, aber eigentlich hat sie mich gar nicht richtig zu Wort kommen lassen. Den ganzen Kram, hat ihre doofe Feder geschrieben ..."
„Das grenzt schon an Verleumdung", sagte Hermine düster und sah von dem Artikel auf. „Hör mal hier: ‚Harry hat in Hogwarts endlich die Liebe gefunden. Sein enger Freund, Colin Creevey, berichtet, dass Harry fast ständig in Begleitung Hermine Grangers zu sehen ist, eines umwerfend hübschen muggelstämmigen Mädchens, das wie Harry zu den besten Schülern des Internats gehört. Na warte, wenn ich Colin heute Abend in die Finger bekomme ..."
Die drei verstummten einen Moment lang, als eine Gruppe älterer Ravenclaws an ihnen vorbeizog und Hermine ließ die Zeitung, etwas zu spät, hinter ihrem Rücken verschwinden.
„Na, gibt's schon wieder was neues über Holy-Potter?", giftete ihnen ein Mädchen im Vorbeigehen zu.
Hermine schüttelte nur den Kopf.
„Hey Potter!", rief einer der Jungs zu ihm herüber, als er mit seinen Freunden vorbeiging. „Brauchst du ein Taschentuch, sieht ganz so aus, als würdest du gleich wieder zu heulen anfangen!"
Seine Hausgenossen johlten amüsiert und Zoe warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. Einige wandten sich noch einmal zu den dreien um und ließen ihre CEDRIC DIGGORY-Ansteckern aufleuchten.
„Hör nicht hin!", sagte Hermine und stieß ihren Freund an, um ihn aufzumuntern. „In ein paar Tagen ist doch schon Gras drüber gewachsen. Geh ihnen einfach aus dem Weg."
Doch das war leichter gesagt als getan, denn den Unterricht konnte Harry nicht schwänzen. Er wurde derzeit beinahe an jeder Ecke gehänselt und vor allem den Slytherins konnte er nicht aus dem Weg gehen. Diese suchten geradezu nach seiner Nähe, um ihn noch ein paar Gemeinheiten um die Ohren zu hauen. Auch Pansy nutzte die erste Gelegenheit, die sich ergab, um Hermine zu verhöhnen.
„Umwerfend hübsch? Die?", hatte sie unüberhörbar gekreischt, als sie Hermine nach dem Erscheinen von Rita Kimmkorns Artikel zum ersten Mal begegnet war. „Im Vergleich zu was denn – einem Eichhörnchen?"
Millicent, Draco, Vincent und Gregory lachten hämisch und Zoe spürte, wie sie vor Zorn zu zittern begann. Hermine war mit ihrem unzähmbarem, buschigem, braunem Haar und den prägnanten Schneidezähnen vielleicht keine Schönheitskönigin, doch sie war alles andere als hässlich, hatte ein liebenswertes Wesen und – im Gegensatz zu der rundgesichtigen Pansy – ein Herz aus Gold. Hermine war loyal und die einzige Freundin, die ihr in den letzten Tagen beigestanden hatte, was die Wut in ihrem Bauch nur noch mehr anfachte.
Energisch schüttelte Zoe Hermines Hand von ihrem Arm und wandte sich wütend um.
„Im Vergleich zu dir auf jeden Fall, Mopsgesicht!", zischte sie Pansy giftig an.
„Einfach nicht beachten", versuchte Hermine vergeblich zu schlichten, „Komm schon, Zoe."
„Immerhin bin ich kein dummes Blondchen!", keifte Pansy angriffslustig zurück.
„Dummes Blondchen?", wiederholte Zoe belustig und warf einen Blick auf Millicent und die anderen Slytherins, die ihr den Rücken stärkten. „Du meinst, wie Draco und ich?!"
Zoe hatte offenbar einen wunden Punkt getroffen, denn das Lächeln auf Pansys Gesicht erstarb und sie begann dunkelrot anzulaufen. Verlegen öffnete die Slytherin noch einmal den Mund, um etwas zu erwidern, doch ihr fiel offensichtlich nichts Schlaues mehr ein. Zoe wandte sich mit einem triumphierenden Grinsen frohlockend zu Harry und Hermine um, hakte sich bei ihrer Freundin unter und ließ ihre Hausgenossen einfach stehen.
Harry folgte ihnen perplex und fragte: „Was war denn das gerade?"
„Sie steht auf Draco", erklärte Zoe lachend. „War ihr wohl etwas peinlich ..."
„Auf Malfoy?", sagte Harry und zog angewidert die Brauen zusammen. „Woher weißt du das?"
„Na, weil ich mir schon das vierte Jahr lang einen Schlafsaal mit ihr teile."
„Sag mal Zoe ...", begann Hermine und warf einen Blick zurück über die Schulter, „im Prinzip hast du ja Recht ... aber du solltest dir nicht so viel Ärger mit ihnen einhandeln ..."
„Und zuschauen, wie sie euch beleidigen?", fragte Zoe empört.
„Ja, nein ... also ... wenn du es einfach ignorierst ... Das ist vielleicht geschickter. Spätestens nach der Sperrstunde kannst du ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen."
„Ach, Hermine", sprach Zoe und wusste allmählich, worauf ihre Freundin hinauswollte, „die meisten von ihnen haben nur eine große Klappe. Da ist nix dahinter!"
„Und solange sie Snapes Liebling ist, wird sicher nichts passieren", warf Harry ein.
Zoe verpasste Harry einen Schubs, dass dieser ins Stolpern geriet.
„Ich bin nicht sein Liebling!", widersprach sie neckisch und fühlte sich zeitgleich geschmeichelt.
„Oh doch, dicht gefolgt von Malfoy!", entgegnete der Gryffindor und grinste amüsiert. „Wenn Ron jetzt –"
Er brach den Satz ab und seine gute Laune schlug augenblicklich ins Gegenteil um. Zoe tauschte mit Hermine einen mitfühlenden Blick aus.
„Glaubst du nicht, es wäre allmählich an der Zeit, dass ihr euch wieder vertragt?", versuchte Zoe es erneut und Harry verschränkte die Arme vor der Brust.
„Klar, sofern er sich bei mir entschuldigt."
„Für was denn?", hakte Zoe nach.
Harry sah sie düster an und antwortete: „Dafür, dass er mich einen Lügner genannt hat!"
„Das hat er sicher nicht so gesagt ..."
„Wenn er behauptet, ich hätte meinen Namen in den Feuerkelch geworfen, obwohl ich beteuert habe, dass ich es nicht war, dann hat er mich sehr wohl als Lügner darstellt!"
„Das ist doch alles nur ein Missverständnis", meinte Hermine, als sie vor der Bibliothek ankamen. „Ihr müsst euch doch nur einmal aussprechen."
„Können wir", bestätigte Harry, „sobald er sich entschuldigt hat."
Und mit den Worten trat er ein, in dem Wissen, dass sie die Diskussion dort drinnen nicht fortführen konnten.
Es dauerte ein wenig, bis sie einen Platz gefunden hatten, denn ihr Stammtisch war belegt. Den Grund dafür konnte Zoe schnell ausmachen. Viktor Krum saß in einem Lesesessel an der Fensterfront und brütete über einem Bulgarisch – Englisch-Lehrbuch. Die Tische in seiner unmittelbaren Nähe waren hauptsächlich von Mädchen belegt, die immer wieder miteinander tuschelten.
Hermine seufzte genervt und ließ ihre Tasche zu Boden gleiten. Sie warf einen finsteren Blick zu dem Durmstrang hinüber, der im selben Moment aufsah und beinahe verlegen grinste.
„Das muss doch irgendwann aufhören!", flüsterte Harry ungehalten, als er sich zwischen einer Mädchengruppe hindurch gequetscht hatte, die Krum durch ein Bücherregal beobachteten. „Irgendwann müssen doch alle mal ein Autogramm haben ..."
Hermine seufzte ungläubig und rollte mit den Augen, bevor sie leise antwortete: „Die haben's sicher nicht auf ein Autogramm abgesehen."
„Worauf dann?", fragte Harry verwundert, zog die Brauen zusammen und sah zu einer kichernden Hufflepuff hinüber.
Zoe fing Hermines ungläubigen Blick auf, grinste zurück und begann ihre Schulbücher auszupacken.
„Na auf ihn", erklärte sie leise und schüttelte amüsiert den Kopf. „Dabei sieht er nicht mal gut aus! Sie stehen doch nur auf ihn, weil er berühmt ist! Sie würden ihn doch keines Blickes würdigen, wenn er nicht diesen Wanzki-Stuss beherrschen würde –"
„Wronski-Bluff", korrigiert Harry pikiert und öffnete seine Tasche.
„Wie auch immer", sprach die Gryffindor und warf einen finsteren Blick hinüber zu dem Durmstrang. „Auf jedenfalls ist dieses hühnchenhafte Verhalten von denen, einfach nur lästig!"
Hermine hatte den Satz gerade beendet, als die Bibliothekarin hinter einem der Regale auftauchte und zu ihrer aller Erleichterung aufräumte. Sie schickte die Mädchen, die keinen Sitzplatz und glaubhaftes Anliegen hatten hinaus. Rügte jene, die mehr lachten, als lasen und kam mit prüfendem Blick an ihrem Tisch vorbei. Hermines dankbares Lächeln, schien sie zu besänftigen und so ging Madam Pince zurück zu ihrem Schreibtisch, an dem bereits ein Junge auf ihre Rückkehr wartete.
„Na endlich!", hauchte die Gryffindor leise und vertiefte sich in ihr Lehrbuch und ihre Freunde taten es ihr gleich.
Als es kurz vor dem Abendessen war, hatte sich die Bibliothek inzwischen weitestgehend gelehrt. Ein Großteil der Schüler war bereits verschwunden, als Viktor gegangen war der, wie Zoe bemerkt hatte, immer wieder zu ihnen herüber gespäht hatte. Mit einem schroffen „Chao" war vorbeigeschritten, doch außer Harry hatte keiner von ihnen den Kopf gehoben. Erst als Harrys Magen so laut knurrte, dass es sich anhörte, als säße ein Wolf unterm Tisch, lehnte sich Zoe im Stuhl zurück und streckte die steifen Glieder.
„Genug für heute, oder?", meinte Zoe munter.
„Denke ich auch!", bestätigte Harry sofort und rieb sich den Bauch.
Hermine nickte ebenfalls, schrieb jedoch noch ihren Satz zu Ende. Dann packten die drei ihre Sachen ein und machten sich auf den Weg zur Großen Halle. Als sie gerade am Büro ihres Verteidigung gegen die dunklen Künste Lehrers vorbeikamen, ging dort unverhofft die Tür auf. Die beiden Mädchen zuckten unwillkürlich zusammen. Professor Moody jedoch, machte keinen überraschten Eindruck.
„Ah, Zoe", sagte er, als hätte er nur auf eine solche Gelegenheit gewartet. „Kann ich dich auf ein Wort sprechen?"
Der Slytherin schwante Böses und als sie sich von Hermine und Harry verabschiedete, hoffte sie inständig, dass ihr Lehrer nicht wieder eine absurde Idee für ihren Unterricht hatte. Etwas zögerlich trat sie ein und Moody drückte die Tür hinter ihr ins Schloss.
„Wollte gerade zum Essen gehen", knurrte er, doch es klang wenig glaubhaft. „Setz dich doch einen Moment."
Perplex sah Zoe hinüber zu dem Stuhl, der vor Moodys Schreibtisch stand und brauchte einige Sekunden, seine Aufforderung zu verstehen. Sie war zu sehr von den vielen Obskuranten in diesem Klassenzimmer abgelenkt. Der Ex-Auror hatte allem Anschein nach, seine vollständige Büroausrüstung aus seinem Berufsalltag mitgebracht. Wo man auch hinsah, bewegten sich mechanische Teile an kleinen Gerätschaften, von denen Zoe kaum eines kannte. Einige davon besaß ihr Großvater ebenfalls, wie den goldenen jedoch ununterbrochen summende Geheimnisdetektor, der auf einem Tisch neben dem Schreibtisch stand, und der anzeigen sollte, wenn Heimlichkeiten oder Lügen in der Luft lagen. An der Wand hing ein Spiegel, der einen schemenhaften Umriss eines Mannes mit langem weißem Bart zeigte und der viel zu unscharf war, um ihn als Person zu erkennen.
Als Zoe zögerte, deutete er noch einmal auf den Stuhl und wiederholte: „Setz dich. Möchtest du einen Tee?"
„Nein, danke, Sir.", sagte Zoe knapp und nahm vor dem Schreibtisch Platz.
„Auch gut", meinte Moody grimmig.
Er sah sie an, doch sein magisches Auge war auf die Tür hinter Zoe gerichtet und mit einem Mal fiel Zoe ein, das er durch sie hindurch sehen konnte.
„Du und deine Freundin verbringen viel Zeit mit Harry in der Bibliothek", sagte Moody plötzlich und die Slytherin rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. „Greift ihr ihm unter die Arme, bei seiner Turniervorbereitung?"
„Nein, Sir!", sagte Zoe sofort, doch er tat ihren Protest mit einer lässigen Handbewegung ab.
„Ach, Mädchen, ich will dich nicht verhören. Alle schummeln beim Turnier! Diese Tradition ist so alt, wie der Kelch selbst."
„Das würde Harry nie tun", beteuerte die Vierzehnjährige sofort.
„Ich würd's ihm nicht mal übel nehmen", unterbrach der Professor sie einfach. „Er ist viel jünger als die anderen Teilnehmern. Nicht ganz fair, findest du nicht?"
Zoe schwieg.
„Meinst du, er kommt zurecht?"
„Ich hoffe es, Sir."
„Jah", grummelte Moody leise, „hoffen ... das tun wir alle. Das hält uns zusammen, nicht? Dein Großvater hofft auch darauf! Dabei hab ich ihm gleich gesagt, dass Maxime und Karkaroff mit Sicherheit mit gezinkten Karten spielen. Die werden ihre Champions auf die kommenden Aufgaben vorbereiten und lassen sie nicht ins Messer laufen. Doch dein Großvater ist viel zu edelmütig. Armer Harry ... ich hoffe auch, dass er es schafft ..."
Mit einem unguten Gefühl wich Zoe seinem eindringlichen Blick aus und sah auf das Spickoskop, das auf dem Schreibtisch stand. Es sah aus, wie ein großer, gläserner Kreisel doch es hatte einen Sprung und war vermutlich defekt.
„Willst du wissen, worum es bei der ersten Aufgabe geht?", frage der Ex-Auror plötzlich.
Zoe sah wieder zu ihm her, dann meinte sie: „Ich glaub nicht, dass sie mir das sagen sollten."
Professor Moody fixierte sie nun mit beiden Augen.
„Niemand müsste das erfahren", erklärte er schlicht.
Stille folgte. Zoe war dieses Starren von Seiten ihres Lehrers unangenehm. Verzweifelt suchte sie nach Worten, um aus dieser Situation zu kommen, aber ihr wollte einfach nichts einfallen. Doch in dem Moment, als Moody seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, wurden sie von einem lauten Scharren abgelenkt. Erschrocken sprang Zoe vom Stuhl auf und wendete sich dem Geräusch zu. In der Ecke des Büros stand ein großer Koffer mit sieben Schlössern und für ein paar Sekunden, schien er zu wackeln.
„Nur ein Irrwicht!", erklärte Moody sofort und versuchte Zoes Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. „Hab ihn bestellt für die Drittklässler. Professor Lupin hat euch ja bereits vor einem Jahr damit konfrontiert, wenn ich mich recht erinnere, oder?"
„Ja, Sir", antwortete Zoe ohne den Blick von dem Koffer zu nehmen.
„Nun gut", sprach ihr Lehrer, erhob sich von seinem Stuhl und humpelte an Zoe vorbei, „richte Harry doch aus, dass er jederzeit zu mir kommen kann, wenn er Hilfe braucht."
Als er die Tür seines Büros erreicht hatte, öffnete er sie und Zoe verstand die eindeutige Geste sofort. Die Slytherin schulterte ihre Tasche, ließ den Koffer zurück und ging schnurstracks auf die Tür zu, als ihr ein Fetzen Pergament auf dem Boden auffiel. Intuitiv blieb sie stehen, um es aufzuheben und in dem Moment, da sie es berührte bemerkte sie, dass es gar kein Pergament war. Es war viel leichter und flexibler als Pergament. Es hatte zwar die gleiche Farbe, doch eine kleine gleichmäßige Struktur und die Slytherin erkannte sofort, worum es sich dabei handelte: Es war eine seltene Zaubertrankzutat. Eine Zutat, die Harry in ihrem zweiten Schuljahr aus den Vorräten von Professor Snape gestohlen hatte, weil sie es zum illegalen Brauen eines Zaubertranks benötig hatten: Baumschlangenhaut.
„Das gehört mir!", sagte Moody sofort, war den fehlenden Schritt auf sie zugestapft und schnappte ihr die abgelegte Haut aus den Fingern. „Muss aus meinem Zutatenschrank gefallen sein."
Überrascht über Professor Moodys Reaktion ließ Zoe ihre Hand sinken. Dann fiel ihr Blick auf die offene Tür und nach einem kurzen Wort des Abschieds, war sie hinausgeeilt.
Ganz egal, was andere Schüler über ihren derzeitigen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste hielten, für Zoe blieb dieser Mann einfach nur gruselig.
Auf das Wochenende freute sich Zoe schon besonders, denn am Samstag stand der erste Hogsmeadebesuch in diesem Jahr an. Die Slytherin hatte zusammen mit Hermine einige Szenarien geplant, wie sie Harry und Ron dazu bewegen konnten, wieder miteinander zu reden.
Das ungezwungene Wochenende in Hogsmeade war wie dafür gemacht, doch leider machte Harry ihnen einen Strich durch die Rechnung, noch bevor sie ihn hatten auf die Fährte locken können.
„Aber was ist mit Ron?", hakte der Gryffindor nach, als Hermine ihn den Vorschlag machte den Tag gemeinsam zu verbringen. „Willst du nicht mit ihm gehen?"
„Oh ... na ja ...", stotterte die Gryffindor und wurde rot. „Ich dachte, wir könnten uns mit ihm in den Drei Besen treffen ..."
„Ach, Hermine!", meckerte Zoe sofort, als ihre Freundin ihren Plan preisgab.
Harry sah die beiden finster an und sagte: „Nein, das könnt ihr vergessen!"
„Ach, Harry, das ist doch bescheuert –", setzte Zoe genervt an, aber ihr Freund unterbrach sie augenblicklich.
„Ich komm mit, aber mit Ron treffe ich mich nicht, und ich trage meinen Tarnurnhang."
„Na gut, von mir aus ...", gestand ihm Hermine zu, „aber ich kann es nicht ausstehen, mit dir zu reden, wenn du in diesem Umhang steckst, wo ich doch nie weiß, ob ich dich jetzt ansehe oder nicht."
Als es dann so weit war, traf sich Zoe mit ihren Freunden in der Eingangshalle. Hermine wirkte ein wenig genervt und sie ruckte mit dem Kopf nach links, um Zoe mitzuteilen, wo sich Harry befand. Gemeinsam schlenderten sie den Weg hinauf zu dem Zaubererdorf und waren sich recht schnell einig, dass sie zuerst den Honigtopf besuchen wollten. Zoe deckte sich mit sämtlichen Leckereien ein, wohlwissen, dass wieder ein paar Wochen vergehen würden, bevor sie erneut die Gelegenheit für einen Ausflug in diesem Süßwarengeschäft hatten.
Mit dicken Backen verließen sie den Honigtopf und Zoe genoss den sahnigen Geschmack eines Toffees.
„Was tun wir als nächstes?", fragte sie, rempelte versehentlich Harry an, der wiederum mit Hermine zusammenstieß.
„Aua!", fluchte die Gryffindor schmerzerfüllt.
„Tschuldigung!", sprachen Zoe und Harry, wie aus einem Munde.
„Hör mal zu, Harry", meinte die Muggelgeborene und rieb sich die Schulter, „ich bitte dich, nimm doch für eine Weile diesen Umhang ab. Hier belästigt dich doch keiner."
„Ach ja?", antwortete der Gryffindor unter seinem Tarnumhang heraus. „Dann dreh dich mal um."
Auch Zoe wandte sich um. Hinter ihnen lag der Pub Drei Besen und gerade kam Rita Kimmkorn in Begleitung eines Fotografen heraus, mit dem sie offenbar in ein Gespräch vertieft war. Doch als sie an Zoe vorbeikam, blieb sie kurz stehen und es dauerte zwei Atemzüge lang, bis sie das Gesicht des Teenagers zuordnen konnte.
„Ach, Zoe, richtig?", hakte sie nach und nahm Hermine ins Visier. „Wo habt ihr denn euren berühmten kleinen Freund gelassen?"
„Im Schloss", antwortete Zoe kurz angebunden und auch Hermine sah die Reporterin mit einem unfreundlichen Ausdruck an.
Rita Kimmkorn bedachte die Mädchen mit einem Lächeln und zuckte mit den Schultern.
„Schade, nun gut. Ich hab dich nicht vergessen, Zoe, ich bin nur noch nicht dazu gekommen eine Eule loszuschicken. Aber sobald ich wieder in der Redaktion bin, werde ich das veranlassen."
Sie wartete einige Sekunden, wohl in der Hoffnung, dass einer der beiden das Schweigen brach und sie zu einem Gespräch ermutigen würde. Doch weder Hermine noch Zoe hatten dieses Bedürfnis.
„Na dann", sagte sie mit einem künstlichen Lächeln und wandte sich wieder ihrer männlichen Begleitung zu, „einen schönen Tag!"
Sie stolzierte davon und kaum, dass Kimmkorn außer Hörweite war, fragte Hermine: „Warum will sie dir eine Eule schicken?"
Zoe sah der Reporterin noch immer nach und fixierte dann ihre Freundin wieder.
„Ganz vergessen", gab sie zu, „sie meinte zu mir, sie habe einen Zeitungsbericht über meine Mutter geschrieben ..."
„Über deine leibliche Mutter?", fragte Harry neugierig aus dem Nichts.
Zoe nickte.
„Es soll ihr zum Durchbruch verholfen haben", erzählte die Slytherin.
„Also ich weiß nicht", sprach Hermine, „ob ich das lesen wollte."
„Ich ehrlich gesagt auch nicht", gab Zoe zu.
„Glaubt ihr, sie hat hier ein Zimmer?", fragte Harry dazwischen.
„Gut möglich", antwortete die Gryffindor und sah zum Pub hinüber. „Wie wär's, wenn wir in den Drei Besen ein Butterbier trinken? Es ist doch ziemlich frisch hier draußen, oder?"
„Ron wird da drin sein!", widersprach Harry.
Hermine zischte missbilligend.
„Du musst ja nicht mit Ron reden! Außerdem sieht er dich gar nicht!", fügte sie verärgert hinzu.
„Also ich bin dafür!", entschied Zoe, schritt voran und hielt ihren Freunden die Tür auf.
In dem Pup herrschte reges Treiben. Etliche Hogwarts-Schüler waren auf die Idee gekommen ihren freien Nachmittag hier zu verbringen. Auch einige der Gastschüler waren anwesend.
„Ist da überhaupt noch ein Platz frei?", fragte Zoe und reckt den Hals.
„In der Ecke dort hinten ist noch ein leerer Tisch", sprach Hermine. „Am besten setzt ihr – ähm du dich schon mal. Ich besorg uns etwas zum Trinken."
Zoe gehorchte und kämpfte sich durch die Menschenmassen bedacht darauf, Harry nicht zu verlieren. Sie spürte, wie er sich am Rücken ihres Umhangs festhielt und ging vorsichtig voran.
Als Zoe den kleinen Tisch erreichte, zog sie für Harry einen Stuhl vor, und begann ihren Schal und den Wintermantel abzulegen. Dabei sah sie sich im Raum um, in dem vornehmlich eine ausgelassene Stimmung herrschte. Ron saß ein wenig entfernt von ihr zusammen mit Fred, George und Lee Jordan und nahm keine Notiz von ihr. Neugierig spähte sie zu einer Gruppe Hufflepuffs hinüber, stellte jedoch schnell fest, dass Cedric nicht unter ihnen war. Am Tisch daneben tauschten Ernie Macmillan und Hannah Abbott Schokofrosch-Karten miteinander und von allen Seiten leuchteten die Cedric-Anstecker durch den Pub.
Als Hermine an ihrem Tisch kam, stellte sie das Butterbier darauf ab und Harry zog seines unauffällig unter den Umhang. Zoe bedankte sich bei ihrer Freundin und stieß mit ihr an.
Auch Hermine sah sich um, dann zog sie ihr Notizbuch aus der Innentasche ihres Umhangs und sagte grübelnd: „Vielleicht sollte ich einfach mal versuchen, ein paar von den Dorfleuten für B-ELFE-R zu gewinnen."
Zoe behielt ihren Kommentar für sich, setzte den Krug mit dem Butterbier an und genoss den cremigen Geschmack.
„Hermine, wann gibst du diesen Belfer-Kram endlich auf?", ertönte Harrys Stimme.
„Wenn die Hauselfen anständige Löhne und Arbeitsbedingungen haben!", gab Hermine schnippisch zurück. „Allmählich glaube ich, es ist an der Zeit, etwas Handfestes zu unternehmen. Weißt du zufällig, wie man in die Schulküche kommt?"
„Keine Ahnung, frag doch Fred und George", sagte Harry. „Oder Zoe ..."
Überrascht sah die Gryffindor ihre Freundin an.
„Aber na klar", meinte sie, „du kannst mich bestimmt in die Küche bringen."
Zoe setzte ihr Butterbier ab und versuchte nicht allzu skeptisch dreinzublicken.
„Hm ... ich weiß nicht ..."
„Ach komm schon, Zoe. Bitte!", flehte ihre Freundin sofort. „Ich muss das Elend unbedingt einmal mit eigenen Augen gesehen haben!"
„Welches Elend?", wollte Zoe entnervt wissen. „Hermine, den Elfen in Hogwarts geht's prima! Sie haben alles, was sie brauchen."
„Dann gibt's ja keinen Grund, warum du mich nicht einmal mit dorthin nehmen kannst, oder?"
Zoe seufzte genervt.
„Also gut", schlug die Slytherin vor und Hermine jauchzte erfreut, „unter einer Bedingung!"
„Welcher?"
„Wenn du siehst, dass die Elfen zufrieden sind, dann stellt du diesen B.ELFE.R-Kram ein."
„Gegenvorschlag", meinte Hermine sogleich und zog die Brauen hoch, „wenn die Hauselfen tatsächlich zufrieden sein sollten und es ihnen wirklich an nichts fehlt ... Dann lasse ich die B.ELFE.R-Sache in deiner Anwesenheit sein."
„Deal!", sprach Zoe und reichte der Gryffindor die Hand.
Damit besiegelten die Mädchen ihren Pakt. Dann fiel Hermines Blick auf etwas hinter Zoe, deutete in die Richtung und stieß dabei versehentlich Harry an. Ein platschendes Geräusch verkündete, dass Harry gerade unter seinem Umhang sein Butterbier verschüttet hatte.
„Tut mir leid", meinte Hermine, „aber sieh mal, da ist Hagrid!"
Überrascht drehte sich Zoe auf ihrem Stuhl um. Hagrid überragte alle, um einen guten Meter, warum hatten sie ihn nicht gleich erkannt. Doch der Wildhüter fiel deshalb nicht auf, weil er sich zu seiner Begleitung, Professor Moody, hinuntergebeugt hatte, mit dem er in ein Gespräch vertieft war. Als die Wirtin umging, um die leeren Krüge und Gläser einzusammeln, warf sie einen missbilligenden Blick auf den Flachmann des Ex-Aurors. Moody hatte den Vorsatz nur eigens zubereitetes Essen und Trinken zu sich zunehmen, allen Anschein nach in jeder Lebenslage. Damit war er vor Vergiftungsanschlägen von schwarzen Magiern gefeit, so hatte er zumindest berichtet.
Als Madam Rosmerta wieder hinter der Theke verschwunden war, erhoben sich die beiden, offenbar in der Absicht zu gehen. Dann stieß Moody Hagrid an und murmelte dem Hünen etwas zu. Dieser wandte sich zu ihrem Tisch um, erkannte sie und kam kurzer Hand herüber.
„Alles klar, Hermine, Zoe?", fragte er laut.
Hermine erwiderte sein Lächeln und Zoe begrüßte ihn fröhlich. Dann hatte auch Moody sie erreicht und er beugte sich interessiert über Hermines Notizbuch. Doch Zoe bemerkte sofort, dass er darüber hinwegsah.
„Hübscher Umhang, Potter", sprach er leise und Zoe klappte vor Verblüffung der Mund auf.
Dabei hörte sie auch, wie Harry unter seinem Tarnumhang überrascht die Luft einsog.
„Kann Ihr Auge", fragte er flüsternd, „ich meine, können Sie –?"
„Ja, ich kann durch Tarnumhänge sehen", erklärte Moody und grinste schief. „Und das war schon einige Male recht nützlich, kann ich dir sagen."
Nun beugte sich auch Hagrid herab und tat so, als würde er Hermines Notizen lesen.
„Harry, komm heut um Mitternacht runter zu meiner Hütte. Trag diesen Umhang", sagte er leise und dann erhob er seine Stimme und zwinkerte den Mädchen zu. „War nett, euch zu sehen, Hermine, Zoe."
Im Anschluss wandte Hagrid sich um und verließ in Professor Moodys Begleitung den Pub.
„Das war ziemlich ... sonderlich!", sagte Zoe und sah zu, wie die Eingangstür zufiel.
„Warum will er, dass ich ihn um Mitternacht treffe?", fragte Harry und klang dabei überrascht.
„Keine Ahnung, was er vorhat", sprach Hermine grübelnd. „Und ich weiß auch nicht, ob du gehen solltest, Harry ..." Die Gryffindor machte eine kurze Pause und versicherte sich, dass ihnen niemand zuhörte. „Denn dann verpasst du vielleicht Sirius."
Die Erwähnung ihres Dads zog Zoes Aufmerksamkeit wieder auf das Tischgespräch. Erst jetzt erinnerte sie sich daran, dass die kommende Nacht jene war, in der sie zu einem Gespräch mit Sirius verabredet waren. Wie sehr sie ihren Freund darum beneidete.
„Das würde ich auch nicht riskieren", pflichtete die Slytherin Hermine bei.
„Ich weiß nicht ... Hagrid würde das nicht sagen, wenn es nicht ... wenn es nicht dringlich wäre oder?", warf er ein.
„‚Ihr müsst nur den Spinnen folgen'", zitierte Zoe ernst und sah zu der Stelle, an der sie Harrys Gesicht vermutete.
„Na ... ich weiß nicht", murmelte Harry. „Vielleicht sollte ich ihn zumindest kurz anhören."
„Was wollt ihr eigentlich tun, wenn der Gemeinschaftsraum zur verabredeten Zeit nicht leer ist?", fragte Zoe an Hermine gewandt. „Für eine Absage ist es dann zu spät ..."
„Dann werden wir ein paar Stinkbomben einsetzten", erklärte Hermine leise und es klang bereits nach einem besprochenen Plan. „Aber ich hoffe sehr, dass es nicht so weit kommen muss."
„Und ich erst", sagte Harry leise unter seinem Tarnumhang. „Ich bin nämlich derjenige, der es dann noch darin aushalten muss!"
Als sie ihre Krüge geleert hatten, bezahlten sie bei Madame Rosmerta und machten sich auf den Rückweg ins Schloss. Zoe begleitete Harry und Hermine noch ein Stück auf dem Weg zu ihren Gemeinschaftsraum. Als sich ihre Wege jedoch trennten, bat sie ihren Freund ein letztes Mal darum, ihrem Vater Grüße auszurichten und vorsichtig zu sein. Dann verabschiedet sie sich von ihren Freunden und schlenderte weiter hinauf in den siebten Stock, wo sie mit ihrem Großvater zum Abendessen verabredet war.
Als sie jedoch den Wasserspeier passierte und das Büro des Schulleiters betrat, musste Zoe feststellen, dass ihr Großvater nicht alleine war. Professor Snape stand vor dem Schreibtisch, hinter dem der Schulleiter saß und es mutete an, als hätte sie die beiden bei einem ernsten Gespräch gestört.
„Hallo", sagte Zoe jedoch fröhlich, nachdem sie eingetreten war, „wir sind schon ein bisschen früher zurück."
„Kein Problem", sprach ihr Großvater munter und sah zu ihr herüber, „Professor Snape und ich sollten diese Unterhaltung sowieso besser eine Weile Ruhe lassen ..."
Zoe sah, wie der Tränkemeister tief Luft nahm, doch er verkniff sich jeglichen Kommentar.
„Wie Ihr wünscht", presste er zwischen seine Zähne hindurch, warf seinen Umhang zurück und machte auf dem Absatz kehrt.
Als er an Zoe vorbeihuschte, hatte er nicht einmal ein Wort des Grußes für sie übrig und nachdem er hinausgerauscht war, schlug die Tür lauter ins Schloss, als es eigentlich notwendig gewesen wäre. Verwundert sah die Slytherin ihm nach.
„Ist etwas geschehen?", wollte sie wissen und wandte sich wieder ihrem Großvater zu.
„Nichts, was nicht zu den alltäglichen Problemen eines Lehrkörpers gehört", antwortete Dumbledore sachte und erhob sich von seinem Schreibtisch. „Hast du Fawkes schon bemerkt?"
Zoe sah hinüber zu der Vogelstange, auf der für gewöhnlich der Phönix ihres Großvaters saß, doch stattdessen lag auf der Schale darunter nur ein Häufchen Asche.
„Oh, nein, ich habe es schon wieder verpasst!", klagte Zoe und tapste hinüber, um sich die Sache genauer anzuschauen. „Wann ist es passiert?"
„Vor etwa einer halben Stunde!", erklärte ihr Großvater sachlich.
Unter dem kleinen Häufchen regte sich allmählich etwas und schließlich kroch ein winziges unscheinbar beiges Küken daraus hervor. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein gewöhnliches Pfauenküken. Lediglich die goldenen Beinchen und Füße ließen vermuten, dass es kein Hühnervogel war. Es piepste eindringlich und in einem hellen Ton und Dumbledore zog ein Papiertütchen aus einem der Schränke und mischte etwas Eifutter unter die Asche. Instinktiv begann der junge Phönix damit, beides aufzupicken.
„Wie muss das für ihn sein?", fragte sich Zoe laut. „All die Dinge zu wissen und ... und in einem Kinderkörper zu stecken ..."
„Nun, so wie ich das bisher all die Jahre beobachtet habe, kommen die Erinnerung erst nach ein paar Monaten zurück, wenn er fast ausgewachsen ist", erklärte Dumbledore lehrerhaft und beobachtete den Phönix interessiert. „Dennoch ist es verblüffend, wie intuitiv sie in dieser kurzen Zeit all die Dinge alleine erlernen, die für ihr weiteres Leben wichtig sind."
„Was denn zum Beispiel?", wollte Zoe wissen.
„Wie und was man frisst, das Fliegen ... oder das Singen nur um ein paar zu nennen. Auch sein Verhalten ändert sich, sogar seine Vorlieben. Er wird praktisch neu geboren und ist doch eine ganz andere Persönlichkeit."
Verblüfft sah Zoe auf das Küken hinab, das nun den Kopf eingezogen und die Augen geschlossen hatte.
„Aber er ist doch immer noch der gleiche", sprach die Vierzehnjährige verwirrt, „und dann doch irgendwie nicht?"
„Nun ja, stell dir vor, du hättest einen eineiigen Zwilling. Also jemand, der dein genetisches Abbild ist –"
„Wie bei Fred und George?"
„Genau wie bei den Weasley Zwillingen", sagte Dumbledore schmunzelnd. „Selbst wenn ihr im gleichen Umfeld aufwachst, so macht ihr dennoch unterschiedliche Erfahrungen, ihr bewegt euch nicht identisch und damit entwickeln sich unterschiedliche Wahrnehmungen. Die Gehirne bilden sich unterschiedlich aus und genau das ist es auch, was mit Fawkes geschieht.
Es mag eine Zeit kommen, in der er sich wieder an dich und an mich erinnert und auch an seine vorherigen Leben, doch die Erfahrungen, die er in diesem Leben macht hat, prägen seine Persönlichkeit neu."
„Das ist ja kompliziert ...", meinte Zoe.
Es wurde düster im Schulleiterbüro, denn draußen waren die letzten Sonnenstrahlen bereits hinter den Wipfeln der Bäume verschwunden. Die Slytherin wandte sich von dem Phönix ab, zog ihren Umhang aus und legte ihn über den Stuhl vor dem Schreibtisch.
„Das ist es tatsächlich", sprach Dumbledore leise.
Auch er wendete sich nun um. Dann zog er einen kleinen, silbernen Gegenstand aus einer der Umhangstaschen und klickte damit. Unzählige Lichtkugeln schossen daraus empor und flogen zu den Kerzen im Raum, deren Dochte sich entzündeten.
„Hast du heute einen schönen Tag verbracht?", wollte Dumbledore wissen und deutete Zoe auf die Sessel im Erker vor den Fenstern.
Zoe folgte der Aufforderung und plauderte ein wenig über ihren Hogsmeadeaufenthalt und ihren Besuch im Honigtopf.
„Da fällt mir ein!", sagte sie plötzlich und sprang wie von einer Arachnophobia gebissen aus dem Sessel auf. „Ich habe dir ja noch etwas mitgebracht!"
Sie lief zu ihrem Umhang hinüber, zog ein üppig gefülltes Wachstuch hervor und reichte es ihren Großvater. Dieser öffnete es und spähte hinein.
„Zitronenbrausebonbons", sprach er erfreut. „Und auch noch meine Lieblingssorte. Vielen Dank, Zoe."
Die Slytherin lächelte von Herzen.
„Doch, die muss ich wohl für später aufbewahren. Das Essen sollte jeden Augenblick erscheinen."
Er hatte den Satz kaum beendet, da materialisierte sich tatsächlich eine kleine Auswahl der abendlichen Speisen auf ihren goldenen Tellern und Zoe stürzte sich hungrig darauf. Ihr Großvater ließ nebenbei den magischen Rundfunk laufen und draußen ging allmählich der Mond über dem Verbotenen Wald auf.
Es war ein ruhiger und behüteter Abend, den Zoe hier verbrachte und nach den ganzen Streitigkeiten mit den Slytherins war sie um diese befreite Zeit unendlich dankbar. Als sie schließlich rund und gesättigt war, ließ sie sich in ihren Sessel zurückfallen und sah hinaus aus dem Fenster. Die Dunkelheit hatte die Ländereien von Hogwarts bereits bis zur Gänze verschluckt. Nur die kleinen hellen Punkte, die Sterne waren, ließen vermuten, wo der Wald aufhörte und das Firmament begann. Zoe gähnte herzhaft, während sie dem Klarinettenstück lauschte, das gerade gespielt wurde, als sie aus den Augenwinkeln etwas Helles am Waldrand erkannte. Ungläubig richtete sie sich auf und starrte konzentriert in die Dunkelheit, als für einen kurzen Moment ein warmer leuchtender Lichtschein die Wipfel der Bäume erhellte.
„Siehst du das?", fragte Zoe aufgeregt und deutet aus dem Fenster.
Ihr Großvater reagierte viel zu langsam und als er hinaus sah, war das Licht bereits erloschen.
„Was hast du gesehen?", fragte er.
„Da ... da war etwas. Es sah aus wie Feuer. Eine Stichflamme oder so. Irgendwo im Verbotenen Wald."
Dumbledore gluckste und sah interessiert hinaus. Doch das Licht war erloschen und es kam nicht wieder.
„Was war das?", wollte Zoe wissen und ließ sich, ohne den Blick abzuwenden, in den Sessel zurücksinken.
„Nun, ich maße nicht einmal mir selbst an, alle Geschöpfe zu kennen, die sich im Verbotenen Wald von Hogwarts tummeln", sagte Dumbledore und schien nicht sonderlich überrascht. „Er ist nicht umsonst für Schüler verboten."
Einen Moment lang glaubte Zoe einen Tadel zu hören, oder war das ihr schlechtes Gewissen, dass sie dies glauben lassen wollte? Ob ihr Großvater von ihrem Ausflug in Aragogs Senke im vergangenen Jahr wusste? Hatte Hagrid ihm vielleicht davon berichtet? Sie riskierte einen Blick in das Gesicht ihres Großvaters, doch dieser hatte sich bereits wieder seinen Zitronenbonbons gewidmet und wippte mit dem Fuß im Takt der Klarinettenmusik mit.
Die Uhr schlug zur vollen Stunde und es war an der Zeit, dass Zoe in ihren Gemeinschaftsraum zurückkehrte. Das tat die Slytherin nur widerwillig, denn der weiterhin angespannten Stimmung im Mädchenschlafsaal konnte sie dann nicht mehr aus dem Weg gehen.
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