Der Anfang
Als Zoe am nächsten Tag erwachte, war sie alleine mit Harry im Krankenzimmer. Ein Tablett mit dem Frühstück stand auf ihrer beider Nachttische und es schien, als habe auch der Gryffindor es noch nicht angerührt. Eine ganze Weile lang, sprachen sie nicht miteinander, abgesehen von dem morgendlichen Gruß, den sie ausgetauscht hatten.
Es kostete die Slytherin einiges an Kraft sich aufzurichten, doch schließlich gelang es ihr. Jede Bewegung wurde von einem heftigen Kopfstechen begleitet und sie kniff immer wieder die Augen wegen des Schmerzes zu. Als sie endlich saß, fixierte sie die Kanne auf dem Tablett und sah zu Harry hinüber.
„Möchtest du auch einen Tee?", fragte sie ihren Bettnachbarn freundlich.
Harry schütte den Kopf und er antwortete: „Ich bin nicht durstig."
Wieder legte sich bedrückende Stille über sie, während sich Zoe ihren Tee einschenkte und darin umrührte. Sie trank einen Schluck und genoss die Wärme, die ihren kratzenden Hals hinab rann.
„Wo sind die anderen?", wollte Zoe nach einer Weile wissen.
„Die sind schon vor Ewigkeiten gegangen. Auch Moody wurde bereits entlassen", berichtete Harry. „Er war zwar etwas wackelig auf den Beinen, doch er erholt sich wieder ... Du hast lange geschlafen."
Ein Blick auf die Uhr verriet Zoe, dass es schon Vormittag war. Abermals verfielen sie in Schweigen.
„Wie geht's dir?", fragte die Slytherin nach einiger Zeit.
Harry dachte nach. Dann zuckte er mit den Schultern, bevor er antwortete: „Ich weiß es nicht ..." Eine ganze Weile betrachtete er stumm seine Füße. „Alles fühlt sich irgendwie ... so weit weg an. Ich weiß noch, was passiert ist, aber ich hab das Gefühl, als erinnere ich mich nicht mehr an alles ... Als lägen Jahre dazwischen ..."
Zoe nickte verstehend. Sie wusste genau, wie Harry sich fühlte. Sie selbst hatte diese Ohnmacht vor ein paar Jahren erfahren, als ihre Eltern gestorben waren.
„Und ich ... ich hab Angst ..."
„Vor Du-weißt-schon-wem?", hakte Zoe nach.
Harry sah einen Moment perplex drein, doch dann nickte er nachdenklich.
„Ich meinte eigentlich vor den Diggorys ..."
Zoes Bauch zog sich zusammen und der Tee in ihrem leeren Magen gluckerte leise.
„Dein Großvater war heute Vormittag hier und ..." Er machte eine kurze Pause. „Er sagte, sie ... sie wollen mit mir reden ..."
Verzweifelt sah er Zoe an, die seinen Blick nur traurig erwiderte.
„Was soll ich ihnen nur sagen?", fragte er mit erstickter Stimme.
„Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen", sagte Zoe sogleich.
„Er ist wegen mir gestorben!"
„Nein", widersprach sie sofort, „er ist wegen Du-weißt-schon-wem gestorben!"
„Nur ... nur, weil ich wollte, dass wir den Pokal gemeinsam nehmen!"
„Das konntest du nicht wissen!"
„Aber-"
„Da gibt es kein aber!"
„Doch, das gibt es!", sprach Harry lauter als gewollt und Zoe verstummte sofort. „Sie sind seine Eltern ... Sicher werden sie mir die Schuld geben – er war ihr Sohn ... ihr einziger Sohn ..."
Er begann die Tränen, die er nicht verhindern konnte aus dem Gesicht zu wischen. Es tat Zoe weh, ihren Freund so unglaublich traurig zu sehen und so musste auch sie sich nach einigen Sekunden Tränen aus den Augen tupfen. Sie schniefte und als Harry sich etwas gefangen hatte, da sagte sie leise: „Ich gebe dir ja auch keine Schuld ..." Der Gryffindor schnaubte und Zoe fügte hinzu: „Weißt du ... ich hatte ihn im Dezember gefragt ... ob ... ob er mit mir zum Ball gehen möchte ... aber da war er schon mit Cho verabredet ..."
Harry sah mit verzweifelter Miene zu ihr herüber und dann begriff er, was Zoe ihm hatte sagen wollen.
„Das tut mir leid ...", sagte er ehrlich.
Die Slytherin schniefte abermals und nickte.
„Ich weiß", meinte sie heiser, „und ich weiß auch, dass du keine Schuld daran trägst ..."
Zweifelnd sah der Gryffindor auf seine Hände.
„Hoffentlich sehen seine Eltern das auch so ...", sagte er niedergeschlagen.
Er setzte sich auf den Bettrand und griff nach seiner Teekanne. Er bot seiner Freundin etwas davon an und sie stimmte stumm lächelnd zu. Seine baren Füße patschten bei jedem Schritt über den kalten Boden, als er zu ihr herüberkam, die Tasse auffüllte und wieder zurück zu seinem Bett schlurfte. Schweigend tranken sie ihren Tee, in stiller Dankbarkeit, nicht alleine zu sein.
„Wo glaubst du", fragte Harry, als er seine Tasse geleert hatte, „hat dein Großvater Snape gestern Abend hingeschickt."
„Professor Snape", korrigierte Zoe schmunzelnd und entlockte ihrem Gegenüber damit tatsächlich ein Lächeln. „Ich weiß es nicht, obwohl ich lange darüber nachgedacht habe ..."
„Ich trau ihm nicht – erst Recht nicht, nach allem, was wir über seine Vergangenheit herausgefunden haben!"
„Ich schon", sagte Zoe ausdrücklich jedoch sachlich.
Harry zwang sich zu einem schiefen Lächeln und sah seine Freundin erneut an.
„Warum nur?!"
Einen Moment lang schwieg die Slytherin, während sie versuchte das in Worte zu fassen, was sie fühlte. Doch wie konnte man Gefühle beschreiben. Severus Snape war seit je her eine feste Konstante in ihrem Leben gewesen. Manches Mal vielleicht streng, autoritär – ja – jedoch immer fair und mit klaren Regeln.
„Ich weiß es einfach", sagte Zoe seufzend und zuckte mit den Schultern. „Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang, Harry. Und du?"
Der Gryffindor sah sie grübelnd an. Schließlich gab er schalkhaft zurück: „Mir reichen vier Jahre absolut!"
Die beiden Freunde lachten gemeinsam und es war unglaublich befreiend.
„Außerdem", fügte die Slytherin hinzu, „hast du selbst erzählt, dass du in der Erinnerung gesehen hast, dass Großvater sich für ihn verbürgt hat. Er wird schon wissen, warum."
„Auch dein Großvater kann sich täuschen", hielt Harry dagegen.
„Das halte ich für unwahrscheinlich", gab Zoe schmunzelnd zurück.
„Denk an Quirrell oder Moody ..."
Das Lächeln auf dem Gesicht der Slytherin verschwand und sie wurde plötzlich ernst. Nachdem sie endlich, nach wochenlanger Grübelei alle Zweifel hatte über Bord werfen können, kam Harry nun einfach daher und bohrte ein Loch in den Bug.
Entschlossen schüttelte sie den Kopf, doch Harrys Einwand sollten an ihr haften bleiben.
Irgendwann am Abend kam ihr Großvater zu ihnen und blieb einige Stunden, damit sie mit ihm über das Erlebte sprechen konnten. Doch keiner der beiden Teenager wagte es, ihren Zaubertranklehrer auch nur in einem Nebensatz zu erwähnen.
Mit jedem weiteren Wort, das verstrich, fühlte sich Zoe besser und sie sah, dass es auch Harry so erging. Ihr war bewusst, dass der Tod von Cedric, die Rückkehr von Voldemort und die dunklen Geheimnisse ihrer Lieben sie noch lange beschäftigen würden, aber der erste Schritt war gegangen – in Begleitung gegangen.
Nach ihrem gemeinsamen Abendessen im Krankenflügel entließ der Schulleiter Zoe, damit diese zu den Slytherins zurückkehren konnte. Harry hingegen stand noch das Treffen mit Cedrics Eltern bevor. Sie wünschte ihrem Freund alles Gute, herzte ihren Großvater und machte sich dann, mit schweren Schritten auf den Weg in die Kerker.
Als sie schließlich den Gemeinschaftsraum betrat, empfingen Daphne und Tracey sie mit einer überraschenden Herzlichkeit und Zoe war unglaublich dankbar darum. Dennoch musste sie nur wenige Augenblicke später feststellen, dass zukünftig nichts mehr sein würde, wie es war. Als Zoes Blick auf Draco fiel, der sie misstrauischem beäugte, da sah sie ihn auf einmal aus ganz anderen Augen. Ebenso bei Crabbe, Vincent und selbst bei Theodore mischten sich Skepsis in ihre Gefühle. Zu ihrer Erleichterung war es bereits spät am Abend und so war es nicht sonderbar, dass sie sich zusammen mit ihren Freundinnen in den Schlafraum zurückzogen. Trotz der Ansprache, die ihr Großvater, nach Harrys Schilderung, am Morgen gehalten hatte, versuchten die beiden mehr von dem Geschehen am Turnierabend herauszufinden. Doch Zoe hatte sich darauf vorbereitet und bat ihre Freundinnen um Umsicht und versprach, dass sie zu gebender Zeit noch offiziell über die Umstände unterrichtet werden würden. Darüber waren die beiden Mädchen zwar nicht erfreut, doch sie respektierten Zoes Wunsch.
Zoe war wenig überrascht, dass auch ihr Albtraum zurückkehrte. Unzählige Male ging sie hinunter zu ihrem Elternhaus, öffnete die Küchentür und traf dort – statt ihrer Eltern Cedric an. Beim ersten Mal war sie erschrocken gewesen, doch allmählich wurde ihr bewusst, dass auch diese Träume erst wieder verschwinden würden, wenn ihr Unterbewusstsein mit der Verarbeitung ihrer Verluste fertig war. Es gab keine andere Möglichkeit, sie loszuwerden. Doch immerhin waren sie mittlerweile fast so etwas wie eine Gewohnheit und damit sehr viel weniger furchteinflößend. Auch das wiederkehrende Ziepen des Dunkle Mals auf ihrem Unterarm war alltäglich geworden und allmählich lernte Zoe, es zu ignorieren.
Da die Prüfungen hinter ihnen lagen, war der Rest des Unterrichts lockerer als sonst. Die Lehrer ließen ihren Schülern Freiraum oder nutzten die verbleibenden Stunden, um offene Fragen zu klären oder Schülerwünsche zu bearbeiten. Da sie in Verteidigung gegen die dunklen Künste derzeit keine Lehrkraft mehr hatten, weil der echte Professor Moody sich noch immer auskurierte, hatten sie frei. Am Donnerstag nutzten Ron, Harry und Hermine diese Zeit, um Hagrid zu besuchen.
Als Zoe sich nach dem Unterricht mit Hermine traf, um zu plaudern, berichtete sie ihrer Freundin alles darüber.
„Ich soll dich von ihm grüßen", sagte Hermine munter. „Als wir ankamen, da standen noch zwei riesige Tassen auf dem Tisch, weil Madame Maxime bei ihm war."
„Dann haben sie sich vertragen?", fragte Zoe interessiert.
Hermine zuckte mit den Schultern und fügte kichernd hinzu: „Könnte sein. Zumindest nennt er sie nun beim Vornamen."
Sie setzten sich auf einen Findling. Die Sommersonne brannte heiß auf sie herunter und gemeinsam sahen hinunter zu Hagrids Hütte.
„Er sagte, dein Großvater hätte einen Auftrag für ihn, der ihm im Sommer beschäftigen würde", erzählte Hermine weiter. „Scheint etwas mit Du-weißt-schon-wem zu tun zu haben, aber er wollte nicht darüber reden. Hast du ne Ahnung?"
„So auf die Schnelle? Nein, keine Idee. Vielleicht erfahre ich in den Ferien etwas", sprach Zoe. „Wird er lange weg sein?"
„So wie ich ihn verstanden habe, den Sommer über."
Zoe seufzte deprimiert. Wenn Hagrid auf Reisen war, dann würden auch ihre Besuche bei dem Wildhüter in den Ferien wegfallen.
„Ist dir nicht furchtbar warm, mit den langen Armen?", fragte Hermine und sah Zoe an.
Der Blick der Slytherin fiel auf ihren linken Unterarm, dann hob sie den Kopf wieder.
„Nein", log sie schlicht. „Wie geht's jetzt mit dir und Viktor weiter?"
Nun seufzte Hermine.
„Er hat mich mehrfach darum gebeten, ihn in den Ferien in seiner Heimat zu besuchen."
„Was spricht dagegen?", wollte Zoe wissen.
„Ich will ihm keine falsche Hoffnungen machen", versuchte die Gryffindor zu erklären. „Ich meine, ich mag Viktor! Er ist nett und freundlich und alles ..."
„Aber?"
„Naja ... irgendwie nicht mein Typ", sagte Hermine und machte mit ihren Lippen komische Verrenkungen. „Wie bei dir und Theo!"
Zoe grinste ertappt.
„Ich werde ihm auf jedenfalls schreiben", plapperte Hermine weiter, „damit wir in Kontakt bleiben. Es wäre schade, wenn nichts Gutes vom Turnier hängen bliebe, oder?"
Die Slytherin nickte nur und Hermine beobachtete sie ein bisschen, bevor sie behutsam fragte: „Und wie verkraftest du das mit Cedric?"
Zoe wurde das Herz ganz schwer.
„Ich versuche nicht daran zu denken", gab sie zu. „Es ist jetzt irgendwie noch so irreal."
„Du solltest zu seiner Beerdigung gehen!"
Die Slytherin schüttelte den Kopf.
„Das gehört zur Trauerarbeit, Zoe!"
„Mir egal!", antwortete diese trotzig.
Allein bei dem Gedanken an all die traurigen und deprimierten Menschen wurde ihr flau im Magen. Sie hatte die Beerdigung ihrer Zieheltern erlebt, als man sie – noch immer in Schockstarre – an das Grab ihrer Eltern begleitet hatte. Zoe konnte sich nicht an viel aus dieser Zeit erinnern. Nur an die endlos trauernden Gesichter. An das schmerzvolle Klagen und all die nichts bringenden Beileidsbekundungen. Damals schon, hatte sie gehofft, nie wieder einer Beerdigung beiwohnen zu müssen, doch freiwillig würden sie dort keine zehn Thestrale hinbringen.
Hermine drang nicht weiter in sie ein. Stattdessen begann sie in ihrer Umhängetasche zu wühlen und zog ein kleines Glas hervor und hielt es Zoe vor die Nase.
„Das ist der eigentliche Grund, warum ich so abseits mir dir reden wollte."
Perplex nahm die Slytherin das Glas an sich und hob es auf Augenhöhe. Zwischen Blättern und Zweigen saß ein fetter Käfer und die Musterung der Fühler erinnerten Zoe sofort an die grässliche Brille, welche Rita Kimmkorn immer trug.
Fassungslos sah sie zu der Gryffindor auf und fragte: „Ist das-"
„Jap", unterbrach sie ihre Freundin mit vor Stolz geschwellter Brust.
„Unglaublich, Hermine!", flüsterte Zoe ehrfürchtig. „Wie hast du sie erwischt?"
„Im Krankenflügel, vor ein paar Tagen", berichtete die Gryffindor. „An dem Abend des Turniers, da ist sie durch ein offenes Fenster hereingeflogen und hat uns mal ganz dreist vom Fenstersims aus belauscht."
„Damit hast du ihr sicher eine mega Story versaut", meinte Zoe hämisch und schüttelte das Glas leicht, bis der Käfer auf den Rücken plumpste und mit den kleinen Beinchen strampelte. „Na, schmecken die Blätter?"
Hermine lachte.
„Weißt du noch, als wir Draco unter dem Baum sahen und wir uns gewundert haben, warum er seine Hand so komisch hält?"
Zoe nickte.
„Da saß dieser Kimmkorn-Käfer auf seiner Hand!", rief sie erbost auf. „Und nach der zweiten Aufgabe, als ich das Gespräch mit Viktor hatte, von dem sie geschrieben hat. Da hat er mir doch einen Käfer aus den Haaren gezogen."
„Bist du sicher, dass sie nicht da 'raus kann?", fragte Zoe und schüttelte das Glas noch ein bisschen fester, bis Rita Kimmkorn wütend am Glasboden rund lief.
„Ganz sicher. Deswegen hab ich vor den Prüfungen noch schnell den Unzerbrechlichkeitszauber nachgeschlagen."
„Du bist genial!", lobte Zoe und gab Hermine das Glas zurück.
Geschmeichelt verstaute sie es wieder in ihrer kleinen Tasche und Zoe fragte: „Was willst du nun mit ihr tun?"
„Ich hab ihr gesagt, dass ich sie noch ein bisschen behalten werde, so als Mahnung", plauderte die Gryffindor. „Und da sie nicht registriert ist, habe ich ihr damit gedroht sie auffliegen zu lassen, wenn sie in der nächsten Zeit neue Artikel verfasst."
„Sehr gut ... Das wird ihr hoffentlich eine Lehre sein."
„Das hoffe ich auch", sagte Hermine grinsend.
Sie genossen ein wenig die Sonne und lauschten den Stimmen der Schüler, die sich auf dem Hogwartsgelände verteilt hatten, um den Sommertag ebenfalls zu genießen.
„Was wirst du in den Ferien machen?", fragte Zoe nach einer Weile.
„Meine Eltern wollen wieder in ihr Feriendomizil in Südfrankreich", erzählte Hermine. „Ich weiß noch nicht, ob ich mit ihnen fahre. Ich würde lieber in der Nähe bleiben. Du könntest mich besuchen, wir hätten das ganze Haus für uns alleine."
Zoe sah ihre muggelstämmige Freundin besorgt an.
„Das würde ich gerne ... aber ich weiß nicht, ob ich mich angesichts der Umstände aus der Obhut meines Großvaters traue ..."
„Du hast Angst vor ihm?"
„Ja", antwortete Zoe unverhohlen, dachte an die Gestalt ihres Irrwichts und schauderte, „du etwa nicht?"
„Doch, schon", gab Hermine zu, „alleine schon, wegen meiner Herkunft ... Aber noch bin ich für die ein zu kleines Licht, denke ich ... Was bei dir natürlich nicht der Fall ist ..."
Eine Weile schwiegen sie und Zoe sah, wie Hagrid den Hügel herauf kam, um dem Abendessen beizuwohnen.
„Naja", meinte Hermine munter und erhob sich, „wir werden sehen. Wir können ja einander schreiben. Aber jetzt sollten wir erst mal zum Essen gehen."
Zoe ergriff Hermines Hand und sie zog sie hoch. Dann gingen sie gemeinsam zurück zum Schloss, wo schon bald das Abschiedsessen stattfinden würde. Nachdem sie die Große Halle betraten, fiel ihnen sofort auf, dass es dieses Jahr anders war. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, war die Halle nicht in den Farben des Hauses geschmückt worden, die den Hauspokal gewonnen hatte, sondern – zu Gedenken an Cedrics – in schlichtem Schwarz.
Zögernd folgte Zoe ihrer Freundin an den Gryffindor-Tisch, wo sie Plätze gegenüber von Ron und Harry fanden. Sie sah hinauf zum Lehrertisch, wo zwar Madame Maxime saß, der Stuhl von Igor Karkaroff hingegen frei geblieben war und Zoe fragte sich augenblicklich, wie lange der ehemalige Schulleiter es schaffen würde, sich vor Voldemort und dessen Schergen zu verbergen. Auch der echte Moody war anwesend. Er sah bereits gepflegter aus, wie in der Nacht, als Zoe ihn im Krankenflügel gesehen hatte, doch war er noch immer stark abgemagert und allen Anschein nach sehr schreckhaft. Bei jeder unberechenbaren Bewegung in seinem näheren Umfeld zuckte er zusammen. Schließlich zog er nervös einen Gegenstand unter dem Umhang hervor und Zoe erkannte verblüfft, dass es der Flachmann war, den auch der unechte Moody all die Monate verwendet hatte. Die übrigen Lehrer machten, der Stimmung entsprechen, ernste Gesichter und nachdem alle Schüler eingetroffen und die Tür der Großen Halle geschlossen waren, erhob sich der Schulleiter und es wurde still im Saal.
„Wieder einmal", sprach er und sah über die Schar der Schüler hinweg, „wieder einmal geht ein Jahr zu Ende." Dann blieb sein Blick am Tisch der Hufflepuffs hängen. „Es gibt viel, was ich euch heute Abend sagen möchte, doch will ich zuerst daran erinnern, dass wir einen großartigen Menschen verloren haben, der hier unter uns sitzen und das Essen mit uns genießen sollte." Er deutete zu den Hufflepuffs hinüber. „Ich möchte euch bitten, aufzustehen und die Gläser zu Ehren Cedric Diggorys zu erheben."
Augenblicklich kratzen in der ganzen Halle Stuhlbeine über den Boden und auch Zoe erhob sich und griff ihren Becher Kürbissaft. Dann stimmte sie in den ‚Cedric Diggory'-Chor ein und versuchte das penetrante Brennen in ihren Augen zu ignorieren.
„Cedric war ein Mensch, der viele der Tugenden, welche das Haus Hufflepuff auszeichnen, in sich vereinte", fuhr Dumbledore fort. „Er war ein guter und treuer Freund, ein fleißiger Schüler, ein Mensch, der das Fairplay schätzte. Sein Tod hat euch alle berührt, ob ihr ihn gut kanntet oder nicht.
Deshalb glaube ich, dass ihr das Recht habt, genau zu erfahren, wie es dazu kam."
Überrascht zuckten einige Köpfe zu dem Schulleiter am Lehrertisch. Zoe jedoch, starrte beharrlich in ihren Kürbissaft.
„Cedric Diggory wurde von Lord Voldemort ermordet."
Ein Raunen ging durch die Reihen gefolgt von ungläubigem Geflüster. Der Schulleiter ließ ihnen einige Sekunden, um das Entsetzen miteinander zu teilen und sprach erst weiter, als sich wieder Stille über sie legte.
„Das Zaubereiministerium wünscht nicht", erklärte Dumbledore, „dass ich euch dies sage. Vielleicht werden manche eurer Eltern entsetzt darüber sein – entweder weil sie nicht glauben wollen, dass Lord Voldemort zurückgekehrt ist, oder weil sie meinen, ich sollte es euch nicht sagen, weil ihr noch zu jung seid. Es ist jedoch meine Überzeugung, dass die Wahrheit immer der Lüge vorzuziehen ist und dass jeder Versuch, so zu tun, als wäre Cedric durch einen Unfall gestorben oder durch einen eigenen Fehler, eine Beleidigung seines Andenkens ist.
Und noch jemand muss im Zusammenhang mit Cedrics Tod erwähnt werden", sagte Dumbledore. „Ich spreche natürlich von Harry Potter."
Abermals ging Getuschel durch die Schülerschaft, doch dieses Mal drehten sich alle Köpfe zu Harry um.
„Harry Potter ist es gelungen, Lord Voldemort zu entkommen", sagte Dumbledore. „Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um den toten Cedric nach Hogwarts zurückzubringen. Er hat Tapferkeit in jeder Hinsicht bewiesen, wie sie bislang nur wenige Zauberer im Angesicht von Lord Voldemort gezeigt haben, und dafür ehre ich ihn."
Rund um Zoe wurden die Kelche erneut erhoben und sie stimmte etwas verzögert darin ein und trank lustlos einen Schluck Kürbissaft. Dann nahmen sie auf ein Zeichen des Schulleiters hin wieder Platz. Doch dessen Rede war noch nicht vorbei. Als Ruhe eingekehrt war, ergriff er erneut das Wort: „Ziel des Trimagischen Turniers war es, das gegenseitige Verständnis unter den Magiern verschiedener Länder zu fördern. Im Lichte dessen, was geschehen ist – der Rückkehr Lord Voldemorts, sind partnerschaftliche Bande wichtiger denn je.
Jeder Gast in der Halle, sollte er oder sie uns wieder einmal besuchen wollen, ist hier jederzeit willkommen. Ich sage es euch noch einmal – angesichts der Rückkehr Lord Voldemorts sind wir so stark, wie wir einig, und so schwach, wie wir gespalten sind.
Lord Voldemort besitzt ein großes Talent, Zwietracht und Feindseligkeit zu verbreiten. Dem können wir nur entgegentreten, wenn wir ein nicht minder starkes Band der Freundschaft und des Vertrauens knüpfen. Unterschiede in Lebensweise und Sprache werden uns nicht im Geringsten stören, wenn unsere Ziele die gleichen sind und wir den anderen mit offenen Herzen begegnen.
Es ist meine Überzeugung – und noch nie habe ich so sehr gehofft, mich zu irren, dass auf uns alle dunkle und schwere Zeiten zukommen. Manche von euch hier haben bereits spürbar unter der Hand Lord Voldemorts gelitten. Viele eurer Familien wurden entzweigerissen. Vor einer Woche wurde ein Schüler aus unserer Mitte genommen.
Denkt an Cedric. Erinnert euch an ihn, wenn einmal die Zeit kommt, da ihr euch entscheiden müsst zwischen dem, was richtig ist, und dem, was bequem ist. Denkt daran, was einem Jungen, der gut und freundlich und mutig war, geschah, nur weil er Lord Voldemort in die Quere kam. Erinnert euch an Cedric Diggory."
Es war beinahe wie eine Erlösung als Zoe endlich im Mädchenschlafsaal ihres Hauses ankam, in der sie ihre letzte Nacht als Viertklässlerin verbrachte. Doch dieses Gefühl sollte nur kurz währen. Als sie eintrat, hörte das rege Geschnatter der Mädchen auf und einmal mehr, kam sich Zoe wie eine Aussätzige vor.
Die Tatsache ignorierend, steuerte sie ihr Himmelbett an, doch noch bevor sie es erreicht hatte, schnarrte ihr Millicents nervige Stimme hinterher.
„Glaubst du das alles denn?"
Überrascht blieb Zoe stehen und drehte sich um.
„Was genau?", wollte sie stirnrunzelnd wissen.
„Den Quatsch, den dein Großvater über Du-weiß-schon-wen erzählt hat", gab Millicent zurück.
Einen Moment war Zoe zu perplex, um zu antworten, doch im nächsten Moment, als sie sich daran erinnerte, dass Millicent Bulstrode nicht das hellste Feuer im Kamin war, antwortete sie.
„Ja. Was glaubst du denn, warum Cedric gestorben ist?"
„Wegen dem Turnier", gab Millicent zurück.
„Oder wegen Potter!", giftete Pansy plötzlich.
Ungläubig sah Zoe zwischen den beiden Mädchen hinterher. Dann fiel ihr auf, dass auch Tracey und Daphne interessiert zuhörten.
„Du glaubst, Harry hat Cedric getötet?", wiederholte sie geschockt.
„Immerhin waren Sie Rivalen und bei Moody haben wir schließlich alles Nötige zu den Unverzeihlichen Flüchen gelernt."
Zoe konnte einfach nicht glauben, dass so viel Dummheit sich in einer einzigen Person vereinen ließ. Doch sie hatte auch sofort, das Bild ihres verängstigten abgemagerten Professors vor Augen.
„Und warum glaubst du, hat sich Professor Moody über Nacht so verändert?", fragte Zoe ihre Zimmergenossinnen.
Pansy und Millicent tauschten Blicke und schnitten Grimassen.
„Was hat Moody mit Potter zu tun?", entgegnete Pansy angriffslustig.
Zoe schnaubte. Machte auf den Absatz kehrt und steuerte ihr Bett an.
„Ja", erklang Traceys Stimme hinter ihr. „Was hat Moody mit Potter zu tun?"
Genervt wandte Zoe sich wieder um und hatte nun alle vier Mädchen im Blick, die sie fragend musterten.
„Er hatte einen Doppelgänger", erklärte Zoe. „Der ihn die Schulzeit über gefangen hielt. Er hat Moodys Gestalt mittels Vielsafttrank angenommen, Harry beim Turnier geholfen und den Trimagischen Pokal zu einem Portschlüssel gemacht!"
Stille folgte und Zoe war sofort klar, dass keiner von ihnen auch nur ein Wort von dem, was sie erzählte, geglaubt hatten.
„Vielsafttrank ist verboten", stellte Daphne nüchtern fest. „Wie hätte er daran kommen sollen?"
„Er hat ihn selbst gebraut!", entgegnete Zoe.
„Das dauert ne Ewigkeit", widersprach Millicent sofort. „Und man braucht sehr seltene Zutaten. Wie hätte er die bekommen sollen?"
„Die hat er aus Professor Snapes Vorräten gestohlen!", gab Zoe zurück, die allmählich die Geduld verlor.
Die Mädchen lachten einstimmig.
Wütend sprang Zoe auf ihr Bett und zog die Vorhänge zu, um sich vor ihren Blicken zu verbergen. Ihre Gespräche hielt der Stoff allerdings nicht zurück und so lag Zoe noch lange wach, während sie über die verletzenden Worte ihrer Zimmergenossinnen nachdachte.
Am Morgen jedoch, hatte die Slytherin zumindest ihren Freundinnen die kritische Fragerei verziehen. Da heute der Tag der Abreise war, begleitete sie Tracey, Daphne und Astoria hinauf in die Eingangshalle. Die Mädchen hatten, angesichts der vor ihnen liegenden Ferien, beste Laune. Zoe konnte dieses Gefühl nicht mit ihnen teilen und war nicht nur, wegen des vergangenen Streits wortkarg. Ferien bedeuteten für sie alleine in Hogwarts zu sein und darauf zu warten, dass sie endlich ihre Freunde wiedersehen konnte. Angesichts der derzeitigen Umstände würde ihr Großvater sicherlich kaum anwesend sein, was bedeutete, dass sie sich das riesige Schloss allein mit dem miesepetrigen Hausmeister teilte.
„Ich könnte euch besuchen!", schlug Tracey gut gelaunt ihrer besten Freundin vor.
Zoe sah, wie sich die Greengrass-Schwestern unauffällig Blicke zuwarfen und musste unweigerlich an das Gespräch mit Theo am Weihnachtsball denken.
„Ich glaube, dass wir oft unterwegs sein werden", wich Daphne aus, ohne ihre Freundin anzusehen. „Mum und Dad haben bereits unzählige Veranstaltungen geplant." Sie rollte mit den Augen, um den Schein zu wahren, dass es nicht in ihrem Sinne war, doch als sie Zoes verstehendem Blick begegnete, sah die Reinblütige zu Boden.
Tracey war enttäuscht, der wahre Grund dieser Absage, schien ihr jedoch verborgen zu bleiben. Nachdem sie in die überfüllte Eingangshalle traten verabschiedete sich Zoe von ihnen, um die Gryffindors zu suchen, als ihr eine einsame Gestalt, zwischen den bereits geleerten Stundengläsern, auffiel. Zoe gab sich innerlichen Ruck und ging zu ihm herüber.
„Na, Theo, freust du dich schon auf die Ferien?", fragte sie und versuchte munter zu klingen.
Der Slytherin sah sie mit hochgezogenen Brauen an, blieb stumm und beobachtete weiterhin mit verschränkten Armen das Gewusel in der Halle.
Zoe schürzte die Lippen und wartete ein paar Sekunden, bevor sie sagte: „Das deute ich dann mal als ‚Nein'."
Theodore schnaubte.
„Gut beobachtet", sagte er monoton.
Peinlich berührt blieb Zoe neben ihm stehen und suchte nach einem Thema, dass ihn aufmuntern könnte.
„Ich bin wirklich neidisch auf dich", sagte er plötzlich.
Mit fragendem Blick sah Zoe ihn an.
„Warum?"
„Weil du hier in Hogwarts bleiben kannst", antwortete er.
„Das ist ziemlich einsam", erklärte Zoe. „Manchmal ist es beinahe gruselig durch die verlassenen Korridore zu laufen."
Theodore schwieg.
„Freust du dich denn gar nicht, auf dein Zuhause?", wollte Zoe wissen.
Er betrachtete sie von oben bis unten, als zweifle er einen Augenblick daran, ob die Blonde diese Frage ernst genommen hatte.
„Da gibt es niemanden mehr, außer meinen Vater", erzählte er, als würde das alles erklären und stieß sich von der Wand ab. „Und ich fürchte, der wird jetzt ziemlich ungemütlich werden ..."
Zoe betrachtete ihren Freund misstrauisch, um zu prüfen, ob er seine Worte zufällig gewählt hatte.
„Dann glaubst du daran, dass Harry die Wahrheit sagt?", fragte sie leise.
Der Slytherin zuckte mit den Schultern und antwortete: „Spätestens nach den Ferien, werde ich's wissen ..."
„Hey! Nott!", erklang Dracos Stimme in einem Befehlston hinter ihnen. „Komm, wir fahren in einer Kutsche – und geb' dich nicht mit dieser Blutsverräterin ab!"
Zoe wandte sich um und erwiderte den bösartigen Blick aus den Augen des Malfoys.
„Du bist Abschaum für mich, Draco!", sprach sie und versuchte, so viel Verachtung wie möglich in diesen Satz zu legen.
Vincent und Gregory, die Draco flankierten, knackten bedrohlich mit den Fingerknöcheln. Draco lachte nur höhnisch und sagte zu Theo: „Komm schon!"
In dessen Gesicht spiegelte sich Widerwille, aber er verkniff sich jedoch einen Kommentar. Bevor Theodore ihnen folgte, wünschte er Zoe schöne Ferien und sein trauriges Lächeln hinterließ einen bitteren Beigeschmack.
Die Slytherin sah ihnen nach, bis sie in der Schülermenge verschwunden waren und machte sich auf die Suche nach ihren Gryffindor-Freunden. Doch es war Hermine, die sie zuerst entdeckte.
„Da bist du ja!", rief die Braunhaarige überschwänglich. „Sie stehen dort drüben!"
Zoe folgte Hermine zum Treppenabsatz, wo sich Harry, Ron und seine Geschwister getroffen hatte.
Wie zu erwarten machte auch Harry ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Aus einem Impuls heraus fiel die Slytherin ihren Freund einfach um den Hals.
„Es tut mir so leid, dass du nicht hierbleiben darfst!", flüsterte sie leise.
Zoe hatte vor ein paar Tagen, bei ihrem gemeinsamen Gespräch mit ihrem Großvater erneut darum gebeten, dass der Gryffindor die Ferien im Schloss verbringen durfte. Doch er hatte abermals abgelehnt und die Wichtigkeit betont, dass Harry zu seiner Familie zurückkehrte.
Eine Wichtigkeit, die keiner von ihnen nachvollziehen konnte.
Harry schloss die Arme um sie und sagte dankbar: „Du hast es versucht ..."
Ronald räusperte sich und Zoe sah gerade noch aus den Augenwinkeln, wie Hermine ihm tadelnd auf den Arm schlug und die Slytherin ließ ihren Freund im rechten Moment los.
Fleur Delacour war zu ihnen gestoßen, um sich von Harry zu verabschieden.
„Wir se'en uns wieder, 'offe isch", sprach sie und hielt ihm die Hand hin. „Isch 'offe, isch bekomme einen Job 'ier, damit isch mein Englisch aufbessern kann."
„Es ist doch schon sehr gut", hauchte Ron peinlich berührt dazwischen.
Fleur bedachte ihn mit einem Lächeln, gab ihnen nacheinander die Hand und Zoe entging nicht, wie finster Hermine die Französin musterte.
„Auf Wiedersehen, 'Arry", sprach sie abschließend. „Es war mir ein Vergnügen, disch kennen zu lernen!"
Sie sahen ihr nach, als sie in der Menge der Beauxbatons verschwand. In Rons Gesicht lag ein träumerischer Ausdruck und erst, als Fleur außer Sicht war, fragte er an Harry gewandt: „Wie kommen eigentlich die Durmstrangs zurück? Glaubst du, die können dieses Schiff ohne Karkaroff steuern?"
„Karkaroff hat nicht gesteuert", sagte eine ruppige Stimme.
Zoe wandte sich um und erkannte, dass nun Viktor Krum bei Hermine stand.
„Er lag die ganze Zeit in seine Kabine und hat uns die Arbeit mache lasse", erklärte er, dann fiel sein Blick auf Zoe. „Ich finde gut, was dein Großvater sagt! Guter Mann! Viel besser, als Karkaroff!"
Er hielt Zoe die Hand hin, um sich zu verabschieden und sie nahm sie lächelnd an. Sie hatte einen harten und rohen Händedruck erwartet und war über Viktors Sanftheit überrascht.
„Ich hoffe Durmstrang findet einen guten Ersatz", beteuerte Zoe.
Krum erwiderte ihr Lächeln, nickte und wandte sich Hermine zu: „Kann ich kurz mit dir sprecke?"
Zoe fing den geschmeichelten Blick ihrer Freundin auf, die zustimmte und anschließend mit Viktor in der Menge verschwand.
„Beeil dich aber!", rief Ron ihr eilig nach. „Die Kutschen sind bestimmt gleich da!"
Zoe musste über diesen offensichtlichen Vorwand schmunzeln, ernst Recht, als Ron Harry anwies, Ausschau zu halten, damit er Hermine besser im Auge hatte. Die beiden kamen jedoch kurz darauf zurück und Viktor verabschiedete sich noch von ihnen und gerade, als er sich zum Gehen umwandte, platzte Ron unvermittelt mit dem Wunsch heraus, den er schon ein gesamtes Schuljahr auf den Herzen trug.
„Kann ich ein Autogramm von dir haben?"
Amüsiert sah Zoe den Jungs dabei zu, wie sie hastig Pergament und Feder hervorkramten und Viktor mit einer unbeschreiblichen Genugtuung im Gesicht seinen Namen auf einen Fetzen Pergament kritzelte. Gerade rechtzeitig mit der Ankunft der Kutschen wurden sie fertig.
Ronald bedankte sich mit glühenden Ohren und Viktor Krum verschwand, um zu den Durmstrangs aufzuschließen.
Zoe blieb so lange bei ihren Freunden, bis nur noch wenige Schüler anwesend waren. Da fiel ihr Blick auf einen weiteren Gryffindor, dem sie noch ein Dank schuldete, doch er war kurz davor in eine der Kutschen einzusteigen.
„Hey, Neville!", rief Zoe und eilte zu ihm.
Der rundgesichtige Junge wandte sich überrascht zu der Slytherin um und auch ihm fiel Zoe ganz unverblümt um den Hals, denn es schien beinahe so, als hätten die vergangenen Tage und Ereignisse der Viertklässlerin die Vergänglichkeit und die rare Zeit auf Erden ins Bewusstsein gerufen. Neville blieb stocksteif in ihrer Umarmung und die Slytherin ließ ihn schließlich los.
„Du hast mir eine große Freude mit dem Buch zu Weihnachten gemacht. Danke, Neville!", sagte sie ernst.
Nun lachte der Gryffindor fröhlich und entgegnete: „Das freut mich sehr."
„Richte deiner Oma bitte ‚liebe Grüße' aus!"
„Mache ich", sagte Neville und stieg schließlich in die Kutsche ein. „Schöne Ferien, Zoe."
Die Slytherin winkte noch kurz und ging zu ihren Freunden zurück, um sich auch von ihnen ausgiebig zu verabschieden. Dann sah sie den Weasleys, Hermine und auch Harry dabei zu, wie sie einer nach dem andern in den Kutschen verschwanden.
Dennoch blieb Zoe noch so lange stehen, bis die Letzte von ihnen hinter den Toren mit den geflügelten Ebern verschwunden waren. Erst dann warf sie einen wehmütigen Blick auf die sonnenbeschienenen Ländereien von Hogwarts, wandte sich um und betrat erneut das Schloss.
Ihr Weg führte sie in die Kerker und je tiefer sie hinunter ging, desto einsamer schien sie sich zu fühlen. Das fröhliche Geplapper unbedarfter Schüler war verschwunden und das Getuschel der Porträts, das Quietschen von Rüstungen und das Rumpeln der Treppen, die gerade ihre Richtung änderten, hallten lauter denn je durch die Schule.
Als sie das Büro ihres Hauslehrers erreichte, sah sie schon von weitem, dass die Tür einen Spalt breit offenstand. Leise schlich Zoe heran und spähte neugierig durch die Lücke, von der die Slytherin direkt auf den Schreibtisch des Professors blicken konnte und was sie sah, ließ die fast Fünfzehnjährige erschrecken.
Severus Snape saß vornübergebeugt, dass Gesicht mit beiden Händen bedeckt und er wirkte auf den ersten Blick unglaublich müde und auf eine besorgniserregende Art und Weise verletzlich. Das Bisschen, was sie von seinem Antlitz erhaschen konnte war schmerzverzerrt und er hatte die Augen geschlossen, als ob er schliefe.
Der offenstehende Koffer, neben dem leeren Schreibtisch deutete darauf hin, dass auch er mit dem Packen fast fertig war. Doch noch lag etwas direkt unter seinem Gesicht auf dem Pult. Etwas, das für Zoe auf den ersten Blick wie ein abgewetztes Foto aussah, dessen Darstellung sie allerdings nicht erkennen konnte.
Als Snape tief durchatmete, ging die Slytherin eilig und darauf bedacht keine Geräusche zu machen hinter der Tür in Deckung. Dann klopfte sie unvermittelt an. Es vergingen einige Herzschläge, bis ihr Hauslehrer sie hereinbat und Zoe die Tür aufstieß.
Der Ausdruck auf Snapes Gesicht war wie ausgewechselt. Nichts Verletzliches oder gar Verzweifeltes lag mehr darin. Der Schreibtisch vor ihm war nun komplett leer.
„Miss Dumbledore?", sagte er tonlos und sah sie an.
„Ich – wollte mich verabschieden", erklärte Zoe wahrheitsgemäß, „und Ihnen schöne Ferien wünschen."
Er schenkte ihr sein äußerst seltenes, aber ehrliches Lächeln, erhob sich etwas schwerfällig und sprach: „Ihnen auch schöne Ferien, Zoe."
Dann wandte er sich dem Regal zu seiner Rechten zu, deutete nach und nach mit dem Zauberstab auf die verschiedensten Gegenstände und ließ sie damit in seinen offenen Koffer gleiten. Interessiert sah Zoe dabei zu, ohne den Drang zu verspüren, zu Gehen.
Snape ließ sie für ein paar Herzschläge lang unbeachtet, doch dann wandte er sich fragend zu ihr um.
„Sonst noch etwas?"
Zoes Blick war dem letzten Flakon, mit einer pinken Substanz gefolgt, die sich in einer ledernen Lasche des Koffers einsortiert hatte. Dann sah sie zu ihrem Tränkemeister auf.
„Ja", antwortete sie wahrheitsgemäß und mit ansteigendem Herzklopfen.
Nervös zappelte sie auf der Stelle, doch Zoe wusste, wenn sie jetzt nicht den Mumm hatte, dann würden sie diese Frage die ganzen Ferien über quälen. Sie befeuchtete die Lippen mit der Zunge und fasste all ihren Mut zusammen.
„Ahm ... Sie tragen das Dunkle Mal, Sir?"
Snape hörte unverzüglich mit dem Packen auf, um der Slytherin die volle Aufmerksamkeit zu widmen, was Zoes Aufregung nur umso mehr steigert.
„Das tue ich", gab er zu.
„Das ... haben nur Todesser", stellte sie fest.
Severus Snape zog die Brauen ein wenig nach oben und erwiderte schlicht: „Und wie sie sicher wissen, ist es nicht möglich, sich dieser Kennzeichnung zu entledigen."
Sie nickte nur.
Eine kleine Pause entstand, in der der Slytherin bewusst wurde, wie dämliche ihre Formulierung gewesen war.
„Noch etwas?", fragte Snape beinahe amüsiert.
Zoe nahm tief Luft.
„Warum?"
Snape ließ sich Zeit, bevor er antwortete. Langsam faltete er die Arme vor der Brust, ehe er wieder zu sprechen begann.
„Ich war jung. Den Kopf voll mit naiven Träume und Vorstellungen von Recht und Unrecht. Es war eine Zeit, in der der Dunkle Lord nicht mehr als ein Schatten war, aus Gerüchten und ruhmvollen Geschichten über seine Taten. Man wusste nichts von seinen wahren Plänen. Nur die wenigen, die er damals um sich scharten, kannten seine Absichten und seine fanatische Bewunderung der Blutlehren." Er machte eine kurze Pause, um zu überlegen, während Zoe gespannt wartete. „Damals hatte er noch keine Macht, er hatte keinen Namen, vor dem man sich fürchtete. Einige hielten ihn sogar für den potenziellen nächsten Zaubereiminister. Andere meinten, er sei nur ein talentierter, junger Narr.
Doch er verhieß auch unbegrenzte Möglichkeiten. Er versprach Einfluss und Ansehen. Die Offenbarung seiner Absichten, sein skrupelloses Vorgehen, das alles wurde erst zu einem viel späteren Zeitpunkt transparent. Für die meisten, war es nach dieser Erkenntnis zu spät und die Mehrheit fügte sich dann seinem Schicksal. Es ist schier unmöglich, beim Dunklen Lord auszusteigen."
„Aber ... Sie haben das geschafft?", fragte Zoe mit zittriger Stimme.
Snape sah sie ernst an. Sehr ernst und es war fast so, als würde er direkt in ihr Herz sehen.
„Zweifeln Sie etwa daran?", fragte er ruhig.
„Nein", gab die Slytherin ohne zu zögern zurück, „aber ... ich verstehe das nicht ..."
„Sie sind jung, Zoe", sprach Snape, als erkläre das alles für ihn. „Auch Sie werden irgendwann erfahren, dass man die Welt nicht in gute und schlechte Menschen aufteilen kann. Alles wäre so viel einfacher, wenn dies möglich wäre."
Er machte eine Pause und gab der fast Fünfzehnjährigen die Möglichkeit, über das Gesagte nachzudenken. Doch nach einer Weile fragte er: „Noch etwas?"
„Nein, Sir", antwortete Zoe wahrheitsgemäß.
Er nickte zufrieden und widmete sich wieder dem Packen.
Unaufgefordert ging Zoe hinüber zu dem Sessel vor dem Pult, ließ sich darauf nieder und starrte in die Flammen im Kamin. Alleine sein, würde sie in den nächsten Wochen noch zur Genüge.
Professor Snape ließ sie gewähren, und trotz der Tatsache, dass sie keine Unterhaltung führten, gab ihr die Nähe Sicherheit und Geborgenheit. Erst als die Schnallen der Ledertasche zuschnappten, wurde Zoe aus ihren Gedanken gerissen und sah auf.
„Es ist an der Zeit", sprach Snape sachte und sah auf die Uhr auf seinem Pult. „Ich werde gleich aufbrechen."
Die Slytherin nickte, erhob sich schwerfällig aus dem Sessel, auf dem sie sich zwischenzeitlich eingerollt hatte und streckte sich, um ihre Muskeln zu wecken.
„Okay", sagte sie träge und sah ihren Hauslehrer an.
Zoe unterdrückte den Impuls in sich einfach hinüber zu gehen und ihn zu umarmen. Die Zuneigung und die Dankbarkeit, die sie für diesen Menschen empfand in einer Geste Ausdruck zu verleihen, so wie sie es mit zehn Jahren jederzeit getan hatte.
Doch Zoe war nicht mehr zehn und die unschuldige Naivität von damals schien mit jedem weiteren Lebensjahr von ihr abzufallen und zudem trennte sie der Schreibtisch zwischen ihnen.
„Schöne Ferien!", wiederholte sie noch einmal in dem verzweifelten Versuch die Liebe, die sie verspürte auszudrücken.
„Ihnen auch schöne Ferien, Miss Dumbledore", antwortete Snape mit dem Anflug eines Lächelns.
Dann wandte Zoe sich um, zog die Tür hinter sich ins Schloss und ging mit bleiernen Schritten den dunklen Korridor entlang wohlwissend, dass nun erneut sehr lange und vor allem sehr einsame Tage auf sie warten würden.
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