ZWÖLF - FelsenClan

Noch ist Freitag, also bin ich diesmal nicht zu spät dran mit dem Kapitel. Haha :)

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ZWÖLF
Kaltpfote, FelsenClan

Es war dunkel geworden und ein kalter Wind war aufgekommen, der von den kahlen Zweigen der Hecke nur zum Teil abgehalten wurde. Kaltpfote kuschelte sich tiefer in ihr Moosnest und blickte auf die offene Graslandschaft hinaus, aus der hier und da Felsen ragten. Sie hatte freie Sicht auf das Territorium ihres Clans.

In der Ferne näherten sich fünf Gestalten. Vier von ihnen blieben im Bereich der Grenze stehen, eine kam weiter in Kaltpfotes Richtung gelaufen. Die zurückbleibende Vierergruppe rief ihm etwas hinterher und Kaltpfote spitzte die Ohren.

»Lass dich hier nie wieder blicken, Streunerabschaum«, meinte sie zu verstehen und: »Sag deiner Schwester, sie muss sich entscheiden!«

»Dein Clan weiß Bescheid«, miaute Tiger, als er bei Kaltpfote ankam. »Aber dein Anführer schien ganz und gar nicht begeistert, dass ich in eurem Lager aufgetaucht bin.«

Innerlich den Kopf schüttelnd erklärte Kaltpfote: »Das ist nicht deine Schuld. Es ist die Schuld der Clangesetze. Sie schreiben den Katzen vor, ihren eigenen Clan allen anderen vorzuziehen... Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen können werde. Danke jedenfalls, dass du Bescheid gesagt hast.«

Tiger nickte. »Es sind auch nicht alle so abweisend gewesen. Eine junge Kätzin zum Beispiel wollte unbedingt Geschichten darüber hören, wie es so ist als Streuner. Ich glaube, sie hieß Amselflug, kann das sein?«

»Amselfeder«, korrigierte Kaltpfote und suchte sich eine bequemere Position in ihrem Nest. »Ich vermisse das irgendwie. Das umherziehen als Streunerin. Wie damals, als wir all diese neuen Katzen kennengelernt haben und wir einander gegenseitig aus unseren Leben erzählt haben.«

»Du könntest dich uns anschließen«, schlug Tiger wie so oft während der letzten Sonnenaufgänge vor und setzte sich neben Kaltpfote ins Gras. Ein paar Herzschläge schwieg er, dann miaute er leise: »In einer Sache haben deine Clangefährten recht: Du wirst dich entscheiden müssen, für deinen Clan oder für uns. Irgendwann werden wir weiterziehen.«

»Ich weiß.« Kaltpfote legte ihren Kopf auf ihre gesündere Vorderpfote und starrte hinaus in die Nacht. Sie hatte versucht, es zu verdrängen, aber früher oder später würde sie sich entweder von ihrem Bruder oder vom FelsenClan trennen müssen. Ein kleiner Teil von ihr hatte gehofft, dass stattdessen Tiger sich entschied, zu bleiben. Doch anscheinend liebte er das Reisen dafür zu sehr und wenn Kaltpfote ehrlich war, dann konnte sie es ihm nicht übelnehmen.

Vor allem an die Abende, die sie gemeinsam mit Tiger ihrer Mutter und ab und an auch anderen Reisenden verbracht hatte, erinnerte sie sich gern zurück. All die Geschichten von fremden Katzen, die oft auch zu Freunden geworden waren, hatten sie stets fasziniert. Sie erzählten von fernen Orten und Heldentaten und den verschiedensten Erfahrungen, die eine Katze in ihrem Leben machen konnte. Manchmal fragte Kaltpfote sich, ob es eine Möglichkeit gab, all diese Geschichten festzuhalten, damit sie nicht in Vergessenheit gerieten. Eine Weile schwiegen die Geschwister. Kaltpfote genoss die Ruhe, während sie in die Sterne schaute und den Gedanken weiter spann. Auch wenn das wohl ein ziemlich mäusehirniger Einfall war, faszinierte sie die theoretische Möglichkeit, Geschichten irgendwie bewahren zu können.

Nachdem sie ein wenig hin und her spekuliert hatte, sprach sie ihre Idee dann doch laut aus.

Tiger schnurrte. Kaltpfote wollte sich schon empört verteidigen und ihm sagen, dass er sich nicht über sie lustig machen sollte, als er miaute: »Dann sollte ich dir wohl mal vom SandClan erzählen, der jenseits der Berge auf dem Festland lebt. Die Katzen dieses Clans haben es sich zur Aufgabe gemacht, Geschichten zu sammeln und als Wandbilder an den Wänden ihrer Höhle zu verewigen.«

***

»Kaltpfote!«, rief sie jemand.

Die Heilerschülerin versuchte, herauszufinden, woher die Stimme kam. Sie hörte sich auf eine seltsame Art und Weise gleichzeitig ganz nah und so fern an. Wie aus einer anderen Welt...

Es dauerte einen Augenblick, ehe sie begriff, die Augen aufschlug und gähnte. Das Licht der Sonne blendete sie und so konnte sie im ersten Moment nicht erkennen, wer die Gestalt war, die da vor ihrem Nest aufragte.

»Sonst schläfst du aber nicht so lange.« Die Stimme gehörte eindeutig Amselfeder.

Kaltpfote warf einen Blick auf den Stand der Sonne am Himmel und stellte fest, dass Amselfeder Recht hatte. Es wurde Zeit, dass sie aufstand. Sie hoffte, dass sie es nun endlich schaffen würde, zum Clan zurückzulaufen, wollte jedoch vorher noch einmal nach Kiebitz schauen. Vielleicht hätte sie am letzten Abend nicht noch so lange mit Tiger reden sollen, schließlich hatte sie heute einiges zu tun.

»Was machst du denn hier?«, fragte Kaltpfote Amselfeder, während sie sich aufrichtete und vorsichtig ihre verletzte Pfote belastete. Der Schmerz schien aushaltbar zu bleiben. Amselfeders Auftauchen überraschte Kaltpfote, besorgte sie aber weniger. Sie glaubte nicht, dass die Kriegerin es als schlimm ansah, dass sie eine Nacht bei den Streunern geblieben war.

»War neugierig.« Amselfeders fröhlicher, ausgelassener Tonfall bestätigte Kaltpfotes Annahme. »Wo sind deine Freunde? Kann ich sie treffen?«

»Klar, ich wollte sowieso gerade nach Kiebitz, einer der Streunerinnen, sehen, die schon seit einer ganzen Weile krank ist. Die anderen sind bestimmt auch da.« Kaltpfote zeigte auf einen kleinen Haufen Heilkräuter, die am letzten Tag übrig geblieben waren. »Könntest du mir helfen, die Kräuter zu tragen?«

»Natürlich!«, miaute Amselfeder, hüpfte zu dem Blätterhaufen hinüber, nahm sie ins Maul und ließ sich von Kaltpfote in das zerfallene Zweibeinernest hinein führen.

Tiger und Dové hatten letzte Nacht extra einige Steine beiseitegeschoben, die eine Lücke in der Mauer versperrt hatten, damit Kaltpfote nicht noch einmal klettern musste. Sie hatte protestiert und ihrem Bruder gesagt, er solle sich schlafen legen, statt sich wegen ihr solche Arbeit zu machen. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hätte sie die Klettertour heute nicht erneut geschafft, wenngleich ihre Pfote nur leicht schmerzte.

Im Inneren des zerfallenen Zweibeinernests angekommen trafen sie auf Kiebitz, die unruhig in ihrem Nest schlief. Der größte Teil ihres Moosnests lag zerfetzt um sie herum auf dem Boden verteilt. In der Nähe saßen Dové und Lume beisammen, die sich eine Maus teilten. Dové warf immer wieder besorgte Blicke zu ihrer kranken Freundin hinüber.

Tiger hingegen fehlte. Kaltpfote vermutete, dass er sich auf einem seiner Trainingsläufe befand, von denen er ihr erzählt hatte. Sie nahm Amselfeder die Kräuter ab und machte sich an die Arbeit, Kiebitz zu behandeln. Im Hintergrund hörte sie, wie Amselfeder Dové und Lume hörbar begeistert nach ihrem Leben als Streuner ausfragte.

***

Die Sonne war ein ganzes Stück weiter am Himmel hochgeklettert, als Kaltpfote an Amselfeder gestützt auf dem Weg zurück zum Lager war. Amselfeder hörte gar nicht mehr auf, davon zu reden, wie aufregend sie sich das Leben als Streunerin vorstellte. Doch auch die Frage, was die Streuner denn taten, wenn sie unterwegs krank wurden, schien ihr keine Ruhe zu lassen. Sie hatten schließlich gar keinen Heiler und würden zudem kaum mit ihren Freunden an einen neuen Ort ziehen können, wenn sie dafür zu schwach waren.

Die Strecke bis zum Lager erschien Kaltpfote endlos. Zwar war Amselfeder eine ganz angenehme Gesprächspartnerin, doch die Schmerzen in ihrer rechten Vorderpfote und in ihrer linken Schulter machten ihr mehr zu schaffen, als sie zugeben wollte. Auch an anderen Tagen brauchte sie länger für Wanderungen durch das Territorium als Katzen mit vier gesunden Beinen, aber heute war es noch schlimmer.

Schließlich hatten sie es jedoch fast geschafft. Das Lager war auf der Ebene des Felsplateaus schon von weitem zu sehen gewesen und nun trennten sie nur noch zwei Baumlängen davon. Gerade kam eine Patrouille außen um den Lagerwall herum gelaufen.

»Amselfeder!«, rief Tupfenpfote, die vor Sprenkelflamme und ihrem Mentor Schattenseele her gegangen war und nun zu Kaltpfote und ihrer Begleiterin hinüber stürmte. »Wir haben dich gesucht. Fuchssturm hat gesagt, du solltest mit uns auf Jagdpatrouille gehen, aber wir konnten dich nicht finden.« Sie kam rutschend vor Kaltpfote zum Stehen. »Warst du mit Kaltpfote unterwegs? Willst du jetzt doch auf die Jagd mitkommen?«

»Ja, warum nicht?« Amselfeder nickte. »Ich war Kaltpfote abholen und habe die Streuner kennengelernt! Ich kann dir auf dem Weg von ihnen erzählen.« Sie wandte sich an Kaltpfote. »Schaffst du das letzte Stück allein?«

»Klar«, miaute Kaltpfote und humpelte zum Beweis ein paar Schritte weiter. Sie wollte Amselfeder nicht davon abhalten, für ihren Clan jagen zu gehen.

»Dann bis später!«, verabschiedete sich Amselfeder.

Während die Kriegerin und Tupfenpfote sich entfernten, blieb Kaltpfote noch einen Moment stehen, um zu verschnaufen. Sie hörte, wie Amselfeder der Schülerin begeistert von ihrer Begegnung mit den Streunern erzählte. Als sie jedoch dem Rest der Patrouille ankamen, war aus Sprenkelflammes Reaktion deutlich herauszuhören, dass sie Amselfeders Neugierde alles andere als gut fand. Kaltpfote wusste, dass Sprenkelflamme die Streuner gern vertreiben würde, obwohl sie nur in der Nähe der Grenze wohnten und diese nicht überschritten. Im Stillen verfluchte Kaltpfote den Umstand, dass sie nicht schnell genug sein würde, um hinter der Patrouille her zu laufen und so nicht eingreifen konnte, wenn es zu Streit kam. Außerdem hatte sie keine Zeit. Zwar war der Clan im Gegensatz zu den Streunern nicht ohne Heilerkatze, dennoch fühlte sie sich schuldig, dass sie so lange weg gewesen war, während Gewitterjunges und Grauwolke krank im Heilerbau lagen.

***

Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt am Himmel überschritten, als Grauwolke ihren letzten Atemzug tat. Kaltpfote hatte die gesamte Zeit seit ihrer Rückkehr ins Lager damit verbracht, ihr stärkende Kräutermischungen zusammenzustellen, Wasser und Beute ans Nest zu bringen und zu versuchen, ihre Körpertemperatur mit feuchtem Moos zu regulieren. Sie war noch nicht einmal dazu gekommen, Falkenstern ihre lange Abwesenheit zu erklären.

Es erschreckte Kaltpfote zu sehen, wie schnell die Krankheit Grauwolke all ihre Kraft geraubt hatte, jedoch sie hatte sich bemüht, ihre Angst nicht zu zeigen, um ihre Patienten nicht zu beunruhigen. Besonders Gewitterjunges nicht. Der junge Kater hatte zwar die meiste Zeit geschlafen, doch wenn er einmal wach geworden war, hatte Kaltpfote stets versucht, ihn abzulenken. Sie war froh gewesen, als Adlerherz um Sonnenhoch ins Lager zurückgekehrt war. Nicht nur, weil der Krieger wohlbehalten zurück war, nachdem er verschwunden gewesen war. Nein, es hatte ihr auch ihre Arbeit erleichtert, dass er sich erneut um Gewitterjunges gekümmert und ihm Geschichten erzählt hatte.

Trotz allem hatte es nicht gereicht. Schwalbenfeder und sie hatten Grauwolke nicht retten können. Ein letztes Mal tastete Kaltpfote nach dem Herzschlag der Kriegerin, hielt ihre linke Pfote vor ihre Schnauze und hoffte, dass sie doch noch sie ein Lebenszeichen bemerken würde. Sie spürte nichts.

Erschöpft setzte Kaltpfote sich neben Grauwolke und betrachtete sie schweigend. Sie dachte an ihr Gespräch mit der Kriegerin am vorangegangenen Tag, als sie sie zurechtgewiesen hatte. War sie möglicherweise zu grob gewesen? Hatte Grauwolke möglicherweise schon gespürt, wie nah ihr Ende war? War ihr Herziehen über andere Katzen eine seltsame Art gewesen, damit umzugehen? Die Zeit seit Kaltpfotes Rückkehr von den Streunern war so hektisch gewesen, dass sie überhaupt keine Möglichkeit gehabt hatte, weiter darüber nachzudenken, geschweige denn, sich zu entschuldigen. Nun war es zu spät.

Vorsichtig beugte sie sich vor und begann, Grauwolkes Pelz zu säubern. Teils wollte sie, dass die alte Kriegerin nicht völlig zerzaust aussah, wenn man sie zur Totenwache aus dem Bau hinaus tragen würde, teils musste sie einfach etwas zu tun haben. Es war zwar nicht das erste Mal, dass einer ihrer Patienten starb und als Heilerkatze hatte man immer damit zu rechnen, dass nicht jede Katze geheilt werden konnte. Dennoch hatte nichts Kaltpfote auf diese Situation vorbereiten können.

Ob Grauwolkes Geist wohl noch anwesend war? Oder befand sich die Kriegerin bereits auf dem Weg in den SternenClan? Zwischen zwei Zungenstrichen hielt Kaltpfote inne und flüsterte: »Machs gut, Grauwolke. Wir werden dich vermissen.«

»Bleichjunges, du bleibst draußen.« Kaltpfote sah von Grauwolkes totem Körper auf und entdeckte Minzblatt im Eingang des Heilerbaus, die leise mit ihrer Tochter sprach. »Sieh mal, da drüben ist Adlerherz. Er kann dir bestimmt eine Geschichte erzählen. Ich bin gleich zurück.«

Die Königin kam in den Heilerbau gelaufen und setzte sich neben Kaltpfote.

»Ist sie...«

Kaltpfote nickte. »Sie ist gerade gestorben.«

Minzblatt warf einen langen Blick zu Gewitterjunges hinüber, der in seinem Nest schlief, dann vergrub sie ihre Nase in Grauwolkes Fell und flüsterte etwas, was Kaltpfote nicht verstand. Eine Weile verharrte sie so, bevor sie sich aufrichtete. Den Blick immer noch auf Grauwolke gerichtet miaute sie: »Wenn ihr Hilfe braucht, sie raus ins Lager zu tragen, sagt Bescheid.«

In diesem Moment näherten sich Schritte. Schwalbenfeder kam aus dem hinteren Teil der Höhle zurück, wo er im Kräuterlager gewühlt hatte, seit sie Grauwolkes Tod festgestellt hatten. Er trug Lavendel und Minze im Maul. Kräuter, mit denen man das Fell von Verstorbenen rieb, um den Geruch des Todes zu überdecken. Während er anfing, die Pflanzen zu einem Brei zu verarbeiten, erhob sich Minzblatt von ihrem Platz, tappte zu Gewitterjunges hinüber, rollte sich neben ihrem Sohn zusammen und begann, ihm über den Pelz zu lecken.

»Mach dir keine zu großen Sorgen, Minzblatt«, miaute Schwalbenfeder. »Dein Sohn ist stark. Er hat Hoffnung. Das wird ihm helfen, seine Krankheit zu überstehen.«

Minzblatt schien sich noch einmal zu versichern, dass Gewitterjunges tatsächlich schlief. »Und Grauwolke hatte keine Hoffnung? Versteh mich nicht falsch, ich will dich nicht angreifen. Nur sichergehen, dass alles Erdenkliche für ihn getan wird.«

»Wir tun alles, was wir können«, miaute Kaltpfote im Versuch, Schwalbenfeder zuvorzukommen. Im Moment hatte sie keine Kraft für eine Diskussion über Schwalbenfeders Lieblingsthema ›Hoffnung‹.

»Keine Sorge«, miaute Schwalbenfeder dennoch, »für den Clan wird alles gut gehen. Du wirst schon sehen. Der Tod eines Clanmitgliedes ist vielleicht ein trauriger Umstand, aber er wird die Clankatzen auch zu neuer Größe führen. Sie werden den Schmerz dieser Tragödie überwinden und stärker daraus hervorgehen, als zuvor. Eine Clankatze würde an dem Tod einer geliebten Katze niemals zerbrechen. Nein, es wird sie...«

»Schwalbenfeder!«, unterbrach Kaltpfote ihren Mentor. Nicht nur konnte sie sein Gerede nicht mehr ertragen, sie hatte auch gesehen, dass Gewitterjunges ein Auge aufgeschlagen hatte. »Könntest du aufhören, so einen Unsinn zu erzählen?«

»Aber das ist doch kein Unsinn, Kaltpfote.« Schwalbenfeder schüttelte den Kopf. »Vielleicht verstehst du es nicht, weil du keine Clankatze bist. Selbst, wenn es um meinen eigenen Tod gehen würde...«

»Ich bin eine Clankatze«, miaute Kaltpfote, obwohl sie wusste, dass Schwalbenfeder ihr kaum zuhören würde. »Und falls du das ernsthaft weiter ausdiskutieren willst, dann nicht hier.«

»Ach Kaltpfote, eigentlich hatte ich doch gar nicht mit dir, sondern mit Minzblatt gesprochen...«

»Ich will davon auch nichts hören.« Die Königin hatte Gewitterjunges die Pfoten auf die Ohren gelegt. »Dass sich jemand wie du unser Heiler nennt! Kann man dir überhaupt vertrauen, dass du dein Bestes gibst, deine Patienten zu heilen, wenn du so redest? Kann ich beruhigt schlafen gehen, wenn ich gezwungen bin, dir mein Junges anvertrauen muss?«

»Aber natürlich, natürlich kannst du mir vertrauen.« Schwalbenfeder, der ohnehin schon immer eine gebeugte Haltung einzunehmen schien, schien noch weiter in sich zusammen zu sacken. »Wahrscheinlich verstehst du bloß nicht, was ich dir sagen will, weil du eine Clankatze bist. Du bist so viel schlauer als ich. Ich bin ja nur ein dummer Kater, der...«

»Jetzt machst du dich auch noch über mich lustig?«, unterbrach Minzblatt ihn. Sie fauchte und Kaltpfote beobachtete, wie sich ihr Fell sträubte. Die sonst so ruhige Kätzin sah aus, als würde sie dem Heiler am liebsten den Pelz über die Ohren ziehen. Kaltpfote ging es ganz ähnlich. Alles, was Schwalbenfeder sagte, machte sie wütend. Außerdem sie teilte die Sorgen der Königin. Es fiel ihr immer schwerer, ihrem Mentor zu vertrauen. Ja, er hatte sie damals gesund gepflegt, doch je besser sie ihn kennenlernte, desto sicher wurde sie, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

»Oh, nein, nein, das würde ich niemals tun«, beteuerte Schwalbenfeder. »Ich würde wirklich alles für den Clan geben!«

Kaltpfote, die sich nicht sicher war, ob Gewitterjunges nicht trotz der Pfoten auf seinen Ohren etwas mitbekam, stieß ihren Mentor in Richtung Ausgang des Heilerbaus. Sie hoffte, dass das Gespräch beendet wäre, doch verlassen wollte sie sich darauf nicht. Irgendwie schaffte sie es tatsächlich, Schwalbenfeder aus dem Bau zu scheuchen, wenn auch nur mit Minzblatts Hilfe.

Gerade wollte Kaltpfote einen letzten Versuch unternehmen, Schwalbenfeder zur Vernunft zu bringen, als leise Rufe aus dem Heilerbau ertönten. Gewitterjunges.

Minzblatt machte kehrt, wollte zu ihrem Jungen eilen, doch Kaltpfote hielt sie auf: »Ich sehe schon nach ihm. Pass du auf, dass Schwalbenfeder keinen Ärger macht.« Sie zeigte mit dem Schweif auf Bleichjunges, die etwas zögerlich auf ihre Mutter zu getappt kam. »Außerdem scheint Adlerherz keine Zeit für eine Geschichte gehabt zu haben.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, kehrte Kaltpfote in den Heilerbau zu Gewitterjunges zurück. Es tat ihr leid, dass sie Minzblatt gezwungen hatte, vor dem Bau zu warten. Aber wenn Gewitterjunges Hilfe brauchte, war sie diejenige, die sich mit Heilkräutern auskannte und sie hatte den Eindruck, dass es eine erwachsene Katze brauchte, um Schwalbenfeder in Schach zu halten und sich um Bleichjunges zu kümmern.

»Was ist mit Grauwolke?«, fragte Gewitterjunges leise, als Kaltpfote bei ihm ankam. »Sie ist so still.«

»Sie hat sich dem SternenClan angeschlossen«, versuchte Kaltpfote zu erklären, was sie selbst noch gar nicht ganz realisiert hatte. »Sie wird nun von dort aus über uns wachen.«

»Ich hoffe, sie langweilt sich dort oben nicht.« Gewitterjunges gähnte. »Adlerherz meinte mal, die Katzen würden dort überhaupt nicht jagen und kämpfen müssen und würden den ganzen Tag in der Sonne liegen.«

»Ihr geht es dort bestimmt gut«, versicherte Kaltpfote dem Jungen.

Sie wollte sich gerade in den hinteren Teil des Heilerbaus begeben, um Gewitterjunges die Kräuter zu holen, die er noch fressen sollte, als Bleichjunges' Stimme vor dem Heilerbau sie innehalten ließ.

»Adlerherz konnte mir keine Geschichte erzählen«, miaute die junge Kätzin. »Er wollte sich von Waldi verabschieden. Falkenstern hat gesagt, der Clan könnte nicht noch mehr Hauskätzchen gebrauchen und er müsste wieder nachhause gehen.«

An jedem anderen Tag hätte Kaltpfote sich über ihren Anführer geärgert, der es anscheinend nicht einmal für nötig gehalten hatte, seine Clangefährten nach ihrer Meinung zu fragen. Doch heute konnte sie an nichts anderes denken, als an Grauwolke, die sie und Schwalbenfeder gleich zur Totenwache auf den zentralen Platz des Lagers bringen mussten.



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