VIERZEHN - RegenClan
VIERZEHN
Efeupfote, RegenClan
»Habt ihr es auch endlich geschafft?«, miaute jemand neben Efeupfote. Er schaute zur Seite und erblickte seinen Mentor Sturmschweif. »Dann kann ich ja Pfützenstern Bescheid geben, dass alle da sind.«
Efeupfote kam nicht dazu, zu antworten. Die Eindrücke der Großen Versammlung fluteten seine Sinne, wie die Wellen, die weit unterhalb seiner Pfoten gegen die Felsen donnerten. Die meisten Katzen hatten sich längst über den Versammlungsplatz verteilt, miauten, liefen umher, begrüßten hier einen Bekannten, fragten dort jemanden, ob man sich nicht einen etwas windgeschützteren Platz suchen wollte. Nur wenige hielten sich eher abseits des Gewimmels. Krähenfluch etwa, der kaum einen Schritt auf den Versammlungsort hinaus gemacht zu haben schien und die Katzen ebenso aufmerksam betrachtete wie Efeupfote.
Ein Stück weiter entfernt stand eine junge, cremefarbene Kriegerin aus dem FelsenClan. Efeupfote meinte, sich zu erinnern, dass sie sich als Habichtsjäger vorgestellt hatte, als sie einander einmal auf einer Grenzpatrouille begegnet waren. Etwas an ihrem Verhalten wunderte ihn. Sie hatte ihren Blick starr auf eine Pfütze gerichtet, die sie von einer kleinen Gruppe von Katzen trennte. Ihr Fell war gesträubt und Efeupfote überkam ein Anflug von Angst, den er sich nicht so recht erklären konnte. Schließlich umrundete sie die Pfütze, wobei sie extra über einen nahen Felsbrocken kletterte, anstatt einfach über die schmale trockene Fläche neben der Wasserfläche zu balancieren.
»...ernsthaft immer noch beleidigt?«, lenkte Efeupfote ein Miauen ab, das aus dem allgemeinen Stimmengewirr herausstach. Er schaute in die entsprechende Richtung, noch angespannter als zuvor und sah, wie Tupfenpfote aus dem FelsenClan sich einen Weg durch die Menge bahnte.
»Du hast schlecht über meine Familie geredet, was erwartest du?«, rief sie über die Schulter zurück.
Efeupfote erkannte nicht, mit wem die Schülerin sprach, ein großer Weg herumliegender Stein versperrte ihm die Sicht.
»Monde her... habe mich...«, vernahm er Fetzen von etwas, was eine Antwort gewesen sein könnte.
Tupfenpfote war unterdessen bei ihrem Clangefährten Saphirpfote angekommen. Aus der entgegengesetzten Richtung kam Krabbenpfote auf sie zu und begrüßte die beiden Schüler aus dem anderen Clan schnurrend. Als Efeupfote sie beobachtete, gesellte sich Freude zu seiner Anspannung.
Ein Stückchen weiter hinten lauerte jedoch schon die nächste Quelle für Ärger. Dort saßen Muschelsplitter, Mohnrose und Flammenspritzer beisammen. Muschelsplitter krümmte sich gerade unter einem Hustenanfall und Mohnrose fragte leise, ob sie helfen könnte.
»Mir geht's gut, das ist nichts.« Muschelsplitter brauchte noch einen Moment, ehe er sich wieder beruhigt hatte. Dann setzte er sich aufrecht hin, reckte sein Kinn in die Höhe und fixierte Flammenspritzer mit seinem Blick. Sein Schweif peitschte durch die Luft.
»Es hat auch sein Gutes, dass Seehaar nicht dabei ist«, schien er an ein vorheriges Gesprächsthema anzuknüpfen, »der hat doch Flausen im Hirn. Er hat den Clan ziemlich blamiert mit seinem Gerede darüber, dass der SternenClan gar nicht wirklich weise oder mächtig wäre, aber aus irgendeinem Grund die Sterne trotzdem das Leben der Clankatzen lenken würden. Die Sterne selbst, nicht unsere Ahnen.« Er schnaubte. »Jedes Junge weiß, dass die Sterne unsere Ahnen sind. Hab ich nicht recht?«
Mohnrose sah kurz auf und widmete sich dann einem anscheinend besonders widerspenstigem Knoten in ihrem Fell. Ein starkes Gefühl von Verlegenheit durchzuckte Efeupfote, wurde aber sogleich wieder von anderen Emotionen verdrängt.
Flammenspritzer neigte den Kopf. »Er hat ganz schön für Aufsehen gesorgt. Der ganze FelsenClan hat gelacht, er...«
»Wenn ihr so ein Problem mit eurem Clangefährten habt«, miaute Krabbenpfote, die sich eine Fuchslänge entfernt auf die Pfoten erhoben hatte, »dann solltet ihr vielleicht direkt mit Seehaar sprechen. Lasst ihn einfach glauben, woran er will.«
»Das war doch gar nicht böse gemeint«, miaute Flammenspritzer.
Saphirpfote stellte sich neben Krabbenpfote. »So hat sich das aber nicht angehört.«
Efeupfote war sich noch nicht ganz sicher, ob die Verlegenheit, die er spürte, der Ärger, oder Spott überwog, da hüpfte seine Baugefährtin Glutpfote mitten durch die Gruppe der Streitenden hindurch auf einen schwarzen Krieger aus dem FelsenClan zu. Efeupfote glaubte, sich zu erinnern, dass er Finstermond hieß.
»Hey, du«, miaute Glutpfote. »Woher hast du denn diese riesige Narbe da an deinem Bein?«
»Schonmal was von Respekt gehört?« Finstermond knurrte. »Dass ich mir so etwas als Ältester immer noch gefallen lassen muss.«
Auf seinem Platz am Rande der Versammlung rückte Efeupfote ein Stück zurück. Er meinte, die Empörung des Ältesten spüren zu können und gleichzeitig Verunsicherung, als wäre es nicht Glutpfote, die ausgeschimpft wurde, sondern er selbst.
»So meinte ich das doch gar nicht! Ich habe ja gar nicht gesagt, dass du ein schlechter Krieger wärst, oder sowas...« Glutpfote sah sich auf der Versammlung um und zeigte auf Habichtsjäger. »Schau mal, die Kriegerin da hinten, der fehlt eine komplette Pfote. Aber...« Glutpfote schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Man merkt ihr überhaupt nichts an. Sie läuft genauso schnell durch die Gegend wie alle anderen. Und du hast nur eine Narbe. Also...«
»Ach, hast du auch schon bemerkt, dass man auch mit drei Pfoten eine gute Kriegerin sein kann?«, fauchte Habichtsjäger. »Was hättest du denn gedacht, dass ich deshalb direkt in den Ältestenbau ziehe?«
Efeupfote wandte seinen Blick ab. Die Frage, ob Flucht oder Verteidigung die beste Wahl wäre, kreiste in seinen Gedanken. Gleichzeitig war dort aber auch Wut, die ihn dazu zu drängen schien, auf Angriff zu gehen.
Zum Glück gab es nicht überall Streit. Entgegen Krabbenpfotes Befürchtung wegen der falsch gesetzten Grenzmarkierungen unterhielten sich die meisten Katzen recht freundlich miteinander. Efeupfotes Clangefährte Rauchflamme plauderte etwa mit einer orangenen FelsenClan-Kriegerin und Lehmpfote schien endlich einmal etwas entspannter, während er mit Kaltpfote sprach. Dennoch hatte Efeupfote nicht das Bedürfnis, sich mitten in die Versammlung zu stürzen. Selbst hier am Rand zu stehen und alles zu beobachten, wurde allmählich anstrengend. Es waren schon so viele Eindrücke auf ihn eingestürzt, dabei konnte es noch gar nicht lange her sein, dass er auf dem Versammlungsfelsen angekommen war. Als er einen Blick zu dem Zweiten Anführer des Clans, seinem Mentor Sturmschweif, warf, hatte der sein Gespräch mit Pfützenstern jedenfalls noch nicht beendet.
Schließlich beschloss Efeupfote, zu der FelsenClan-Kriegerin Goldtropfen hinüber zu gehen, die sich ebenfalls am Rande der Versammlung hielt und zu der sich gerade auch Mohnrose gesellt hatte.
Eine Weile saß Efeupfote in der Nähe der beiden FelsenClan-Kriegerinnen. Ein dachsgroßer Stein schützte sie vor Wind und doch ab und an pustete eine kühle Böe durch Efeupfotes Fell. Dann, endlich, ließ Falkensterns Jaulen die Gespräche um ihn herum verstummen. Er stand neben Pfützenstern auf einer kleinen Erhöhung im Felsgestein, etwa eine Fuchslänge über den Köpfen der übrigen Clankatzen. Der Schattenwerfer, jener Stein, der mit der Länge seines Schattens bestimmte, wann die nächste Große Versammlung stattfand, befand sich direkt hinter ihnen. Der Anführer begann zu berichten, was in der letzten Zeit in seinem Clan geschehen war. Eine Welle der Euphorie erfasste die Katzen, als er die Ernennung von Schneepfote und Flüsterpfote zu Schülern bekannt gab und Trauer legte sich über die sie, als er von Grauwolkes Tod berichtete. Anschließend kam Pfützenstern zu Wort. Sie hatte weder von Geburten und Namenszeremonien, noch von Toden zu berichten, dafür lobte sie ihre Schüler für die Fortschritte, die sie machten. Es dauerte nicht lange, bis sie auf das Thema zu sprechen begann, das Efeupfote zu diesem Zeitpunkt schon fast wieder verdrängt hatte. Die Grenzen.
»Kurz bevor mein Clan hierher aufgebrochen ist«, sprach die Anführerin, »musste ich mir von meinem Zweiten Anführer berichten lassen, dass die Grenzmarkierungen vom FelsenClan deutlich zu weit in unserem Territorium angebracht worden sind.«
Falkenstern schwieg einen Moment. »Seid ihr euch sicher? Eine Grenzmarkierung, die um ein paar Kaninchenlängen verschoben ist, kann jedem mal passieren...«
»Das waren mehr als ein paar Kaninchenlängen. Eher Baumlängen. Und ich frage dich, Falkenstern: Was hat dies zu bedeuten?«
Falkenstern knurrte, so leise, Efeupfote hätte es fast überhört. »Wenn das stimmt, was du sagst, würde das heißen, dass einer meiner Krieger ohne mein Einverständnis gehandelt hat.«
Auf dem Versammlungsfelsen begannen sich Unruhe auszubreiten. Wütende Stimmen mischten sich unter Verunsicherte, Ungläubige, oder solche, die Ruhe forderten. Efeupfote spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.
»Du sagst also, dass die falschen Markierungen nichts zu bedeuten haben?« Pfützensterns Stimme erhob sich über das Miauen der versammelten Katzen. »Dass sie sich nächsten Sonnenaufgang wieder dort befinden werden, wo sie hingehören?«
Die Aufregung auf dem Versammlungsfelsen wuchs. Efeupfote sprang auf die Pfoten, nicht nur, um mehr sehen zu können.
Falkenstern warf einen langen Blick auf die Katzen. »Das kommt darauf an, wie du auf die Bitte reagieren wirst, die ich noch an dich richten wollte. Wenn du es so wünscht, Pfützenstern, dann werden wir die Grenzmarkierungen wieder an ihren alten Bestimmungsort verlegen. Ich bedaure wirklich, dass es dieses Missverständnis gegeben hat, doch der FelsenClan braucht tatsächlich mehr Territorium. Wie du sicherlich weißt, fällen Zweibeiner die Bäume in unserem Teil des Waldes und machen es uns damit unmöglich, dort zu jagen. Aber wir brauchen die Beute, gerade jetzt zu Beginn der Blattleere. Deshalb bitten wir dich darum, uns einen Teil eurer Jagdgründe abzugeben, bis sich die Lage wieder beruhigt hat.«
Pfützenstern zögerte, sprang zu ihrem Stellvertreter Sturmschweif am unteren Ende der Erhöhung hinab und begann, mit ihm zu reden. Die Katzen, die überall auf dem Versammlungsplatz durcheinander miauten, waren jedoch viel zu laut, als dass Efeupfote irgendetwas hätte verstehen können. Mit durch die Luft peitschendem Schweif beobachtete er das Geschehen. Empörung, Frust, Sorge, Nervosität, Zorn, Unsicherheit, alles auf einmal schwappte über Efeupfote hinweg. Langsam bekam er Kopfschmerzen.
Als Pfützenstern wieder zu Falkenstern hinauf geklettert war, miaute sie: »Ich würde gern helfen, aber wir brauchen unsere Beute selbst.«
»Du sagst also nein?«
»Ich sage also nein.« Pfützensterns Antwort ging fast in aufgebrachten Rufen unter.
»Wie kannst du hungernde Jungen und Königinnen so einfach ignorieren?«, rief jemand, offenbar eine FelsenClan-Katze.
»Es ist unsere Beute!« Sturmschweif war vor der Erhöhung der Anführer auf die Pfoten gesprungen. »Und unsere Entscheidung, ob wir etwas abgeben können.«
Die Wut, die Efeupfote zuvor schon verspürt hatte, kochte weiter hoch. »Meint ihr, der RegenClan hätte keine Jungen zu versorgen?« Wütend starrte er zu den anderen Katzen hinüber. Konnten diese Mäusehirne nicht still sein?
»Elende RegenClan-Katzen! Ich hoffe, die Zweibeiner fällen auch euren gesamten Wald!« Eine orangene FelsenClan-Kriegerin hatte gesprochen. »Ihr Fuchsherzen!«
»Sag das nochmal über uns!« Anders als zu Beginn der Versammlung strahlte Krähenfluch keinerlei Unsicherheit mehr aus. Mit gesträubtem Pelz lief er auf die Orangene zu.
»Fuchsherzen!«, fauchte ein großer, roter Tigerkater aus dem FelsenClan. »Fuchsherzen seid ihr alle im RegenClan!«
Muschelsplitter, der neben ihm gesessen hatte, hole mit seiner Pfote aus und schlug ihm auf den Kopf. »Du solltest lieber aufpassen, wen du da beleidigst.«
Die Orangene stieß Muschelsplitter von ihrem Clangefährten weg und schaffte es, ihn zu Boden zu ringen. Von der Seite kam Flammenspritzer angerannt und zerrte sie von Muschelsplitter weg. Nur um seinerseits von dem roten Tigerkater umgestoßen zu werden.
Efeupfote machte einen Schritt in die Richtung der Streitenden, bereit, sich ebenfalls in den Kampf zu stürzen. Doch in diesem Moment fiel sein Blick auf Goldtropfen neben ihm und er hielt inne. Ein Gefühl von Besorgnis und Unsicherheit überkam ihn, wenngleich seine Krallen ausgefahren blieben. Die Kriegerin saß zusammengekauert da, während Mohnrose neben ihr zwar das Fell gesträubt hatte, aber keine Anstalten machte, sich von ihrem Platz wegzubewegen.
Efeupfotes Blick wanderte weiter über die Versammlung. Wut, Angst, Verzweiflung, Ärger, Entrüstung und Schadenfreude vermischten sich und brachten seinen Kopf zum Dröhnen. Zu viel. Es war zu viel. Er musste hier weg. Efeupfote bekam gerade noch mit, wie Habichtsjäger sich zu der neben ihr sitzenden Katze beugte und mit weit aufgerissenen Augen fragte, was sie nur tun sollten. Sie würden doch Frieden bewahren müssen, um den SternenClan nicht zu verärgern.
Dann war Efeupfote schon auf dem schmalen Pfad, der ihn zurück in sein Territorium führte. Halb rutschte, halb kletterte er den Felsen hinab. Unten angekommen sprintete er, ohne eine Pause zu machen, los. Taunasse Grashalme peitschten ihm ins Gesicht, doch er wurde nicht langsamer, bis er in die Schatten unter den Bäumen des RegenClan-Waldes eingetaucht war.
***
Eine Weile wanderte Efeupfote ziellos durch den Wald. Zuerst das Adrenalin von seinem Fast-Sturz den Versammlungsfelsen herab, dann der schnelle Lauf hatten ihn ganz zu sich selbst zurückkehren lassen. Seine gesamte Aufmerksamkeit hatte dem Pfad vor seinen Pfoten und der Kontrolle seines Atems gegolten. Nun aber war die Verwirrung zurück, die ihn auf der Großen Versammlung geplagt hatte. Zumindest ein Teil davon, denn inzwischen fand er einen gewissen Abstand zu ihr. Sie war nur noch eine Erinnerung, die ihn auf seinem Weg zwischen den Baumstämmen hindurch begleitete.
Die ihn umgebende Ruhe übertrug sich allmählich auf ihn, es half, sich nur in der Gesellschaft einiger kahler Bäume und Sträucher zu befinden. Alles, was zu hören war, war der Wind und das vereinzelte Rascheln kleiner Tiere im Unterholz, die dort ihrer Wege gingen. Alles was er roch, war der vertraute Duft des Waldes.
Langsam wurde Efeupfote jedoch müde, sehnte sich nach seinem Nest im Schülerbau. Vielleicht war es Zeit, seinen Spaziergang zu beenden und sich auf den Rückweg zu machen. Auch fragte er sich, ob die Große Versammlung bereits geendet hatte. Ob die anderen schon zurück im Lager waren? Wie der Streit wohl ausgegangen war? Und ob es die man wohl geschafft hatte, wieder für Ruhe zu sorgen, damit das Treffen fortgesetzt und nach den Reden der Anführer die traditionellen Heldengeschichten erzählt werden konnten? Oder war es womöglich nicht bei einer kleinen Rauferei geblieben und hatte es eine richtige Schlacht gegeben? Was immer geschehen war, nachdem Efeupfote weggerannt war, im Lager würde es einen ziemlichen Aufruhr geben, wenn seine Clangefährten von der Versammlung wiederkamen. Die Vorstellung allein reichte, dass Efeupfote seine Entscheidung, dorthin zurückzukehren revidierte. Er würde dort ohnehin nicht schlafen können.
Erschöpft blieb er stehen, betrachtete die von Dunkelheit eingehüllten Gestalten der Bäume um ihn herum und die funkelnden Sterne am Himmel, atmete die kalte Luft ein. Ganz in der Nähe, erinnerte er sich, gab es einen hohlen Baumstamm, der locker groß genug war, um darin für eine Nacht Schutz zu suchen. Er entschloss sich, dort zu übernachten.
Der hohle Baum war eine weit vor Efeupfotes Geburt umgekippte Eiche. Einst musste sie einen majestätischen Anblick geboten haben, doch inzwischen war davon nicht mehr viel übrig. Ihre Äste waren morsch, nicht wenige waren abgebrochen, oder von Gras, Moos und Ranken überwuchert. Vom massiven Stamm blätterte die Rinde ab. Darunter kam Holz zum Vorschein, das von unzähligen Gängen verschiedener Insekten durchzogen war. Der tote Baum war zum Zuhause seiner ehemaligen Nachbarn geworden. Und aus seinem Inneren ertönte ein Schnarchen.
Efeupfote trat zwischen die Reste der aus der Erde gerissenen Wurzeln und spähte in den Hohlraum im Stamm. Eine Gestalt hatte sich dort zusammengerollt. Ihr graues, verknotetes Fell hob und senkte sich im Takt ihres Atems. Gelbfang.
Zögernd stand Efeupfote vor dem Baumstamm, als das Schnarchen verstummte und die Älteste eines ihrer gelben Augen öffnete.
»Efeupfote?«, ertönte ihre kratzige Stimme. »Was machst du denn hier?«
Der Schüler wusste nicht recht, was er antworten sollte. Schließlich entschied er sich für die Wahrheit. »Ich habe es auf der Großen Versammlung nicht mehr ausgehalten. Das klingt vielleicht komisch, aber es sind immer so viele Katzen da und...« Er wusste nicht mehr weiter.
»Ich geh da auch nicht gern hin«, antwortete Gelbfang zu Efeupfotes Erstaunen. »Viel zu unruhig. Viel zu voll. War nicht mehr mit dabei, seit ich in den Ältestenbau gezogen bin.« Sie rückte ein Stück zur Seite. »Hier drin ist genug Platz für zwei. Wenn du ein bisschen Abstand von all diesem Lärm und Stress brauchst, kannst du bleiben. Hauptsache du redest nicht zu viel.«
»Mach ich nicht.« Efeupfote trat in den Baumstamm hinein und machte es sich in dem frei gewordenen Bereich gemütlich. Eigentlich war es doch gar nicht so schlecht, seine Ruhe zu haben und gleichzeitig auch nicht allein zu sein. Er war schon fast eingeschlafen, als ihm auffiel, dass er dieses Mal gar keine so tiefe Traurigkeit verspürte, wie sonst, wenn er Gelbfang über den Weg lief.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top