SECHS - RegenClan

Er hatte aufgegeben. Kälte war durch sein Fell und unter seine Haut gekrochen. Wenn ihm nicht schon lange die Kraft gefehlt hätte, so würde er nun am ganzen Leib zittern. Alles, was er noch schaffte, war, sich an dem Ast festzukrallen. Seiner letzten Hoffnung.

Am Anfang war er noch voller Panik gewesen, doch nach und nach hatte die sich gelegt. Die Ausweglosigkeit seiner Lage war ihm nun deutlich vor Augen. Selbst wenn er noch gekonnt hätte, so sehr er auch paddelte, er kam nicht gegen die Strömung an. 
Eine Welle schlug über Blaupfotes Kopf zusammen, er atmete Wasser ein, spuckte es angeekelt aus. Das kalte Nass riss an seinem Körper, spülte ihn hierhin und dorthin. Wieder sprühten ihm Tropfen ins Gesicht und im nächsten Moment rutschte eine seiner Pfoten von dem Ast. Kraftlos holte er aus, versuchte, wieder nach seiner Schwimmhilfe zu greifen, doch die Bewegung hatte nur zur Folge, dass auch seine andere Pfote den Halt verlor.

Für einen Moment war Blaupfote erneut unter Wasser. Als er wieder auftauchte, war der Ast schon ein ganzes Stück entfernt. Er hatte das Schwimmen von Beginn seiner Ausbildung an gelernt und die Entfernung war nicht groß, doch er war zu erschöpft. Der Ast schien ihm unerreichbar.

Wieder schwappte eine Welle über Blaupfote hinweg. Länger als zuvor tauchte er ab. Die Luft wurde ihm knapp. 

Nein, so sollte es nicht zu Ende gehen. Mit letzter Kraft schwamm Blaupfote nach oben. Sein Kopf durchstieß die Wasseroberfläche und gierig sog Blaupfote die Luft ein. Eine Welle warf ihn herum und da sah Blaupfote es: Land! Es war näher als ihm bewusst gewesen war.

***

Endlich spürte Blaupfote etwas Festes unter seinen Vorderpfoten. Ein letzter Schwimmzug und er konnte wieder stehen. Bevor ihn die nächste Welle wieder ins Meer hinaus zog, schleppte Blaupfote sich ans Ufer und machte noch ein paar unsichere Schritte über den Sand. Sein Fell war nass, der Wind war kalt, doch das kümmerte ihn nicht. Die Müdigkeit überschattete alle anderen Empfindungen. Blaupfote richtete seinen Blick auf die Büsche in einiger Entfernung. Dort wäre er geschützt. Er machte einen weiteren wackligen Schritt, bevor seine Beine einfach unter ihm nachgaben. Blaupfote versuchte gar nicht erst, wieder aufzustehen. Ihm fehlte die Kraft. Mit dem Gedanken an sein Nest im Schülerbau, in das er nun gern zurückgekehrt wäre, schlief er ein.

***

Etwas stieß Blaupfote in die Seite. Müde schlug er die Augen auf, erblickte eine Pfote direkt vor seiner Schnauze. Blaupfote hob den Kopf und erkannte, dass zu der Pfote ein Kater gehörte. Seine große, graue Gestalt ragte wie ein mächtiger Felsen vor Blaupfote auf und sein langer Pelz wehte im Wind.

»Fass ihn besser nicht an, er sieht krank aus«, ertönte eine Stimme von irgendwo hinter Blaupfote. Schwerfällig wandte Blaupfote seinen Kopf in die entsprechende Richtung und erblickte eine ebenfalls graue Kätzin, die dem Kater auch sonst sehr ähnlich sah. Allerdings war ihr Fell weniger dicht und so sah man, wie mager sie war.

»Du übertreibst, Rauchwind. Er scheint mir nur müde zu sein.« 

»Momentan kann man nicht vorsichtig genug sein.« Rauchwind sah nicht überzeugt aus.

»Also, du«, wandte sich der Kater an Blaupfote, »fühlst du dich krank?«

Blaupfote horchte in sich hinein. Nein, krank fühlte er sich nicht. »Ich... also... i-ich...«
Die Fremden schüchterten Blaupfote ein, er fand einfach nicht die richtigen Worte. Nach einer Weile schüttelte er einfach nur den Kopf.

»Siehst du, alles gut«, miaute der Kater und tippte Blaupfote erneut mit der Pfote an, woraufhin der heftig zusammenzuckte. Er hatte nicht damit gerechnet, erneut von dem Fremden berührt zu werden.

»Er scheint sich ja nicht besonders sicher zu sein«, zweifelte Rauchwind.

»Das hat bestimmt nur was damit zu tun, dass man nicht gern als Eindringling in SandClan-Territorium aufgegriffen wird.« Der Kater knurrte.

Blaupfote, von der plötzlichen Feindseligkeit des Fremden eingeschüchtert, versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Da er aber noch immer am Boden lag, blieb ihm nur, seinen Kopf zu senken.

»War nur ein Scherz, Kleiner.« Schon wieder traf Blaupfote eine Pfote in die Seite und wieder zuckte Blaupfote zusammen. »Wir sind gar nicht so böse.«

»Trotzdem ist er ein Eindringling. Wir sollten ihn vertreiben.« Die Kätzin wagte einen Schritt auf Blaupfote und den Kater zu.

»Aber Jungen in Not soll geholfen werden. Und dieses hier scheint mir Hilfe zu benötigen.«

Blaupfote kümmerte es nicht, dass der Fremde davon ausging, er sei noch ein Junges. Hauptsache, diese Begegnung ginge nicht noch böse für ihn aus. Zwar schienen die beiden Fremden nicht feindselig, dennoch machten sie ihn nervös.

»Für mich sieht der schon wie ein Schüler aus.«

»Sicher?« Der Kater beäugte Blaupfote genauer. Der RegenClan-Schüler wünschte sich zurück nach Hause. Das hier wurde ihm allmählich zu unheimlich. »Wie alt bist du, Kleiner?«

»Si-sie... Sieben Mon...de.«

»Also im Schüleralter«, stellte Rauchwind fest. »Er ist alt genug zu wissen, was Grenzmarkierungen sind.«

Der Kater achtete nicht auf sie. »Und wie ist dein Name, Kleiner?«

»B... Blaupfote.«

»Blaupfote. So, so. Gehörst du einem Clan an?«

Blaupfote nickte.

»Lass mich überlegen. Der Clan, der dem SandClan am nächsten ist, ist der BachClan. Oder kommst du von weiter her?«

»W...weiter.« Mehr brachte Blaupfote nicht heraus.

»Einer unserer Bewahrer berichtete einst von einem FelsenClan...«

Bewahrer? Der Begriff verwirrte Blaupfote.

Als er nicht antwortete, mischte sich die Kätzin wieder ein. »Ich kenne die Geschichte, Flussschweif. Ich glaube kaum, dass er von dort kommt. Man muss eine Bergkette überwinden, um dorthin zu kommen. Viele Katzen ließen auf diesem Weg ihr Leben.«

»Und doch ist es nicht unmöglich. Der Bewahrer war schließlich auch dort.« Der Kater richtete sich wieder an Blaupfote. »Also, bist du ein kleiner FelsenClan-Krieger?«

»Der... der FelsenClan hat sein T-Territorium gleich ne...neben unserem.«

»RegenClan also«, stellte Rauchwind fest. »Und, was suchst du hier?«

»Ich... also... ich bin... ge-gefallen. Von den Kli...Klippen. Ins M-meer.«

»Siehst du«, miaute Flussschweif, »nicht krank. Nur müde vom Schwimmen.«

»Ich sage trotzdem, dass wir ihn verscheuchen.«

»Nein, wir bringen ihn zu unserem Heiler!«

Am liebsten wäre Blaupfote aufgestanden und davongelaufen. Ganz allein mit den Fremden zu sein, machte ihm Angst. Doch sein Überlebenskampf hatte Spuren hinterlassen. Alles fühlte sich schwer an, er war noch immer unfassbar müde und so blieb er einfach liegen.

***

Dunkelheit umgab Blaupfote, als er das nächste Mal die Augen aufschlug. Nur schemenhaft erinnerte er sich, wie die beiden Fremden, Flussschweif und Rauchwind, beschlossen hatten, ihn in ihr Lager mitzunehmen und er sich anschließend hinter ihnen her geschleppt hatte.

Nun lag er in einem Nest in einer großen Höhle, die sich nach hinten hin in der Finsternis verlor. Rauhes Felsgestein ragte einige Fuchslängen neben ihm auf. Dazwischen machte Blaupfote weitere Nester aus, jedes einzige besetzt von einer Katze. Es schien, als sei hier ein ganzer Clan versammelt. Sie alle lagen eng beisammen, nur Blaupfote befand sich etwas abseits. Die Luft war von etwas erfüllt, was Blaupfote im ersten Moment nicht einordnen konnte, dann jedoch als den Geruch nach Krankheit identifizierte. 

Ein ganzer Clan voller fremder Katzen. Ob darunter einige waren, die Blaupfote wegschicken wollten? Katzen, die böse wurden? Einen Moment zweifelte Blaupfote, ob es eine gute Idee gewesen war, Flussschweif und Rauchwind hierher zu folgen. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Territorium des fremden Clans zu verlassen und zu hoffen, danach keinen Streunern über den Weg zu laufen. Doch die Fremden hatten sein Zuhause erwähnt und wussten, wie man dorthin gelangte. Obwohl Blaupfote vor den Gefahren zurückschreckte, die sie erwähnt hatten, hatte ihn die Hoffnung angetrieben, dass sie ihm den Weg zurück weisen konnten. Nichts wünschte sich Blaupfote mehr, als jetzt zurück zum RegenClan zu können.

Nervös erhob sich Blaupfote aus seinem Nest, setzte sich daneben und begann, das Moos, den Farn und die Federn neu zu arrangieren. Es war das einzige, was ihn ablenkte und beruhigte. Während er Ordnung in das Durcheinander brachte, dachte er an den RegenClan, seine Baugefährten und seine Brüder Lehmpfote und Möwenschrei.

»Du bist wach!« Blaupfote ließ beim Klang der Stimme vor Schreck den Farn fallen, den er gerade im Maul hielt. »Es ist so langweilig, hier ständig allein herumzusitzen... Oder zumindest ohne jemanden, mit dem man sich unterhalten könnte. Die anderen sind ständig viel zu müde dazu.«

Als Blaupfote sich umsah, erkannte er einen jungen Kater, der hinter ihm stand. Er war recht klein und hatte kurzes, rotorangenes Fell.

»Ich bin übrigens Rotpfote. Eigentlich sollte ich in meinem Nest liegen und mich ausruhen. Wegen dieser Krankheit, du weißt schon. Aber ich bin schon lange wieder gesund. Mir gehts hervorragend und da dachte ich, zeige ich unserem Gast mal den SandClan.«

»Ich«, begann Blaupfote überfordert von der aufdringlichen Art seines Gegenübers, »ich bin B-Blaupfote.«

»Blaupfote.« Rotpfote hüpfte um den anderen Schüler herum. »Also bist du auch aus einem Clan? BachClan? RegenClan? FelsenClan?«

»Äh, RegenClan.« Als Flussschweif und Rauchwind ihn gefunden hatten, hatte sich Blaupfote nichts weiter dabei gedacht, dass die beiden seinen Clan kannten. Langsam begann er sich aber doch zu wundern. Zuhause wusste niemand etwas von weiteren Clans.

»Also, komm mit, ich führe dich ein bisschen in der Höhle herum!«

Durften sie das denn? Hier herumlaufen? Blaupfote wusste nicht, wie er widersprechen sollte. Zögernd stand er auf.

Rotpfote lief los, auf eine Reihe von Tunneln zu, die von der Höhle wegführten. »Das dort sind Kriegerbau, Schülerbau und Anführerbau. Den Heilerbau kennst du ja schon. Hast ja davor gelegen. Drinnen war nicht genügend Platz, weil der halbe Clan krank ist.« Rotpfote zeigte auf die vielen Nester. Erst jetzt fiel Blaupfote auf, dass dahinter ebenfalls der Eingang zu einem Tunnel in der Wand klaffte.

»Echt schlimm, das«, fuhr Rotpfote fort. »Ist gar nicht so einfach an genügend Beute zu kommen, wenn so viele Krieger den ganzen Tag nur schlafen. Ist beinahe ein neues Wandbild wert, diese Geschichte.«

Blaupfote wusste nicht recht, was er dazu sagen sollte, also schwieg er. In Gedanken war er ohnehin die ganze Zeit bei seinem Zuhause, dem RegenClan.

Sie kamen noch am Frischbeutehaufen vorbei, oder besser gesagt der Stelle des Lagers, an der sich die Beute türmen sollte, die nun jedoch leer war, und gelangten dann in den hinteren Teil der Höhle. Sie verengte sich hier allmählich zu einem Tunnel, der sich mal hierhin und mal dorthin wand. Gerade dachte Blaupfote, es müsste bald so dunkel sein, dass er nichts mehr sehen könnte, da erkannte er einen Lichtschimmer hinter der nächsten Biegung. Es dauerte noch eine Weile, bis er erkannte, woher das Licht kam: Ein Loch in der Decke einer kleinen Höhle, in die sie gelangt waren.

»Da wären wir«, miaute Rotpfote feierlich. »Hier ist das Reich der Bewahrer.«

»Der Bewahrer?« Blaupfote wusste noch immer nichts mit diesem Begriff anzufangen.

»Ja, siehst du es denn nicht?«

Blaupfote schüttelte den Kopf, noch während er sich umsah. Auf den ersten Blick schien diese Höhle nichts weiter zu sein, als ein einfacher Hohlraum im Fels. Auf den zweiten Blick aber... meinte der andere Schüler etwa diese Flecken, die sich überall an der Wand befanden?

»Die Wandbilder! Sie sind nun doch wirklich nicht zu übersehen!« Rotpfote sprang zu einer Ansammlung von Flecken hinüber. »Das hier erzählt von der Gründung des Clans. Siehst du diese große Katze hier?« Rotpfote zeigte auf einen besonders großen Fleck, der für Blaupfote nicht unbedingt wie eine Katze aussah. Eher wie ein Kreis mit Zacken. Er war umgeben von kleineren Flecken, die dieselbe Form aufwiesen. »Das ist Fuchsnase, die Gründerin des SandClans. Viele Clans sind nach ihren Gründern benannt, unserer aber nicht, wir haben unseren Namen wegen des Meeres, an dem wir leben und dem Sandstrand.«

Rotpfote lief weiter an der Wand entlang und zeigte auf weitere Flecken an der Wand. »Was diese Zeichnung bedeutet, weiß ich noch nicht. Aber wenn ich älter werde, möchte ich auch ein Bewahrer werden. Dann werde ich es erfahren, um das Wissen um die alten Geschichten dieses Clans und anderer Katzengruppen zu bewahren und an meine Nachfolger weiter zu geben. Denn das ist die Aufgabe des SandClans: Wir sammeln Geschichten... Ich werde dann auch lernen, wie man die Farbe für die Wandbilder herstellt und die Symbole deutet... Oh!« Rotpfote blieb plötzlich stehen. »Hier siehst du eine meiner Lieblingsgeschichten: Das große Sterben. Klingt ganz schön unheilvoll, findest du nicht?«

Blaupfote nickte, während er versuchte, herauszufinden was das Bild bedeuten sollte. Viel erkannte er jedoch nicht. Bei einem der Flecken schien es sich um den Abdruck eines Blattes zu handeln. Drumherum waren wieder die Kreise mit Zacken zu sehen, aufgeteilt in zwei Gruppen. Allerdings hatten sie diesmal eine Art Fortsatz, als liefe etwas aus ihnen heraus.

»Nach einer großen Dürre waren die Heilkräuter knapp geworden und die Katzen bekämpften sich, um die letzten Plätze zum Sammeln zu erobern. Damals gab es noch einen zweiten Clan neben dem SandClan, bis sie sich zusammenschlossen, um zu überleben. Da keiner der beiden Anführer seinen Posten aufgeben wollte, begründeten sie den Rat, bestehend aus vier Katzen, der den Clan von dort an leitete. Und so ist es auch heute noch. Vier Bewahrer...«

»Rotpfote!«, donnerte eine Stimme. Als Blaupfote sich danach umsah, erkannte er eine Katzengestalt in den Schatten des Tunnels, durch den sie hergekommen waren. »Was tust du hier? Und wer ist dein Begleiter? Du weißt genau, dass du nicht hier sein darfst!«

Huhu :)

Der SandClan ist relativ spontan entstanden, daher konnte ich für ihn noch keine Katzen sammeln. Jetzt ist die Anmeldung aber auch für ihn geöffnet.

 

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