FÜNFZEHN - RegenClan

FÜNFZEHN
Krabbenpfote - RegenClan


Vorsichtig, um niemanden zu wecken, schlich Krabbenpfote durch den Heilerbau. Sie war hier, um nach ihrem Mentor Muschelsplitter zu sehen, der seit letztem Sonnenaufgang auf den Patrouillen ausfiel. Rechts von ihr waren vier Nester an der Höhlenwand aufgereiht, in den hinteren dreien lag jeweils eine Katze. Nur Dämmerlieds Schlafplatz war leer. Die Kriegerin hatte sich gerade eben erst in den Eingang des Baus geschleppt, wo sie nun neben Krähenfluch saß und den leichten Regen beobachtete, der draußen fiel. Seehaar, Muschelsplitter und Möwenschrei schienen zu schlafen.

Im ersten Moment dachte Krabbenpfote, der Bau sei ansonsten leer. Doch als sich ihre Augen an die Dunkelheit im Inneren gewöhnt hatten, sah sie Lehmpfote im hinteren Teil der Höhle, wo er einen kleinen Haufen Pflanzen zu einem Brei verarbeitete.

»Hallo, Lehmpfote«, flüsterte sie, als sie neben ihm stand. »Wie geht es allen?«

Lehmpfote wandte sich von seinen Kräutern ab. »Ich denke, seit letztem Sonnenaufgang hat sich nicht allzu viel verändert.«

Das war nicht die Antwort, auf die Krabbenpfote gehofft hatte. Ja, es bedeutete, dass es ihrem Mentor und Lehmpfotes anderen Patienten nicht schlechter ging, aber eben auch nicht besser. Und zumindest wenn es um Muschelsplitter ging, hieß das, dass er noch immer ziemlich krank war.

Es war ihr am Anfang gar nicht so sehr aufgefallen, doch wenn Krabbenpfote zurückdachte, dann hatte Muschelsplitter schon in etwa seit der Nacht der Großen Versammlung Anzeichen der Krankheit gezeigt. Die darauffolgenden Sonnenaufgänge hatte er sich allerdings beständig geweigert, sich in die Obhut der Heiler zu begeben. Zuerst hatte Krabbenpfote sich nichts weiter dabei gedacht, aber inzwischen machte sie sich mehr und mehr Sorgen um ihren Mentor. Das Training mit ihm war zwar oft hart und an so manchem Sonnenuntergang war sie erschöpft in ihr Nest gefallen, doch sie schätzte ihn dafür, dass er ihr auch schwierigere Aufgaben zutraute. Ebenso wie dafür, dass er ohne Umschweife seine Meinung sagte. Man wusste stets, woran man bei ihm war, musste nicht lange raten, wie er dieses oder jenes gemeint hatte. Sein Ehrgeiz erinnerte sie an ihren Vater Nebeldunst, der kurz vor ihrer Schülerernennung an grünem Husten gestorben war. 

Ihre Mutter Dünenbriese war da ganz anders. Sie hielt immer alles für zu gefährlich und hatte Krabbenpfote und Efeupfote während ihrer Kinderstubenzeit vieles verboten, was für andere Jungen in ihrem Alter selbstverständlich gewesen war. Am Ende hatte Krabbenpfote das Gefühl gehabt, unter ihrer Fürsorge und ständiger Überwachung ersticken zu müssen. Ihre Schülerernennung war wie eine Befreiung gewesen, denn endlich hatte sie ihre Grenzen im Training austesten können, ohne wieder und wieder zurückgehalten zu werden.

Sie atmete tief durch und straffte ihre Schultern. Kein Selbstmitleid. Weiter machen.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte sie Lehmpfote. Schon am letzten Tag war Krabbenpfote von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang damit beschäftigt gewesen, im Wald und in den Dünen jenseits des Langwalls nach Kräutern zu suchen. Es war keine besonders spannende Aufgabe gewesen, aber immerhin hatte sie etwas für die Kranken tun können.

Lehmpfote schüttelte den Kopf. »Du hast das Kräuterlager schon ganz gut aufgefüllt. Außerdem dürftest du alle Plätze, auf denen jetzt, zu Beginn der Blattleere noch etwas wächst, abgesucht haben.«

»Ich könnte auch etwas anderes machen.«

Lehmpfote wickelte das Blatt zusammen, auf dem er den Brei hergestellt hatte. »Ich komme schon klar, zumindest im Moment.« Er sah zu ihr. »Aber ich müsste da mal vorbei, Möwenschrei etwas fragen.«

»Natürlich.« Krabbenpfote drehte sich um und lief bis zu Muschelsplitters Nest zurück. Die Flanke ihres Mentors hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Er sah so schwach aus. Obwohl Krabbenpfote wusste, dass er ein starker Krieger war, hatte sie Angst um ihn. Auch ihr Vater war ein ehrgeiziger, zäher Kater gewesen und doch hatte er den Grünen Husten nicht überstanden.

Neben ihr tappte Lehmpfote zu Möwenschreis Schlafplatz und rüttelte ihn an der Schulter.

»Welches Kraut hilft nochmal gegen schmerzende Knochen?«, hörte Krabbenpfote ihn fragen, als Möwenschrei seine Augen aufschlug.

»Brennnesseln.« Die Stimme des Heilers klang kratzig und schwach und doch schwang ein Schnurren darin mit.

»Es tut mir leid, dass ich dich wecken musste.« Lehmpfote starrte auf seine Pfoten. »Gelbfang hat sich den ganzen Morgen über ihre schmerzenden Knochen beschwert, aber ich wollte deinen Schlaf auch nicht unterbrechen. Also habe ich mir erst einmal eine andere Aufgabe gesucht.« Er deutete auf das Blatt mit dem Kräuterbrei hinüber. »So langsam muss ich mich aber ja eigentlich darum kümmern. Brennnesseln, das hätte ich wissen müssen.«

»Mach dir da keinen Kopf drum, kleiner Bruder«, schnurrte Möwenschrei. »Wozu hat man denn einen Mentor, wenn nicht, um ihn um Rat zu fragen?«

Einen Moment schwieg Lehmpfote. In Gedanken sah Krabbenpfote Gelbfang, die einzige Älteste des Clans, vor sich. Die alte Kätzin war am Sonnenaufgang nach der großen Versammlung gemeinsam mit Efeupfote ins Lager zurückgekehrt, als die anderen Schüler schon drauf und dran gewesen waren, ihren Baugefährten bei Pfützenstern als vermisst zu melden. Krabbenpfote selbst hatte sich zwar auch Sorgen gemacht, nahm es ihrem Bruder jedoch nicht übel, dass er ohne Bescheid zu geben abgehauen war. Sie wünschte sich oft genug, genau dasselbe zu tun. Einfach in den Wald hinaus zu wandern und Zeit für sich zu haben, so lange sie wollte.

Etwas stieß gegen Krabbenpfotes Rücken und sie schreckte hoch.

»Entschuldigung«, miaute Lehmpfote, während er Richtung Ausgang des Baus stolperte. »Es ist momentan echt ein wenig eng in unserer Höhle.«

Krabbenpfote nickte nur. Wenn noch mehr Katzen krank werden würden, würde es schwierig werden, überhaupt noch Platz für ihre Nester zu finden. Ein letztes Mal warf sie einen Blick auf ihren schlafenden Mentor, dann erhob sie sich, um Lehmpfote aus dem Bau hinaus zu folgen.

Sie war kaum einen Schritt gegangen, als sie innehielt. Im Eingang des Baus saßen Krähenfluch und Dämmerlied noch immer nebeneinander, aber das war es nicht, was sie zögern ließ. Zwischen den beiden Kriegern hindurch hatte sie eine Gestalt erblickt, die sich durch den Regen näherte. Sturmschweif. Der Zweite Anführer forderte Krähenfluch auf, sich seiner Jagdpatrouille anzuschließen. Vorsichtig wich Krabbenpfote weiter in die Dunkelheit des Baus zurück. Es konnte ihr nur recht sein, wenn Sturmschweif sie bei der Einteilung der Patrouillen vergaß. Da Muschelsplitter krank war, würde ihr niemand irgendwelche Anweisungen geben und sie würde tun können, was sie wollte. Nicht, dass sie vorhätte, sich vor der Arbeit zu drücken. Nein, sie hatte lediglich vor, allein auf die Jagd zu gehen. Irgendwo in der Nähe der Grenze zum FelsenClan.

Als sie hörte, wie sich die Schritte der Patrouille entfernten, wartete Krabbenpfote nicht länger. Sie rannte durch den Regen zum Schülerbau hinüber, schlüpfte durch das Loch auf seiner Rückseite, durch das sich auch Glutpfote manchmal aus dem Lager schlich, und verschwand im Wald.

***

Krabbenpfotes Pfoten donnerten über den Waldboden. Der Regen hatte noch nicht nachgelassen, etwas, was ihr bisher nie viel ausgemacht hätte. Sie war zu Beginn der letzten Blattfrische geboren, selbst stärkere Regenschauer hatte sie stets als eine kleine Unannehmlichkeit empfunden, die eine wahre Kriegerkatze ignorieren konnte. Nun wurde es jedoch zunehmend kühler und Krabbenpfote begann zu verstehen, wovon die Älteren redeten, wenn sie über die Blattleere sprachen. Noch gab es nur ein wenig Frost am Morgen, noch erlebte der Clan keinen starken Beutemangel und doch führte selbst dieser Nieselregen schon dazu, dass einem die Kälte unter den Pelz und bis auf die Haut kroch. Dass die Bäume und Sträucher all ihr Laub abgeworfen hatten und somit kaum Schutz boten, war nicht gerade hilfreich. Wenigstens wärmte der schnelle Lauf sie etwas auf. Dass sie so jede Beute verscheuchen würde, kümmerte sie nicht. Sie hatte nicht vor hier, in der Nähe des Lagers, zu jagen. Ihr Ziel war der Teil des Waldrandes, wo die Territorien der beiden Clans aufeinandertrafen.

Erst als die Grenze in Sichtweite kam, wurde sie langsamer. Das Gelände begann hier in Richtung der Berge anzusteigen. Zudem wurde der Wald zu ihrer linken Seite lichter, bis er in das Grasland überging, das sich bis zu den Steilklippen am Meer erstreckte. Um sie herum war ein stetiges Tropfen zu hören. Der Regen war zwar immer noch nur ein leichter Sprühregen, aber das Wasser hatte sich inzwischen an den Ästen gesammelt und platschte ab und an auf Krabbenpfote herab. Obwohl sie jedes Mal erschauderte, wenn das kalte Nass über ihren Pelz rann, war sie froh um das schlechte Wetter. Die meisten ihrer Clangefährten würden in der Nähe des Lagers jagen, um möglichst schnell zurück zu sein und sich wieder im Trockenen verkriechen zu können. Das hieß, sie würde die Grenze für sich haben.

Oder zumindest überwiegend für sich. Auf die Anwesenheit zweier bestimmter Katzen hoffe sie nämlich doch. Auch wenn diese Hoffnung tief in ihr Zweifel auslöste, denn die Katzen, die sie gern treffen würde, waren ihre Freunde aus dem FelsenClan. War sie ihrem Clan loyal genug, wenn sie lieber Zeit mit den beiden verbrachte, als mit ihren eigenen Baugefährten? Was hätte Nebeldunst gesagt, wenn er davon gewusst hätte?

***

Gerade hatte Krabbenpfote eine Taube erlegt – ihre erste Beute diesen Sonnenaufgang – und spuckte einige Federn aus, die ihr noch im Maul hingen, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass es Saphirpfote war, der an der Grenze stand und zu ihr hinüber sah.

Schnell verscharrte Krabbenpfote den Vogel im feuchten Laub. Einen Moment überlegte sie, ob ihn nicht stattdessen Saphirpfote mitgeben sollte. Schon aus drei Baumlängen Entfernung sah sie, dass er dünner geworden war. Kein Wunder, denn dem FelsenClan entging ein beträchtlicher Teil seiner Beute, seit die Zweibeiner seinen Wald vernichteten. Auch jetzt hörte Krabbenpfote das entfernte Knurren der Baumfälldinger und Stammzerteiler.

Krabbenpfote starrte den Laubhaufen vor ihren Pfoten an. Ein Windstoß wehte einige Blätter zur Seite, graue Federn kamen darunter zum Vorschein. Wenn Krabbenpfote so etwas nicht als Unsinn abgetan hätte, hätte sie es fast als eine stumme Aufforderung irgendeiner höheren Macht verstehen können, den Vogel wieder auszugraben. Aber nein. So gern sie dem FelsenClan auch geholfen hätte, es ging nicht. Sie würde damit genau das bestätigen, was man über Katzen dachte, die bessere Freunde im anderen Clan hatten, als im eigenen. Die Chancen standen zwar nicht schlecht, dass niemand etwas bemerken würde, doch wenn sie Pech hatte... Diese Genugtuung würde wollte sie ihnen nicht gönnen. Ihre Clangefährten sollten keinen Grund haben, an ihr zu zweifeln.

An der Grenze angekommen schlugen Krabbenpfote starke Windböen entgegen. Nur ein schneller Schritt zur Seite verhinderte, dass sie von den Pfoten gefegt wurde. Der Regen hatte zugenommen, prasselte auf sie hinab und Krabbenpfote kniff die Augen zusammen. Während ihrer Jagd hatten die kahlen Äste von Sträuchern und Bäumen mehr Schutz geboten, als sie angenommen hätte, doch nun stand sie auf offenem Gebiet. Die Grenze führte hier etwa eine Fuchslänge vom Waldrand entfernt zwischen Felsen und hoch wucherndem Gras hindurch.

»Hallo Krabbenpfote!«, miaute Tupfenpfote, die ein Stück hinter Saphirpfote an einem Stein geschnuppert hatte und nun zu ihnen hinüber gehüpft kam.

Auch wenn sie ebenso wie Saphirpfote eindeutig Gewicht verloren hatte, ihr Lebensmut hatte darunter offenbar nicht gelitten. Manchmal beneidete Krabbenpfote ihre beste Freundin dafür, dass sie stets fröhlich, ja beinahe naiv zu sein schien.

»Hallo«, begrüßte Krabbenpfote die beiden. »Niemand sonst in der Nähe?«

»Nein, niemand«, bestätigte Saphirpfote. »Unsere Mentoren sind weiter innerhalb des Territoriums. Glaube kaum, dass sie uns folgen werden. Sie wollten wegen des Wetters nicht allzu weit gehen.« Er schwieg einen Moment. Wind zerrte an dem Fell der Schüler. »Wir sollten uns vielleicht auch einen geschützten Ort suchen. Ich kann es gar nicht erwarten, wieder trockenen Pelz zu haben.«

»Im alten Fuchsbau?«, schlug Tupfenpfote vor.

»Warum nicht?« Krabbenpfote schüttelte sich und stapfte los. Langsam ging ihr der Regen doch auf die Nerven.

Der alte Fuchsbau war eine eingewachsene Erdhöhle, die mehr oder weniger genau auf der Grenze lag. Krabbenpfote war sich nicht sicher, zu welchem Territorium er eigentlich gehörte, falls das überhaupt irgendeiner Katze klar war. Um einen Fuchsbau kämpfte allerdings niemand, selbst wenn der schon so lange verlassen war, wie Krabbenpfote zurückdenken konnte.

Von der Decke herabhängende Wurzeln eines Strauches, der oberhalb des Eingangs wuchs, streiften Krabbenpfotes Stirn, als sie den Tunnel betrat. Ein paar Schritte führte er sie tiefer ins Erdreich, dann weitete sich der Gang zu einer Höhle, in der eine kleine Gruppe von Katzen gemütlich Platz hatte. Krabbenpfote ging ganz bis nach hinten durch, Saphirpfote und Tupfenpfote, die hinter ihr gelaufen waren, setzten sich näher am Ausgang.

»Und«, begann Krabbenpfote, »habt ihr herausfinden können, wer die falschen Grenzmarkierungen angebracht hat, wegen denen sich unsere Clans gestritten haben?«

Es ging ihr gar nicht so sehr darum, einen Namen zu erfahren. Viel mehr wollte sie einschätzen können, ob der Konflikt weiter eskalieren könnte. Auf der Großen Versammlung hatten die Anführer es zwar geschafft, den Streit wieder zu schlichten, aber das hieß nicht, dass es zu keinen weiteren Auseinandersetzungen kommen konnte.

»Haben eure Krieger nichts davon erzählt?« Saphirpfote, der damit beschäftigt gewesen war, sein Fell trocken zu lecken, blickte auf. »Sie haben unsere Patrouille doch auf der Suche nach Spuren in eurem Territorium eskortiert.«

»Es gab Gerüchte, dass der Regen den Geruch schon zu sehr verwaschen hatte.«

Tupfenpfote nickte. »Ja, das stimmt. Wir wissen nicht, wer die Grenzmarkierungen mitten in euren Wald gesetzt hat. Aber vielleicht war es ja echt ein Versehen. Also wenn es dunkel genug gewesen ist...« Sie schien einen Augenblick nachzudenken. »Ich glaube, Falkenstern geht auch davon aus, dass es keine Absicht war. Er hat nicht mehr wirklich weiter nachgefragt, wer es gewesen sein könnte. Ein paar Krieger meinten sogar, es wäre richtig gewesen, die Grenze verschieben zu wollen. Also...«

»Tupfenpfote«, unterbrach Saphirpfote sie. Seine in der Dunkelheit dunkelblau schimmernden Augen richteten sich für einen Herzschlag auf Krabbenpfote. »Krabbenpfote mag unsere Freundin sein, aber sie muss nicht alles wissen. Sie gehört nicht zu unserem Clan.«

Für einen Augenblick fühlte Krabbenpfote sich verraten. Sie waren doch Freunde, erzählten einander von ihren Sorgen und standen einander so nahe, wie Krabbenpfote es bei ihren eigenen Clangefährten selten erlebte. Selbst wenn sich ihre Gespräche fast nur auf die Großen Versammlungen und gelegentliche zufällige Treffen an der Grenze beschränkten. Aber dann siegte ihr Verstand. Sie konnte Saphirpfote nichts vorwerfen, ja, sie hatte doch eben, als sie die Taube vergraben hatte, noch ganz ähnlich gedacht. Die Geruchsmarkierungen, die vor dem Eingang des Fuchsbaues entlangliefen, trennten nicht nur die Territorien der Clans, sondern auch Krabbenpfote von ihren Freunden.

»Aber...«, begann Tupfenpfote zu protestieren.

Krabbenpfote ließ sie nicht ausreden. »Er hat recht, Tupfenpfote. So ist es nunmal.«

***

Die Schüler hatten noch eine Weile über belanglosere Dinge geredet, bis Saphirpfote Tupfenpfote daran erinnert hatte, dass es allmählich Zeit wurde, zu ihren Mentoren zurückzukehren. Der Regen hatte aufgehört, als Krabbenpfote an der Grenze stand und beobachtete, wie ihre Freunde sich über FelsenClan-Territorium entfernten. Auch sie sollte wohl langsam ins Lager zurückkehren, schließlich hatte sie niemandem Bescheid gesagt, wohin sie gegangen war.

»Hallo, Krabbenpfote.« Die Schülerin zuckte zusammen, verfluchte sich selbst, dass sie nicht bemerkt hatte, dass sie nicht allein war. Jetzt ja nicht den Anschein erwecken, dass sie irgendetwas Verbotenes getan haben könnte. Obwohl, genau genommen war es ja nicht verboten, Freunde im anderen Clan zu haben. Allerdings schien es auch nicht gern gesehen zu sein. Vielleicht – hoffentlich – hatte die Katze hinter ihr ja nicht allzu viel beobachtet. Krabbenpfote drehte sich um.

»Hallo Blattsilber.« Ja, das hatte geklungen, als sei nichts Besonderes vorgefallen.

»Hast du mit den beiden geredet?« Für einen Moment glaubte Krabbenpfote, die junge sandfarbene Kriegerin mit den grauen Tupfen hätte sie durchschaut. Dann jedoch schnurrte Blattsilber. »Das waren Saphirpfote und Tupfenpfote, oder nicht? Ich habe mich auf der letzten Großen Versammlung ein bisschen mit Tupfenpfote unterhalten. Sie ist echt nett!«

»Ist sie.« Erleichtert atmete Krabbenpfote auf. Blattsilber schien nichts zu ahnen. »Sollen wir noch etwas jagen?«

Die Kriegerin schüttelte den Kopf, ihre Miene verfinsterte sich. »Nein, wir haben aus einem anderen Grund nach dir gesucht. Muschelsplitter geht es schlechter. Möwenschrei meinte...« Sie stockte.

»Was meinte er?« Krabbenpfote ahnte nichts Gutes.

Blattsilber schaute auf den Boden. »Er wird vielleicht nicht überleben.«

»Ich hole noch eben meine Beute. Die liegt da drüben, nur ein paar Fuchslängen entfernt, bin sofort wieder da.« Ohne auf eine Antwort zu warten, machte Krabbenpfote kehrt und sprintete zu der Stelle, an der sie die Taube vergraben hatte. Sie würde so schnell es ging ins Lager zurückkehren.

***

Mehrmals wäre Krabbenpfote fast über ihre Beute gestolpert, die in ihrem Maul baumelte, während sie durch den Wald hastete. Sie hatte Blattsilber beim alten Fuchsbau zurückgelassen, wo die Kriegerin noch etwas auf die Jagd gehen wollte.

»Das musst du gerade sagen.« Das Miauen kam von irgendwo Richtung Grenze. »Wer ist denn diejenige, die erst vor ein paar Sonnenaufgängen Beute auf unser Territorium verfolgt hat und hier erlegt hat?«

Krabbenpfote spitzte die Ohren, hatte jedoch nicht vor, anzuhalten oder gar nachzusehen, was los war. Ihr Mentor war wichtiger.

»Der FelsenClan benötigt die Beute dringender als ihr. Was können wir denn dafür, wenn die Zweibeiner alle Tiere aus unserem Territorium vertreiben? Dieses Hermelin war vielleicht auch nur deshalb drüben bei euch. Es ist bestimmt vor dem Lärm aus unseren Jagdgründen geflohen.«

»Was redest du für einen Unsinn?« Krabbenpfote erkannte Flammenspritzers Stimme. »Die Zweibeiner wüten an einem ganz anderen Teil der Grenze. Hinten in Richtung der Berge! Fliederpfote hat das Hermelin gefangen, es ist unseres.«

»Könnt ihr uns es nicht schenken? Dann müssen wir uns nicht weiter streiten und...«

»Was an ›unsere Beute‹ hast du nicht verstanden?«

Krabbenpfote war fast außer Hörweite, blieb nun aber doch stehen. Das freundliche Miauen der Katze, die unterbrochen worden war, das war Tupfenpfote gewesen.

»Tupfenpfote hat recht«, miaute jemand. Die Stimme klang wie Fliederpfotes. »Ich habe die Duftmarkierungen nicht bemerkt, als ich das Hermelin verfolgt habe. Ich wollte keinen Streit verursachen! Aber Beute wurde auf FelsenClan-Territorium gefangen, also... ich würde sie gern abgeben.«

»Kommt gar nicht in Frage.« Ein Rascheln ertönte. »Es ist nicht deine Schuld, dass das Hermelin sich entschieden hat, in Richtung der Grenze zu fliehen. Was hättest du tun sollen? Es laufen lassen? Wenn du es nicht gefangen hätte, würde es jetzt niemandem den Magen füllen. Der FelsenClan hat also keinen Verlust erlitten.«

»Mit der Argumentation könnte man ja jeden Beutediebstahl rechtfertigen!«

Weiteres Rascheln. Jaulen. Knurren. Ein Aufprall.

»Was ist hier denn los?« Saphirpfotes Miauen, irgendwo dort an der Grenze.

Krabbenpfote zögerte. Konnte sie das, was sich wie ein entstehender Kampf anhörte, einfach ignorieren? Ihre Freunde waren anwesend. Sie wollte nicht, dass sie verletzt wurden. Andererseits würde sie kaum etwas ausrichten können. Auch Tupfenpfote und Fliederpfote hatten eine friedliche Lösung vorgeschlagen, doch niemand hatte auf sie gehört. Außerdem wollte sie Saphirpfote und Tupfenpfote nicht in einem Kampf gegenüberstehen müssen. Und dann war da noch Muschelsplitter. Wenn sie zu lange brauchte, um ins Lager zurückzukehren, wäre es möglicherweise zu spät. So wie bei ihrem Vater, der gestorben war, während sie auf einer Patrouille gewesen war. Würde sie sich das verzeihen können?

Das Jaulen und Kreischen wurde lauter. Krabbenpfote fasste einen Entschluss. Sie würde ihren Weg zurück zum Lager fortsetzen. Dort könnte sie Pfützenstern erzählen, was sie gehört hatte, und hätte somit auch vor ihren Clangefährten einen guten Grund, warum sie sich nicht eingemischt hatte.

Sie war erst wenige Kaninchenlängen weit gekommen, da brach eine Gestalt neben ihr durchs Unterholz.

»Krabbenpfote!« Fliederpfotes Augen waren weit aufgerissen, ihr Pelz gesträubt. »Gut, dass du hier bist!« Die Schülerin verlangsamte ihre Schritte, hielt aber nicht an. »An der Grenze gibt es einen Kampf.« Sie stolperte, fing sich im nächsten Herzschlag wieder, richtete ihren Blick nach vorn, statt auf Krabbenpfote, stürmte weiter. »Du musst ihnen helfen. Ich gebe im Lager Bescheid!«

Schon hatte sie Krabbenpfote, die wegen der Taube in ihrem Maul langsamer gewesen war, überholt und preschte zwischen den Bäumen davon. Krabbenpfote sah ihr nach und knurrte leise. Warum musste es immer so laufen? Warum musste immer alles auf einmal schiefgehen? Das war's jetzt also mit ihrem Grund, zum Lager zurückzukehren. Selbst, wenn es um Muschelsplitter ging. Krabbenpfote kannte ihren Mentor gut genug, um zu wissen, dass er sie in einem Moment wie diesem an der Seite ihrer kämpfenden Clangefährten und nicht im Heilerbau sehen wollen würde.

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