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❝Bekannte Gesichter❞

"FINLEY!", RIEF SAM und wandte sich von Bianca ab. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sie blickte zur Seite und entdeckte Liz. Ein schwerer Brocken fiel ihr vom Herzen als sie erkannte, dass beide wohlauf waren. Keine Brandblasen oder sonstige Verletzungen waren zu sehen.

"Geht schon, geht schon", meinte Finley, als Sam auf ihn zugekommen war und ihn abstützen wollte. "Ich fühl mich fit wie ein Turnschuh." Er stand stolpernd auf und schenkte ihnen ein schiefes Grinsen. Bianca atmete beruhigt aus und schüttelte den Kopf.

"Was ist denn jetzt los?", fragte Liz unsicher. Sie rieb sich die Augen und blinzelte wie ein verwirrtes Häschen, als wären die Papierwände noch immer hier. Angst spiegelte sich in ihrer gekrümmten Haltung wider. Bianca erhob sich und lief zu ihr hinüber.

"Ist okay, Liz. Wir sind jetzt sicher. Wir befinden uns in der Zukunft", erklärte Bianca behutsam. Ihre Stimme klang rauer als gewollt. Liz' Augen weiteten sich bei ihren Worten und sie sah hinauf, als suche sie nach neuen Gefahren. Man sah ihr deutlich an, dass sie Gott und der Welt misstraute.

"Wir haben eine Zeitreise gemacht?", fragte Finley und breitete seine Arme aus. "Cool! Wo ist denn die Zeitmaschine?" Er sah sich um. Die ruhige Umgebung breitete ihre warmen Strahlen aus und strich ihnen über die Seele. Nichts Ungewöhnliches war zu erkennen.

"Es gibt keine Zeitmaschine", lachte Sam. Er kniff die Augen zusammen, als versuchte er, die Erinnerungen über den Wolken abzurufen. Bianca beäugte ihn skeptisch.

"Nicht? Wie habt ihr das dann gemacht?", fragte Finley verwirrt.

"Könnt ihr zaubern?", wollte Liz wissen. Sie verschränkte ihre Hände hinter dem Rücken.

"Liz", seufzte Bianca mit verdrehten Augen. Sie blendete die Frage aus, indem sie sich Sam zuwandte und sich die vergangenen Geschehnisse durch den Kopf gehen ließ.

"Das ist eine komplizierte und verwirrende Geschichte, die ich ehrlich gesagt selbst noch nicht ganz verstanden habe", deutete Sam an und schenkte Bianca einen aussagekräftigen Blick, als erwartete er, dass sie darauf weiter einging. Sie legte den Kopf in den Nacken.

"So kompliziert wie das Innenleben einer Zeitmaschine?", wollte Finley wissen. In ihm kribbelte ohne Zweifel die Abenteuerlust.

"Bitte, ich muss mich konzentrieren", keifte Bianca und griff sich an die Schläfen. Ihre Nerven lagen blank. Zuvor hatte die Ruhe ihre Seele gereinigt, doch jetzt waren die nervigen Stimmen und die stressigen Probleme zurück.

"Was ist mit dem Riss? Ist der jetzt weg?", fragte Liz und blinzelte mehrmals.

"Ja, ist er", gab Bianca scharf wider. "Oder siehst du ihn irgendwo?"

"Nein", antwortete Liz, nachdem sie sich einmal um ihre Achse gedreht hatte und mit zusammengekniffenen Augen die Umgebung untersucht hatte.

"Eben", brummte Bianca.

"Aber was, wenn er wiederkommt?", fragte Liz. "Werden wir dann alle sterben?" Sie legte ihre Hand auf die Brust, als springe ihr jeden Moment das Herz heraus.

"Bitte halt den Rand. Ich wollte zuerst Finley noch etwas geben", gab Bianca wider. Sie bückte sich und ergriff den Hut. Als sie ihn aufhob, heftete sich ein glitzerndes Augenpaar darauf.

"Hildegard!", rief Finley und stürzte auf Bianca zu, als hielte sie sein Leben in den Händen. Er riss den Hut aus ihrem Griff und umarmte das Stück Filz.

"Hildegard?", fragte Sam schmunzelnd. "Wer ist Hildegard?"

"So heißt mein Hut", murmelte Finley gedankenverloren. Er löste sich und betrachtete ihn eine Armlänge entfernt. Bianca schüttelte ihren Kopf. Sein Hut hatte also einen Namen. Ganz normal. Es entlockte ihr beinahe ein Schmunzeln, doch im nächsten Moment erinnerten sie schrille Alarmglocken in ihrem Kopf daran, dass die Lage ernst war. Ernster als sie es wahr haben wollte. Sie durfte sich von seichten Späßen nicht ablenken lassen.

"Okay. Gut. Da jetzt alles und jeder wieder sein Zeug hat, wollte ich fragen, ob ich das hier", Bianca holte die Feder hervor, "behalten darf. Das hat euch beiden das Leben gerettet und könnte uns noch von Nutzen sein." Sams blaues Blut klebte an der Spitze. Es war noch nicht getrocknet und blitzte im Licht der Sonne auf, sodass die Erinnerung an die Sache mit den Zeichnungen in ihren Kopf schoss.

"Klar, du darfst es gern haben", sagte Finley und zuckte mit den Schultern. "Was eine einfache Feder alles drauf hat, glaubt man ja kaum." Da hatte er recht. Sie selbst konnte es noch immer nicht fassen.

"Ich hab euch mit dem Teil gezeichnet und dadurch seid ihr zum Leben erwacht", erklärte Bianca kurz und knackig. Sie fuhr sich durch ihre Haare, als sie sich Sam zuwandte und nach einer Bestätigung suchte.

"Genau", gab Sam ihr recht. Ein Zucken ging durch seine Lippen, doch er fügte nichts hinzu. Unausgesprochene Worte lagen zwischen ihnen in der Luft.

"Aber was ist jetzt mit dem Riss?", fragte Liz mit bebender Stimme. Sie stand mit dem Rücken zu Bianca.

"Mach dir keine Kopf", beschwichtigte Sam.

"Ja, Liz. Hör auf", fügte Bianca. "Es nervt. Ich will nichts mehr vom Riss hören oder sehen."

"Aber-"

"Nein, sei endlich leise", schnitt sie ihr das Wort ab. Liz regte sich nicht. Sie stand erstarrt da, ohne einen Mucks von sich zu geben. Erleichtert seufzte Bianca auf und hob ihren Blick an. Sam starrte durch sie hindurch, als wäre sie aus Glas. Irritiert zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Auch Finleys Mimik war vollkommen entgleist. Er ließ seinen Hut fallen.

Ein kaum hörbares Grollen durchfuhr die Erde. Es war so tief wie das Knurren eines riesigen Höllenhundes, der wie ein Schatten im Verborgenen kauerte. Biancas Augen weiteten sich und sie wandte sich langsam um. Ihre Bewegungen waren vorsichtig, als würde sie mit ihrer Hektik etwas auslösen, dass sie überwältigen könnte.

"Verdammt", entfuhr es Bianca lautlos, als ihr Blick den starrenden Augenpaaren gefolgt war. "Verdammte Scheiße." Sie sahen in den Himmel hinauf, der sich kaum merklich verdunkelt hatte. Es war so schleichend vorangegangen, dass sie es gar nicht bemerkt hatte. Verärgert biss sie sich auf die Lippe. Genau das war bereits einmal passiert. Es durfte nicht ein weiteres Mal geschehen. Es durfte nicht.

Durch den Papierhimmel schlängelte sich ein dünner Riss. Er durchtrennte alles in zackigen Bewegungen, die jedoch so langsam und still waren, dass es kaum auffiel. Die Scheinheiligkeit machte Bianca sprachlos. Wenn es krachen und stürmen würde, könnte sie die Situation besser wahrnehmen. Im Moment konnte sie es nicht erfassen. Es war unmöglich. Es war einfach unmöglich.

Innerlich brach Chaos aus. Im Prinzip durfte es sie nicht wundern. Was hatte sie sich gedacht, als sie aus dem Nichts gesprungen war? Sie hätte Sam gehen lassen und oben bleiben müssen. Dort war es sicher. Dort besaß der Spalt keine Macht. Doch hier konnte sich die hinterhältige Boshaftigkeit des Risses in seiner vollen Stärke entfalten. Die unterdrückte Wut floss durch die Grashalme, Blätter und die vertrocknete Erde, bis sie austrat und die Luft zum Flirren brachte. Wie Zeitungspapier raschelten die Äste, als aus einem sanften Lüftchen ein unruhiger Wind wurde. Er hatte das Potenzial, zu einem Sturm heranzuwachsen.

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