Zwölf
Tristan hielt wütend die Arme vor der Brust verschränkt. Sein rechter Fuß wippte nervös und die Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben. Jay hatte nichts sagen müssen. Natürlich wussten seine Freunde Bescheid. Er und Sanjana standen im Gästehaus wie zwei Lämmer vor der Schlachtbank. Zumindest kam es Jay so vor.
Sanjana hingegen, machte keinen nervösen oder schuldigen Eindruck. Schweigend hörte sie sich Tristans Gemecker an, blickte ihm dabei nicht einmal in die Augen. Sie sah die ganze Zeit auf den Boden vor sich. Jay wünschte sich jetzt gerade seine Beherrschung zurück, aber irgendwie hatte er sie in den letzten Stunden verloren.
„Ihr beide,", fuhr Tristan mit seine Schelte fort, „ihr habt den Verstand verloren. Vollkommen. Du, Jay, hast dich mit einer Senatorin eingelassen. Schlimm genug, dass du das Gesetz gebrochen hast. Aber musste es eine Senatorin sein? Und Ihr, Mylady, habt keine Ahnung, was es für einen Krieger bedeutet ein Gesetz zu brechen. Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, dann verliert Ihr nur Euer Gesicht. Vielleicht sogar Eure Stellung im Senat. Aber Jay kommt an den Galgen."
Erschrocken schnappte sie nach Luft und sah hoch. Nur sah sie immer noch nicht Tristan an. Ihr Blick galt Jay. Dieser versuchte ein schwaches Grinsen.
„Wie konntest du mir das verschweigen?"
„Wann hätte ich dir dass denn sagen sollen?"
Tristan seufzte.
„Ihr tätet gut daran, die ganze Sache zu vergessen und einen gewissen Abstand zu wahren."
Plötzlich traten Ram und Alain ins Haus. Sie sagten aber nichts zu der Szene. Stattdessen reichte Ram Jay ein Stück Papier.
„Was ist das?"
„Ein Kurier aus Dokrat hat es gerade abgegeben. Es ist eine verschlüsselte Nachricht von General Thamgeir."
Jay entfaltete die Botschaft und las sie durch. Er konnte sein Missfallen über den Inhalt nicht vor den anderen verbergen.
Sein Gesicht musste ziemlich schockiert aussehen, denn alle starten ihn besorgt an.
„Was ist passiert?", fragte Sanjana jetzt ungeduldig.
„Eine Nachricht von deinem Vater."
„So viel habe ich verstanden. Was schreibt er?"
„Die Grenzstadt...", er brachte die Worte nur schwer über seine Lippen, „ist gefallen. Die Saboraner sind mit ihrer Hauptarmee in Tamaran eingefallen."
Entsetzen erfüllte alle.
„Also hat es begonnen", sprach Tristan Jays Gedanken aus.
Seit Jahren herrschte Krieg zwischen Tamaran und Saboran. Die kleinen Kämpfe um die Grenzstadt waren lediglich Geplänkel gewesen. Doch jetzt hatte sich die Hauptarmee Saborans in Bewegung gesetzt. Die Lage war absolut ernst.
„Tja, sieht so aus, als müssten wir Namalia bald verlassen", meinte Ram etwas unsicher und er konnte den leicht betroffenen Unterton in der Stimme nicht verbergen.
„Mohan,...", Jay räusperte sich, „Ich meine General Thamgeir ist auf dem Weg hier her und will Sanjana persönlich nach Dokrat begleiten."
In der Situation war es absolut verständlich, dass Mohan seine Tochter in Dokrat in Sicherheit wissen wollte. Da konnte sie sich noch so sehr auf den Kopf stellen.
Jay konnte nicht annähernd beschreiben, wie sehr ihm das auf einmal missfiel. Erstens würde Mohan garantiert die Beziehung zwischen ihm und Sanjana nicht dulden und zweitens war Dokrat der letzte Ort, an dem Sanjana im Krieg sein sollte. Jetzt nicht mehr. Immerhin würde die Armee der Saboraner direkt dorthin gehen.
Wenn Dokrat als Hauptstadt fiel, würde ganz Tamaran fallen. Aber Mohan wollte sie dorthin bringen und Jay hatte das zu akzeptieren. Sein Herz fühlte sich an wie ein Stein, so
unglaublich schwer wurde es ihm.
Da war noch etwas, was ihn beunruhigte. Jeremy war immer noch dort draußen. Mohan wusste das noch nicht.
„Verdammt!", fluchte Jay und ballte die Fäuste neben seinem Körper. Dabei zerknüllte er das Papier.
„Außerdem schickt uns Mohan nach Santurin. Wir werden Namalia verlassen, sobald er eingetroffen ist."
Wie konnte Mohan ihn nur in dieser Zeit nach Santurin schicken? Natürlich konnte er von Jeremys Angriff nichts wissen, trotzdem
wollte er Sanjana nicht verlassen. Sie schwebte in höchster Gefahr. Alle in Namalia schwebten in Gefahr. Er konnte nicht weg.
„Santurin?"
Alain schien skeptisch.
„Warum nach Santurin?"
„Das schreibt er nicht."
Jay bemühte sich nicht allzu frustriert zu klingen. Er erinnerte sich an das kleine Dorf nicht weit von Namalia entfernt. Es befand sich hinter Namalias Wäldern. Drohte Santurin ein Angriff? Hatte Jeremy wieder eine Warnung geschickt? Wenn ja, warum dann zum General und nicht an Jay selbst?
Es konnte wieder ein Ablenkungsmanöver sein, um die Krieger aus der Stadt zu locken. Nein, das war es nicht. Mohan hätte ihn in dem Schreiben erwähnt.
„Wir werden sehen, was Mohan beabsichtigt. Wenn er einen Befehl gibt, müssen wir Folge leisten."
„Sagst du das jetzt zu dir selbst?", fragte Tristan mit einem vielsagenden Unterton.
„Ich habe noch nie Mohans Befehle missachtet."
„Aber jetzt würdest du genau das am liebsten tun, hab ich nicht Recht?"
„Ach sei doch still, Tristan. Ich habe keine Wahl, selbst wenn es mir nicht gefällt. An meiner Loyalität Mohan gegenüber hast du nicht zu zweifeln", knurrte Jay gereizt.
„Ich zweifle nicht an deiner Loyalität, Jay, nur an deiner Motivation."
„Was soll das heißen? Denkst du ich weigere mich gegen einen ausdrücklichen Befehl?"
„Das habe ich nicht gesagt", widersprach Tristan.
„Was willst du dann von mir?", fragte Jay mit lauter Stimme.
„Ich kenne dich, Jay. Daher weiß ich wann du kurz davor bist wieder eine riesige Dummheit zu machen. Ich sehe es dir an. Als dein Freund warne ich dich, weil ich nicht will, dass du dir deinen eigenen Strick drehst."
„Ich sagte doch, ich werde dem Befehl folge leisten", erklärte Jay genervt und hielt das knittrige Pergament hoch.
Er hatte keine Lust mit Tristan zu streiten. Andererseits hatte allein er das Recht ihn derart zu kritisieren.
„Nun hört schon auf, ihr Beiden. Ich stelle Jays Entscheidungen nicht in Frage und egal was er tut ich stehe hinter ihm."
Ram trat schlichtend zwischen Tristan und Jay.
„Jay, keiner hat deine Loyalität angezweifelt..."
„Doch, er!", unterbrach Jay und deutete auf Tristan.
„Weil ich dich zu genau kenne", rechtfertigte Tristan sich. „Du machst einen Fehler nach dem anderen und ich werde nicht zulassen, dass du ihretwegen dein Leben zerstörst."
Tristan deutete nun auf Sanjana, die verzweifelt neben Jay stand und nicht den Kernpunkt des Streits verstand.
„Wenn du auch nur mit der Wimper zuckst, erkennt Mohan was los ist. Glaubst du er wird dich in Schutz nehmen, nur weil er dich großgezogen und ausgebildet hat? Immerhin geht es hier um seine Tochter. Und du bist wie ein Sohn für ihn. Er wird nicht darüber hinweg sehen was ihr beide getan habt."
Jay gab nach. Er ließ schwermütig den Kopf sinken und sparte sich weitere Argumente. Tristans Worte schmerzten ihn sehr, aber er hatte recht.
Jay konnte seine Gefühle unmöglich vor Mohan verbergen. Allein das zu wissen, brachte ihn schon fast um den Verstand. Jay konnte nur hoffen, das Mohan aus lauter Sorge um Sanjana nicht so genau auf Jays Gefühlswelt achtete.
Für die nächsten paar Tage verhielt Jay sich normal und distanziert. Besonders Sanjana gegenüber. So sehr ihn das auch quälte, er durfte ihr nicht mehr nahe sein. Sie schien es nicht gut zu finden, dass er sich wieder distanzierte, akzeptierte es aber. Sie hatte ihn nie wieder auf die Unterhaltung zwischen ihm und Tristan angesprochen. Jay spürte ihre Verwirrung. Nur war er auch dankbar für ihr Verständnis für eine ausgesprochen schwierige Lage.
Von Jeremy allerdings fehlte jegliche Spur. Die Krieger stellten ganz Namalia auf den Kopf. Aber Jay hatte schon befürchtet, dass er sich nicht dauerhaft in der Stadt aufhalten würde. Vielleicht dachte er auch Sanjana sei tot. Immerhin hatte er sie vergiftet.
Nein, Jay traute dem Mann nicht über den Weg. Dazu war Jeremy zu gerissen. Vielleicht würde er auch zu Satjin zurück kehren, nun da er offiziell in Tamaran einfallen wollte.
Wenn Sanjana in seiner Nähe war, merkte Jay, wie wenig er sich konzentrieren konnte. Sein Channa versagte in ihrer Gegenwart.
Eine erschreckende Tatsache. Davon hatte Jeremy ja schon berichtet, nur hatte Jay es nicht wahr haben wollen. Langsam konnte Jay es nicht mehr verleugnen. Er musste sich ganz auf die Fähigkeiten der anderen Krieger verlassen.
Tristan hatte sich weitere Vorträge gespart und half Jay seinen Auftrag so gut wie möglich durchzuführen, bevor der General eintraf. Niemand konnte ihn besser verstehen, als sein bester Freund - trotz der ernsten Bedenken, die er hatte.
Ohne ihm viel sagen zu müssen, wusste Tristan wie es in Jay aussah. Er war hoffnungslos in diese Frau vernarrt! Jedwedem Sinn und Verstand.
Niemals sollte sich ein Krieger so intensiven Gefühlen hingeben. Es war gefährlich. Mal abgesehen davon, dass er abgelenkt war und ihm das allein schon in gefährlichen Situationen das Leben kosten konnte.
Wenn sich das Channa in zu starken Emotionen verlor, bestand die Gefahr, dass Jay es nicht mehr kontrollieren konnte. Das durfte absolut niemals geschehen. Der Wahnsinn würde ihn ereilen und ihn ins Chaos stürzen. Er würde verrückt werden und alles und jeden um ihn herum vernichten.
Mit solch einem mächtigen Channa, wie dem seinen, würde das zu großen Schaden in der Welt anrichten.
Noch ein Grund für Jay sich von Sanjana fern zu halten und auf die weisen Worte seines Freundes zu hören. Jay wusste nicht, ob es allein Freundschaft oder Mitleid war, was Tristan dazu bewegte ihn so zu unterstützen.
Vermutlich beides.
Nie hätte Jay geahnt, dass er zu solch tiefen Gefühlen fähig war und jetzt konnte er sie kaum unterdrücken.
Wahrscheinlich hatte Jay deshalb auch ein schlechtes Gewissen Ram gegenüber, der es seit Jahren schaffte seine Gefühle für Samara zu unterdrücken.
Während er es sich schweren Herzens untersagt hatte, war Jay nicht stark genug gewesen und hatte sich einfach genommen, was er wollte.
Dafür machte ihm Ram zum Glück keine Vorwürfe.
Ganz im Gegensatz zu Samara. Sie war furchtbar wütend auf Jay. Seit dem sie wusste, was zwischen ihm und Sanjana passiert war, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Zugegeben fand er ihre Reaktion übertrieben, konnte aber ihre Sorge um ihre Freundin gut nachvollziehen. Er selbst machte sich ja die selben Sorgen und Vorwürfe. Sanjana war die einzige, die es nicht zu bereuen schien. Sie bereute es wirklich nicht. Noch nicht.
~
Sanjana wollte ihren Vater nicht sehen. Warum machte er sich nur die Mühe persönlich nach Namalia zu kommen? Er konnte sich komplett auf Jay und die anderen Krieger verlassen. Sie konnten sie beschützen, also warum kam er dann her?
Missmutig betrachtete sie sich im Spiegel. Ihr Haar war zerzaust und fiel ihr in sanften Locken über die Schulter. Sie trug wieder
eine Hose, eine Bluse und ein Mieder.
Verzweifelt versuchte sie ihr Haar zu bändigen. Ließ aber trotzig die Hände sinken. Eine Zeit lang starrte sie ihr Spiegelbild an. Eigentlich war sie ja recht hübsch. Nur ihr Haar war grausam. Sie erinnerte sich an Jays Hand, wie er es gestreichelt hatte. Ihr schien es eine Ewigkeit her zu sein, seid sie mit ihm eine Nacht verbracht hatte. Seid er sie das letzte Mal berührt hatte. Sie hatte Sehnsucht nach ihm.
Seine Distanziertheit war schrecklich und machte sie zu einem nervlichen Wrack.
Wieder versuchte sie ihr hüftlanges Haar zu kämmen. Erneut ohne Erfolg. Sie verzog das Gesicht. Dann ließ sie sich von ihrer Dienerin eine Schere bringen. Sie war es leid. Was sollte sie schon mit so langen Haaren machen? Sie waren zwar schön, aber unpraktisch. Keine Frau sollte mit so langen Haaren in die Schlacht ziehen. Und die Schlacht würde ihr bevorstehen. Daran hatte sie keine Zweifel.
„Mylady, was tut Ihr da?", rief die Dienerin erschrocken, als Sanjana sich kurzum die Haare bis zur Schulter abschnitt.
Anschließend band sie sich die restlichen Strähnen einfach zusammen und betrachtete ihr Werk. Es schmerzte. Jetzt war sie nicht mehr so schön.
„Es sind doch nur Haare", meinte Sanjana zur Dienerin. Doch wollte sie sich nicht eher selbst beruhigen? Da klopfte plötzlich jemand an die Tür zu ihren Gemächern.
„Herein!", rief sie.
Jay trat ein. Sein Blick sah die Haare auf dem Boden. Dann schaute er zu Sanjana. War es Schmerz oder Sorge, was sie in seinen Augen las? Es schien fast, als hätte er durch sein Channa gespürt, was sie tat. War er deshalb gekommen?
„Ich...hatte das Bedürfnis etwas zu verändern."
Sanjana schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. „Es ist so viel praktischer."
„Tristan hatte Recht, du hast den Verstand verloren."
„Vermutlich", erwiderte sie trocken.
Er sah sie immer noch besorgt an. Einen Moment schien er versucht zu ihr zu gehen. Hielt sich aber zurück. In dem Moment fiel ihr auf, dass seine rechte Hand verbunden war - seine Schwerthand. Hatte er sich verletzt? Wann war das geschehen?
Sie widerstand krampfhaft dem Drang zu ihm zu gehen und nach seiner Verletzung zu sehen.
Jay lenkte sie von ihren Gedanken ab. „Es ist gar nicht so schlecht. Dein Haar verrät dich. So wirst du nicht so leicht zu erkennen sein, wenn wir Namalia verlassen müssen."
Die Dienerin verließ die Gemächer.
„Und was denkst du wirklich?"
Eigentlich wollte sie die Antwort nicht hören. Sie hatte Angst es könnte ihm nicht gefallen.
„Wie du gesagt hast...es ist praktischer."
„Das meine ich nicht."
„Sanjana, frage mich nicht so etwas. Es ist besser du..."
„...hältst dich von mir fern?", beendete sie den Satz für ihn. „Wolltest du das sagen? Ich weiß, dass ich nicht bei dir sein darf. Ich weiß, dass ich dich nicht einmal anfassen darf. Ich weiß, dass ich dich nicht lieben darf. Und weißt du was....es quält mich ungemein. Ich werde wahnsinnig, je mehr du dich von mir distanzierst. Soll mein Vater doch herkommen. Soll er mich verfluchen für meine Gefühle für dich. Ich bin kein Krieger. Ich kann meine Gefühle nicht so gut unterdrücken wie du."
Er wurde blass und wieder sah sie einen schmerzerfüllten, gequälten Ausdruck in seinen Augen.
„Wäre ich dir doch nie näher gekommen, Sanjana. Dann würde es dir jetzt nicht so schlecht gehen."
Jay hatte in die Alte Sprache gewechselt.
„Mir geht es nicht schlecht", sagte sie, ebenfalls in seiner Sprache.
„Oh doch. Es quält dich. Ich kann dir versichern, dass es mir alles andere als leicht fällt mich von dir fern zuhalten. Dich nicht
zu berühren, zu...Aber besser wir beenden es, bevor wir noch unglücklicher werden. Du weißt, dass es niemals funktionieren würde."
Sanjana presste die Lippen zusammen. Sie wollte jetzt auf keinen Fall weinen.
„Ich kann das nicht."
Sie unterdrückte ein Schluchzen und ihre Stimme zitterte. „Nicht nachdem du mir so viel gegeben hast."
In zwei Schritten war Jay bei ihr.
„Mach um Himmels willen nicht so ein Gesicht. Ich kann alles ertragen, aber nicht dein trauriges Gesicht."
Er nahm sie in den Arm, drückte sie behutsam an sich und strich ihr über das nun viel kürzere Haar.
Das hatte sie vermisst; Seinen Duft nach Leder und Holz, die Wärme und Zärtlichkeit seiner großen Hände, den langsamen Herzschlag und das klare Gefühl von Sicherheit durch seine bloße Anwesenheit.
„Es wäre mir egal, wenn der Himmel blutrot wäre. Mir wäre es eigentlich auch egal, wenn morgen die Welt untergeht...aber irgendwie kann ich es nicht ertragen, wenn sich Tränen in deinen Augen bilden."
Sie schlang die Arme um seinen Oberkörper und drückte sich noch näher an ihn. Spürte wie seine Brust bebte und lauschte dem monotonen Geräusch seiner leisen Atmung. Ein Beweis dafür, dass er ein Mensch war.
Krieger waren ihr immer unwirklich erschienen. Besonders, wenn sie so gut aussahen und fantastisch kämpfen konnten wie Jay. Am liebsten hätte sie die Zeit angehalten und wäre für immer in seiner Umarmung geblieben. Zumindest war sie so am sichersten.
Langsam löste er seine Arme und drückte sie von sich. „Ich liebe deine Haare."
Sie staunte über sein plötzliches Geständnis.
„Zwar gefielen sie mir länger besser, aber es ist auch gut so, wie es jetzt ist."
Sanjana konnte nicht länger widerstehen. Sie küsste ihn. Er war so überrascht, dass er so schnell nicht reagierte. Dann wollte er sie erneut von sich schieben. Sanft aber bestimmt.
„Nicht", sagte er nur. Nach einer Pause sprach er weiter:
„Sanjana, du weißt, warum ich dich abweise, oder?"
Enttäuscht wandte sie sich ab und spürte einen scharfen Stich in der Brust. Sie konnte seine Einwände ja verstehen, doch schmerzte es.
Plötzlich hörten sie beide Tristan nach Jay rufen. Dieser verdrehte die Augen. Er drehte sich zum Gehen, stoppte aber noch in der Bewegung. Er hob ihr Kinn mit seiner Hand und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf den Mund. Einen intensiven und langen Kuss, der ihr wie ein Abschied vorkam. Als wollte er ihr sagen, es sei das letzte Mal, dass er sie küssen würde.
Wann wusste er eigentlich was er wollte? Gerade noch hatte er sie vernünftig zurück gewiesen und nun gab er ihr doch einen Kuss.
Doch er rettete sie damit vor dem Ertrinken in ihren eigenen, jämmerlichen Gefühlen.
Viel zu schnell entfernte er sich von ihr und ging aus den Gemächern. Einen Moment sah sie ihm nach. Tatjanas Worte fielen ihr ein. Obwohl sie immer noch nicht wusste, wer die Frau war, sie hatte ihr geholfen. Sie hatte ihr geraten ihren eigenen Anker zu finden.
Erst jetzt verstand sie, was sie gemeint hatte.
Jay war ihr Anker. Sie musste ihn festhalten, durfte ihn nicht verlieren, sonst drohte sie zu ertrinken. Nie hätte sich Sanjana vorstellen können für jemanden so tiefe Gefühle zu haben.
Sie kannte Jay nicht lange und war ihm schon mit Haut und Haaren verfallen. Woher kam er überhaupt? Was war mit seiner Familie geschehen? War er auch ein Flüchtling aus Nidava?
Oh in welches Unglück hatte sie sich da nur gestürzt?
Langsam trat sie aus ihrem Zimmer, die Treppe hinunter in die Halle. Dort standen alle Krieger erwartungsvoll. Auch Samara war da. Sie kam gleich auf Sanjana zugelaufen.
„Dein Vater ist da."
Damit hatte sie nicht gerechnet. Obwohl er sich angekündigt hatte, war er viel zu schnell angekommen. Von nun an würde einiges anders werden.
Sanjana sah wie ihr Vater das Haus betrat. Er hatte sich äußerlich nicht viel verändert, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ein stolzer General, seines Ruhmes würdig.
Sobald er das Haus betreten hatte, nahmen die Krieger Haltung an. Wieder sah Sanjana ihre ausdruckslosen Mienen. Kein Gedanke, kein Gefühl regte sich mehr in ihren Gesichtern. Stattdessen gaben sie dem General den ehrwürdigen Krieger-Gruß und eine leichte Verbeugung zum Zeichen des Respekts und der Ehrfurcht vor seinem Rang.
Ihr Vater kam auf sie zu. Er lächelte, erfreut sie zu sehen. Zunächst wusste sie nicht wie sie reagieren sollte. Dann aber kamen tausend Gefühle in ihr hoch und sie beschloss ihren Hass auf ihn zu vergessen.
Wem wollte sie denn noch etwas beweisen, wenn sie ihm jetzt immer noch die kalte Schulter zeigen würde? Außerdem war sie ihm unheimlich dankbar dafür, dass er ihr Jay geschickt hatte. Von Gefühlen überwältigt fiel sie ihm in die Arme und fing an zu schluchzen. Dabei hatte sie sich vorgenommen nicht zu weinen. Sehr verwirrt umarmte er sie und streichelte sie beruhigend.
„Es tut mir so leid, Vater!", schluchzte Sanjana demütig.
„Schon gut. Mir tut es auch leid. Aber ich bin heilfroh dich gesund und wohlauf zu sehen."
Sanjana löste sich aus seinen Armen und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
„Dank deiner Krieger. Ich verdanke ihnen mein Leben."
„Ach wirklich?"
Der General sah unvermittelt zu den Kriegern hinüber, die immer noch reglos nebeneinander standen, die Arme hinter dem Rücken.
„Nun, dann bin ich umso glücklicher dich zu sehen. Wir haben viel zu besprechen, Sanjana. Ich möchte alles wissen, was du so getan hast."
Alles? Fragte sich Sanjana skeptisch. Besser sie würde ihm nicht alles sagen.
„Aber zuerst muss ich mit meinen Männern sprechen."
Er winkte Jay zu sich, ohne darauf zu achten, dass dieser seiner Aufforderung folgte. Er hatte es natürlich gesehen und kurz darauf stand er neben Sanjanas Vater. Er hielt demütig und respektvoll den Blick gesenkt. So als dürfte er dem General nicht in die Augen sehen. Sanjana fragte sich, ob er genauso nervös war, wie sie.
„Major Mathur, ich erwarte einen ausführlichen Bericht."
„Selbstverständlich,..."
Jay zögerte.
„Was ist?", hakte der General nach.
„Was hat es mit Santurin auf sich?"
„Ah ja. Es ist mir zu Ohren gekommen, dass das Dorf Hilfe braucht. Saboraner sollen sich dort eingenistet haben. Was wisst Ihr darüber?"
„Nicht viel, Herr."
„Wieso nicht? Ich hatte Euch doch gebeten Nachforschungen anzustellen. Santurin ist nicht weit von Namalia entfernt. Es könnte doch sein, dass es eine Verbindung zu den Angreifern gibt, die meine Tochter bedrohen."
„Ich kann Euch sagen, wer hinter den Drohungen auf die Senatorin steht. Nur weiß ich nicht, ob er auch etwas mit Santurin zu tun hat."
„Wer steckt dahinter?"
Sanjana bemerkte gerade so, wie Jay tief einatmete bevor er antwortete: „Jeremy Taylor."
Ihr Vater wurde aschfahl. Er brauchte einen Moment diese Information zu verdauen.
„Habt ihr euch darum gekümmert?"
„Bis jetzt hält sich Jeremy im Verborgenen. Er hat Senatorin Kinjan nur einmal attackiert, danach ist er verschwunden."
„Attackiert? Was ist passiert? Habt Ihr davon Eure Handverletzung?"
Jay schaute kurz auf den Verband an seiner rechten Hand. Dann schüttelte er den Kopf.
„Er hat versucht sie zu vergiften."
Es musste Jay unheimlich schwer fallen ihrem Vater Rede und Antwort zu stehen, dachte Sanjana. Jedoch ließ Jay sich wie immer nichts anmerken. Verdammt konnte er gut schauspielern. Er hätte ans Theater gehen sollen, nicht in die Armee.
„Mir geht es aber gut", warf Sanjana schnell ein.
Mohan überging sie einfach.
„Hast du sie heilen können?"
Die Frage war an Alain gewandt. Dieser nickte stumm.
„Gut. Das erleichtert mich. Gab es sonst irgend welche Vorkommnisse?"
Jay schüttelte den Kopf. Warum erzählte er nichts von der Attacke mit dem Pfeil? Warum gab er ihrem Vater nicht mehr Informationen?
„Gut", sagte ihr Vater wieder. „Dann seid Ihr hiermit von Euren Pflichten meiner Tochter gegenüber entbunden. Ich werde mich von nun an selber um ihre Sicherheit kümmern. Eure neue Aufgabe wird es sein nach Santurin zu reiten. Seht dort nach dem Rechten. Notfalls evakuiert das Dorf. Ich habe ein paar Männer zur Unterstützung mitgebracht. Sie werden Euren Befehlen folgen, nehmt sie mit."
„Ja, General!"
Jay und die anderen Krieger pressten fast gleichzeitig die rechte Hand aufs Herz und verneigten sich wieder. Bevor Jay sich gänzlich abwandte blieben seine Augen bei
Sanjana hängen. Er neigte den Kopf vor ihr. Nur eine Sekunde. Aber es war genug. Ihr war klar, mehr konnte er ihr zum Abschied nicht geben.
Sie wusste, dass er einen neuen
gefährlichen Auftrag bekommen hatte und sie verlassen musste.
Sie erwiderte seinen Gruß, dann drehte er sich um und die Krieger verließen das Haus.
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