Siebzehn
Ein schriller Pfiff ertönte. Erschrocken sah Sanjana hoch zum Berg.
Alain deutete in die Richtung aus der sie vorher gekommen waren.
„Wir bekommen Gesellschaft", rief er vom Felsen hinunter.
Sogleich nahm Jay Sanjanas Hand erneut und sie eilten zu dem jungen Krieger auf die Hochebene. Alain zeigte ihnen eine Horde Saboraner den Hang hinauf steigen. Jay stöhnte und strich seine feuchten Haare zurück.
„Ich hätte wirklich nicht von ihnen erwartet so hoch zu klettern."
Alain schaute besorgt.
„Ziehst du es vor zu fliehen oder werden wir erneut kämpfen? Ganz egal wie du entscheidest wir folgen dir."
Sanjana bewunderte Alains Loyalität Jay gegenüber. Ebenso wie Jay. Er legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter.
„Das weiß ich. Nur kann ich nicht versprechen die richtigen Entscheidungen zu treffen."
„Dein Urteil hat uns stets durch jede Schwierigkeit geleitet. So wird es das jetzt auch tun."
Durch Alains Zuversicht ermutigt entschied Jay zu kämpfen. Er war kein Krieger, der sich besonders gut mit Weglaufen auskannte, wie Ram Sanjana versicherte. Was seine ausgesprochene Stärke und Geschicklichkeit erklärte. Vom Weglaufen hatte Jay sie bestimmt nicht.
Die Saboraner rückten näher. Sie würden garantiert wieder Pfeile und Nadeln abschießen. So brachten sich die fünf unter den Felsen in Deckung. Sanjana hockte hinter Jay an die kalte Steinwand gelehnt. Knapp daneben kniete Samara. Neben ihr Ram.
Alain zog es vor noch höher auf den Berg zu klettern. Er zog den Fernkampf vor - sofern die Situation es ermöglichte. Seine Schießkunst war so enorm hochwertig, dass es keine Rolle spielte, wie viele Meter er kletterte. Solange er nicht vom Gegner getroffen werden, gleichzeitig aber sein Ziel nicht verfehlen konnte.
Es geschah wie die Krieger gedacht hatten. Zunächst hielten sich die Schwertkämpfer der Saboraner zurück und ließen die Bogenschützen vor. Allerdings trafen sie nicht wie erhofft. Daraufhin schoss Alain einen Pfeil nach dem anderen auf sie hernieder. Der Reihe nach fielen die Bogenschützen. Sie versuchten Alain zu treffen, konnten sich aber in der Schießkunst nicht annähernd mit ihm messen. Abgesehen davon hatte er den Wind auf seiner Seite.
Dann kamen die Schwertkämpfer vor und griffen die Krieger im Schnee an. Ram und Jay verteidigten die Frauen. Auch Samara spannte ihren Bogen erneut. Hinter dem schützenden Felsen heraus schoss sie die Pfeile an Ram vorbei. Alles, was sie zeitlich nicht erwischte erledigten die Krieger für sie.
Es war ein weiteres grausames Spektakel. Die Dunkelheit bot ihnen Schutz, doch wie lange hielten sie der offenen Belagerung stand? Der Kampf zog und zog sich voran. Erneut traten Bogenschützen vor und ließen einen Pfeilhagel los, was Jay und Ram zwang sich hinter den Felsen zurückzuziehen.
Sie hatten kaum Zeit sich aus der Deckung zu heben, da griffen auch schon wieder die Schwertkämpfer an. Es war ein ständiger Wechsel. Ganz eindeutig eine Strategie, um die Krieger zu ermüden.
Leider funktionierte sie. Als die Krieger nicht damit rechneten flogen Nadeln durch die
Luft. Sie konnten nicht verhindern, dass einige davon sie trafen.
Eine Nadel fiel vor Sanjana zu Boden. Sie war kleiner und dünner als die Nadeln, die sie zuvor im Wald gesehen hatte.
„Ram erklärte mir einmal, dass die dünnen Nadeln nicht vergiftet sind", meinte Samara, um Sanjanas unausgesprochene Frage zu beantworten.
Doch Sanjana traute den Saboranern keinen Zentimeter weit. Als ob sie es bei diesen einfachen Nadeln belassen würden.
Vor ihr hörte sie Jay keuchen. Auch er hatte nicht unendlich Ausdauer.
Wieder folgte ein Hagel aus Pfeilen und Nadeln. Kaum war das Surren der Pfeile verstummt, mussten sich die Krieger wieder gegen die Klingen verteidigen. Noch waren sie stärker, aber die Saboraner zahlreicher.
Die Krieger wurden plötzlich von anderen Nadeln getroffen. Noch dünnere Nadeln, die in der Nacht unmöglich zu sehen waren. Diese flogen in geringer Menge in unterschiedlichen Abständen auf ihre Ziele zu und...trafen.
„Das ist Wahnsinn. Wir können dem nicht ewig standhalten."
Ram wehrte gerade einen Saboraner ab, als Jay sich nicht mehr bewegte. Mehrere Sekunden stand er im Schnee und starrte entsetzt auf die Bedrohung, die sich in seinen Augen wieder spiegelte.
Urplötzlich schubste er Ram unter den Felsen. Er landete genau bei Samara. Dann warf sich Jay schützend über Sanjana. Er legte die Arme um sie und drückte sie ganz fest an sich. Bevor sie wusste, wie ihr geschah hörte sie das Zischen unzähliger Nadeln. Sie waren so klein, dass sie um jede Ecke flogen. Da half auch der schützende Felsen nichts mehr. Sie hatten keine Deckung. Tausende Nadeln flogen durch die Luft, landeten im Schnee und prallten klirrend gegen den Stein.
Sanjana wollte sich nur etwas von Jay lösen, er drückte sie dermaßen fest an sich, dass es schmerzte.
Vor ihm kniend lauschte sie seinem Herzschlag. Er beugte sich so weit vor, dass es den Nadeln unmöglich war sie zu treffen.
Es verging eine Ewigkeit, bis das Zischen und Klirren der an den Fels prellenden Nadeln verstummte. Dafür brüllten die Saboraner wieder los. Jay zog sich von Sanjana zurück, ließ sie aber nicht allein. Mit einer Hand hielt er sie noch immer fest während er mit der anderen sein Schwert hinter sich hob.
So konnte er gerade den Saboraner abwehren, bevor er seinen Kopf in zwei Hälften spaltete.
Ram eilte unter dem Felsen hervor und kam Jay zur Hilfe. In diesem Moment erkannte Sanjana, dass es Jay nicht möglich war sich weiter zu verteidigen, denn sein gesamter Umhang und teilweise auch seine Arme waren von Nadeln übersät.
Sie gaben ihm keine lebensbedrohlichen Verletzungen, schränkten ihn aber in seiner Bewegungsfreiheit ein. Voller Sorge starrte Sanjana ihn an. Er beachtete sie nicht. Hielt sich nur bereit für einen neuen Angriff. Ram hatte alle Hände voll zu tun die Saboraner zurück zu drängen.
Von oben schossen immer wieder Pfeile auf die Gegner. Alain setzte sich alle Bogenschützen zum Ziel. Wenig später tauchte er neben Ram auf. Beide schlugen die Saboraner mit ihren Schwertern zurück.
Irgendwann verstummten die Kampfgeräusche. Am Ende standen Ram und Alain umringt von toten Saboranern im Schnee. Wie sie das geschafft hatten, war ein absolutes Rätsel. Sie keuchten und schenkten einander erleichterte Blicke. Der Kampf war vorüber.
~
Alain ließ seinen Bogen in den Schnee fallen und eilte zu Jay. Dieser hatte sich keinen Meter von Sanjanas Seite gewagt. Er zitterte, schien völlig erschöpft und erleichtert zugleich.
Alain zog schnell die Nadeln aus seinem Rücken. Ram half ihm dabei. Sie sorgten sich nicht um die Nadeln, die ihnen selbst im Leib steckten. Sie kümmerten sich nur um Jay. Was das zu bedeuten hatte, war allen klar:
Die Nadeln waren vergiftet.
Nachdem sie Jay von allen Nadeln befreit hatten, stand er holprig auf.
Alain kramte in seinem Medizinbeutel und holte eine kleine Phiole hervor. Darin befand sich eine bräunliche, flüssige Substanz. Mit einem leisen Quietschen zog Alain den Korken
und reichte sie Jay.
„Trink das!"
Ohne weitere Fragen griff Jay nach der Phiole und leerte sie in einer Sekunde. Angewidert verzog er das Gesicht.
„Es soll nicht schmecken, nur helfen."
„Was hast du ihm gegeben?", wollte Samara neugierig wissen.
„Eine Art Gegengift."
„Werdet ihr es nicht auch benötigen?"
„Nein. Die giftigen Nadeln haben uns nicht getroffen. Sie haben mit denen bis zum Schluss gewartet. Aber Jay hat dafür gesorgt, dass ich nicht getroffen wurde und Alain war ja gar nicht erst in Reichweite."
Jay reichte Sanjana seine Hand und half ihr auf die Beine. Sie hätte an seiner Stelle geschrien vor Schmerzen. Jay hingegen verzog keine Miene. Während er sie nach eventuellen Nadeln untersuchte, ließ sie ihn keine Sekunde aus den Augen. Als würde sie befürchten er könnte jeden Moment umfallen.
„Sei unbesorgt, du hast nicht zugelassen, dass mich auch nur eines von den Dingern berührt."
Allein die Sorge um ihn ließ ihre Stimme vorwurfsvoller klingen als beabsichtigt.
„Schutzschild...schon vergessen?"
„Es hätten auch Pfeile sein können."
„Und wenn schon. Dir ist nichts passiert."
Ram lachte kopfschüttelnd.
„Sie ist nicht um ihr eigenes Wohl besorgt. Wenn du dich selbst nur sehen könntest, wäre dir das klar."
Jay schien tatsächlich einen Moment darüber nachzudenken. Er hielt noch immer sein Schwert in der Hand. Blut klebte an seinem Körper, darunter auch sein eigenes. Seine Kleider waren vollkommen durchnässt, ebenso wie seine Haare. Der Schnee schmolz langsam und tropfte ihm auf die Stirn.
Als er sich seines Zustandes bewusst wurde, grinste er. Er hatte selten so schlimm ausgesehen.
Jay steckte das Schwert weg und verneigte sich lächelnd vor Sanjana mit der Faust auf der Brust.
„Alles nur für Eure Sicherheit, Mylady."
Sie knuffte ihn am Arm. Ein winziges Zucken im Gesicht verriet, dass er doch nicht gänzlich ohne Schmerzen war. Er fing sich schnell wieder und grinste noch breiter.
Erleichtert lächelte sie zurück. Am Ende der Welt standen sie mitten im Schnee, vollkommen durchnässt und erledigt.
Drei tamaranische Krieger hatten einer Übermacht von Saboranern getrotzt und waren noch am leben. Es waren Dokrats beste Krieger. Jeder andere hätte an ihrer Stelle versagt. Aber nicht sie.
Sanjana spürte, wie ihre Freundin von hinten die Arme um sie legte. „Siehst du...ich sagte dir ja sie können dich beschützen."
„Ich glaube dir jetzt."
Aus dem Augenwinkel fing Sanjana Rams Kopfschütteln auf. Lächelnd wandte er sich ab.
~
Die imposanten weißen Mauern strahlten heller als der Schnee. Sie umschlossen die zahlreichen Gebäude, Säulen und Türme der prächtigen Stadt. Der riesige Wachturm ragte so hoch, dass er die Wolken berührte. Die Spitze des Berges lag ebenfalls von den Wolken und Nebel verborgen.
Dort oben sollte der eindrucksvolle weiße Palast Dokrats stehen, indem der Hohe Rat der Krieger sich versammelte.
Sanjana blieb der Mund offen stehen. Jay hatte erwartet sie zu beeindrucken, aber nicht sprachlos zu machen.
„Warte bis du den Palast gesehen hast."
„Werde ich das jemals?"
„Gewiss. Ich denke der Hohe Rat möchte sich persönlich von deinem Wohlbefinden überzeugen."
„Dank dir geht es mir gut. Sag wie geht es deinem Rücken?"
„Ich habe schon schlimmeres überstanden, glaube mir."
Das wollte Sanjana gar nicht wissen und machte eine ablehnende Handbewegung.
Als die Fünf das Haupttor erreicht hatten, grüßten die Krieger die Wachposten auf der Mauer. Dazu pressten sie wie üblich ihre rechte Faust aufs Herz und neigten die Köpfe. Die Soldaten auf den Mauern erwiderten den selben Gruß, dann wurde unter lautem Knarzen das schwere Eisentor geöffnet. Seine breiten Flügel traten langsam zur Seite, sodass die kleine Truppe eintreten konnte.
Hinter den Stadtmauern herrschte Unruhe. Soldaten bereiteten sich auf den kommenden Angriff vor, Katapulte wurden bereit gestellt und ein Haufen Flüchtlinge wuselte geschäftig umher. Sanjana erkannte ihren Vater inmitten dieses hektischen Treibens.
Als er sie bemerkte kam er gleich zu ihr. Er schien zwar erleichtert, doch änderte sich das schnell als er die Krieger genauer betrachtete. „Ihr seht schrecklich aus", meinte Mohan mitfühlend und konnte sich nur vorstellen, was sie durchmachten mussten.
„Man gab uns schon schlimmere Komplimente", erwiderte Jay abweisend.
„Schon gut. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ihr alle es sicher nach Dokrat geschafft habt."
„Nein", begann Jay in einem scharfen Ton. Allerdings waren seine folgenden Worte noch schärfer: „Tristan hat es nicht geschafft."
Dann legte er Sanjana die Hand auf den Rücken und schob sie langsam an ihrem Vater vorbei. Alain und Ram wagten nicht etwas darauf zu sagen, sondern folgten ihrem zerknirschten Freund.
Sie folgten der Hauptstraße durch Dokrat. Diese führte steil den Berg hinauf, rechts und links umgeben von hohen Gebäuden. Eines schöner als das andere. Es fiel Sanjana gleich auf, dass sie einer alten Baukultur entsprungen waren. Wie alt mochten diese Steine wohl sein? Es konnten hunderte von Jahren sein.
Der Weg aus Pflasterstein schien noch älter und vor allem abgenutzter. Überall standen Soldaten mit Lanzen in der Hand. Ihre silbrig-grauen Rüstungen trugen den weißen Wachturm als Wappen eingraviert. Die Helme schienen so blank poliert, dass sie die schwache Sonne reflektierten. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos. Kein Muskel rührte sich bei ihnen, als seien sie ausgestopft.
Hin und wieder kamen sie an schwarz gekleideten Männern vorbei. Es waren Krieger, die alle ihre dunklen Umhänge an hatten. Manche von ihnen verdeckten ihre Gesichter mit der weiten Kapuze. Andere blieben stehen und grüßten die Krieger bei Sanjana. Diese erwiderten jedes Mal den Gruß.
Viele Menschen beobachteten sie, ja starrten geradezu. Es war Sanjana unangenehm. Sie fühlte sich schrecklich im Moment und wollte nicht angestarrt werden. Jay neben ihr amüsierte sich über ihren mürrischen Gesichtsausdruck. Er hob die Hand und zog ihr die Kapuze seines geliehenen Mantels über.
„Was sie können, kannst du schon lange."
Sie nickte dankend. „Sag mal wo gehen wir eigentlich hin?"
„An einen sicheren Ort."
Samara fragte neugierig wie sie war: „Zum Palast?"
„Nein. Der Hohe Rat kann warten. Zuerst sollt ihr euch ausruhen. Ihr habt die letzten Tage viel durchgemacht."
„Wo gehen wir dann hin?"
„An den sichersten Ort in ganz Dokrat", grinste Ram und selbst Alain konnte das Zucken um die Mundwinkel nicht verbergen.
Samara verbrachte den Rest des Weges darüber nachzudenken, als sie ihr Ziel plötzlich vor sich sahen.
Vor einem gigantischen Tor blieben sie stehen. Auch davor standen Wachen. Diese standen stramm beim Ankommen der Krieger. Jay nickte und sie öffneten das hohe Tor. Als Sanjana es passierte, fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Vor ihr stand eine zweistöckige Villa, weiß wie Schnee und absolut gepflegt. Selbst ihr eigenes schönes Haus konnte sie mit diesem eindrucksvollen Anwesen nicht vergleichen.
Das Haus war auf einem hohen Podest gebaut von dem eine Treppe hinunter auf den Hof führte. Sie reichte von der einen Seite des Podestes bis zur anderen. Die Stufen führten zu einem überdachten Eingang. Dieser bestand aus einer doppel-geflügelten Holztür an deren Seite zwei hohe aber schmale Fenster zu sehen waren.
Vor dem Eingang standen vier dicke Säulen, als Stütze für die Überdachung. An ihnen hingen blaue Banner mit einem fliegenden Adler darauf. Dieser Adler ähnelte dem geschnitzten Anhänger um Jays Hals. War dies sein Familienbanner? Was hatte der Adler zu bedeuten?
Jedenfalls stand nun eines für Sanjana fest: Jay hatte sie direkt zu seinem eigenen Haus gebracht. Sie lachte innerlich bei dem Gedanken daran, dass Ram diesen Ort als den sichersten in ganz Dokrat beschrieben hatte. Es war wirklich einleuchtend.
Die hölzerne Flügeltür öffnete sich und ein älterer Mann trat die Stufen herab und hieß alle Willkommen. Ihm folgte ein kleiner Mann, etwa so alt wie die Krieger. Er hielt sich geduckt, den Blick niemals in die Augen seines Gegenübers gerichtet und nahm den Männern sowohl die Waffen als auch die Felle und Beutel ab.
Die Sachen trug er ohne ein Wort zu sagen ins Haus, während der Ältere sich an Sanjana wandte und sie auf das Herzlichste begrüßte. Ihr war es natürlich wieder unangenehm. Er stellte sich ihr als Salik Moront vor. Er verwaltete das Anwesen, wenn Jay auf Mission war.
Dies kam allerdings so häufig vor, dass Jay ihn gebeten hatte gleich ins Haus einzuziehen. Er war Sanjana von der ersten Sekunde an sympathisch.
„Mein Herz ist froh euch zu sehen. Auf den Straßen kursierten die übelsten Gerüchte. Aber allen Tücken des Nordens habt ihr getrotzt und seid mit der Senatorin hier her gelangt."
Mit dem Norden meinte Salik die Saboraner, deren Land Saboran sich nördlich von Tamaran befand.
„Nun nicht allen Tücken konnten wir trotzen. Man hat uns hart auf die Probe gestellt und das war noch nichts im Vergleich zu dem, was uns noch erwartet."
Salik blickte nervös in die Gesichter der Krieger. „Wo ist Tristan? Ist er zum Rat gegangen?"
Sanjana holte tief Luft. Doch Jay antwortete tonlos, als ob es ihm nichts bedeuten würde: „Er ist zurück geblieben."
Die Wahrheit machte den alten Mann sprachlos. Jay wollte an ihm vorbei gehen, doch Salik hielt ihn zurück. „Das meinst du
nicht ernst."
„Über so etwas würde ich niemals Scherze machen, Salik. Tristan ist in Santurin gefallen."
Jay löste seinen Arm aus Salliks Griff und stieg die Stufen hinauf ins Haus.
„Ich...ich weiß nicht was ich sagen soll", kam es von Salik gequält. Ram legte ihm die Hand auf die Schulter. Es war eine mitfühlende, beruhigende Geste.
„Schon gut, mein Freund. Es gibt nichts zu sagen. Wir reden später darüber. Nun sollten wir die Damen herein bitten. Sie sind durch die Hölle gegangen."
Salik fasste sich ganz schnell wieder.
„Selbstverständlich."
Drinnen standen alte Schränke und Kommoden in der Halle. Der helle Marmorboden glänzte wie eben erst gewischt. Am anderen Ende führte eine breite Treppe ins Obergeschoss. Rechts und links konnte man durch Torbögen in zwei weitere Zimmer
gelangen.
Das eine war ein kleiner Salon, mit Feuerstelle und einigen gepolsterten Holzbänken. Zur anderen Seite lag ein großer Saal in dem ein langer Holztisch stand. Mehr als zehn Stühle schätzte Sanjana zu erkennen. Mehr sah sie nicht, denn Salik brachte sie und Samara direkt nach oben zu ihren Gemächern.
Dort verfielen die Frauen erneut in Staunen. Ihre Gemächer waren doppelt so groß, wie ihre eigenen in Namalia. Ihr Schlafgemach war mit einer Kommode, einem großen Eichenschrank und einem riesigen Himmelbett mit beige-goldenen Laken eingerichtet. Vor dem Fenster stand ein breiter Korbsessel, der sehr gemütlich aussah. Auf jeden Fall konnte man sich hier wohl fühlen.
Des Weiteren wurden der Senatorin zwei Zofen zur Verfügung gestellt. Sie sollten Sanjana jeden Wunsch erfüllen. Es war ihr unangenehm so viel Umstände zu machen. Es hätte gereicht ihr ein einfaches Zimmer zu geben. Salik belächelte die Genügsamkeit der jungen Frau und klärte sie darüber auf, dass es selbstverständlich sei es ihr an nichts fehlen zu lassen. Schließlich war sie eine Senatorin. Sanjana bedankte sich für die Fürsorge.
Als sie wenig später im heißen Wasser saß, schmerzte ihr ganzer Körper. Sie hatte ein heißes Bad bitter nötig gehabt. Sie ließ sich
tief in die Wanne rutschen und benässte ihre schwarzen, dreckigen Haare. Der ganze Schmutz und die Asche wurden von ihr gespült. Endlich wurde sie wieder zu sich selbst. Aus der einfachen Frau wurde wieder die elegante Dame.
Sanjana verließ den Waschraum und betrat gerade ihr Schlafgemach, als jemand an der Tür klopfte. Sie überlegte, ob sie die Tür öffnen sollte, schließlich war sie nur mit einem seidenen Mantel bekleidet. Ihre Haare waren feucht und fielen ihr ungebändigt ins Gesicht.
Als Samara sich ankündigte, beschloss Sanjana kurzer Hand sie einzulassen. Auch sie hatte sich gebadet und trug... ja was hatte ihre Freundin da an?
Ein ausgesprochen elegantes Kleid, wie es nur feine Damen am Hofe Bozoms trugen. In Bozom lebten die meisten Aristokraten und Senatoren.
Das Kleid schimmerte grünlich. Der Saum war mit dünnem, goldenen Garn bestickt in einem eigenartig fremdländischen Muster. Samaras goldene Locken waren aufwendig geflochten. Einige Strähnen umrahmten ihr weiches Gesicht. Sie strahlte und schloss die Tür hinter sich.
„Wie ich sehe, hat man sich auch um dich gekümmert", erkannte Sanjana und bewunderte immer noch den herrlichen Stoff um Samaras wohlgeformten Körper.
„Ich fühle mich tausendmal besser. Was so ein langes Bad für Wunder bewirken kann. Aber warum bist du immer noch so angezogen?"
„Nun ich habe es mit dem Baden etwas übertrieben. Mein Körper stank vor Dreck und es bedurfte einer Ewigkeit, bis ich meine eigene Hautfarbe wieder erkennen konnte."
Samara lachte, dann drehte sie sich zu allen Seiten und bewunderte Sanjanas Gemächer. Ihre eigenen waren ebenfalls sehr ansehnlich und gemütlich. Sie bemerkte das noch unangetastete Essen, welches man Sanjana gebracht hatte, sowie ein wunderschönes dunkelbraunes Kleid auf ihrem Bett.
„Zieh das an, bitte. Ich möchte sehen, ob es dir auch so gut passt wie mir das meine."
„Wer glaubst du hat diese Kleider für und ausgesucht?"
„Deine Zofen vermute ich."
Sanjana zwang sich in das Kleid. Zu ihrer Überraschung war es bequemer, als es aussah. Vielleicht sollte sie in Zukunft doch lieber solche Kleider tragen, anstelle der engen Hosen, dachte sie bei sich.
Kurz darauf verjagte sie den Gedanken. Die Kleider passten nicht zu ihr. Auch wenn dieses Kleid sehr angenehm zu tragen war, sie vermisste ihre Freiheit jetzt schon. Da fiel ihr auf, dass ihr Kleid nicht besonders eng zugeschnürt wurde. Samara versicherte ihr, dass man es nicht so eng tragen würde.
Ihres dagegen war ganz anders. Die Taille war so eng geschnürt, dass man glaubte Samara könnte unter dem Stoff kaum atmen. Sanjana war froh ein anderes Kleid bekommen zu haben.
Während die Freundin ihr das Haar richtete, machte sich Sanjana über das Essen her. Es war nur eine kalte Platte mit ein bisschen Wein. Es reichte um den schlimmsten Hunger zu stillen. Nach einer Weile erkannte sich Sanjana wieder im Spiegel und lächelte zufrieden.
„Du bist wunderschön", sagte Samara voller Ehrlichkeit. „Kein Wunder, dass dir Jay da verfallen ist."
„Sama, lass uns nicht davon sprechen. Ich weiß dir gefällt der Gedanke nicht, dass wir uns lieben."
Samara lachte höhnisch. „Uns? Ich weiß, dass du ihn liebst, aber er hat dir bis jetzt nicht seine Gefühle gestanden, oder? Vorausgesetzt er empfindet das gleiche."
„Du zweifelst noch immer? Nach allem was in den Bergen passiert ist?"
„Sanjana, es war seine Pflicht dich mit seinem Leben zu beschützen. Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich liebe Jay, wie meinen großen Bruder. Ich bewundere ihn und habe großen
Respekt vor seinen Fertigkeiten. Aber verwechsle Pflichtgefühl nicht mit Liebe. Er mag dich, das will ich nicht anzweifeln. Ganz sicher ist er dir auch körperlich verfallen. Auch jemand wie Jay ist nicht so blind deine Schönheit nicht zu sehen. Aber ich halte
es nicht für Liebe."
Samaras Worte enttäuschten Sanjana. Manchmal konnte sie auf ihre Ehrlichkeit verzichten.
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