Sechzehn
Voller Dreck und Blut bespritzt stand der Krieger inmitten von einem Haufen Leichen. Außer Atem aber keines Falls erschöpft hielt er die Klinge und starrte die Senatorin eisern an. Sie hatte ihn wütend gemacht.
Nicht die Saboraner hatten ihn seiner Selbstbeherrschung beraubt. Eine Frau war der Grund für seinen Zorn. Ram konnte sich nicht vorstellen, was Sanjana zu ihm gesagt haben musste, um ihn so außer Fassung zu bringen. Was auch immer sie zu ihm gesagt hatte, sie hatte einen Dämon geweckt.
Fürs Erste zogen sich die Saboraner zurück. Ram spürte sie nicht mehr. Anscheinend zogen sie es vor sich neu zu formieren und zu einem späteren Zeitpunkt den Angriff fortzusetzen.
Alain klemmte sich seinen Bogen um den Leib, während er langsam zu Jay ging. Er überzeugte ihn sein Schwert zu senken, da keine Gefahr mehr vom Feind ausging. Dafür legte er sachte die Hand auf Jays, die krampfhaft den Schwertgriff umklammerte.
Sein Zorn schien aber nicht abzuklingen. Samara hatte ebenfalls wie angewurzelt da gestanden und die Szene beobachtet. Nun, da der Kampf vorüber war, rannte sie zu ihrer Freundin hinüber.
„Geht es dir gut, Sanju?"
Sanjana - immer noch schreckensblass - erhob sich und bemühte sich ihre Gefühle zu ordnen. Ram konnte ihr das ansehen.
„Mir fehlt nichts."
„Den Göttern sei gedankt."
„Nein, Sama, nicht den Göttern ist zu danken. Wenn hier jemand Dank verdient, ist das der Krieger dort drüben."
Sanjana deutete mit einer winzigen Kopfbewegung zu Jay, der immer noch regungslos auf einer Stelle stand. Er schien sich langsam zu beruhigen.
„Was bei allen Höllen dieser Welt hast du zu ihm gesagt?", fragte Ram jetzt ohne Umschweife.
„Ich habe nichts gesagt."
„Und genau das...", begann Jay ruhig „...war der Fehler. Du hast nichts gesagt...mich nur angestarrt, als wäre ich ein Monster. Dabei habe ich mich nicht einmal angestrengt. So wollte ich dir zeigen, was wirklich beängstigend ist."
Man sah Sanjana das schlechte Gewissen schon von weitem an.
„Was könnte dich dazu verleiten ihr Angst zu machen, Jay?"
Samara war jetzt diejenige, die im Zorn gesprochen hatte.
„Frag sie selbst."
„Du hast mich missverstanden", sagte Sanjana kläglich.
„An deinem Gesicht war nichts misszuverstehen. Ich sehe Angst im Gesicht einer Person wenn sie vor mir steht. Und du hast Angst. Wage es nicht zu leugnen, Sanjana. Du siehst nur das positive an mir. Du hast mich nie ernsthaft kämpfen gesehen. Da wurde es mal Zeit dir die Augen zu öffnen. Ich bin ein Krieger, eine Waffe des Hohen Rates, ausgebildet, um zu töten. Das ist es, was ich den ganzen Tag tue und nur darin bin ich gut. Doch du hast das alles verdrängt, weil ich zu deinem Beschützer ausgewählt wurde. Von Gefühlen habe ich allerdings keine Ahnung. Du hältst dich besser von mir fern, bevor ich dich eines Tages vernichte."
Klatsch! Sama verpasste Jay eine gewaltige Ohrfeige, sodass der Knall von den Bäumen wieder hallte.
„Es reicht, Jay. Komm endlich in die Wirklichkeit zurück. Niemand von uns ist eine Bedrohung für dich. Und Sanjana am wenigsten. Aber wenn du so weiter sprichst landest du garantiert am Galgen. Weil ich dich nämlich dorthin verfrachten werde, sollte dir General Thamgeir nicht zuvor kommen."
Rams Blick erfasste das finstere Gesicht des Generals. Was auch immer sich hier abspielte, würde vor dem Rat landen, wenn Jay sich nicht bald zusammen riss. Andererseits konnte der General sich nur über Jays Rückzug freuen. Er schien von Anfang an nicht begeistert von der Idee seine Tochter mit Jay zu verbinden. Doch er würde sich jetzt nicht mit Jay anlegen. In diesem Moment würde Jay jeden umbringen, der ihn übermäßig reizte.
Auch Samaras Handeln war riskant, Mohan wusste das. So hielt er sich schweigend zurück.
Ram hatte sich zu Samara begeben und zog sie vorsichtig von Jay weg. Er traute seinem Freund nicht, wenn er wütend war und Samara riskierte gerade Kopf und Kragen. Er würde ihr nie ernsthaft wehtun, nur war es besser sie aus seiner Nähe zu bringen.
„Komm, lass ihn sich beruhigen. Ich bin sicher die beiden klären das noch. Für den Augenblick lass uns die Kampfspuren beseitigen und die Verwundeten heilen."
„Nicht nötig. Alain kümmert sich schon darum."
„Dann beruhige die Leute."
Samara blickte Ram trotzig ins Gesicht, wagte aber keinen Widerspruch. So begleitete er sie zu den Wagen.
„Du bist doch nicht verletzt?! Ich habe dich mit den Saboranern kämpfen sehen."
„Ich konnte mich nicht zurück halten, tut mir leid. Diese fiesen Monster sind mir einfach zu nahe gekommen."
Ram schmunzelte. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet"
„Wirklich? Du hast mich doch gebeten nicht einzugreifen. Ich sollte es beim Bogen belassen."
„Ich habe nicht ernsthaft damit gerechnet, dass du auf mich hörst."
„Warum hast du mir dann diesen Befehl gegeben?"
„In der Hoffnung du würdest auf mich hören."
Sie rollte mit den Augen. Amüsiert half er ihr in einen der Versorgungswagen zu klettern, wo sich einige Frauen und Kinder zusammen gekauert hatten.
~
„Und du sagst Übertreiben liegt dir nicht."
„Spare dir das, Alain."
Jay wusste, dass Alain nicht von Jays Kampf gesprochen hatte. Es war mehr auf seine Reaktion Sanjana gegenüber bezogen. Er wusste genau, warum Jay so reagiert hatte.
Bevor Alain seinen ohnehin schon schlecht gelaunten Freund noch weiter reizen konnte, kam General Thamgeir zu ihnen. Ram und Samara folgten.
„Du hast gut gekämpft, Junge. Nun ist es an der Zeit für uns weiter zu ziehen."
„Wie lauten Eure Befehle, Herr?", verlangte Jay tonlos und ohne Mohan in die Augen zu sehen.
„Ich will das ihr meine Tochter auf einem anderen Weg nach Dokrat bringt. Die Saboraner haben sie entdeckt. Von nun an wird es schwieriger sein sie zu beschützen. Da ich nicht wieder die ganze Verantwortung in Eure Hände legen möchte, Major Mathur, halte ich für das Beste, wenn Ihr sie über den Hochpass bringt."
„Ihr habt Recht. Ich kann die Senatorin nicht vor einem ganzen Heer beschützen. Satjin hat nur einen Teil seiner Streitkräfte geschickt. Wie viele wird er wohl beim nächsten Mal schicken?"
„Dann ist es beschlossen."
Der General wandte sich schon zum Gehen als Jay hinzufügte:
„Ich nehme Samara Mehra ebenfalls mit. Ohne sie wird sich eure Tochter keinen Meter von hier bewegen."
„Wie Ihr wollt."
Der General trieb die Leute zur Eile an. Sie zogen weiter gen Norden. Jay sah ihnen nicht nach. Er versuchte sich so gut er konnte sein Gesicht zu reinigen. Dann griff er nach dem Moos am Wegrand und fuhr mit einer Handvoll über die Klinge seines Schwertes, obwohl es nicht schmutzig aussah.
Er hatte es nie für sinnvoll gehalten ihm einen Namen zu geben. Es war ein gutes Schwert, keine Frage. Nur brauchte er keinen mächtigen Namen für die Klinge, um seine Feinde einzuschüchtern. Ihm waren solche Dinge nie wichtig gewesen. In diesem Moment hätte er ihm am liebsten einen grausamen Namen gegeben. Genauso wie sich selbst. Ja er fühlte sich einfach nur grausam.
Sanjana beobachtete ihn. Er hockte mit dem Rücken zu ihr am Boden, spürte aber deutlich ihren Blick. Ihr musste es äußerst makaber vorkommen, was er da tat.
Allerdings konnte es nicht schlimmer sein, als ihm dabei zuzusehen wie er einen Haufen Soldaten abschlachtete. Vermutlich würde sie ihm niemals wieder in die Augen sehen können.
Nachdem seine Klinge noch sauberer als sauber schien, steckte er sie in die Scheide zurück und erhob sich. Es überraschte ihn, keinen verängstigten oder angewiderten Eindruck von ihr zu bekommen.
Alain trat vor. Er befürchtete anscheinend einen Streit, denn er stellte sich genau zwischen die beiden.
„Wir sollten uns auf den Weg machen. Satjin wird nicht lange zögern uns Verstärkung auf den Hals zu schicken."
Sanjana fragte zögerlich: „Was ist mit den anderen? Sie werden weiterhin in Gefahr sein, nicht wahr?"
„Natürlich. Aber das soll nicht unsere Sorge sein. Wir haben nur für deine und Samaras Sicherheit zu Sorgen", gab Alain trocken zur Antwort.
Tatsächlich waren ihm die anderen Leute nicht egal, aber er würde dort hingehen wo Jay hinging.
„Was ist das denn für eine Einstellung?"
„Das sind Befehle, Sanjana."
Jay ging zu ihr hin.
„Vertraust du mir immer noch?"
Sie zögerte einen Moment nickte aber.
„Dann kann ich dich auch weiterhin beschützen."
Er ging an ihr vorbei und zog sich seine Kapuze über den Kopf.
„Lasst uns gehen. Wir können die Pferde durch die Berge nicht mitnehmen und es ist ein weiter Weg. Beeilung!"
„Aber ich hörte der Hochpass soll sehr gefährlich sein", rief Samara noch skeptisch hinter ihm her.
„Alain kennt den Weg", versicherte Jay. „Hunderte Male ist er schon den steilen Pfad entlang hinauf gestiegen. Er wird uns führen. Und macht euch keine Sorgen wegen Berglöwen oder Saboranern. Ich bin gefährlicher als alles was uns dort oben erwartet."
Mit diesem Satz hätte er Sanjana noch mehr verstören können. Jay interessierte es aber nicht. Wenn sie ihn zurückweisen würde,
konnte er das verstehen. So wollte er es ihr leicht machen.
~
Satjin tobte vor Wut und stach den Soldaten mit dem Schwert in den Leib. Dieser schon vorher völlig verängstigte Mann fiel jammernd zu Boden, spuckte Blut und verreckte dann
jämmerlich.
Satjin hingegen verspürte Lust gut zehn weitere von den Versagern umzubringen. Wie konnten sie es wagen nach diesem schändlichen Versagen zurück zu kommen. Selbst Jeremy hatte versagt. Ein weiteres Mal würde er ihm nicht verzeihen. Er gab ihm nur noch eine Gelegenheit sich bei seinem Meister wieder gut zu stellen.
„Jeremy!", zitierte Satjin seinen Lehrling zu sich.
„Ja, mein Lord?"
„Ich will, dass du dich an ihre Fersen heftest. Meine Späher berichteten mir, dass Jay und die anderen nicht mehr bei der Wagenkolonne sind. Vermutlich fliehen sie auf einem anderen
Weg durch die Berge. Ich will das du den kläglichen Rest deiner Männer hinter ihnen her schickst. Treibe sie in die Enge, lass sie
nicht verschnaufen. Sie sollen leiden, schwächeln und letztendlich einen Fehler machen."
„Wie das, mein Lord?"
„Major Mathurs Aufgabe ist es die Senatorin zu beschützen. Sein Fehler war sie in die Berge zu bringen. Von dort kommen sie nicht so schnell weg. Bring sie in eine aussichtslose Lage."
Er schmunzelte heimtückisch.
„Greift sie mit Pfeilen und Gift an. Ich bin mir sicher, dass Jay sein Leben geben würde, um die Senatorin zu schützen. Er ist ein gutherziger Trottel. Er wird es uns von sich aus leicht machen ihn zu töten. Deine Aufgabe wird es sein ihn zu schwächen. Mit Sicherheit wirst du ihn nicht töten können. Das erledige ich anschließend."
Jeremy tat wie sein Meister ihm geheißen. Satjin lehnte sich in seinem Zelt auf einem hölzernen Stuhl zurück. Man hatte ihm Wein gebracht. So nippte er an dem Becher und lächelte finster in sich hinein.
Wenn es Jay Mathur und seine nervigen Freunde nicht geben würde, dann wäre Tamarans Eroberung ein Kinderspiel. Leider bereitete dieser Krieger ihm immer wieder Schwierigkeiten. Eigentlich hätte er viel früher sterben müssen. Zusammen mit der Senatorin Kinjan von Namalia.
Ach wenn er doch nur scheitern würde. Man sollte ihn in Dokrat für sein Versagen an den Galgen knüpfen.
Leider war dieser Krieger im Stande gewesen das kleine Miststück zu retten. Zwar mit Hilfe von der Channajiu, aber er war losgezogen, um ein Gegengift zu besorgen.
Satjins Hand umfasste sein Schwert. Es trug den Namen Schlächter.
Nicht gerade originell. Doch Satjin genoss, wie alle Welt sich die Mäuler über seine Klinge zerriss. Der Name sollte jeden einschüchtern und die Gerüchteküche brodeln lassen. So
glaubten manche Trottel das Schwert besitze Zauberkräfte oder sei in ein seltenes Gift getaucht, welches Satjin ermöglichte seine Feinde mit einem Hieb auszuschalten.
Lächerlicher Unsinn, dachte Satjin bei sich und trank noch einen Schluck vom starken Rotwein.
Eines Tages würde seine Klinge in Jays Körper stecken. Es war ein Traum, dem Satjin nachjagte. Allein die Vorstellung bereitete
ihm unsagbares Vergnügen.
~
Sie zogen langsamen Schrittes voran. Vorne weg bahnte sich Alain seinen Weg durch den Schnee. Es hatte die letzten zwei Tage ordentlich geschneit und die kleine Truppe musste sich durch vierzig Zentimeter hohen Schnee kämpfen.
Man sah den Weg nicht mehr doch Alain ging zielsicher. Seinen Bogen trug er die ganze Zeit in der Hand. Über den Rücken hatte er sich ein großes Fell gelegt, um sich zu wärmen, und um seinen Schultern hing sein Köcher mit den Pfeilen.
Auch die anderen hatten sich angesichts des Wintereinbruchs in dicke Felle gehüllt. Nur Jay nicht. Ihm war nicht kalt. Sein Umhang genügte ihm, dessen Kapuze er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Er wollte sich damit nicht unbedingt schützen. Die Krieger hatten den Brauch sich unter Kapuzen zu hüllen, wenn ihnen nicht wohl zur Mute war, wenn sie trauerten oder einfach nicht angesprochen werden wollten.
Wenn ein Krieger in Dokrat mit Kapuze durch die Straßen lief, ließ man ihn für gewöhnlich in Ruhe. Ein anderer Grund war geheimnisvoll zu wirken und die Identität zu verbergen, aber das trat in Jays Fall nicht zu. Er schwieg fast zwei ganze Tage lang, in denen sie schon den Bergpfad entlang schlichen. Darum wagte niemand das Wort an ihn zu richten.
Wenn Alain oder Ram ihr Channa auf ihn konzentrierten, spürten sie ein hohes Maß an Verwirrung bei ihm. Zusätzlich zu einem heftigen Schmerz in seiner Seele, was vermutlich noch von Tristans Verlust kam.
Dann tauschten sie wortlos Blicke aus und ignorierten ihren Gefährten. Sie konnten ihm nicht helfen.
Gegen Abend des dritten Tages machten sie auf den Klippen eine weitere Rast. Umgeben von Schnee und Felsen hockten sie sich nieder aufs Gestein. Es war zu feucht für ein Feuer. Ohnehin hätte es sie nur verraten.
Sama klapperte fröstelnd mit den Zähnen und Sanjana sah auch nicht gerade aus, als wäre ihr viel wärmer. Ihre feuchten Haare waren zerzaust, ihr Körper zitterte und sie rieb sich die inzwischen von der Asche befreiten Arme mit den Händen warm. Allzu gerne hätte Ram sie beide gewärmt, ihnen mehr Felle gegeben - welche er nicht hatte - oder einfach einen wärmeren Weg gewählt.
Aber der Vorteil daran war, dass nicht viele Saboraner über den Gebirgspfad Bescheid wussten. Ram konnte Samara wenigstens ein Fell mehr geben - sein eigenes. Sanjana kuschelte sich mit ihr zusammen. Es würde sie gemeinsam wärmen.
Alain schien auch nicht sonderlich zu frieren. Er stand auf den Felsen und stützte sich mit den Armen auf seinem Knie ab. Dabei ließ er seine Augen wachsam über das Gelände gleiten. Von weitem schien er eher gelangweilt. Aber das täuschte.
„Wie lange bleiben wir hier?", fragte Samara an Ram gerichtet. Ihre Stimme musste etwas gegen den aufbrausenden Wind ankämpfen.
„Nicht lange. Aber wenn du es vorziehst durch die Dunkelheit zu laufen, können wir gerne aufbrechen."
„Nein danke, meine Füße tragen mich keinen Meter mehr für heute. Außerdem habe ich Hunger."
„Da ist noch etwas Brot und Käse im Beutel."
Samara kramte sogleich durch den Lederbeutel, den Ram die ganze Zeit getragen hatte. Nachdem sie und Sanjana über das Essen hergefallen waren, ging es beiden besser. Doch langsam meldete sich die Müdigkeit und ihre Körper rebellierten. Nach einiger Zeit kippte Samara zur Seite. Sie schlief tief und fest.
Bei dieser Kälte ein Wagnis, dachte sich Sanjana. Es schneite nicht mehr und ihre Freundin war in drei dicke Felle gehüllt. Sanjana legte ihr eigenes auch noch über sie. Sie fror zwar auch, würde aber keinen richtigen Schlaf finden, bis sie die Hauptstadt erreichten. Zumindest wollte sie nicht, dass Samara erfror.
„Wenn du es wünscht, bleibe ich bei ihr. Ich weiß, dass du zu ihm möchtest."
Sanjana hob den Kopf und sah einen verständnisvollen Ram. In diesem Moment gab er sich so viel reifer und ruhiger, als er sonst immer war.
Mochte es an der Müdigkeit liegen, oder einfach daran dass er sie so viel mehr verstand, als er vorgeben wollte.
Sicherlich stand hinter seinem Vorschlag auch der Wunsch bei Samara zu sein. Ja, beiden ging es in dem Moment gleich. Sie verstand und erhob sich.
„Lass sie nicht frieren."
Ram grinste und verstand den Wink. Sanjana hingegen machte sich auf die Suche nach ihrem Lieblingskrieger.
Sie lief um die Ecke der Felswand und erblickte eine offenere Fläche. Über ihr thronte Alain immer noch auf dem Felsen. Er beobachtete sie. Mit der Hand deutete er in die Richtung vor ihr und sie nickte dankend.
Der angegebenen Richtung folgend, stapfte sie mit ihren gefrorenen Beinen durch den hohen Schnee. Ihre Füße spürte sie vor Kälte kaum noch. Höchste Zeit sich wieder zu bewegen, bevor sie ihr abfielen.
Andererseits, wenn ihre Füße auftauten, würde sie ihre Schmerzen wieder spüren. Das lange Wandern bekam ihr nicht. Also doch lieber Eisfüße.
Jay stand am Rande der Klippen, nur in seinen Umhang gehüllt, der im kühlen Wind gegen seine Beine flatterte. Die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen und starrte auf das Tal unter ihm.
Gewiss spürte er ihre Anwesenheit. Sie hatte ihn nie gefragt bis zu welcher Entfernung er das Channa anwenden konnte. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie niemals aus den Augen ließ und sich nicht zu weit entfernte.
Sie näherte sich, doch Jay rührte sich keinen Zentimeter. Für jemand Fremdes machte es den Anschein, als bemerkte er sie nicht. Sanjana wusste es besser. Als sie direkt neben ihm stehen blieb und er immer noch keine Anstalten machte sie zu bemerken, griff ihre kalte Hand unter dem Umhang nach seiner.
So war er gezwungen sie anzusehen. Seine grauen Pupillen wirkten einsam und leer. Was mochte er wohl empfinden? War es noch immer Zorn oder überwältigte ihn mittlerweile die Trauer über Tristans Tod? Er würde es niemals zeigen noch darüber reden. Vergessen war es deswegen noch lange nicht.
Er wollte ihr seine Hand entziehen doch sie festigte den Griff. Ihre Finger verhakten sich mit seinen, um ihm zu zeigen, dass das imaginäre Blut an seinen Händen sie immer noch nicht störte.
„Du weißt, dass ich dich liebe?"
Jay betrachtete ihrer beiden Hände kurz, blickte wider zu ihr auf und antwortete: „Für einen Moment war ich mir nicht mehr so sicher. Wenn du nach allem, was im Wald geschehen ist noch zu mir kommst, muss es wohl wahr sein."
„Du hast mich im Wald lediglich erschreckt. Was du zu mir sagtest entsprach der Wahrheit. Ich habe mir etwas vor gemacht. Dich einmal ernsthaft kämpfen zu sehen, hat mir die Augen geöffnet. Allerdings reicht das nicht aus, um mich dauerhaft zu verschrecken."
„Für den Fall, dass es dich abstößt, wollte ich es dir leicht machen."
„Bist du deshalb so wütend geworden?"
Er nickte leicht.
„Nicht nur deinetwegen. Dein Vater hat mich zuvor schon sehr erzürnt. Du hast lediglich das Fass meiner Gefühle zum Überlaufen gebracht."
Sanjana musste sich an Tristans Worte erinnern und schmunzelte.
„Was?", fragte Jay skeptisch.
„Man sagte mir, dass du ein großes Gefühlsreichtum hättest. Ich wollte es nicht glauben."
Jay hob die Augenbrauen.
„Wer hat das gesagt?"
„Tristan", schnell fügte sie noch hinzu „mein Vater auch."
Er drehte sich wieder der Klippe zu und schaute auf die bergige Landschaft. Der Schnee machte es möglich weit über die Bergspitzen zu sehen. Er leuchtete so hell wie der Mond durch die winterliche Nacht. Nur war kein Mond zu sehen. Er versteckte sich hinter schwarzen Wolken. So imposant die Aussicht auch war, sie war gleichzeitig auch öde und beängstigend.
„Was hat Tristan dir denn noch erzählt?"
„Nicht viel. Er war der Meinung ich müsste selber deine Geheimnisse ergründen, wenn ich mich wirklich für dich interessierte."
Auf ihren Scherz hin drehte er sich um und sah sie zweifelnd an.
„Das klingt so gar nicht nach Tristan."
Sie lachte. Endlich schien er aufzutauen. Ganz im Gegensatz zu ihrem Körper, der nach und nach gefror. Jay entledigte sich seines warmen Umhangs und streifte ihn ihr über. Sie wollte protestieren, aber er versicherte ihr, dass ihm nicht kalt wäre.
„Frierst du eigentlich nie?"
„Selten. Ich bin an der Küste Nidavas aufgewachsen und anschließend brachte man mich in Tamarans Berge. Dokrat ist ein kalter Ort, besonders im Winter."
„Nichts für mich."
„Nein, gar nicht. Du würdest dich in der Stadt allgemein nicht wohl fühlen."
„Solange du an meiner Seite bist, werde ich mich überall wohl fühlen."
„Selbst wenn Blut an meinen Händen klebt?"
Sie nickte überzeugt. An seinen Händen würde immer Blut kleben. Er würde nie aufhören ein Krieger zu sein und das musste sie akzeptieren. Wenn sie ihn wollte, musste sie auch das Blut wollen. Ihre Hand wanderte von selbst an seine Wange und versuchte die letzten vertrockneten Blutspuren abzureiben.
„Du kannst das nicht immer machen."
Sie ignorierte seine Worte, was ihm nicht gefiel. Er wollte ausweichen doch Sanjana kam ihm noch näher. Er schien so ernst und verwirrt.
„Es muss dich doch stören."
Alles was sie wollte, war ihm zu zeigen, dass sie weder Furcht noch Abscheu empfand. Sie wollte ihn mit allen Übeln. Sollten die Götter sie dafür bestrafen. Es war ihr egal, solange sie diesen Mann bekam.
Genauso sagte sie es ihm auch. Daraufhin machte Jay große Augen. Außerdem warnte sie ihn er möge nie wieder davon reden sie zu verlassen oder selbes von ihr erwarten. Sonst würde sie ihn persönlich umbringen.
Seinen folgenden Kommentar erstickte sie, indem sie ihn küsste. Sie waren beide vom Schnee durchnässt und dreckig vom Wald. Beide hatten seit Tagen nicht richtig geschlafen und waren vollkommen übermüdet. Sie standen auf einem verschneiten Berg mitten im Nirgendwo. Um sie herum nur Einsamkeit und totes Land. All
das kümmerte sie nicht. Wenn Jay erwartet hatte, dass sie sich abwenden und davon laufen würde, hatte er sich gewaltig geirrt.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top