Neunzehn

Es war das tiefe Horn des Wachturms, das Jay aus dem Schlaf riss. Zuerst wusste er sich nicht zurecht zu finden. Noch nie hatte er so ruhig und vor allem traumlos geschlafen.

Hatte es an seiner Erschöpfung oder an Sanjanas Nähe gelegen? Sein Blick fiel auf ihren regungslosen Körper neben ihm. Er befand sich noch immer in ihrem Schlafgemach. Dabei wollte er doch Abstand wahren.

Sie lag auf dem Bauch, das Gesicht ihm zugewandt und die Decke war seltsam zwischen ihren Beinen verschlungen.

Ein herrlicher Anblick, wie Jay fand. Doch wieder ertönte das laute Horn und er wusste genau, was dies zu bedeuten hatte. Er wand sich mit den schlechtesten Befürchtungen aus dem Bett und trat ans Fenster. Sanjanas Gemächer lagen zur Vorderseite des Hauses und boten einen eindrucksvollen Blick über die gesamte Stadt. Selbst darüber hinaus.

Es war ein einziges Meer aus Lichtern, welches sich unnatürlich vom schwarzen Hintergrund der Nacht abhob und bedrohlich funkelte. Es war nichts anderes als das Heer der Saboraner, das sich quälend langsam durchs Tal bewegte und auf die Hauptstadt zu kroch.

„Was ist los?", fragte Sanjana. Mittlerweile war sie auch erwacht und gesellte sich - in ihr Bettlaken gehüllt - neben ihn. Jay brauchte nicht viel zu erklären. Der Blick aus dem Fenster erklärte sich von selbst. Er zog sich in Rekordzeit an und suchte seine Waffen zusammen. Nicht zuletzt sein Adamant - Schwert.

„Von nun an wird alles anders werden nicht war?"
Sanjana beobachtete ihn mit ihren großen Rehaugen dabei und wirkte traurig. Sie war so unglaublich schön, wie sie noch immer vor dem Fenster stand. Mit zerzausten Haaren und nichts weiter bedeckt als einem weißen Laken.

Sie brauchte nicht viel in ihr Gesicht zu schmieren oder extravagante Kleider zu tragen, um so schön zu sein. Für ihn war sie genau so einfach perfekt. Am liebsten würde er bei ihr bleiben, aber seine Pflicht verlangte, dass er sich beim Rat meldete.

„Es ist Krieg, Sanjana. Leider habe ich keine andere Wahl und muss kämpfen, selbst wenn ich es nicht wollte. Außerdem möchte ich dich beschützen."
„Du sollst mich nicht beschützen. Dein Auftrag ist vorbei. Hier kann mir nichts passieren, solange du bei mir bleibst."
„Hör auf zu diskutieren, Sanjana. Ich bin ein Krieger und das bringt nun mal Verantwortung mit sich."

„Und du hast anscheinend immer noch nicht verstanden, dass ich dich liebe!"
Sie hatten beide die Stimmen gehoben. Nun schlug er einen sanfteren Ton an und strich mit dem Handrücken über ihre Wange.
„Könntest du einen Mann lieben, der wegläuft?"

Ihre Augen wurden glasig und Jay merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte.
„Warte auf mich. Ich komme zu dir zurück sobald es mir möglich ist."
„Versprich es!"

Er nickte. Natürlich würde er immer zu ihr zurück kommen. Wenn es nach ihm ging, würde er sie gar nicht erst verlassen.
„Du musst mir auch etwas versprechen."
„Was?"

„Halte dich von Schwierigkeiten fern. Bleib in diesem Haus. Es ist so hoch gebaut, dass die Katapulte und Pfeile es nicht erreichen können. Allein hier bist du sicher. Solange sie nicht die Tore einrennen. Aber dann ist die Stadt eh verloren. Sollte es so weit kommen, werde ich dich holen und in Sicherheit bringen. Nur dafür musst du mir versprechen hier zu bleiben."

„Du hast mein Wort. Habe ich auch deines?"
„Ich habe dir versprochen nicht zu sterben, oder? Ich habe stets mein Wort gehalten. Du weißt, dass das Wort eines Kriegers viel Gewicht hat."
Er grinste.
„Wehe du hältst dich nicht daran."
Jay lachte lauter und gab ihr einen letzten sinnlichen Kuss, bevor er ihre Gemächer verließ und mit seinen Freunden zum Palast eilte.

Er wollte nicht kämpfen. Das erste Mal seit er die Akademie verlassen hatte, wollte er nicht kämpfen. So gerne er den Saboranern auch in den Allerwertesten treten würde, umso mehr wollte er bei Sanjana bleiben. Hin und her gerissen zwischen seinem Herzen und seiner Pflicht meldete er sich beim Rat. Fest stand, dass die Saboraner Dokrat im Morgengrauen angreifen würden. Bis dahin mussten alle Vorbereitungen abgeschlossen sein.

Während sich andere Krieger darum kümmern sollten, wurde im Rat darüber beratschlagt, wie man die Saboraner am besten besiegen könnte. Eines war sich Jay im Klaren drüber, sobald Satjin tot war, würden seine Truppen zerbrechen. Ohne ihn wären sie führungslos und desorientiert. Nur bliebe dann noch ein anderes Problem: Jeremy. Schon der Gedanke an den Mistkerl, machte den Krieger ungehalten.

Ram saß wie immer neben Jay, der immer auf demselben Platz saß. Zwar hatte man ihn das letzte Mal des Rates verwiesen, doch konnten sie Angesichts der Lage nicht auf ihn verzichten. Aber Jay war nicht dumm. Er ließ sich nicht so behandeln.

Deshalb sagte er kein einziges Wort. Er war Meister der Kriegsführung. Oft genug hatte er mit seinen Freunden die Saboraner in der Grenzstadt zurück getrieben. Doch Jay lag es
nicht mehr im Sinn für den Rat zu kämpfen. Sehr zum Ärgernis seines Lehrmeisters. Mohan sprach ihn nach der Versammlung darauf an.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Tochter von deinem Verhalten sehr angetan wäre."
Oh doch. Wenn es nach seiner Tochter ginge, sollte er gar nicht kämpfen.
„Vergiss es, Mohan. Wenn du mir ein schlechtes Gewissen einreden willst, funktioniert das nicht."
„Nein. Man kann dir kein schlechtes Gewissen machen, Jay. Nur mache ich mir Sorgen um dich."

„Ach, du machst dir Sorgen. Das ist ja etwas ganz was neues" , meinte Jay sarkastisch.
„Sollten wir vielleicht noch ein Gespräch unter vier Augen führen oder kann ich mich darauf verlassen, dass du dort draußen meinen Befehlen folgst?"
„Ich folge niemandem mehr. Das ist vorbei. Aber ich werde dir nicht im Weg stehen, falls du das meinst."

Mohan seufzte resigniert.
„Jay, es tut mir aufrichtig leid. Ich hätte dich nicht belügen sollen, aber dir muss doch klar sein warum ich es tat."
„Ja. Für dich hat du es getan. Ganz allein für dich. Und ich muss jetzt einen Weg finden damit klar zu kommen. Sowohl mit der
Tatsache, das du gelogen hast. Als auch damit, dass ich nicht mehr dazu von dir zu hören bekomme. Du willst mir ja nicht einmal mehr sagen, wer ich eigentlich bin. Ohne dieses Wissen, kann ich niemandem folgen. Denn ohne Identität, was bleibt mir denn noch? Ich habe weder Rechte noch Pflichten."

„Du hast einen Namen."
„Sehr schön. Damit man mich wenigstens Anklagen kann."
„Niemand klagt dich an."
„Eines Tages, Mohan, wird mich jemand anklagen. Wenn du es nicht bist, wird es jemand anderes sein."
„Warum sagst du das?"
Mohan klang fast traurig. Er wusste auch dass Jay nicht ganz unrecht hatte.

„Weil es die Wahrheit ist. Mein Leben läuft nun mal darauf hinaus. Ich habe nie besonders gute Karten gehabt in diesem Spiel. Aber dank dir habe ich erst recht keine Chance."
„Das siehst du falsch. Ich habe dir alle Türen geöffnet."

„Nein. Das habe ich selbst. Ich habe trainiert, ich habe mein Channa gestärkt und ich habe mir einen Ruf aufgebaut."
„Du bist ungerecht."
„Mag sein. Dann sind wir jetzt quitt."

Jay war viel zu wütend, um noch weiter mit Mohan zu diskutieren. Er ließ ihn einfach stehen und verließ den Palast. Ein Blick auf den Horizont verriet ihm, dass es noch immer dunkel war. Wieviel Zeit hatte er im Rat vergeudet?

Die saboranische Armee hatte ihr Lager vor den Stadtmauern aufgeschlagen. Gerade weit genug entfernt, um von Pfeilen und Katapulten nicht getroffen zu werden. Der Schein ihrer Feuer strahlte ihre Zelte an. Eines von ihnen war größer als alle anderen - Satjins Zelt.

Jay war sich gewiss, dass dort auch Jeremy sein würde. Er stand auf den Stufen des Palastes und blendete das hektische Treiben vor ihm aus. Dann schloss er die Augen und suchte nach der Energie in ihm. Ein sanftes Kribbeln durchzog seine Gliedmaßen. Dann tauchte die Stadt vor ihm auf. Er sah sie so klar und deutlich als hätte er die Augen geöffnet.

Es war als würde er wie ein Adler über die Häuser fliegen. Er konnte es sich aussuchen ob er sich alles von oben anschaute oder die Straßen von unten beobachtete. Es war ein herrliches Gefühl. Es fühlte sich wie Freiheit an. Mit einer der Gründe, weshalb er das Channa weiter entwickeln wollte.

Nur diese Energie, gab ihm ein Gefühl von Unabhängigkeit und Freiheit. Und seit kurzem fühlte er das auch bei Sanjana. Sie war der erste Mensch, der ihm das Gefühl gab hoch zu fliegen, wenn er bei ihr war. Genau wie sein Channa. Manchmal fragte er sich ob seine Eltern davon gewusst und ihm deshalb einen Anhänger mit einem fliegenden Adler geschenkt hatten. Diesen Anhänger trug er stets bei sich.

Nur langsam zweifelte er daran, dass er ihn von seiner nidavischen Familie bekommen hatte. Was wenn er sie von seinen leiblichen Eltern hatte? Schon wieder stieg Zorn in Jay auf. Dank Mohan würde er das nie erfahren.



~



Jenna betrat zusammen mit Fina die feinen Gemächer der Senatorin. Sie ließ ihren Blick schweifen und richtete ihren schwarzen Dress. Fina machte sich gleich an die Arbeit und räumte auf. Jenna hingegen lies sich Zeit und schaute sich in Ruhe um. Schon immer hatte sie sich für die Senatorin interessiert, hatte sie bewundert und vor allem beneidet.

Nun hatte sich die feine Senatorin etwas genommen, was Jenna gehörte. Sie hatte sich das liebste von ihr genommen und dafür sollte sie bezahlen. Ja und wie sie dafür bezahlen sollte.

„Komm hilf mir mal, das Laken abzuziehen."
Fina zog kräftig an den Laken, um sie auszutauschen, war aber so klein und schmächtig, dass sie sich kaum bewegten. Jenna ging zu ihr und zog kräftig mit. Zuerst musste sie weiter aufräumen bevor sie sich überlegen konnte, was sie stehlen oder zerbrechen könnte.

Zwar war das noch lange nicht alles, was Jenna der Frau antun wollte, fürs erste reichte es aber. Bald würde der Mann kommen und sie mitnehmen. Dafür hatte er Jenna einen ganzen Sack Münzen gegeben. Sollte sie bis zu seinem Auftauchen alles zu seiner Zufriedenheit erfüllt haben, gab es noch einen Beutel Geld. Jenna hatte natürlich nicht nein sagen können bei so viel Geld. Allerdings tat sie es eher für sich selbst als für die Münzen.

Fina schüttelte das Laken einmal kräftig und es fiel ein Gegenstand auf den Boden. Neugierig hob sie ihn auf.
„Schau mal, ein Anhänger. Merkwürdig, der passt gar nicht zu der Senatorin. Sonst immer trägt sie teuren Schmuck. Noch nie habe ich sie mit dieser Kette gesehen."

Jenna starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Adleranhänger. Sie kannte die Kette von Jay ganz genau. Er trug sie immer. Würde sie niemals ablegen. Sie gehörte zu seinem Körper wie nichts vergleichbares. Unter hundert ähnlichen hätte Jenna die Kette wieder erkannt.

„Gib sie mir!", befahl sie barsch.
„Nein ich lege sie zu ihrem anderen Schmuck sonst vermisst sie sie später."
„Es ist meine. Ich muss sie gerade verloren haben, als ich mich bückte."
„Oh tatsächlich. Auch von dir hätte ich so etwas nicht erwartet. Aber bitte sehr."
Fina übergab ihr das schlichte Schmuckstück einfach. „Wo hast du denn solchen Ramsch her?"

„Das ist kein Ramsch. Es ist etwas besonderes."
„Wie du meinst."
Fina beschäftigte sich wieder damit die Gemächer der Senatorin in Ordnung zu bringen. Jenna hingegen verlor fast sämtliche Selbstbeherrschung.

Jays Kette drückte sie ganz fest an ihre Brust. Etwas so wichtiges würde er nicht verlieren. Und sie ausgerechnet in den Gemächern der Senatorin zu finden, schockierte Jenna zutiefst. Es könnte nur bedeuten, dass er eine Affäre mit ihr hatte. Sehr wahrscheinlich hatten sich die beiden diese Nacht in diesem Bett geliebt. Jennas kalter Blick fiel auf die hellen Laken. Kein Blut. Das bedeutete es war nicht das erste mal. Oder die feine Sanjana Kinjan stellte sich als Flittchen heraus und hatte mit mehreren Männern geschlafen.

Vermutlich spielte sie nur mit Jay. Wenn sie genug von ihm hatte, würde sie ihn vermutlich wegwerfen wie eine stumpfe Klinge. Oh armer Jay. Hoffentlich hatte er sich nicht in sie verliebt. Sie würde ihm das Herz brechen.

Warum konnte er nicht einfach Jenna beachten? Gut sie war jung. Aber nicht viel jünger als Sanjana. Außerdem war sie hübsch und klug. Ihr Vater stand schon lange in seinem Dienst. Verdammt, er hatte sich nie für Jenna interessiert und jetzt musste er ausgerechnet diese Frau beglücken.

Innerlich kochte Jenna. Sie schwor sich diese heimliche Affäre aufzulösen. Nur konnte sie leider nicht damit an die Öffentlichkeit gehen. Damit würde sie auch Jay schaden und das lag nicht in ihrem Sinn. Es blieb ihr keine andere Wahl, als dem Mann zu vertrauen, der Sanjana entführen wollte. Und sie konnte Jay dann in seinem Kummer trösten. Dann würde er sie endlich bemerken...



~



Sanjana hatte ein langes Bad genommen nachdem Jay verschwunden war. Wer weiß wann sie das nächste Mal Zeit dafür finden würde. Mit einer Belagerung war nicht zu spaßen. Danach hatte sie überlegt etwas zu frühstücken. Es war wirklich noch sehr früh.

Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Der Moment indem die ersten Strahlen auf den Berg fielen, würde der Moment der Wahrheit sein. Dann hieß es für die Krieger die Waffen zu schwingen.
Sanjana riss das Fenster auf. Sofort blies ihr ein kalter Wind die feuchten Haare aus dem Gesicht. Abgesehen davon war nichts zu hören. Es schien als ob die Stadt warten würde. In der Ferne lagerten die Feinde. Angesichts der Übermacht sollte sie Angst verspüren. Es war eher Entschlossenheit, die Sanjana antrieb.

Es klopfte und Samara trat mit geröteten Augen in Sanjanas Gemächer.
„Oh nicht doch, Sama."
Ihre sonst so gefasste Freundin schluchzte unaufhörlich.
„Ist etwas passiert?"
Samara schüttelte den Kopf. „Ram..."
„Was ist mit Ram?"
Sanjana befürchtete schon das Schlimmste.
Samara stand nur da in zerknitterten Kleidern und mit zerzausten Haaren.
„Sama, rede endlich."
„Ich hab das Gefühl... ich werde ihn nie wieder sehen."

Sanjana verdrehte die Augen.
„Ich dachte es ist ihm etwas passiert."
„Nein, aber es wird bald so sein."
„Sama, du musst dich beruhigen. Ram lässt sich nicht so einfach etwas antun."
„Sanju, er hat mich geküsst. Das würde er doch nicht tun, wenn er vorhätte wieder zu kommen."

Nun schmunzelte Sanjana. Dank der Saboraner hatte Ram sich endlich auch das genommen, worauf er seit Langem verzichtet hatte.
„Ich freue mich für dich."
„Ich kann mich nicht darüber freuen. Er hat sich von mir verabschiedet, verstehst du?"
„Ja. Ich weiß was du meinst. Das heißt aber nicht, dass er nicht wieder kommt."
Sie suchte nach den richtigen Worten.
„Es war nur für den Fall, dass er später nicht mehr dazu kommt."
Sagte sie vorsichtig.
„Ja, weil er später tot sein wird."

„Unsinn. Glaubst du ich mache mich derartig verrückt, weil Jay mich geküsst hat, bevor er ging?"
„Sanjana, wir wissen nicht wie dieser Krieg, diese Schlacht, nach Sonnenaufgang aussehen wird."
Sanjana überlegte kurz.
„Und wenn doch?"
Samara sah sie verwirrt an.
„Ich kann die Geschehnisse nicht beeinflussen, aber ansehen will ich sie mir schon."

Jetzt glaubte Samara bestimmt sie hätte den Verstand verloren.
„Sei nicht töricht. Das Haus zu verlassen wäre Wahnsinn."
„Besser als hier tatenlos zu sitzen und sich voller Sorgen die Haare zu raufen."
Mit einer Hand fuhr Sanjana durch ihr feuchtes Haar. Selbst im nassen Zustand traten ihre Locken hervor.

„Was hast du denn vor?"
„Ich werde mich aus dem Haus begeben und sehen was ich tun kann, um zu helfen."
Samara schüttelte verständnislos den Kopf.
„Ach jetzt sag mir nicht du hättest nicht auch daran gedacht."
„Schon", gab Samara verlegen zu, „nur hätte ich das nicht von dir erwartet."

Sanjana zuckte mit der Augenbraue.
„Na gut, vielleicht erwartet aber nicht gedacht, dass du das wirklich machen würdest."
„Du kennst mich lange genug."
Auf einmal hatte es Samara ziemlich eilig. „Warte, ich ziehe mir doch lieber etwas anderes an. In dieser unpraktischen Kleidung kann man doch keinen Bogen händeln."

„Ich versuche auch etwas einfaches zu finden. Vielleicht können unsere Zofen für uns passende Kleidung bringen."
„Prima Idee. Ich werde mich sofort darum kümmern."

Schwups, da war Samara verschwunden. Es dauerte nicht lange, bis Sanjanas Zofen erschienen. Die kleine Blonde hielt Stiefel, Tunika und einen dunklen Umhang bereit, während die Brünette ein Tablett beladen mit Tee und kleinen Leckereien auf die Kommode stellte.

Es würde ein richtiges Frühstück nicht ersetzen, reichte aber um den ersten Hunger zu stillen. Auch wenn sie vor Aufregung keinen Bissen herunter bekommen würde, wollte Sanjana zumindest den Tee trinken. Sie hasste es, wenn man sich umsonst abmühte. Der Tee war noch warm und schmeckte süßlich.

„Habt ihr Honig hinein gegeben?"
Das brünette Mädchen nickte schwach.
„Wenn es Euch nicht recht ist, werde ich umgehend einen neuen Tee kochen."
„Nein, nicht nötig. Ich finde es angenehm. Vielen Dank für eure Hilfe, ihr dürft euch nun zurück ziehen."

„Braucht ihr denn nichts mehr, Mylady?"
Als Sanjana ihnen versichert hatte, dass sie wunschlos wäre, zogen sich beide zurück und sie konnte sich umziehen. Sobald sie fertig war betrachtete sie sich im Spiegel. Es fehlte nicht viel und sie würde als weiblicher Krieger durchgehen.

Es sollte sie nur bloß keiner so sehen. Vor allem nicht Salik. Er war ein herzensguter Mensch und eine treue Seele. Sie würde ihn nur in Schwierigkeiten bringen, weil er sie direkt bei Jay anschwärzen würde.
Es klopfte an der Tür. Das musste Samara sein. Nur warum trat sie nicht ein?
„Was ist Sama? Ich habe nicht abgeschlossen."
Die Tür öffnete sich und Sanjana hörte jemanden ins Zimmer treten.

„Das solltest du aber, meine Schöne."
Das war auf keinen Fall Samaras Stimme. Als sie den rothaarigen Mann durch den Spiegel erkannte drehte sie sich erschrocken um.
„Es war so leicht für mich in deine Nähe zu kommen. Wenn dein Krieger nicht da ist, bist du vollkommen ungeschützt."

Jeremy kam langsam auf sie zu. Seine Augen funkelten Unheil verkündend.
„Verflucht! Wie seit Ihr hier herein gekommen?"
„Ich hatte ein wenig Hilfe."
Hinter ihm trat auf einmal ihre Zofe durch die Tür. Die dunkelhaarige Jenna grinste verwegen.
„Du?! Warum?"

„Wegen Jay", gab sie frech zur Antwort. „Er gehört mir. Ich liebe ihn. Leider bemerkt er mich nicht, oder will mich nicht bemerken. Aber wenn ich ihn nicht haben kann, dann soll es auch niemand anderes."

„Ich verstehe es nicht."
„Ach tut doch nicht so scheinheilig. Ich habe ihn vorhin aus euren Gemächern kommen sehen. Ich bin nicht dumm. Er hat mit euch geschlafen. Oh warum musstet Ihr auch herkommen? Es war alles perfekt. Irgendwann hätte ich Jay dazu gebracht mich zu lieben."
„Er ist ein Krieger. Er darf gar nicht lieben." Erklärte Sanjana spöttisch ohne Jeremy aus den Augen zu lassen. Der Kerl war ihr verdammt unheimlich. Was würde er ihr antun?

„Das scheint Euch ja wenig zu kümmern. Ihr wollt ihn nur ausnutzen. Ich nicht. Selbst wenn er mich nicht lieben oder anfassen darf, gebe ich mich damit zufrieden ihn heimlich zu lieben. Aber niemand anderes darf ihn bekommen. Bis jetzt hat er sich auch an die Gesetze gehalten. Warum muss er sich ausgerechnet jetzt in Euer Bett schleichen? Eine einfache Frau wäre kein Problem gewesen. So einer hat er sich schon öfters hin gegeben. Schließlich ist er auch nur ein Mann. Es war nie länger als eine Nacht. Aber Ihr seid gefährlich. Er war Euch in Namalia für eine lange Zeit ausgeliefert. Mit Euren Reizen verdreht Ihr ihm den Kopf und macht ihn schwach. Das lasse ich nicht zu."

Sanjana stemmte wütend die Hände in die Seiten.
„Ihr habt den Verstand verloren. Nur aus Eifersucht habt Ihr den hereingelassen?"
Mit einer Kopfbewegung deutete sie zu Jeremy.
„Habt Ihr eine Ahnung wer das ist?"
„Das spielt keine Rolle. Er kann mir helfen."
„Er ist schon seit Namalia hinter mir her. Er hat versucht mich umzubringen. Wenn Jay erfährt, was hier geschieht, wird er Euch eigenhändig töten."

„Mich kümmert es nicht, was er mit Euch anstellt. Hauptsache Ihr verschwindet und Jay muss nie etwas davon erfahren."
„Wie könnt Ihr ihm das antun?"
Sie grinste wieder und zuckte mit den Schultern.

„Er wird über Euch hinweg kommen, dafür werde ich schon sorgen."
„Jay wird die Wahrheit erfahren. Selbst wenn nicht, wird er sich niemals mit Euch einlassen."
Die Zofe schnaubte verächtlich.
„Ich bin Saliks Tochter. Er schuldet ihm einen Gefallen, weil er stets sein Haus verwaltet. Eine kleine Gefälligkeit wäre es da um meine Hand anzuhalten."

„Er ist ein Krieger, er wird dich niemals heiraten."
„Oh doch, glaubt es mir."
Sanjana schüttelte den Kopf. Der arme Salik. Wenn er wüsste, was seine Tochter gerade anstellte...

Jeremy kam näher. Er hielt plötzlich ein Seil in den Händen.
„Nein!"
Sanjana wich zurück und stieß gegen die Kommode. Jeremy nutze die winzige Sekunde, in der sie taumelte und warf ihr eine Schlinge um den Hals. Noch bevor sie sich daraus befreien konnte, hatte er schon ihre Arme auf den Rücken gebunden und presste sie nun vorwärts gegen die Wand.

Er war verflucht schnell. Ihre Brust quetschte sich so sehr, dass sie nur schwer Luft bekam. Sie wollte um Hilfe schreien, brachte aber wegen der Atemnot nur ein leises „Ihr begeht einen gewaltigen Fehler!" hervor.

„Wird sich zeigen, Süße. Fürs Erste bringe ich dich zu Satjin. Aber er wird sicher keine Einwände haben, wenn ich mich später ein wenig mit dir amüsiere."
Sein Atem roch faul und seine Hände grabschten schon jetzt an unangebrachten Stellen. Er zog sie von der Wand und knebelte
sie zusätzlich.

„Jenna, öffne die Tür und halte Ausschau."
„Wird gemacht."
Wo steckte eigentlich Samara? Hoffentlich hatten die beiden ihr nichts schlimmes angetan.

Jeremy führte Sanjana leise durchs Haus. Niemand war zu sehen.
Entweder sie hatten sämtliches Personal aus dem Verkehr gezogen oder Jay hatte eine riesige Sicherheitslücke in seinem Haus. Abgesehen von Jenna. Sie allein hatte ausgereicht, um Jeremy ins Haus zu lassen.
Die ganze Zeit konnte Jay sie beschützen. Aber kaum wich er von ihrer Seite wurde sie entführt.

Eines beruhigte Sanjana. Noch befanden sie sich in einer Stadt voller Krieger. Nie im Leben würde Jeremy sie in dem Zustand weg bringen können.



~



Alain stand auf der Mauer. In der rechten Hand seinen Bogen, in der anderen den ersten Pfeil. Unter ihm stellten sich die Truppen der Soldaten bereit. Zwischendurch waren vereinzelt Krieger unter ihnen.

Seit langem hatte Alain keine anständige Schlachtordnung mehr gesehen.
Den Rat hatte es nie gestört.
Seine Mitglieder waren stets zu feige, um sich aktiv am Krieg zu beteiligen und von Strategie hatten sie schon gar keine Ahnung.
Normaler Weise leitete General Thamgeir die Truppen. Aber diese wirkten nicht gerade optimistisch im Angesicht ihres Feindes, der sich auf der anderen Seite der Mauer breit machte.

Katapulte wurden vorbereitet und Bogenschützen in die vordersten Reihen gestellt. Jay und Ram standen neben Alain und richteten ihre finsteren Mienen auf die Saboraner. Was war denn mit Jay? Alain konnte ja verstehen, dass er wütend war und sich so schnell wie möglich in die Schlacht stürzen wollte, aber er wirkte eher verunsichert. Ohne Frage ein seltener Anblick.
Ram hingegen war selbstsicher und konzentriert. Hatten die Beiden beschlossen ihre Rollen zu tauschen?

„Was hast du?"
Jay schüttelte unmerklich den Kopf.
„Ich kann mir nicht helfen, aber irgend etwas stimmt nicht."
„Benutze dein Channa."
„Hab ich schon...Nichts."
„Aber du hast ein schlechtes Gefühl?"

Jay brauchte ihm nicht zu antworten. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Glaubst du, wir werden untergehen?"
„Solche Fragen solltest du mir gar nicht erst stellen. Ich halte unsere Chance diesen Krieg mit diesen Angst Hasen dort unten zu gewinnen für mehr als gering."

„Dann mach dich besser bereit zu sterben."
„Ich habe nicht vor zu sterben."
„Wenn du nicht bald anfängst dich zu konzentrieren, dann wird es so kommen."
„Fängst du schon an wie Tristan?"
„Nein. Aber du beunruhigst mich auch. Ich weiß du hast einen siebten Sinn für alles was um dich herum passiert."

„Major Mathur!"
General Thamgeir kam zu den Kriegern auf die Mauer. „Ich habe eine Bitte."
„Ach was..."
Ram knuffte Jay in die Seite. Zum Glück waren die Verletzungen durch die Nadeln nicht mehr so schlimm.

Der General ignorierte Jays spitze Zunge und fuhr fort: „Ihr kennt die Männer besser, habt mit ihnen lange an der Grenze gekämpft. Bitte richtet Ihr das Wort an sie. Bestimmt könnt Ihr
ihnen Mut zusprechen."
„Und wer spricht uns Mut zu?", fragte Jay genervt. Oha, er war immer noch sehr wütend auf den General.

„Jay!", rief Ram empört.
„Wozu das Ganze? Ich soll ihnen Mut machen und sie anschließend in ihr Verderben schicken. Großartige Idee."
Alain spürte dass Jays Zorn tiefer ging. Er war nicht allein auf Mohan wütend. Es war als würde er sich gegen etwas höheres auflehnen.

„Bis jetzt war es kein Problem für dich Befehle zu befolgen. Sag mir, ob du in der Lage bist mir zu gehorchen, Jay. Ich dulde deine Respektlosigkeit nicht länger. Bitte mach nicht den Fehler Privates mit deinen Pflichten zu vermischen. Wir haben eine Schlacht zu schlagen."

„Ich bitte um Verzeihung, General. Ich wollte keines Falls respektlos erscheinen. Aber ich halte es für absolut überflüssig. Diese Soldaten sind Menschen und sie wissen, was für sie auf dem Spiel steht. Seht Euch die Saboraner doch einmal an. Glaubt Ihr ernsthaft an unseren Erfolg? Dann könnt Ihr von mir aus selbst zu den Soldaten sprechen. Die Krieger braucht ihr nicht zu überzeugen. Sie werden auch so kämpfen. Allein um ihr Können zu preisen."

Was war nur los mit Jay? Er konnte unmöglich so nervös sein. Seit wann empfand er so negativ?

General Thamgeir trat näher zu Jay und flüsterte, so dass nur Ram und Alain ihn noch verstehen konnten: „Seid Ihr vielleicht zu sehr abgelenkt, Major Mathur? Entweder Ihr bekommt das in den Griff oder ich muss euch bitten zurück zu treten."

Alain sah das wütende Funkeln in Jays Augen, was ihn selbst sofort zum Schweigen gebracht hätte. Jay würde niemals vor einem Kampf zurück treten. General Thamgeir trat wieder
zurück, flüsterte aber noch immer.
„Genau aus dem Grund ist es Kriegern verboten sich tiefen Gefühlen hinzugeben."

Mit diesem Satz bewegte er sich auf ganz dünnem Eis. Jays geballte Fäuste, neben seinem Körper, verrieten es Alain.
„...Weil sie sich dann nämlich verändern und den Sinn für Loyalität und Treue verlieren", fügte Mohan noch hinzu.
Er meinte wohl eher: Weil sie dann keine willenlosen, dressierten Hunde mehr sind.

Einen sehr langen Moment sagte Jay gar nichts. Er focht wahrscheinlich einen inneren Kampf mit sich aus. Dann drehte er sich zur anderen Seite der Mauer und rief laut über die Zinnen:
„MännerDokrats!"
Sofort hatte Jay die Aufmerksamkeit der ganzen Stadt.

„Wir stehen Angesicht zu Angesicht mit dem Feind. Seit Jahren haben wir versucht unser Volk zu schützen, indem wir mit ihnen verhandelt haben. Indem wir sie zurück gedrängt oder aber uns Stück für Stück zurück gezogen haben, um keinen Krieg anzufachen. Aber nun wollen sie unsere weiße Stadt erobern und uns in die Knie zwingen. Doch wir sind nicht nur einfache Tamaraner. Wir sind freie Männer. Mit Mut in unseren Herzen. Und wenn wir kämpfen, dann nicht, um uns selbst zu schützen. Auch nicht um diese Mauern zu schützen."

Jays Hand schlug auf den weißen Kreidestein vor sich. „Sondern um die Menschen zu schützen, die sich in Dokrat befinden."
Das Volk unter ihm jubelte Jay zu.
„Wir sind zwar in der Unterzahl. Aber ein Tamaraner kämpft wie zehn Saboraner. Seit Euch dessen stets bewusst. Glaubt an Euch und zeigt den Tyrannen, wer wir sind! Zeigt Ihnen die wahre Kraft Dokrats!"

Jays kurze Ansprache motivierte die tamaranische Armee tatsächlich so sehr, wie selbst Mohan es nicht erwartet hätte. Es machte Alain stolz. Jay konnte alles erreichen, einfach alles.
„Zufrieden, General?"

Er wartete nicht auf eine Antwort und ging an Mohan vorbei.
Sein innerer Konflikt bereitete seinem Freund allerdings große Sorgen.
Das lag nicht alleine an Sanjana. Soviel konnte Alain durch sein Channa fühlen. Nur konnte er nicht genau sagen, was in Jay so brodelte, dass es ihn sogar dazu brachte Ungehorsam zu sein und das erste Mal die Befehle der Meister in Frage zu stellen.

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