Neun

Alain saß auf der Bettkante und hatte sich über Sanjana gebeugt. Seit einer halben Stunde untersuchte er sie schon. Versuchte ihr zu helfen. Sein besorgter Gesichtsausdruck beunruhigte Jay noch mehr.

Nervös ging er in ihrem Schlafgemach auf und ab. Immer wieder sah er zu Alain, in der Hoffnung er würde sich endlich bewegen. Tristan stand vor dem Fenster und beobachtete ihn.

Jay war klar, was sein Freund dachte. Sollte er doch. Er konnte seine Gefühle in diesem Moment nicht beherrschen. Die Sorge um Sanjana wuchs mit jeder Minute, die Alain sie untersuchte und keinen Laut von sich gab.

Jay spürte die Wut in sich aufkochen. Er musste sich extrem anstrengen nicht sofort zu Jeremy zu gehen und ihm mit bloßen Händen den Hals umzudrehen. Wieder sah er Tristans
forschenden Blick. Jay wandte sein Gesicht von ihm ab. Tristan sollte nicht in seinen Augen lesen. Was er dort finden würde, beunruhigte Jay ja selbst.

Er wollte nicht darüber nachdenken, sich nicht bewusst machen wie sehr er sich eigentlich um Sanjana Sorgen machte. Viel mehr, als ihm zustand. Samara saß auf einem Stuhl neben Sanjanas Bett und wirkte fast noch nervöser, als Jay. Nein, sie konnte nur ihre Gefühle nicht so unterdrücken wie er. Wobei er darin gerade hoffnungslos versagte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob sich Alain, stieß einen stöhnenden Laut aus und wandte sich zu seinen Freunden.
„Allen Anschein nach Esiantuskraut. Eine perfekte Mischung für ein absolut tödliches Gift. Vermutlich hat er es ihr über die Haut verabreicht, als er ihre Hand gefasst hat."

Lange schwiegen die anderen. Niemand wollte wahr haben, was Alain da eben gesagt hatte.
Jay gab einen Seufzer von sich. Er sah Samaras bestürztes Gesicht.
„Das kann doch nicht wahr sein."
Sie schien verstört und wütend zugleich. „Wie konnte das passieren? Wie konntet ihr das zulassen?", fragte sie schimpfend.

Abwechselnd sah sie die Krieger vorwurfsvoll an. Ihr Vorwurf war absolut berechtigt. Noch niemals war den Kriegern so etwas passiert. Jay schauderte. Er selbst hatte sich in den vergangenen zwei Stunden die selben Fragen gestellt. Immer und immer wieder. Das schlechte Gewissen und die Sorge, dass Sanjana vielleicht nie wieder aufwachen würde, quälten ihn hemmungslos.

Wie konnte er nur Jeremy in ihre Nähe lassen? Eigentlich kannte er den Mistkerl lange genug, um auf solche Dinge vorbereitet zu sein. Bei Jeremy musste man immer mit dem Schlimmsten rechnen.

Jay fuhr sich mit den zittrigen Fingern durch sein schon struppiges Haar und zerzauste es dadurch noch mehr. Hilfesuchend drehte er sich zu Tristan, doch der schien mindestens genauso verzweifelt, wie Jay.

„Alain", begann Ram, der bis dahin schweigend hinter Sama gestanden hatte, „gibt es ein Gegengift? Kennst du irgendwelche Kräuter, aus denen man etwas machen kann, das ihr helfen könnte?"

Alain überlegte einen Moment. Dann murmelte er nachdenklich:
„Es gibt da schon etwas..."
Er machte eine Pause, kratzte sich am stoppeligen Bart und fuhr dann fort:
„Aber das habe ich nicht hier."
„Sag mir was", bat Jay ungeduldig. Er erschrak fast über sich selbst.

„Schwarzwurz."
„Das ist alles?"
Ram machte einen skeptischen Eindruck.
„Ja."
„Und wo liegt das Problem? Wir könnten es beschaffen."
„Ich wüsste nicht wo. Das Kraut ist schon unter normalen Umständen schwer zu bekommen. Bei den üblichen Kräuterhändlern auf dem Markt wird es normaler Weise nicht angeboten. Dafür ist es auch zu selten. Und ich kann mir nicht vorstellen, das wir dort draußen jetzt noch Schwarzwurz im Wald finden. Nicht zu vergessen, dass das Zeug hier in der Nähe bestimmt nicht wächst."

Draußen hatte sich der Himmel in ein dunkles Blau gefärbt. Bald brach die Nacht an. Jay fluchte. Bis ihm plötzlich etwas in den Sinn kam.

„Könnt ihr euch noch an den Wald von Astion erinnern? Er liegt Nordöstlich von hier vor dem Canyon. Seine schwarzen Tannen geben ihm einen unheimlichen Eindruck, weswegen viele Reisende einen großen Bogen um den Wald machen. Dort zu den Wurzeln der hohen Tannen kann man eine Menge Schwarzwurz
finden. Ja es wächst dort zuhauf. Es überrascht mich, dass du das nicht gewusst hast, Alain."

„Ich habe schon an den Wald gedacht, nur ist er zu weit entfernt. Der Weg dorthin ist lang und beschwerlich. Was noch dazu kommt sind die Saboraner dort draußen. Ich nehme nicht an, dass Jeremy alleine hier her gekommen ist."

„Der Weg dauert einige Stunden. Du kannst unmöglich rechtzeitig zurück sein", gab Tristan zu bedenken.
Alain warf einen kurzen Blick zu Sanjana.
„Ich gebe ihr höchstens bis zum Morgengrauen."

Sama und Ram schluckten gleichzeitig.
„Das ist mehr als genug Zeit."
Jay konnte nicht umhin Tristans Augen auf sich zu spüren. Sie tauschten vielsagende Blicke aus.

„Oh nein!", kam es schließlich von Tristan. „Ich kenne diesen Blick von dir, Jay. Es ist viel zu gefährlich."
Jay hatte keine Wahl. „Mohan erschlägt mich."
„Du kannst nicht alleine nach Astion reiten. Nicht mitten in der Nacht, nicht unter diesen Umständen."

Jays Augen sahen Sanjana besorgt an. Sie lag schwer atmend in ihrem Bett. Schweißperlen lagen ihr auf der Stirn und sie war totenblass. Ihr sonst so trotziges Gesicht regte keinen Muskel.
„Ich muss es versuchen, Tristan. Ich kann es schaffen!"

Ohne auf weitere Einwände zu warten, drehte er sich um und verließ Sanjanas Gemächer. „Jay, warte!", hörte er Tristan hinter sich rufen. Doch Jay blieb nicht stehen. Mit schnellen Schritten eilte er den Flur entlang und aus dem Haus. Er steuerte geradewegs auf den Stall zu. Dort sattelte er sein Pferd.

Tristan war ihm in einigem Abstand gefolgt. Nun blieb er in der Tür zum Stall stehen und beobachtete Jay wortlos, wie er die Riemen des Sattels festzog.
„Wenn du etwas zu sagen hast, Tristan, dann halt es nicht zurück."
Tristan folgte Jays Aufforderung.
„Nach Astion zu reiten mitten in der Nacht, während die Saboraner dich umzingeln, ist reiner Irrsinn."

„Leider bleibt mir nichts anderes übrig. Ich wurde von ihrem Vater hier her geschickt, um sie zu beschützen. Erinnerst du dich noch daran, was es bedeutet ein Leibwächter zu sein? Es bedeutet ein lebendiges Schutzschild für jemanden zu sein. Ich habe als ihr Schild versagt. Lass mich nicht auch in allem anderen versagen."

Tristan sagte nichts.
„Du kannst mich nicht davon abhalten. Ich kann förmlich spüren, wie das Leben ihren Körper verlässt. Sei ehrlich, du spürst das doch auch."
Tristan seufzte.
„Ja. Und es lässt mich genauso wenig kalt, wie dich. Ich verzweifle bei dem Gedanken daran, dass ihr nur noch wenige Stunden bleiben. Dennoch ist es zu riskant, was du vor hast."

„Das kümmert mich nicht. Ich bin ein Krieger Dokrats. Meine ganze Existenz ist ein Risiko."
Tristan verdrehte die Augen.
„Vermutlich würde ich an deiner Stelle genau das gleiche tun."
„Warum versuchst du mich dann immer noch aufzuhalten, Tristan?"

„Mache ich nicht. Ich bin nicht begeistert, aber aufhalten tu ich dich nicht."
„Was willst du dann?"
Jay sah seinen Freund nicht an. Er verstand nicht, was Tristan ihm sagen wollte. Er führte sein Pferd auf den Hof.
„Ich möchte, dass du dir über eine Sache im Klaren wirst."
„Welche Sache?"

Die Zügel flogen über den Hals des Pferdes und Jay hob sich schwungvoll in den Sattel. Den Wachen vor dem Tor gab er ein Zeichen, dass sie es öffnen sollten.
Tristan kam näher. Nur wenige Zentimeter neben dem Pferd blieb er stehen und zwang Jay ihm direkt in die Augen zu sehen.
Der Hengst schnaubte unruhig, als ob er die Spannung zwischen den Männern spüren konnte.

„Du...hast dich in sie verliebt, nicht wahr?"
Das wahr mehr eine Feststellung, als eine Frage und Jay wurde sich in diesem Moment bewusst, das Tristan Recht hatte. Es entsetzte ihn. Ihm war nicht klar, wann oder wie es geschehen war. Nur dass Tristan absolut Recht hatte.

Zugeben durfte er es nicht. Niemals! Außerdem war Jay sich sicher, dass Sanjana ihn absolut nicht ausstehen konnte. Was ihm keinen Grund gab nicht alles zu versuchen, um ihr das Leben zu retten.
„Pass auf sie auf!", mahnte er Tristan. Es war alles, was er von sich gab, bevor er seinen Hengst in Richtung Tor lenkte und vom Hof ritt.


~



Samara verbrachte die ganze Nacht bei Sanjana in den luxuriösen Gemächern.
Die halb durchsichtigen weißen Vorhänge des Betthimmels sollten ihre arme Freundin davor schützen von Insekten belästigt zu werden. Gleichzeitig dienten sie als Sichtschutz.
Nur wenn Samara an sie herantrat und sie umsorgte, schob sie kurz einen Teil des Vorhangs beiseite.

Dann zog sie die seidene mit rosé-goldenen Blumen bestickte Decke etwas höher, um Sanjana zusätzlich vor einer Erkältung zu bewahren, weil sie so sehr schwitzte.
Sie achtete darauf, dass sie ihr regelmäßig das Gesicht abtupfte und ihr anschließend ein sauberes feuchtes Tuch auf die Stirn legte, um das Fieber zu senken. Ihre Sorge war unbeschreiblich.

Genauso wie der Frust über die gesamte Situation und ihr maßloser Hass auf Jeremy. Ihr wahr immer noch schleierhaft, wie es ihm gelungen war Sanjana zu vergiften. Das auch noch vor Jays und Tristans Augen. Was hatten die beiden in dem Moment nur getan? Geschlafen?

Alain hatte Sanjana ein paar kalte Umschläge gemacht und versuchte ihr einen Fieber senkenden Saft einzuflößen. Sie verschluckte sich und musste husten. Anschließend sank sie in die Kissen zurück. Unfähig die Augen auf zu halten. Zwar erlangte sie zwischendurch das Bewusstsein wieder, war aber zu schwach um viel zu sagen oder sich aufrecht zu halten.
Ihr gesamter Körper war taub und kämpfte gegen das Esiantusgift. Sama hielt ihre Hand. Sie glühte richtig.

„Ist Euch noch immer schwindelig?", fragte Alain Sanjana. Sie nickte nur knapp. Er hob ihre Augenlider und betrachtete einen Moment ihre müden, leeren Augen. Ram legte Sama eine Hand auf die Schulter, als sie wieder vom Bett zurück trat. Wollte er sie oder sich selbst damit beruhigen?

Immer wieder wachte Sanjana auf und verlangte nach Wasser. Dann sank sie wieder in einen tiefen Schlaf. Tristan und Ram verließen Sanjanas Gemächer nach einer Weile und bewachten das Haus. Auch das Personal zog sich bis auf wenige Ausnahmen zurück. Nur Sanjanas persönliche Dienerinnen blieben auf und halfen Alain sich um sie kümmern. Sie erledigten sofort, was er ihnen auftrug.

So verstrichen die Stunden. Hin und wieder warf Samara einen prüfenden Blick auf die Standuhr im Flur. Ein Uhr morgens. Halb Zwei. Zwei Uhr morgens. Als die Uhr Drei schlug konnte sie nur mit Mühe die Augen offen halten.

Doch sie wollte nicht einschlafen und schüttelte sich immer wieder, um wach zu bleiben. Nur noch wenige Stunden, dann würde die Sonne aufgehen. Wenn sie sich dies bewusst machte, wurde sie ganz schnell nüchtern.

So quälend diese Wartezeit auch war, sie konnte Sanjana nicht alleine lassen. Sie durfte nicht schlafen, während ihr beste Freundin um ihr Leben kämpfte. Seit zwei Stunden war sie nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Ihr Körper wurde mit jeder weiteren Stunde immer schwächer. Man konnte dabei zusehen, wie sie langsam, ganz langsam in die Dunkelheit entschwand.



~



Sanjana stand in einem leeren Raum. Die Wände waren so weiß, dass sie strahlten. Sie fluoreszierten. Sanjana sah sich um. Keine
Möbel, keine weiteren Personen außer ihr.

Allein. Nur eine Wand war anders. Ein kleines Fenster war zu sehen. Es war winzig und dicke Metallstangen waren davor angebracht. Als wollten sie jemanden davon abhalten auszubrechen.

Das wäre nicht möglich... das Fenster war so winzig, dass kein Mensch dort hindurch passen würde. Doch seltsamer Weise beleuchtete es nicht den Raum. Das einzige Licht ging von den Wänden aus.

Wie von selbst bewegten sich jetzt Sanjanas Füße auf das Fenster zu. Ihre Finger griffen nach den Stangen, rüttelten daran. Fester. Sie bewegten sich nicht einen Millimeter.

Sanjana drehte sich im Raum um. Keine Tür zu sehen, die ihr ermöglicht hätte den Raum zu verlassen. Sie war gefangen!
Wieder ging sie zum Fenster. Diesmal sah sie hinaus. Sah eine Welt außerhalb des weißen Raumes. Ein strahlendes, grünes Tal lag vor ihren Augen und schien sie zu locken. Komm! Komm zu mir!

Doch Sanjana wusste nicht einmal, wie sie diesen tristen Raum verlassen sollte. Wo war sie nur? Was war das?
„Hallo?",rief sie. „Ist irgendjemand hier?"
Ihre eigene Stimme klang seltsam fremd und sehr weit weg.

Sie lauschte. Zuerst bekam sie keine Antwort. Dann aber hörte sie etwas. Hinter einer der Wände sprach eine Stimme. Sie war zu leise. Sanjana horchte mit dem Ohr daran.
„Ist da jemand?", fragte sie wieder.
„Du solltest nicht hier sein, Mädchen."
Es war die Stimme einer Frau.

„Wer bist du? Kannst du mir sagen, wo ich hier bin?"
„Du bist in der weißen Dimension."
Die Stimme der Frau wurde lauter.
„Was für eine Dimension?"
Sanjana war verwirrt.
„Du solltest absolut nicht hier sein. Verschwinde von hier. Geh zurück!"
„Wohin denn? Sag mir doch wer du bist und wie ich hier weg komme."

Sanjana entfernte sich von der Wand. Plötzlich erhaschte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Erschrocken drehte sie sich um.
„Du brauchst mich nicht zu fürchten, Mädchen. Ich bin nicht dein Feind."

Sanjana sah eine Frau. Sie war um einiges älter, als sie. Ihr schwarzes Haar fiel struppig ihren Rücken hinunter. Sie trug ein schillernd buntes Kleid mit vielen, vielen Flicken. Ein
aufwendiges Muster war in vielen Farben darauf genäht. Der Saum des Kleides war mit funkelnden Schellen versetzt, die bei jeder Bewegung klirrten.

Um den Kopf hatte die Frau ein ebenso buntes Tuch gebunden. Ihr Gesicht war blass, faltig und zeigte eine gewisse Weisheit. Sie schien eine Zigeunerin zu sein, doch versprachen Würde und Haltung mehr. Sie lächelte sanft und ihre leicht schimmernden braunen Augen waren seltsam beruhigend.

„Wer ist denn mein Feind?", fragte Sanjana. Sie wusste es nicht. Sie wusste im Moment gar nichts.
„Im Augenblick... dieser Ort."

Die Frau hob die Hände und ließ sie Kreisen. Dabei klirrten ihre silbernen Armreife unter den langen Ärmeln ihres Kleides. Es war ein angenehmes Geräusch.

„Und wer bist du?"
„Tatjana", antwortete die Frau immer noch lächelnd. Ihre Anwesenheit war wirklich beruhigend.
„Was willst du von mir Tatjana?"
„Ich will dir helfen."
„Gehört dieser Ort zu dir?"
„Nein", antwortete die Frau kopfschüttelnd, „dieser Ort gehört zu niemandem. Niemand hat Anspruch darauf noch kann er sich zuweisen. Er existiert einfach zwischen den Zeiten und Dimensionen. Ich gehöre genauso wenig hier hin, wie du."

„Warum sind wir dann hier?"
„Du bist hier, weil dir jemand etwas sehr böses angetan hat."
„Jemand?"
Tatjana nickte.
„Was kann ich tun?"
„Du musst Thesarus verlassen."
„Thesarus?"
„Dieser Ort...man nennt ihn so."
„Was ist dieser Ort? Wie bin ich hier her gekommen?"

„Dieser Ort ist nicht real. Er existiert zwar, aber nur in deinem Kopf. Du bist hier, weil deine Seele deinen Körper verlassen hat. Nur ist es für dich noch zu früh. Deine Zeit ist noch nicht
gekommen. Deshalb muss ich dich zurück schicken."
„Zurück?"

„Ja. Du musst dein Leben weiter führen. Es gibt noch sehr viel für dich zu tun. Deine Reise endet noch nicht."
„Wie kann ich zurück?"
„Du musst es wollen. Von ganzem Herzen wollen."
Sanjana zögerte.
„Was erwartet mich denn in meinem Leben? Ich habe nichts, was mich dort hält."

„Wirklich überhaupt nichts? Kein Zuhause? Kein Glück? Keine Person? Niemand der dir viel bedeutet, den du nicht zurück lassen möchtest?"

Sanjana dachte nach. Wen kümmerte es denn schon, wenn sie verschwand? Ihren Vater bestimmt nicht. Die Mitglieder im Senat kannten nicht mal ihren wahren Namen. Warum sollten sie diese auch vermissen? Da gab es nur Samara. Ja, Sama würde sie vermissen. Bei dem Gedanken an ihre Freundin, wurde sie traurig.

„Ich sehe da jemanden, dem du unglaublich wichtig bist. Jemand, der sein Leben für dich geben würde. In diesem Moment kämpft er für dich."
„Jemand, den ich kenne?"
„Gewiss."
Tatjana nickte überzeugend.
„Sama?"
Tatjana schüttelte den Kopf.
„Mein Vater?"
Wieder schüttelte Tatjana verneinend den Kopf.

„Wem, außer diesen Beiden, liegt denn noch so viel an mir?"
Tatjana antwortete nicht sofort. Stattdessen blinzelte sie angestrengt. Es schien, als sähe sie etwas in der Ferne.
„Ein Mann."
Sanjana legte den Kopf schief. „Wer?"
„Ein Krieger..."

Sanjanas Augen weiteten sich, weil sie sofort an jemand bestimmtes dachte. Doch dann zuckte sie gleichgültig mit den Schultern.
„Ach was. Dieser Mann ist nicht im Geringsten an mir interessiert. Warum sollte ich gerade ihm wichtig sein? Er ist ein gefühlloser Krieger."

„Das ist nur eine Fassade. Es liegt ihm weitaus mehr an dir, als er dir jemals zeigen würde."
Sanjana starrte Tatjana ungläubig an. Wer in Tamarans Namen war diese Frau? Woher sollte sie all das wissen? Was suchte sie hier mit ihr und was wollte sie ihr sagen?

„Der Mann...würde ohne Zweifel für dich sterben."
Diese Worte waren schockierend. Erst recht, weil Sanjana doch kaum eine Verbindung zu den Kriegern hatte. Sie kannte sie erst ein paar Wochen.

„Er kann mich nicht einmal leiden."
Wieder schüttelte Tatjana den Kopf.
„Willst du mir nicht glauben, oder kannst du es nicht? Ich versuche dir zu helfen, siehst du das denn nicht? Wehre dich nicht länger und geh zurück."

„Ich will mich nicht wehren. Aber ich habe keine Ahnung was das hier soll. Ich verstehe es nicht."
„Ich habe nicht mehr viel Zeit, um dich davon zu überzeugen zurück zu gehen. Je länger du hier bleibst, desto schwieriger wird es Thesarus zu verlassen. Ich kann nicht länger bleiben, denn meine Zeit ist auch nur begrenzt. Ich muss zurück in meine Welt. Nur wünschte ich, du wolltest auch in deine gehen."

„Ich...kann nicht."
„Es liegt bei dir, ob du kannst, oder willst, aber  dies ist deine letzte Chance. Geh nicht so aus deiner Welt. Lass sie nicht dein Licht erlöschen. Sei mutig und stark. Öffne dich und lebe. Freue dich an deinem Leben. Es ist ein Geschenk, das viele Menschen nicht zu schätzen wissen. Geh und lebe!"
„Ich soll...leben?!"
„Ja, Sanjana. Du sollst leben. Mehr verlange ich nicht von dir."
Tatjanas Stimme wurde leiser, klang weit entfernt.

„Das ist so schwierig."
Tränen rannen über Sanjana Wangen. Heiße Tränen der Verzweiflung.
„Finde deinen Anker, Mädchen. Finde ihn und lasse ihn nie wieder los."
Die Gestalt der Frau war verschwunden. Man konnte nur noch ihre Worte hören.

„Welchen Anker? Was meint Ihr?"
Sie drehte sich nervös herum. „Geh noch nicht, Tatjana. Was soll ich jetzt nur tun?"
„Dir ist mehr vorbestimmt, als das hier. Du bist das Schicksal. Deine Existenz ist wichtig für seine Zukunft. Geh...zurück! Lebe...liebe!"

Tajanas Stimme war nur noch ein Flüstern und verschwand wieder im Nichts. Die Tränen liefen Sanjana immer noch übers Gesicht. Noch nie zuvor war sie so sehr verwirrt und ratlos.

Das winzige Fenster vor ihr schien auf einmal zu vibrieren. Dann verkleinerte es sich. Panik überkam Sanjana und sie rannte darauf zu.
„Nein! sperr' mich nicht hier ein!"
Sie streckte die Hand aus. Wollte die Metallstangen berühren. Sie hoffte das Fenster davon abhalten zu können zu schrumpfen. Doch sie kam einfach nicht dran.

Obwohl sie schnell rannte schien sich das Fenster eher zu entfernen, als näher zu kommen. Auf einmal wurde der weiße Raum riesig groß und Sanjana immer kleiner. Sie schrie verzweifelt: „Nein! Bitte nicht! Ich will nicht hier bleiben. Ich will zurück!"

Als hätte der Raum sie verstanden, hörte er auf zu wachsen, vibrierte nur noch. Ihr blieben nur wenige Sekunden und Sanjana überlegte, was sie tun konnte. Dann fühlte sie eine starke Wärme. Sie wurde von dem Fenster aus gesandt, das jetzt nicht größer als ihr Kopf schien.

Wieder bewegte sich Sanjana darauf zu. Und dieses Mal erreichte sie es, berührte die Stangen. Plötzlich waren da keine Stangen mehr. Sie waren verschwunden. Sie sah nach draußen. Vor ihr erstreckte sich immer noch das endlose grüne Tal.

Allerdings nahm sie diesmal noch etwas anderes wahr. Eine Person, die sich langsam auf sie zu bewegte. Es war ein Mann. Ein ihr allzu vertrautes Gesicht kam immer näher.

Das Fenster schien zu wachsen. Es wurde größer und größer, bis es schließlich zu einer Tür wurde. Eine offene Tür. Sanjana brauchte nur noch hindurch gehen.

Dort draußen wartete er auf sie. Seine grünen Augen waren nur auf sie gerichtet. Er lächelte und hielt ihr seine Hand hin. Eine Aufforderung! Wie ein Magnet zog er sie an. Sanjana konnte nicht anders als ihre Hand in seine zu legen. Sie war warm und vertraut. Er zog sie näher zu sich hin, immer noch lächelnd.
Thesarus war verschwunden. Es gab nur noch ihn...

Als Sanjana vorsichtig die Augen öffnete musste sie blinzeln. Durch das Fenster neben ihr schien das grelle Tageslicht. Nach einer Minute hatten sich ihre Augen daran gewöhnt. Sie ließ den Blick schweifen. Sie war in ihrem Schlafgemach, in ihrem Bett. Neben ihr saßen Samara und Alain.

Er hatte die Augen geschlossen. Schlief er? Ihre Freundin hielt ihre Hand. Sie schien auf jeden Fall zu schlafen. Sie war blass und schien erschöpft. Ihre Hände umfassten Sanjanas rechte Hand. Eine Spur zu fest, stellte sie fest. Sie entzog sich Samaras festem Griff, wovon sie wach wurde. Sie hob den Kopf und starrte Sanjana einen Augenblick an. Anschließend fiel sie ihr um den Hals. Sie weinte bitterlich voller Erleichterung.

„Sanju! Ich bin so froh, dass du wach bist."
Von Samas Freudenschrei geweckt, erhob sich auch Alain. Er kam näher und faste mit den Fingern an Sanjanas Handgelenk.
„Normaler Puls!"
Er lächelte erleichtert.
„Sieht aus, als hättet Ihr das Fieber überstanden, Mylady."

Sanjana versuchte ebenfalls ein schwaches Lächeln. Sie fühlte sich immer noch benommen. Als Samara sie endlich losließ und ihr lautes Weinen nur noch ein klägliches Schluchzen war, setzte sie sich vorsichtig auf. Ihr ganzer Körper schrie vor Anstrengung.
Ihre Muskeln waren halb betäubt und sie musste unweigerlich das Gesicht verziehen.

„Keine Sorge, das ist das restliche Gift. Ihr werdet Euch bald wieder normal bewegen können."
„Was ist passiert?"
„An was könnt Ihr Euch denn noch erinnern?"
„An nicht so viel. Nur noch wie dieser Mann mich angefasst hat."
„Jeremy? Ja, er hat Euch berührt und damit vergiftet."

„Er hat mich vergiftet?"
„Ja. Mit Esiantuskraut. Es ist eine hochgiftige Pflanze. Ihr Gift wirkt sofort lähmend, in der richtigen Mischung sogar betäubend. Und nach einigen Stunden ist es tödlich."
„Aber ich lebe noch", stellte Sanjana trocken fest.
„In der Tat."
„Habt Ihr mich geheilt?"

Alain nickte verlegen.
„Danke!"
„Der Dank gebührt nicht mir allein, Mylady. Ich hätte Euch niemals rechtzeitig heilen können, wenn Major Mathur nicht gewesen wäre."
„Jay?"
Sanjanas Herz fing plötzlich an wie wild zu schlagen. Im Bruchteil einer Sekunde erinnerte sie sich an den Traum, den sie bis eben noch gehabt hatte. Oder was auch immer das gewesen sein mochte. Er schien ihr nicht, wie ein normaler Traum. Er war sehr real gewesen.

„Jay ist die ganze Nacht durch geritten. Bis nach Astion und wieder zurück, um ein Kraut zu holen, aus dem Alain ein Gegengift herstellen konnte. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand in nur ein paar Stunden nach Astion geritten ist. Er war so unglaublich schnell wieder hier gewesen. Keiner hatte das
vorher für möglich gehalten. Nicht einmal Tristan", berichtete Samara stolz.

„Ihm verdankst du, dass du noch lebst."
„Und...dass sie da liegt", warf Alain ein.
„Von mir aus auch das. Aber er hat seinen Fehler wieder gut gemacht. Sie lebt ja noch."
Alain schüttelte den Kopf.

„Wo...wo ist Jay?"
Sanjanas Herz pochte so laut, dass sie befürchtete Alain könnte ihr erneut einen besorgten Blick zuwerfen. Er sollte es auf keinen Fall merken, sonst hätte er eine Nachwirkung des Giftes vermutet.

Doch er machte kein besorgtes Gesicht, sondern zeigte mit dem Finger in eine Ecke ihres Schlafgemaches. Sanjanas Augen folgten der Richtung. Sie hielt die Luft an. Jay saß mit einem Bein angewinkelt auf dem Boden neben einer ihrer kostbaren Kleidertruhen.

Sein Rücken lehnte an der Wand, sein Kopf erschöpft angelehnt und die Augen geschlossen. Er war zerzaust und Schmutz klebte auf seiner dunklen Kleidung. Allerdings trug er nur noch ein dunkles Wams, weshalb Sanjana die breiten Lederarmbänder an seinen Handgelenken entdeckte, auf denen ein fliegender Adler eingeschnitten war.

Sanjana hob angestrengt noch ein Stück den Kopf. Alain bemerkte ihren sorgenvollen Gesichtsausdruck.
„Seit unbesorgt, er ist nur erschöpft. Wie Samara bereits erwähnt hat, ist er die ganze Nacht durchgeritten. Anschließend ist er nicht von Eurer Seite gewichen, bis ich ihm versichert habe, dass Ihr außer Lebensgefahr seid."

Sanjana spürte eine Welle der Erleichterung durch ihren ganzen Körper strömen. Auch wenn sie es versuchte zu verbergen, Alain spürte es dank seiner Fähigkeiten als Heiler mit Sicherheit. Zum Glück sagte er nichts.

Sie lehnte sich wieder zurück. Alain vergewisserte sich, dass Sanjana bald etwas zu Essen bekam und ließ sie dann mit der Freundin allein.

Diese nahm wieder auf dem Stuhl neben Sanjanas Bett platz. Während sie vorsichtig die heiße Suppe löffelte, sah sie die ganze Zeit zu Jay. Ihre Augen konnten nicht von ihm lassen, während ihre Gedanken abschweiften.

Was auch immer mit ihr passiert war in den letzten Stunden, etwas hatte sich verändert. Thesarus hatte etwas damit zu tun und ganz bestimmt auch Tatjana.
Ob sie nun real war oder nicht. Sie hatte ihr definitiv geholfen.

Ausserdem hatte sie Sanjana Dinge erzählt, die sie nervös werden ließen. Hatte sie tatsächlich die Wahrheit über Jay gesagt? Was mochte er wohl wirklich über sie denken? Hatte er sie gerettet, weil es seine Pflicht war oder gab es da noch einen weiteren Grund - einen viel persönlicheren?
Sanjana konnte nicht leugnen, dass sie sich das wünschte.

„Wie fühlst du dich?"
Samaras Frage riss sie aus ihren Gedanken.
„Müde, benommen, schlaff...reicht dir das als Beschreibung?"
Samara schmunzelte.
„Ich weiß, nicht die beste Frage, nach allem was du durch gemacht hast. Du musst dich ja wie gerädert fühlen."

„Das ist weit untertrieben", murmelte Sanjana und schob sich einen weiteren Löffel Suppe in den Mund.
„Ich bin heil froh, dass ich mich soweit bewegen und alleine essen kann."
Sama schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln.
„Ich bin ja auch so froh. Ich hatte schon fast gedacht, du wolltest mich verlassen. Für eine Stunde sah das nämlich ziemlich stark danach aus."

Sanjana sah ihre Freundin fragend an.
„Du warst so blass und kalt, dass man meinen konnte, du wärst schon längst tot. Dein Puls war kaum fühlbar, sagt Alain."
Samaras Worte ließen sie erneut ein paar erleichterte Tränen verdrücken.

Sanjana erinnerte sich an Thesarus, den weißen Raum.
Erst jetzt erkannte sie, dass dieser Name nicht tamaransich war. Auch nicht nidavisch. Der Name stand in Saboran für das Totenreich.
Oder zumindest für etwas, was dem ziemlich ähnlich kam.

Sie verschluckte sich an der Suppe. Was hatte sie da nur geträumt? Was hatte das alles zu bedeuten? War sie dem Tode wirklich so nahe gewesen, dass es ihre Seele in eine andere Welt geholt hatte? Auf jeden Fall konnte sie keinem davon erzählen. Jeder würde sie dafür als verrückt erklären.

„Geht es dir wirklich gut?"
Sanjana nahm wieder Samaras ernste Miene wahr.
„Schon gut. Nur...Einatmen und Schlucken gleichzeitig geht nicht."
„Pass lieber auf dich auf. Nicht, dass Jay letzte Nacht so viel für dich riskiert hat und du jetzt an deiner Suppe erstickst. Ich glaube, dann könnte er seinen Zorn nicht mehr zügeln."
Samara kicherte angeheitert und Sanjana stimmte in ihr Lachen mit ein.

Dann wurde Sama wieder ernst.
„Er hat sich wirklich große Sorgen um dich gemacht. Ich habe ihn lange nicht so besorgt gesehen."
Sanjana warf einen kurzen Blick zu Jay. Er schien in tiefem Schlaf versunken.
Die Tür ging auf. Ram und Alain traten wieder ein.

„Mylady, wie schön Euch wieder bei Bewusstsein zu haben."
Ram gab ihr ein herzliches Lächeln.
„So, Sama, jetzt ist es aber genug. Sie muss sich erholen. Du kannst sie später wieder besuchen."
Alain zog sie sanft von ihrem Stuhl. Sie verzog beleidigt das Gesicht. Eine Dienerin kam herein und nahm Sanjana die leere Schüssel ab. Dann verließ sie wieder den Raum mit allen anderen.

„Ich bin in der Nähe, wenn ihr was braucht", meinte Alain noch beim Hinausgehen.
„Könnt ihr mir alle einen Gefallen tun?"
Er blieb stehen.
„Sicher."
„Bitte lasst die förmliche Anrede weg, wenn wir im Haus sind. Ich bin hier einfach nur Sanjana. Ist das in Ordnung?"

Er schmunzelte und nickte. Dann schloss er die Tür hinter sich und Sanjana versuchte sich zu entspannen. So fern ihr das möglich war. Denn ihr war nur allzu sehr bewusst, dass Jay immer noch in ihrem Gemach war. Keiner hatte Anstalten gemacht ihn zu wecken oder störte sich daran, dass ein Mann im Zimmer einer unverheirateten Lady blieb.

Auch wenn er schlief, war seine Anwesenheit irritierend und tröstend zu gleich.
Sanjana konnte nicht widerstehen, sie musste ihn ansehen. Er sah so friedlich und so erschöpft aus. Sein dunkles Haar fiel ihm strähnig ins Gesicht. Warum musste er nur so attraktiv sein?

Sie erinnerte sich an den Traum. Es war definitiv er gewesen, der ihr die Hand gereicht und sie aus Thesarus geholt hatte. Noch immer verstand sie es nicht richtig. Doch wollte sie nicht weiter darüber grübeln. Sie hatte es überstanden, dank Jay. Er hatte ihr wieder das Leben gerettet. Vermutlich in mehr als nur einer Weise.

Sanjana betrachtete ihre Hand, die er im Traum angefasst hatte. Seine Hand war so unglaublich warm und vertraut gewesen. So als hätte er ihre Hand wirklich gehalten. Als wäre seine Berührung tief zu ihr durchgedrungen.

Bei dem Gedanken errötete sie und ließ die Hand auf die Bettdecke sinken. Unmöglich. Nein. Niemals!
Sie lehnte den Kopf ans Kissen und sah aus dem Fenster. Es war bestimmt Nachmittag. Doch keine Sonne schien am Himmel. Graue Wolken verdeckten sie und zogen über die Bäume hinweg. Es war wie ein Wettlauf. Der Wind trieb sie an.

Sanjana beobachtete den Himmel gedankenversunken. So viel ging ihr durch den Kopf. Dabei wollte sie nicht so viel nachdenken. Ihr Kopf schmerzte und sie fühlte sich noch ganz schlapp. Sie sollte schlafen, sich ausruhen. Aber sie konnte nicht
mehr schlafen. Na super, dachte sie. Du kannst weder schlafen noch wach sein.
Sehr entspannend, bei allem was ihr durch den Kopf ging.

Sie zwang sich nicht an Jeremy zu denken und auch nicht an den Traum. Denn dann bekam sie wider unglaubliche Kopfschmerzen. Also beschloss sie aufzustehen. Auf einmal wollte sie sich bewegen - so weit ihr das möglich war. Langsam schob sie die Decke beiseite und stellte die Füße auf den Boden. Jetzt saß sie auf der Kante. Wahrscheinlich würde sie von Alain und Samara dafür einen Rüffel bekommen. Das war ihr gerade egal.

Wenn sie sich nicht bald bewegte, fürchtete sie ihr Körper würde ewig steif bleiben. Den Sieg würde sie Jeremy aber nicht gönnen. Sie drückte sich vom Bett ab. Ihre Füße trugen nun ihr volles Gewicht. Na also, ging doch. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. So sehr geschwächt schien sie doch gar nicht zu sein. Sie kam um das Bett herum. Das lange Nachthemd umschlang ihren Körper. Das war alles, was sie trug, darum fröstelte sie leicht.

Gerade wollte sie noch einen Schritt machen, da knickte plötzlich ihr Knie ein. Ihr Bein war noch zu taub und konnte ihr Gewicht nicht mehr tragen. Sie gab einen erschrockenen Laut von sich bevor ihr Körper gen Boden fiel.

Gerade noch rechtzeitig fingen zwei starke Arme sie auf und stoppten ihren Fall.
Innerhalb eines Augenaufschlags war Jay bei ihr und hielt sie mühelos fest.
Verdutzt sah sie ihn an. Fragte sich, was sie mehr überraschte; die Tatsache, dass ihr Körper nicht wie sie wollte, oder dass Jay so schnell bei ihr war.

Seine grünen Augen betrachteten sie lange. Schweigend hob er sie mit seinen starken Armen hoch und schaffte sie zurück ins Bett. Sanjana wagte nicht etwas zu sagen und ließ sich von ihm zudecken.
„Was glaubt Ihr wohl da zu machen?"
Sein Ton war zwar vorwurfsvoll aber sanft und leise.

„Ich wollte diese lästige Taubheit bekämpfen."
„Alleine?"
Seine rechte Augenbraue zog sich hoch. Sie antwortete nicht.
„Ihr seid unbelehrbar, Milady", sagte Jay kopfschüttelnd.
„Ruht Euch aus. Das ist besser. Die Taubheit wird von allein verschwinden."

„Wie geht es Euch, Major?"
Ihre Frage schien ihn mehr zu überrumpeln, als sie erwartet hatte, denn er starrte sie entsetzt an.
„Ihr fragt wie es mir geht? Ich bin nicht vergiftet worden."
„Das meine ich nicht. Ihr scheint müde zu sein. Vermutlich, weil ihr für mich die ganze Nacht durchgeritten seid."
Sanjana senkte verlegen den Blick.

„Das ist selbstverständlich gewesen. Aber macht Euch um mich keine Gedanken."
Jay entfernte sich von ihr, machte Anstalten den Raum zu verlassen.
„Geht nicht weg...bitte."
Sanjana spürte wieder ihre Wangen rot werden. Wagte nicht Jays Gesicht anzusehen. Sie wollte nicht, dass er sie allein ließ.
„Ich komme bald wieder, wenn Ihr das wünscht."
Sie nickte vorsichtig. Dann verließ Jay den Raum.

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