Dreiundzwanzig

Namalia war für die drei Krieger eine willkommene Abwechslung. Keiner stellte irgendwelche Erwartungen oder Anforderungen. Keiner gab ihnen Befehle oder bestrafte sie.

Zum ersten Mal in ihrem Leben wurden sie wie Menschen behandelt. Und nicht wie gefühllose, willenlose Mörder. Am liebsten wollte Jay niemals fortgehen. Er hasste es zu kämpfen. Ganz im Gegensatz zu früher.

Früher hatte er sich regelrecht um jeden Auftrag gerissen und war bis an seine Grenzen gegangen. Früher konnte er seine Gefühle wunderbar verbergen. Nun wollte er nie wieder sein Schwert ziehen oder seine Gefühle unterdrücken. Er wollte sie der ganzen Welt mitteilen.

Früher hätte er auch nie einfach nur da gesessen und Sanjana dabei beobachtet, wie sie zum hundertsten Mal Samara auf hundert achtzig brachte.
„Nein! Nein, nein, nein und nein!"
Samara wehrte sich gegen Sanjanas flinke aber ungeschickte Hände. „Bitte ich sehe aus wie eine Vogelscheuche."

„Ich bin noch nicht fertig."
„Interessiert mich nicht. So, wie du das machst kann das nichts werden."
Samara stöhnte entnervt.
„Warum hat dieser Frau eigentlich nie jemand beigebracht mit Nadel und Faden umzugehen?"

„Weil gewisse andere Damen darauf bestanden haben, dass ich meine Lektüre durchgehe, anstelle mich mit wirklich wichtigen Dingen zu beschäftigen."
Sanjana erhob sich elegant aus der Hocke und lächelte süffisant. In diesem Moment hätte Jay sie am liebsten angefallen. Er musste sich schwer beherrschen in dem Sessel sitzen zu bleiben, der in Samaras Gemächern stand. Normaler Weise gehörten Männer nicht zu einer Anprobe bei Damen dazu. Doch Jay ließ sich den Spaß nicht nehmen.

Außerdem war Samara mehr als bekleidet und hatte keinen Grund sich zu schämen. Schon gar nicht vor ihm, der selbst nur Augen für Sanjana hatte. Amüsiert sah er den beiden dabei zu wie sie an Samaras Hochzeitskleid herum hantierten.

„Die Spitze sollte eigentlich den unteren Saum schmücken."
„Tut sie doch."
„Nein. Das ist zu hoch. Und was soll das für eine Taille sein?"
Samara wendete sich vor dem Spiegel.

„Es tut mir leid aber der Schneider hat jegliche Bestellung abgelehnt. Er leidet wohl noch unter dem zerrissenen Kleid von letzter Woche."
Sanjana zwinkerte Jay zu und er musste sich echt stark verkneifen zu lachen. Er war schuld an dem zerrissenen Kleid. Sie hatte einfach zu gut darin ausgesehen. Also hatte er es ihr kurz um vom Leib gerissen. Das wusste Samara nicht. Aber denken konnte sie es sich, ihrem Blick nachzu urteilen.

„Ich heirate in einem Sack."
„Nicht doch."
Nun stand Jay auf und beteiligte sich an der Unterhaltung.
„Sama, du kannst doch gar nicht schlecht aussehen, egal was du trägst."

Er sah nur Sanjana an, während er sprach und sie wurde unübersehbar rot.
„Könntet ihr zwei das wohl endlich unterlassen? Es geht hier um mich."
„Natürlich, Sama."
Sanjana sagte es, war aber von Jays Augen viel zu fasziniert um bei der Sache zu bleiben. Es freute ihn jedes Mal wenn sie ihn so anhimmelte. Wahrscheinlich merkte sie es nicht einmal.

„Ich meine es ernst Jay. Hör auf sie abzulenken oder ich schicke dich raus."
Er hob eine Augenbraue. Als ob sie das jemals fertig bringen würde.
„Vielleicht solltest du wirklich einen Sack tragen. Dann hättest du wenigstens etwas vernünftiges an."

Ihr zorniges Gesicht brachte ihn zum Lachen. Schon wieder. Wie oft hatte er in den vergangenen Wochen gelacht? Jay hatte
aufgehört zu zählen. Er war glücklich. Das solch banale Dinge des Alltags die Menschen glücklich machten, erstaunte ihn. Es war etwas neues, ungewohntes.

„Ich verzweifle an euch beiden."
Samara ließ den Kopf hängen doch ihre beste Freundin baute sie schnell wieder auf.
„Es ist doch wirklich egal was du anhast. Ram will dich und nicht dein Kleid."
„Es ist meine Hochzeit", argumentierte Samara schmollend.

„Ja und du wirst die schönste Braut sein."
Sie wandte sich an Jay.
„Du solltest uns vielleicht lieber alleine lassen."
Nur widerwillig ließ er Sanjana alleine. Er wollte keine Sekunde ohne sie sein, denn seine Zeit lief ab. Bald musste er nach Dokrat zurück kehren.

Ram hatte sich dazu entschlossen die Armee zu verlassen und sein restliches Leben mit Samara zu verbringen.
Jay bewunderte ihn für seinen Mut. Ihm selbst blieb keine Wahl, als zurück zu gehen. Wenn er seine Befehle wieder missachtete, würde man ihm keinen Aufschub gewähren.

Dann würde man ihn direkt an den Galgen bringen. Es war schon sehr großzügig vom Rat ihm sein Leben zu lassen. Aber noch viel großzügiger ihm einige letzte Tage mit Sanjana zu gestatten. Es waren die schönsten Tage seines Lebens. Nur der Preis dafür war hoch.

Ram und Samara gaben sich das Jawort in der kleinen Stadtkapelle. Nicht viele Leute waren gekommen. Etwa ein Dutzend Leute verteilten sich über hölzerne Bänke und lauschten den andächtigen Worten des Priesters.

Zum Schluss gab es verhaltenen Beifall und einen schüchternen Kuss zwischen Braut und Bräutigam. Beide wirkten überglücklich. Wie gewohnt huschte Jays Blick zu Sanjana. Sie stand neben Alain als Trauzeugin und war den Tränen nahe.

Jay schmunzelte. Anscheinend hatte die sonst so selbstbewusste Senatorin auch eine weiche Seite.
Ally kam zu ihm. Natürlich hatte Sanjana sie eingeladen. Sie wirkte fröhlich und sah gesünder aus als zuvor. Strahlend knickste sie vor Jay. Er neigte höflich das Haupt und erwiderte ihr Lächeln.

„Ich möchte Euch noch einmal danken!"
„Nicht nötig."
„Oh doch, mein Herr. Dank Euch und Eurer Freunde geht es meiner Mutter schon viel besser."
„Es tut mir leid, dass wir nicht viel früher gekommen sind."
„Ich bitte Euch, Ihr habt vieles möglich gemacht."

„In Zukunft halte deine Mutter fern von diesen Mienen. Versprich mir das!"
Ally nickte brav.
„Das werde ich. Habt nochmals vielen Dank!"
Sie wollte sich schon umdrehen, da sagte sie noch etwas: „Die Lady...", sie sprach definitiv von Sanjana, „...sie liebt Euch."
„Ich weiß", entgegnete Jay leicht schmunzelnd.
„Dann lasst sie nicht los."

Die Worte des jungen Mädchens berührten Jay wie schon lange nichts mehr. Unbewusst kratzte er an der Narbe an seiner Hand. Mit abschweifendem Blick antwortete er:
„Ich habe es jemandem versprochen."

Ally nicke zufrieden und ließ ihn allein.
Das Brautpaar kam zu ihm und umarmte ihn herzlichst. Es war ihm unangenehm. So viel Nähe auf einmal. Aber er freute sich für seine Freunde.
„Pass mir gut auf sie auf."
Jay grinste frech.
„Wenn du ihr das Herz brichst, breche ich dir was."

Alle lachten.
„Ich werde mich hüten. Mit dir lege ich mich nicht freiwillig an", gestand Ram noch immer über beide Ohren grinsend.
Der vereinbarte Waffenstillstand hatte es ihm ermöglicht endlich ein ruhigeres Leben zu führen. Niemand gönnte es ihm mehr, als Jay.

„Nun, jetzt werde ich Sanjana wohl auch heiraten müssen", kam es mit einem gespielten Bedauern von ihm.
Ein Augenzwinkern und sie wurde blass. Dann setzte sie ein keckes „Wer sagt denn, dass ich dich will?" hinterher und stolzierte mit hoch erhobenem Haupt zu Ally hinüber.

Natürlich wollte sie ihn. Jay wandte sich über beide Ohren grinsend an seine Freunde.
„Wir heiraten!"
Ein unorthodoxer Antrag, aber ein für das Paar passender.

Sein Blick schweifte ab durch eines der hohen Fenster des uralten Gebäudes.
Früher war Jay nur ein Krieger ohne Leben, ohne Herz. Nun hatte er beides! Er fühlte sich so lebendig und frei.
Dieses Privileg wollte er niemals aufgeben und doch...
Dort draußen wartete etwas auf ihn.
Etwas mächtiges...



~



Seine Stiefel hinterließen eine feuchte Spur auf den blank geputzten Steinen der riesigen Halle. Jeder Diener hätte ihn dafür ermordet. Aber das sollte im Augenblick nicht seine Sorge sein.

Wenn er auch nur den geringsten Fehler machte, würde man ihn ohnehin sofort töten. Er begab sich in die Höhle des Löwen. Eines ausgehungerten, übel gelaunten Löwen.
Zumindest glaubte er, dass er so sein würde.

Truchsess Sujit von Saboran thronte auf einem Steinsessel. Mit dunkelgrünen Augen und dunklen Haaren wirkte er attraktiv und unerfahren. Er war jung, keine Frage, aber definitiv nicht dumm. Sujit wusste genau was er sagte oder tat. Ganz im Gegensatz zu seinen Bruder Satjin. Dieser war einfach nur der Tyrannei verfallen.

Sujit hingegen handelte mit Köpfchen. Er war gefährlich - brandgefährlich. Die Sonne schien durch die hohen Fenster an den Seiten und brachte seine helle Haut unnatürlich zum leuchten. Ja dieser Mann war ein ganz anderes Kaliber.

Neugierig hob dieser den Kopf und hieß seinen Gast willkommen. Dann musterte er den Mann vor sich.
Er war groß und fremdländisch. Sein Gesicht schien jung und unverbraucht, mal abgesehen von einer gewissen Blässe, aber die mochte er wohl von gesundheitlichen Problemen haben. Seine hellen Augen sollten Ehrfurcht zeigen, allerdings sah man wie aufgeweckt sie eigentlich waren und überhaupt nicht eingeschüchtert.

Er fühlte seinen forschenden Blick auf sich ruhen und bemerkte, dass er sich absichtlich klein machte. Das hatte er nicht nötig. Sein Ruhm eilte ihm voraus und Sutjit konnte nicht leugnen, wie sehr er diesen Mann für sich gewinnen wollte.

So standen sich beide einen stillen Moment gegenüber und versuchten sich von ihrem ersten Eindruck ein Bild zu machen.

Sutjit ergriff als erstes des Wort:
„Ich habe diese Treffen mit Euch herbei gesehnt. Ich danke Euch für Euer Erscheinen."
„Die Ehre ist ganz meinerseits", schleimte er dem Truchsess gegenüber. Obgleich er das nicht nötig hatte. Allerdings musste er erst einmal herausfinden, was sein Gegenüber für eine Person war.
Es war weder eine Ehre noch eine Freude hier zu sein. Es war schlicht und einfach von Nöten.

„Was machen Eure Wunden? Die Reise muss anstrengend gewesen sein."
„Es ist nicht so schlimm", versicherte er und fühlte automatisch mit der Hand an seinen Oberbauch.

Selbst der allerbeste Heiler hätte nicht verhindern können, dass er nach so kurzer Zeit noch Schmerzen hatte. Trotzdem war er am Leben.
Nichts in der Welt hätte ihn davon abhalten können dieses ihm so wichtige Treffen wahr zu nehmen.

„Natürlich nicht. Tamarans Krieger sind aus einem anderen Holz geschnitzt."
Sujit erhob sich und kam auf ihn zu. Er umrundete ihn langsam und ließ seine Augen von oben nach unten an ihm herunter wandern.

„Was Euer Angebot betrifft...Ihr könnt mir wirklich Major Jay Mathur ausliefern?"
„Nun ich werde Zeit benötigen. Aber ich habe einen Plan."
„Das hört sich gut an. Bleibt nur eine Frage für mich offen."

Er wartete geduldig und hoffte, dass Sujit auf ihn eingehen würde.
„Warum sollte ich Euch vertrauen? Euch, der Ihr Euer eigenes Volk verratet."
„Tamaran war nie meine Heimat und ich zähle mich selbst nicht zu seinem Volk."

Es klang hart, entsprach aber der Wahrheit.
Was hatte ihn eigentlich dazu bewegt so lange in Tamaran zu bleiben? Seine Wurzeln waren ihm schon als Kind entrissen worden und er hatte nie gewagt neue zu schlagen.
Der Krieg hatte ihn immer beschäftig, aber stand er wirklich auf der richtigen Seite?
Darum war er hier, um das heraus zu finden.

„Hmm, das soll mich jetzt überzeugen?"
„Ihr müsst mich nur testen. Ich werde es Euch beweisen, dass ich mit Tamaran abgeschlossen habe. Ich werde von nun an für Euch kämpfen, Herr!"

Er kniete untergeben vor Sujit und senkte respektvoll den Blick. Diese Geste reichte fürs Erste, um Sujit zu überzeugen.
Wenn ein Tamaranischer Krieger nicht zu stolz war sich in den Staub zu begeben und Demut zu zeigen, bedeutete das bei den Ausländern meistens sehr viel.

Krieger zeigten keine Schwäche und waren auch nicht käuflich. Sie waren edel, großmütig und ehrenhaft. Doch er musste diese Art hinter sich lassen, wenn er bei Sujit etwas erreichen wollte. Ehre und Respekt würde er sich schon mit der Zeit wieder verdienen. Also warum sich nicht zu Anfang unterwerfen?

„Nun denn...wir werden sehen, was wirklich in Euch steckt. Erhebt Euch als mein Verbündeter, Tristan Carvain. Schwört mir Treue und Gehorsamkeit, so wird die Welt Euch gehören", sagte Sujit feierlich und wies ihn mit einer Geste an wieder aufzustehen.

Anschliessend hielt er ihm seine Hand hin und Tristan küsste den Siegelring an seinem Finger.
„Ich schwöre es!", beteuerte er aufrichtig und schenkte seinem neuen Meister ein zufriedenes Lächeln.



E n d e

Teil 1

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