Zwanzig
Auch ohne Channa war Darian ein ernst zu nehmender Gegner. Nicht nur aufgrund seiner außerordentlichen Kampfkünste, sondern auch weil seine Männer immer wieder dazwischen funkten und es Jay schwierig machten sich gegen Darian zu behaupten. Allerdings hatte er nicht so lange gewartet, um jetzt zu versagen.
Er spürte Tristan und Alain in der Nähe. Maya war bei Ihnen. Irgendwie erleichterte ihn das. Andererseits auch nicht. Jay wusste was geschehen war. Immerhin hatte er es schon lange vorher gesehen. Genauso wie er Darian hatte entkommen sehen.
Heute würde sich sein Schicksal noch nicht entscheiden. Deshalb zog er sich immer weiter zurück, als er seine Niederlage gegen Skeliva erkannte. Seine Festung war zerstört, seine Truppen wurden nach und nach dezimiert und er war geschwächt. Jay war sich darüber im Klaren, dass er ohne Skeliva heute vielleicht nicht den Sieg davon getragen hätte. Trotzdem hatte Darain ohne das Channa keine realistische Chance.
„Ihr mögt heute vielleicht gewinnen, doch schwöre ich, dass Skeliva dafür bezahlen wird."
Mit diesen Worten suchte Darian sein Heil in der Flucht. Sanjana wollte ihm nach eilen, doch Jay hielt sie zurück.
„Nicht heute, Sanju."
„Er wird entkommen."
„Ich bin kein Tyrann. Vorerst ist er machtlos. Ihn jetzt zu töten käme einem Verbrechen gleich. So bin ich nicht."
„Wenn wir es nicht tun, werden wir es später bereuen."
Jay schüttelte den Kopf und ließ die Waffen sinken.
„Vertrau mir, Sanju. Ich weiß was ich tue."
Sie legte misstrauisch die Stirn in Falten.
„Wirklich? Hast du das denn je?"
„Ich bin nicht mehr wie früher."
„Also wenn du mir jetzt wieder versprechen willst, dass alles gut wird und du mich niemals wieder verlässt, dann kannst du was erleben, Jay Mathur", warnte Sanjana mit erhobenem Zeigefinger.
Jay betrachtete sie schmunzelnd aus dem Augenwinkel.
„Genau das."
Er sah, dass sie kurz davor war zu platzen.
„Jay!"
„Wirst du mich jetzt weiter anschreien, oder nimmst du mich lieber in die Arme?"
Das ließ sich Sanjana nicht zweimal sagen und stürzte sich auf ihn. Auch ohne Channa, wusste Jay, wie erleichtert sie war.
„Lass mich niemals wieder so lange alleine, Jay. Noch einmal verkrafte ich das nicht."
„In Ordnung."
Mehr sagte er nicht. Er genoss den Augenblick, in dem er seine Sanjana endlich wieder in den Armen halten konnte.
Der Kampf um sie herum war vorbei. Darians Soldaten hatten sich entweder ergeben oder waren mit ihm geflohen. Doch der Großteil, war besiegt. Jay betrachtete all das Chaos um sich herum. So viel Blutvergiessen und das nur wegen des Channas. Es war ein Segen und ein Fluch zugleich. Er betete, dass er auch in Zukunft die richtigen Entscheidungen treffen würde. Hoffte, dass er etwas verändern konnte. Nicht allein für Skeliva.
„Jay! Sanjana!", hörte er seinen besten Freund nicht allzu fern rufen. Er kam mit Alain und zwei weiteren Personen im Schlepptau zu ihm. Maya trug er auf seinen Armen. Sanjana befürchtete sie sei verletzt, doch körperlich war das Mädchen vollkommen in Ordnung. Es war mehr der Schock, der sie so mitnahm.
„Maya!"
Jays Tochter reagierte nicht. Sie hing wie ein schlaffer Sack auf Tristans Armen und rührte sich nicht. Ihre halb geöffneten Augen starrten auf irgendetwas. Sie war bei Bewusstsein und schien dennoch weit weg. Jay legte seine Hand auf ihre Stirn.
„Hab keine Angst, Sanju, es geht ihr gut. Sie ist nur sehr erschöpft."
„Was ist denn passiert?", wollte Sanjana wissen.
„Wir haben sie bis in die Festung verfolgt. Sie und dieser komische Pirat hier haben versucht dieses Mädchen zu befreien."
„Mein Name ist Nika", warf die junge Dame prompt ein. „Und das ist Rat, er gehört zu Antonio."
Von Maya hörte man bei Antonios Namen nur ein Schluchzen und sie vergrub ihr Gesicht an Tristans Wams.
„Verstehe", gab Jay nur nachdenklich zurück.
„Du bist ein Lügner", murmelte Maya leise.
„Was hast du gesagt?", fragte Sanjana die Maya offenbar nicht richtig verstanden hatte oder es nicht wollte.
„DU BIST SO EIN LÜGNER!", schrie sie dieses Mal halb wütend, halb traurig. „Du hast gesagt er wird heute nicht sterben. Wie kannst du mich so belügen?"
Jay sah in die grauen Augen seiner Tochter. Verdammt, er wusste genau wie sie sich fühlte.
„Ja das habe ich gesagt. Du tätest gut daran mir zu glauben."
„Du kannst mir etwas glauben...", rief Maya aufgebracht und zappelte unruhig herum, bis Tristan sie absetzte. „Er ist tot! Das ist eine Tatsache!"
„Hör mir bitte zu Maya", begann Jay ruhig.
„Ich will nichts mehr von dir hören. Er ist für dich gestorben."
Maya hörte gar nicht mehr auf zu wettern. Sie regte sich immer mehr auf. Jay seufzte und blickte anschließend Hilfe suchend zu Tristan und Alain.
Von ihnen war keine Hilfe zu erwarten. Das musste er alleine machen.
„MAYA!", rief Jay nun so laut, dass seine Stimme von den restlichen Mauern wieder halte und alles und jeden sofort zum schweigen brachte. Auch Maya verstummte verschreckt über ihres Vaters Stimme.
„Ich weiß, ich habe dich sehr lange allein gelassen. Doch habe ich meine Familie niemals im Stich gelassen. Dank meines Channas war ich immer bei euch. Auch wenn es dir schwer fällt, versuche mir einfach zu vertrauen. Ich habe Antonio in Sonara gesehen. So weit ich weiß ist er noch nie dort gewesen, nicht wahr?"
Maya schüttelte stumm den Kopf.
„Dann wird es noch geschehen."
„Was soll das heißen?"
„Dass er nicht tot ist, ganz einfach."
„Jay bist du dir sicher?", fragte Alain skeptisch.
„Auch wenn sich die Zukunft verändern kann, diese Zukunft ist beständig."
„Was macht dich da so sicher?"
„Ich sehe es immer noch."
May blieb still. Sie schien ihm immer noch nicht richtig zu glauben, hielt sich aber von da an zurück.
Jay hingegen hatte keine Zeit mehr sich allein auf seine Tochter zu konzentrieren. Immerhin hatte er noch einen Sohn. Adytia staunte nicht schlecht als er seine Familie so beisammen sah.
„Ich glaube zu träumen. Da versuche ich einfach nur meine entlaufene Schwester wieder einzufangen und finde stattdessen meine Eltern."
„Dein Weg hat dich zu uns geführt. Ebenso wie Maya. Es musste so kommen."
„Das klingt nicht mehr nach dir, Vater", gab Adytia verwirrt zurück.
„Sei unbesorgt, er ist immer noch der gleiche", gab Tristan verschmitzt zur Antwort.
„Was ist geschehen? Warst du die ganze Zeit hier?"
Jay nickte. „Ich werde dir alles genau berichten, doch zuerst lasst uns diesen Ort hinter uns bringen."
~
Es war kaum die Zeit vergangen seit des Konflikts in Amania. Jay und Sanjana waren vorerst wieder nach Sonara zurück gekehrt und halfen bei den Vorbereitungen für die bevorstehende Verlobungsfeier ihrer Tochter, die Adytia nach wie vor abhalten wollte. Es kümmerte ihn nicht, wen oder was seine Schwester in Amania kennen gelernt hatte. Er würde sie an einen reichen, gebildeten Mann aus gutem Hause verheiraten, so wie es sich für eine Prinzessin gehörte. Maya war einfach zu wertvoll für einen dahergelaufenen, schmutzigen, Piraten. Das würde sie sehr bald verstehen.
Spätestens dann, wenn er wieder vor ihr stand und eine Waffe auf sie richtete. So würde es kommen. Immerhin hatte er sich für eine Seite entschieden. Sollte er tatsächlich noch am Leben sein - so wie Jay es prophezeite - würde er eines Tages nach Skeliva kommen und ihr seinen Verrat beweisen.
Deshalb nahm Adytia keine Rücksicht auf die Gefühle seiner Schwester.
Maya hatte sich seit ihrer Rückkehr in ihre Gemächer verzogen und ertrank in Selbstmitleid und Kummer. Nur konnte Adytia an dieser Situation nichts ändern. Er saß nachdenklich auf seinem Thron und sah abwechselnd zu seinen Eltern oder seinen Beratern. Ram hatte sich ebenfalls im Thronsaal eingefunden.
Alle waren über Jay und Sanjanas Rückkehr sehr erleichtert. Samara war überglücklich in die Arme ihrer besten Freundin gelaufen und wollte sie gar nicht mehr los lassen. Auch Aria war seitdem ganz anders. Sie lachte mehr und schien allgemein lebendiger. Es schien, als wäre die Welt wieder in Ordnung. Doch war sie das? Was war mit Darian geschehen? Er hatte gedroht sich an Skeliva zu rächen. Früher oder später würde er wieder auftauchen.
„Deshalb müssen wir ihm zuvor kommen", meinte Jay in die Runde. Er lehnte lässig an der Wand neben den bunten Fenstern des Thronsaals und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Seit Adytia seinen Vater kannte, war dies seine bevorzugte Haltung.
Offenbar machten sich alle die gleichen Gedanken um Darian. Der Einzige, der dabei entspannt blieb, war Jay. Was wusste er nur? Wie das alles mit dem Channa funktionierte, hatte Adytia immer noch nicht ganz verstanden.
„Dann sag uns wie."
„Der Schlüssel zu allem wird Antonio sein."
„Also lebt er noch."
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es so ist, auch wenn Maya das noch nicht glauben will. Darian wird ihn hier her schicken."
„Um was genau zu tun?"
„An mich kommt er nicht heran, außer er bedroht meine Familie. Da Antonio Maya niemals etwas antun wird, bleiben nur zwei Personen übrig. Sanjana und Ady."
„Du meinst er wird sie angreifen?", wollte Tristan skeptisch wissen.
„Ha! Er kommt gar nicht in die Stadt. Ich werde schon dafür sorgen. Ich lasse alles abriegeln", verkündete Ram voller Tatendrang.
Doch Jay schüttelte den Kopf.
„Nein er muss in den Palast kommen."
Die anderen schwiegen verwirrt.
„Warum?"
„Ich habe ihn im Palast gesehen. Er wird einen Weg hinein finden. Nur wenn wir uns ihm entgegen stellen, werden unnötig Menschen sterben."
„Willst du ihn hier einfach so hereinspazieren lassen?"
Jay nickte und Adytia war sprachlos.
„Er ist ein Mörder, vermutlich sehr gut von Darian ausgebildet unserer Familie zu schaden."
„Das macht nichts. Er hat schon längst die Seiten gewechselt."
„Ach ja?"
Wieder ein Nicken von seinem Vater.
„Ich hoffe du weißt, was du tust."
„Ich habe immer einen Grund für alles was ich tue, mein Sohn."
Er grinste und bekam ein zustimmendes Nicken von Sanjana.
„Was geschieht mit Maya?"
„Sie geht zur Feier, wie es geplant war. Den Rest überlasst mir."
Jay schien offensichtlich einen Plan zu haben. Doch was wenn er sich irrte und Antonio nicht die Seiten gewechselt hatte? Adytia wusste zu wenig über den Mann, als dass er sich ein Urteil erlauben konnte. Doch musste er seinem Vater vertrauen. Auch wenn er seine neuen Fähigkeiten nicht ganz verstand. Er wusste tatsächlich immer, was er tat. Also versuchte er sich zu entspannen und lauschte Jay aufmerksam, als er sich erklärte.
~
Maya saß desinteressiert am Fenster und schaute auf den Wald, der sich von der Stadt bis zum nahen Strand zog. Dahinter glitzerte das blaue Meer. Die Sonne hing am wolkenfreien Himmel und erwärmte ihr Gesicht. Sollte es nicht normaler Weise regnen, wenn man traurig war? Maya fühlte sich nicht nach dem schönen Wetter. Die wartete darauf, dass weiße Segel am Horizont erschienen und sie mitnahmen. Ihr Herz sehnte sich nach dem Ozean.
Auch wenn ihr an Bord der Cruiser oft schlecht geworden war, konnte sie nicht leugnen, dass sie Freiheit bedeutete. Freiheit dorthin zu gehen wohin sie wollte. Dinge zu tun, die sie wollte und fremde Menschen kennen zu lernen. Nur würde sie dies nicht allein tun. Die würde Antonio mitnehmen. Mehr brauchte sie nicht. Keinen Palast, keinen Reichtum keine Zeremonien und feine Herren die beim ersten Anzeichen von Gewalt die Hosen voll hatten. Nein auf so etwas konnte Maya beim besten Willen verzichten.
Was sollte sie ihrem zukünftigen Gatten auch erzählen um ihre nicht mehr vorhandene Jungfräulichkeit zu erklären? Sollte sie einen Neuanfang gleich mit einer Lüge beginnen? Das würde nur weitere Lügen mit sich bringen und übel Probleme schaffen, wenn die Wahrheit ans Licht kam. Doch wenn sie von Anfang an reinen Wein einschenkte, könnte sie eine genauso unglückliche Ehe führen, wie ihre Mutter vor Jahren mit dem Herzog von Barth. Damals war sie noch nicht geboren. Dennoch hatte ihr Ady alles über den Mann erzählt, der nicht vor Gewalt zurück geschreckt war.
Es klopfte an der Tür zu ihren Gemächern und kurz darauf trat ihre Mutter ein. Sanjana war so schön. Oft hatte sich Maya gewünscht, wie sie zu sein. Ein beiges Kleid betonte ihre noch immer schlanke Figur und passte zu ihrem hellen Hautton. Ihre schwarzen Locken waren kunstvoll hochgesteckt und trugen bis auf ihres Mannes Halskette den einzigen Schmuck in Form von kleinen Perlen.
Sie lächelte verständnisvoll und kam zu Maya hinüber.
„Du bist wunderhübsch, Maya. Mein absolutes Ebenbild."
Maya schnaubte nur zickig und versuchte ihrer Mutter nicht in die Augen zu sehen. Dabei war sie vermutlich die Einzige, die sie noch halbwegs verstand. Sowohl ihr Vater als auch ihr Bruder wollten sie an einen fremden Mann verkaufen, bloß damit die Zukunft von Skeliva gesichert war. Doch dafür brauchte sie nicht heiraten. Skeliva hatte momentan mit Darian ganz andere Sorgen.
„Nun zieh nicht so ein Gesicht. Dein Vater wird dich Rügen, wenn er dich so sieht."
„Ist mir gleich."
„Warum vertraust du ihm nicht ein wenig mehr?"
„Ich kenne ihn kaum. Er hat uns jahrelang allein gelassen."
„Aber doch nicht, weil er eine andere Wahl gehabt hätte."
Sanjana setzte sich Maya gegenüber auf die breite Fensterbank.
„Gut, er hatte damals vielleicht keine, doch jetzt hat er sie. Er muss mich nicht verkuppeln. Ich will dieses Firlefanz nicht. Ich brauche keine teuren Kleider und viel Geld. Darauf spucke ich."
Voller Elan riss sich Maya den Schmuck aus den Haaren und zerrte an ihrem Kleid, dass ohnehin eine Nummer zu groß für sie war.
„Hör doch auf damit, sonst ruinierst du es."
„Das will ich doch!"
Sanjana schüttelte den Kopf, hielt Mayas Arme fest und drückte sie anschließend fest an sich.
„Es ist nicht alles schlecht, meine Tochter. Es gibt Tage, die sind so dunkel, dass sie uns die Luft abschnüren und glaube mir es geht noch schlimmer. Doch dann gibt es auch wieder helle Tage, voller Freude und Lebensmut."
Maya sagte nichts darauf. Sie hatte keine Lust mehr zu streiten. Vor allem nicht mit ihrer Mutter, die sie gerade erst wieder hatte.
„Vielleicht wird dieser Tag gar nicht so furchtbar. Versuche einfach das beste daraus zu machen und hab ein wenig vertrauen in deinen Vater und mich."
Maya spürte wie die Hand ihrer Mutter vorsichtig über ihr Haar streichelte. Ihre Nähe war immer so beruhigend.
„Kann ich mich darauf verlassen, dass du nachher keine Szene machen wirst?"
Es widerstrebte Maya das nette Mädchen zu spielen. Dennoch gab sie ihr Wort und ließ sich kurz darauf von ihrer Zofe wieder richtig ankleiden. Nur auf eines bestand sie: Ihre Haare sollten offen bleiben.
Als man sie wieder zurecht gemacht hatte, kam Nika, um sie abzuholen. Man hatte sie als ihre Zofe im Palast aufgenommen. Das war beiden nur sehr recht. Keiner von ihnen sprach es aus, aber sie waren irgendwie Freunde geworden. Solange keine Madame Ziagi, kein Pirat, kein König oder Kaiser zwischen ihnen stand, waren sie sich näher, als sie beide für möglich gehalten hatten.
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