Fünfzehn

Brock brachte sie tatsächlich zur Cruiser zurück. Das Schiff hatte sich offensichtlich keinen Meter von der Stelle bewegt. Es lag noch genauso wie vor ein paar Tagen an dem Steg und schaukelte ganz sachte hin und her. Vor kurzem hatte Maya unbedingt zurück gewollt. Sie hatte Antonio sehen wollen, mit ihm sprechen wollen.

Doch nun war alles anderes. Er war ein Verräter. Er würde ihr Land und ihren Bruder verraten und hatte noch nicht einmal den Mut gehabt ihr das zu sagen. Deshalb war Maya froh ihn nirgends an Deck zu sehen. Die Männer schauten sie halb verzweifelt und halb triumphierend an, als Brock und Bonzo sie unter Deck brachten.

„Willkommen daheim, Miss. Ihr dürft Euch erneut wie zu Hause fühlen, nur dieses Mal nicht im Bett des Käpt'ns. Brock schubste Maya in eine Zelle hinein. Nika bekam eine eigene nebenan. Dort befreite man sie wenigstens von Knebel und Fesseln. Das half kaum. Maya fühlte sich immer noch gefesselt von Scham und Verrat.

Brock lachte leise, als er die Tür abschloss und sich von dannen machte. Bonzo schlug noch einmal gegen die Eisenstäbe von Nikas Gefängnis, um sie zu erschrecken. Dann verschwand auch er.
„Verflucht seist du, Maya. Das ist alles nur deine Schuld. Sie waren von Anfang an hinter dir und deinem Channa her. Ich hätte mich niemals auf dich einlassen sollen."

„Ich konnte nicht wissen, dass sie in der Nähe waren."
„Bist du dumm? Das ganze Land ist auf der Suche nach Menschen wie dir. Wenn es nicht diese Piraten gewesen wären, dann jemand anderes. Ich hätte dich einfach zurück lassen sollen. Noch besser, ich hätte dich ausliefern sollen. Dann wäre ich zusätzlich auch noch reich."
„Glaubst du wirklich? Sie hätten dich trotzdem entführt und vermutlich niemals wieder gehen lassen."
„Ja und es ist alles deine Schuld."
„Du kannst nicht alles auf mich schieben, Nika."

„Doch das tu ich aber."
Wütend setzte sie sich auf den feuchten Boden und kehrte Maya den Rücken zu. Damit war klar, sie würde kein einziges Wort mehr dazu sagen.
Maya hörte, wie das Schiff ablegte und sich langsam durch den Hafen bewegte. Es war nicht kalt, trotzdem zitterte sie. Sie lehnte sich an die Holzwand und verschränkte die Arme. Das Wasser rauschte am Rumpf entlang. Tropfte durch die offenen Stellen, dort wo er einst beschädigt worden war. Ihre Kleider waren schon nach einer kurzen Weile feucht und klebten ihr am Körper.

Zwischendurch wagte Maya einen Blick zu Nika. Diese kauerte am Boden und hing ihren eigenen Gedanken nach. Es tat Maya leid, dass sie ihretwegen auch gefangen wurde. So langsam hatte sie das Gefühl gar nichts richtig machen zu können. Sobald sie sich von den Kriegern entfernte, war sie in Gefahr. Ständig entführte man sie, wie ein entlaufenes, wertvolles Pferd.

Als die Cruiser aufs offene Meer hinaus fuhr, begann sie erneut heftig zu schwanken und Maya musste sich hinsetzen. Sie rutschte an der Wand entlang zu Boden, winkelte die Beine an und schlang ihre Arme darum. So verging eine ganze Weile. Übelkeit überkam Maya. Solch eine unangenehme Übelkeit. Sie merkte kaum, wie ihr Körper zur Seite sackte und Sekunden später lag sie mit krummen Beinen auf dem feuchten Holzboden. Es war so unglaublich kalt hier unten. Dabei war Amania doch ein warmes Land. Wieso war ihr dann so kalt?

Ein metallenes Klirren drängte sich in ihr Bewusstsein, dann ein Klicken und zum Schluss Schritte. Sie näherten sich. Wer kam nun? Brock? Oder einer der anderen Piraten?
Maya war zu müde, um nachzusehen. Sie blinzelte der Wand entgegen und wartete.

Horchte auf weitere Geräusche. Tatsächlich hörte sie erneut das metallische Klirren. Dieses Mal viel näher. Jemand schloss ihre Zelle auf. Nein, sie wollte alleine bleiben. Sie wollte niemanden sehen. Egal wer es auch war, er sollte sich verziehen.
Im nächsten Moment spürte sie zwei warme Hände auf ihrem Rücken, die sie vorsichtig hoch hoben. Maya verlor jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Ihr war einfach nur schlecht. Ihr Kopf viel gegen etwas weiches. Der Duft war ihr so vertraut und angenehm.
„Maya, trink. Du kennst die Medizin. Sie wird dir helfen."

Sie erkannte seine Stimme. Maya würde sie unter Hunderten heraus hören. Sie hob den Blick. Antonio wirkte ja richtig besorgt, so wie er sie ansah. Darauf konnte sie verzichten. Sie versuchte sich von ihm zu lösen und drückte seine Hand mit dem Becher weg.
„Lass mich dir bitte helfen."
„Ich brauche deine sogenannte Hilfe nicht. Ich habe keinen Schimmer wer du bist. Doch eines weiß ich: Du willst Skeliva schaden. Du willst meinem Bruder schaden, nicht wahr?"

Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort.
„Du würdest Skeliva ohne mit der Wimper zu zucken verraten. So wie du es die ganze Zeit getan hast, Spion!"
„Ich wollte es nicht. Deshalb habe ich dich gehen lassen. Ich wollte dir genau dieses Schicksal ersparen", verteidigte Antonio sich.
„Wieso hast du mir nicht die Wahrheit gesagt? Du hättest mich warnen können. Stattdessen schickst du mich einfach fort und machst munter weiter mit deinen verräterischen Plänen."

„Hör zu Maya, ich habe viel riskiert, als ich dich habe gehen lassen."
„Aber du hast mir nicht die Wahrheit gesagt!", schrie sie verzweifelt.
„Ich konnte es nicht. Ich kann mich nicht gegen Darian stellen, versteh das doch bitte."
Sie schüttelte den Kopf.
„Das werde ich nie verstehen. Wieso arbeitest du für den Mann? Er will einen Krieg herauf beschwören und er will mein Land erobern. Also wieso unterstützt du ihn dabei?"

„Weil es das ist was ich tue, Maya. Ich bin ausgebildet worden, um ihm zu dienen und jeden seiner Befehle zu befolgen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich das will oder nicht."
„Und wieso hast du mich dann gehen lassen?"
Er antwortete nicht sofort. Er betrachtete sie wie ein begossener Hund, als er den Becher abstellte und sich seine Haare aus dem Gesicht strich.
„Weil mir meine eigenen Gefühle im Weg stehen."
„Was?"

„Ich könnte nicht so weit gehen und Darian verraten. Doch zumindest wollte ich dich beschützen. Wenn Darian jemals erfährt, wer du bist, wird er dich zwingen ihm zu gehorchen."
„Niemals."
„Wenn ich eines gelernt habe, dann dass man sich diesem Mann nicht widersetzen kann. Glaub mir Maya, ich habe es oft genug versucht."

„Hast du davon all deine Narben?"
„Folter ist nur eine harmlose Methode einen Menschen gefügig zu machen. Es gibt andere Wege jemanden zu quälen. Nämlich die zu töten, die dir lieb und teuer sind."
„Wen hat er dir genommen?"
„Einfach alle, Maya. Meine ganze Familie ist für mich gestorben."
Entsetzt starrte sie ihn an. Er musste solches Grauen erlebt haben. Doch wenn er nichts mehr zu verlieren hatte, warum blieb er dann noch?

„Ich darf mich nicht wieder gegen ihn auflehnen. Sonst hat er geschworen meine gesamte Mannschaft aufzuhängen. Mir machen Schmerzen mittlerweile nichts mehr aus. Nur kann ich nicht dabei zusehen, wie andere meinetwegen leiden müssen. Solange ich für Darian arbeite wird meinen Männern nichts geschehen und ihren Familien auch nicht. Du siehst also, wir sind alle in einem Teufelskreis gefangen."

Antonios Worte sorgten für noch stärkere Übelkeit und hämmernde Kopfschmerzen. Ihr Magen zog sich zusammen.
Antonio hob den Becher auf und hielt ihn ihr unter die Nase. „Trink."
Vorsichtig nahm Maya den Becher und trank von Manus Medizin. Dabei ließ sie Antonio nicht aus den Augen. Er war so schön, so fremd und so - gefährlich.

Darian hatte aus ihm ein Monster gemacht. Maya hasste den Gedanken, dass er gefoltert worden war. Dabei war er kein schlechter Mensch. Er wurde zu etwas gezwungen, was er vielleicht gar nicht tun wollte. Dennoch hatte er sie verraten. Mit seinem Schweigen hatte er Maya verraten.
„Ich ertrage es nicht."
Verwirrt legte sie den Kopf schief.
„Was?"

„Wenn du mich so ansiehst...So vorwurfsvoll und ablehnend. Genau diesen Ausdruck wollte ich nicht in deinen Augen sehen. Nenn mich Egoist, doch ich wollte das Funkeln deiner grau-grünen Augen in Erinnerung behalten. Als ich dich gehen ließ, lag ein viel wärmerer Ausdruck auf deinem Gesicht. Jetzt sehe ich dort nur Kälte."

Antonio stand auf und ging aus der Zelle. Er schloss die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss. „Du siehst genauso aus wie sie. Die ganze Zeit habe ich gerätselt, woher ich dich kenne. Als ich deinen Namen erfuhr, wurde es mir schlagartig klar. Du bist das Ebenbild deiner Mutter."
Maya verschluckte sich. Was hatte er gerade gesagt? Ihre Mutter?
„Woher...? Wo ist sie? Was habt ihr mit ihr gemacht?"

Maya war aufgesprungen. Selbst Nika hatte sich in ihrer Zelle umgedreht und schaute sich die kleine Szene zwischen Maya und Antonio an.
„Sie ist bei Darian. Doch keine Angst. Es geht ihr gut. Er wird ihr nichts tun. Noch nicht. Doch bete, dass man niemals herausfindet, wer du bist. Denn dann wird er dich mit ihrem Leben erpressen."
„Erpressen? Womit? Antonio sag es mir!"
Maya klammerte sich an die Metallstäbe ihres Gefängnisses.
„Er will das Channa, Maya. Dafür wäre er bereit alles zu geben. Nur dann wird die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr länger existieren."

„Wie kann ich ihn aufhalten? Ich flehe dich an, Antonio! Du musst es doch wissen."
„Es ist ganz einfach. Egal was passiert, gib ihm niemals Macht über diese Energie. Nur so wirst du ihn aufhalten."
Nach einer Pause wiederholte er: „Egal...was passiert."
Dann wandte er sich ab und verließ die Brig. Verwirrt und verzweifelt blieb Maya zurück. Sie sank erneut auf die Knie und lehnte ihre Stirn an die kühlen Gitterstäbe.

Von nebenan hörte sie ein spöttisches Schnauben.
„Als ob man Darian aufhalten könnte. Ihr beide seid hoffnungslos verloren. Jeder Blinde erkennt doch wie sehr ihr beide euch mögt. Das wird Darian ausreichen, um sein Ziel zu erreichen."
„Ich weiß nicht was du meinst, Nika."
„Ich bitte dich, bist du blind? Ich erkenne Liebe in den Augen eines Mannes. Schließlich hat man mir beigebracht darauf zu achten. Antonio hat sehr viel für dich übrig, Maya. Mehr als nur Bettgeflüster und Leidenschaft."


~


Brock erwartete ihn schon in seiner Kajüte. Antonio ignorierte den Vorwurf in seinen Augen und knallte den Zellenschlüssel auf den Tisch. Brock griff danach und steckte ihn in seine Manteltasche, während Antonio seinen an den Haken hängte.
„Dachtest du ich bemerke es nicht, wenn du mir die Schlüssel klaust?"

Natürlich hatte Antonio damit gerechnet. Nur hatte er sie dieses Mal nicht gestohlen, um Maya zu befreien. Er wusste, dass sie unter der Seekrankheit litt. Nach Tagen an Land würde sie ganz sicher wieder mit der Übelkeit zu kämpfen haben und so war es ja auch. Sie so hilflos und krank unten in der Brig zu wissen, machte ihn wahnsinnig. Doch Brock ließ nicht mit sich reden. Sie war eine Gefangene und als solche gehörte sie eingesperrt. Außerdem misstraute er Antonio von nun an. Allein deshalb würde er Maya nicht wieder in seiner Obhut lassen.

„Ich kann dich vor allem beschützen, Antonio, doch nicht vor Darian und schon gar nicht vor deiner eigenen Dummheit."
„Hör auf zu meckern, Brock. Ich habe dich nicht um Rat gebeten."
„Solltest du vielleicht aber. Dieses Mädchen hat dir den Kopf verdreht. Sicher, sie ist jung, schön und temperamentvoll. Doch sie ist eine Channajiu und damit unheimlich wichtig für Darian. Du weißt was passiert, wenn du dich erneut verweigerst."

„Mir ist völlig egal, was er mir antut. Nur hast du gar kein schlechtes Gewissen dabei sie einfach auszuliefern? Sie ist ein unschuldiges Mädchen. Ich wollte sie nie in das Ganze hineinziehen."

„Dafür ist es nun zu spät, Antonio. Außerdem liefern wir sie aus, um am Leben zu bleiben. Ihr Leben für meines, ganz einfach."
Antonios Blick verdunkelte sich. „Du ekelst mich an, Brock. Wie kann man nur so denken."
Brock stand von der Bank auf und ging um den Tisch herum. „Ich rate dir dich ganz schnell wieder einzukriegen, Junge."
„Sonst was?", fragte Antonio angespannt.
Brock zog seine Pistole hervor.
„Sonst puste ich dir persönlich eine Kugel in den Kopf. Am liebsten würde ich das ja mit der Kleinen machen, aber sie wird leider noch gebraucht."

Sein hämisches Grinsen brachte Antonios Blut in Wallung. Er verlor jegliche Beherrschung und stürzte sich auf Brock. Dieser fackelte nicht lange und drückte den Abzug. Antonio spürte kaum den Schmerz. Er war schlimmeres gewohnt. Also schlug er dem verdutzten Brock die Waffe aus der Hand und haute ihm so heftig seine Faust ins Gesicht, dass er zu Boden taumelte.

Erschrocken hielt er sich noch halb am Tisch fest. Doch Antonio war noch nicht fertig mit ihm. Er schlug mehrmals auf ihn ein. Seine Wut hielt ihn bestimmt nicht zurück und sein Verstand eben so wenig.
Erst als sich die Kajütentür öffnete und ein paar seiner Männer an ihm zogen, ließ er Brock in Ruhe.

„Lasst mich los!", rief Antonio aufgebracht.
„Antonio, wenn du ihn umbringst, wird Darian dich umbringen", warnte Elay und versuchte seinen Kapitän zu beruhigen.
„Ist mir egal. Ich will diese miese Qualle nicht mehr sehen."
„Das wirst du noch bereuen, Antonio. Alles was ich wollte, war dein jämmerliches Leben zu schützen. Doch das ist jetzt vorbei."
Brock spuckte Blut auf den Boden.
„Sperrt ihn ein!", befahl Antonio und holte den Gefängnisschlüssel aus Brocks Mantel.
„Anschließend lasst ihr die beiden Frauen frei. Schickt Maya zu mir, verstanden?"

„Aye!", sagte Elay. Zusammen mit Rat und zwei anderen schafften sie Brock aus der Kajüte. Antonio ignorierte sein blutendes Hemd und ging stattdessen auf die Brücke zu Lemi.
„Kursänderung", befahl Antonio knapp.
Etwas konfus befolgte Lemi die Anweisung und ließ das Schiff wenden. Dabei warf er immer wider einen verstörten Blick auf das Blut. Er war nicht so, dass er das zum ersten Mal sah. Antonio erkannte sie ehrliche Sorge in den Augen seines Steuermanns.

„Darf ich fragen, was das soll Käpt'n?"
„Wir bringen Maya von hier weg."
„Aber, Darian..."
„Ich werde die Schuld komplett auf mich nehmen, Lemi. Euch wird nichts passieren."
Das beruhigte Lemi vorerst. Er schwieg einen Moment. Dann sah er wieder auf Antonios Verletzung.

„Ihr solltet das vielleicht besser abbinden", wies Lemi vorsichtig auf das immer weiter tropfende Blut hin. Antonio sah an seinem Ärmel hinunter, als hätte er seine Verletzung erst jetzt bemerkt. Halb schnaufend vor Frust und halb seufzend vor Unbehagen ging Antonio zurück in seine Kajüte.

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