Einundzwanzig
Das türkis-blaue Ballkleid war elegant und doch einen Hauch zu viel. Ganz zu schweigen davon, dass es über den Boden schleifte. Das Korsett war zu eng und schnürte Maya halb die Luft ab. Darin sollte sie einen ganzen Abend aushalten? Eher würde sie ohnmächtig in einer Ecke des Tanzsaals liegen. Genervt und schwitzend versuchte sie sich mit einem Fächer Wind herbeizuführen.
Nebenbei sah sie sich die geladenen Gäste an. Piekfeine Damen und Herren aus Skeliva sowie den Nachbarländern. Hier ein Herzog, da ein Prinz. Alles Speichellecker. Gekleidet in teure, aufwendig gearbeitete Gewänder, mit Rüschen und Glitzer. Perlen und Diamanten zierten die hoch gereckten Hälse ihrer Damen. Maya machte sich absichtlich klein und versteckte sich hinter ihrem Fächer.
Erst als sie einen schiefen Blick ihrer Mutter kassierte, steckte sie den Fächer widerwillig an ihren Rock und drehte sich um. Da sah sie plötzlich ein bekanntes Gesicht. Jemand den sie allzu sehr vermisst hatte.
„Rony!"
Er bemerkte sie im selben Moment und kam freudestrahlend auf sie zu.
„Maya! Bin ich froh dich gesund wieder zu sehen. Ich hätte nicht damit gerechnet dich je wieder zu Gesicht zu bekommen. Also nicht, dass ich das nicht gewollt hätte. Ich meine nur..."
„Ach sei doch still", meckerte Maya halb lachend. Es tat gut ihren alten Freund wieder zu sehen. Sie trat einen Schritt zurück und bewunderte seinen Festumhang.
„Meine Güte, Rony, was ist der Anlass?"
„Nun ich wollte dich sehen. Dazu nutze ich den alten Umhang meines Vaters und mische mich unter die feine Gesellschaft."
„Lass dich bloß nicht erwischen."
„Keine Sorge, du wirst mich schon beschützen", zwinkerte er ihr zu.
„Ich dich? Und wer beschützt mich? Seit meine Eltern zurück gekehrt sind, geht es hier wohl etwas anders zu."
„Das ganze Land spricht schon darüber", er machte eine kurze Pause und fügte dann noch vorsichtig hinzu: „Und von deiner Flucht."
Oha. Wenn Maya das irgendetwas bedeutet hätte, würde ihr das jetzt Bauchschmerzen bereiten. Doch es kümmerte sie nicht.
„Darf ich Ihre Hoheit um einen Tanz bitten?", fragte ein galanter Herr im dunklen Frack und verneigte sich vor ihr. Als er aufblickte konnte sie kaum etwas von seinem Gesicht sehen. Das war der Nachteil an dem Fest. Es war ein Maskenball. Ihr Vater hatte sich im letzten Moment diesen Schwachsinn einfallen lassen.
Maya forschte in seinen Augen. Sie waren - sofern sie das bei dem schummrigen Deckenlicht überhaupt sehen konnte - dunkelgrün oder etwas in der Art. Jedenfalls nicht blau, also verlor sie das Interesse an ihm.
„Tut mir leid, mein Herr ich tanze nicht."
Leicht verstört suchte er das Weite.
Nach fünf weiteren Anfragen auf einen Tanz gesellte sich Nika zu ihr und Rony. In der Gesellschaft ihrer beiden Freunde zu stehen, heiterte Maya etwas auf und ließ sie für einen Moment vergessen, dass sie sich eigentlich einen Ehemann angeln sollte.
Sie hoffte durch intensives Ablehnen der Tanzbewerber den Abend relativ schnell hinter sich zu bringen. Es wurde immer später und Maya hatte immer noch nicht getanzt. Keiner konnte sie dazu zwingen. Ihr Vater und Ady waren auch nicht zu sehen. Hatten die beiden sich etwa schon höflich zurück gezogen? Nein, dann wäre ihre Mutter nicht mehr hier. Sie stand am Rande des Saals auf der hoheitlichen Anhöhe und unterhielt sich hin und wieder mit Tristan und Alain.
Maya konnte noch immer nicht glauben, dass sie noch am Leben waren. Sie selbst hatte sie eigentlich in den Tod geschickt. Es hatte mit dem Channa zu tun. Würde Maya es jemals meistern? Wollte sie das überhaupt? Diese Energie machte ihr unglaubliche Angst. Außerdem glaubte sie nicht so viel Selbstbeherrschung zu haben, wie ihr Vater. Ihr graute davor das selbe Schicksal zu erleiden und jahrelang zu verschwinden.
Das war ihr Stichwort. Sie sollte auch verschwinden. Ihre Mutter war abgelenkt. Also die beste Gelegenheit sich aus dem Staub zu machen.
Maya starrte wie gebannt auf Sanjana und bemerkte nicht, dass sich wieder jemand vor sie gestellt hatte.
Sie rückte in Gedanken bei ihrem Fluchtplan die Maske auf ihrer Nase zurecht.
„Gebt euch keine vergebene Mühe, mein Herr. Die Prinzessin ist zu müde, um zu tanzen", hörte sie Rony für sie sprechen.
Maya hatte kein Interesse an dem gefühlt hundertsten Bewerber. Sie sollten alle verschwinden. Wann würden sie endlich begreifen, dass nur Antonio mit ihr tanzen durfte?
„Ich bin mir sicher, dass sie mich nicht abweisen wird."
Maya blieb das Herz stehen. Die Stimme verursachte ihr eine Gänsehaut. Sofort blickte sie zu dem Maskierten vor sich und verfing sich in seinen ausdrucksvollen blauen Augen.
Ihr Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals und sie wusste, dass vor ihr kein anderer als Antonio stand. Für einen Augenblick war sie zwischen weinen und lachen hin und her gerissen.
Er reichte ihr seine behandschuhte Hand und verneigte sich höflich, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Überglücklich legte sie ihre Hand in seine und ließ sich langsam Richtung Tanzfläche ziehen. Ihr Verstand hatte sich verabschiedet. Maya war einfach nur froh, dass er noch lebte. Es glich einem Wunder. Sie begutachtete verstohlen seinen Körper, sofern die feine Kleidung es zuließ. Er schien nicht verletzt zu sein. Wie war das nur möglich? Maya hatte ihn mit samt den Steinen fallen sehen. Dennoch war er hier.
„Wieso hast du so lange gebraucht?", schimpfte sie leise mit ihm, als sie unter aller Augen Aufstellung nahmen.
Antonios Gesicht kam ihrem sehr nahe und verzog sich zu einem amüsierten Lächeln.
„Verzeih, ich habe dich warten lassen. Das soll nie wieder vorkommen."
Sie spürte seine Hand an ihrem Rücken und schon begann der Tanz. Es war ein Traum. Es konnte gar nicht der Wahrheit entsprechen.
„Ich habe so viele Fragen, Antonio."
„Ich weiß", sagte er immer noch grinsend, als ob er den Tanz genauso genießen würde wie sie. Die schwarze Maske war nur reichlich irritierend und so blieb ihr ein Teil seiner Mimik verwehrt.
„Wirst du sie mir beantworten?", fragte sie nach einer Drehung.
„Später. Im Moment will ich nur mit dir tanzen."
Für einen kurzen Moment sollte Maya das genügen. Sie hatte keine Ahnung, wie er überlebt hatte, noch wie er in den Palast gekommen war. Zudem fragte Maya sich warum genau er hier war.
Es konnte unmöglich allein ihretwegen sein. Was hatte er vor? Wurde er von Darian geschickt? Wo war sein Kaiser jetzt? Fragen über Fragen tummelten sich in ihrem Kopf und mussten fürs Erste hinunter geschluckt werden.
Das Getuschel der Gäste um sie herum kümmerte sie nicht. Sie nahm auch nicht wahr, dass ihre Freunde sie merkwürdig anstarrten, so als hätten sie Maya noch nie gesehen. Die Welt um sie herum schien seltsam fremd und unwirklich, solange Antonio bei ihr war. Von Anfang an hat sie ihn fanatisierend und anziehend gefunden. Nach dieser stürmischen Nacht auf der Cruiser, war sie ihm aber vollends verfallen.
Jede noch so leichte Berührung löste ein Prickeln auf ihrer Haut aus. Seine blauen Augen hielten ihre gefangen und hinderten sie daran auch nur eine Sekunde wo anders hin zu schauen und seine Nähe war für sie absolut berauschend. Ein unsichtbares Band fesselte Maya an Antonio. Alles an ihr sagte ihr, dass es richtig sei. Wie konnte es dann falsch sein diesen Mann zu lieben?
Warum konnte dieser Tanz nicht für immer andauern?
„Ich muss dich um etwas bitten, Maya."
Während er sie durch den Saal drehte, wartete sie auf das, was als nächstes kam. Was würde er von ihr verlangen?
„Was?", fragte sie ungeduldig, als er immer noch nicht weiter sprach.
„Du musst mir verzeihen."
„Was genau?", fragte sie etwas skeptisch.
„Einfach alles. Das vergangene...und das was noch kommen wird."
„Was kommen wird?"
„Ja genau."
Er nickte unscheinbar und hielt ihren Blick immer noch gefangen. Maya bekam ein wachsendes Gefühl der Unruhe, doch war sie zu abgelenkt, um auf ihren Verstand zu hören. Sie wollte nicht denken, wollte es einfach nur genießen.
Unsicher und verständnislos legte sie sich die passenden Worte zurecht.
„Antonio..."
„Versprich es mir!", unterbrach er sie eindringlich.
„Du hast etwas vor..."
Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Keine Antwort. Natürlich würde er ihr nicht seinen Plan auftischen, doch warum war er dann erst zu ihr gekommen?
„Rede mit mir, Antonio, sonst kann ich dir nicht helfen."
Er blieb stehen. Maya tat es ihm gleich, obwohl die Musik noch nicht beendet war.
Er trat ganz nahe an sie heran und flüsterte an ihr Ohr, was sie vollkommen aus der Bahn warf: „Ich gebe dir mein Leben, Maya."
Ehe sie diese Worte verstehen konnte, trat Antonio von ihr weg, drehte sich um und marschierte auf die Gäste zu, die wie eine Traube um sie herum standen und zugeschaut hatten.
Natürlich waren alle neugierig auf den Mann, mit dem so eben die Prinzessin von Skeliva getanzt hatte, wobei sie doch zuvor sämtliche Bewerber abgelehnt hatte. Jetzt würde sie auf jeden Fall nicht nur Stadtgespräch werden, dachte sie sich und wollte ihm nacheilen. Doch Antonio drehte sich nur halb zu ihr um, als sie nach ihm rief. Dann verschwand er zwischen den Menschen. So sehr Maya auch nach ihm suchte, er bleib verschwunden.
„Maya!", rief Nika nach ihr.
Wie versteinert stand sie da und schaute ihre Freundin an, ohne sie wirklich wahr zu nehmen. Langsam, ganz langsam fing ihr Verstand wieder an zu arbeiten.
Automatisch fasste sie an ihren Rücken und erschrack, als sie den Gegenstand erkannte, der plötzlich in ihrem Nieder steckte. Ganz sicher hatte sie die Pistole zuvor noch nicht gehabt. Antonio hatte sie ihr zugesteckt. Das bedeutete nichts gutes.
„Maya, was ist los?"
Nika hampelte vor ihrer Nase herum. Doch Maya schenkte ihr immer noch keine Aufmerksamkeit.
Antonio war definitiv nicht ihretwegen gekommen. Er stand immer noch unter Darians Einfluss und das würde sich auch nicht ändern solange er am Leben war. Musste er denn erst wirklich sterben, damit der Mann ihn gehen ließ?
Bei dem Gedanken lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Deshalb war er hier.
„Ich gebe dir mein Leben, Maya."
Das waren Antonios letzten Worte gewesen.
Er hatte doch nicht etwa vor...? Wollte er diesen Ausweg nehmen? Er wollte sein Leben doch nicht etwa auf diese Weise beenden.
Maya wirbelte erschrocken herum. Wo war ihr Bruder? Keiner von ihrer Familie war zu sehen. Selbst ihrer Mutter nicht. Tristan, Alain... alle verschwunden. Oh nein, sie hatten Antonio bereits bemerkt, doch konnten sie unmöglich wissen, was er vorhatte.
Maya war sich ganz sicher, die einzige Möglichkeit seinem Leben ein schmerzloses, jähes Ende zu bereiten, war den König von Skeliva zu bedrohen. Das war es auch, was Darian wollte. Er hatte Antonio tatsächlich in den Tod geschickt. Noch dazu war er zu feige sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Außerdem wäre Darian niemals in den Palast gekommen.
Maya konnte sich gar nicht vorstellen, welche Fähigkeiten Antonio noch besitzen musste, wenn er unbemerkt nach Sonara gekommen war. Der Mann war brandgefährlich. Ein Pirat, von wegen. Der Mann war ein Auftragsmörder, ein Spion und ein willenloser Gefangener, der zu allem bereit war.
Als Maya endlich zu Nika sah, erkannte diese die Panik in ihren Augen.
„Ich muss zu meinem Bruder."
Nika legte fragend den Kopf schief, doch dafür blieb Maya keine Zeit.
„Er wird ihn umbringen!"
Mehr gab sie nicht zur Erklärung, sondern nahm die Beine in die Hand. Sie raffte den Rock und drängte sich durch die Menge von Gästen. Es war ihr egal, wen sie dabei umwarf oder beleidigte. Ihr Bruder war in Gefahr und niemand wusste davon. Sie durfte nicht zulassen, das Antonio ihm etwas antat. Dann würde man ihn sofort hinrichten.
Weder Aditya noch er sollten sterben. Wenn man sie vor die Wahl stellen würde, könnte sie sich nicht entscheiden, also musste sie diese Entscheidung verhindern. Sie musste Antonio aufhalten. Er hatte ihre Macht gesehen. Sie brauchte sie jetzt. Nur dieses eine Mahl musste sie ihr kontrolliert gehorchen, sonst wären ihr Bruder und Antonio verloren.
Maya rannte noch schneller durch das Schloss. Die Angst jemanden zu verlieren war überwältigend.
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