Eins

Es war laut um sie herum. Sehr laut. Doch nichts war so laut wie ihr eigener Herzschlag und das Geräusch ihrer Absätze auf dem steinernen Boden. Das war ihr Rhythmus, an dem sie sich orientieren musste. Nicht an dem stetigen Geschnatter und Klirren von Gläsern. Musik drang aus der Ferne an ihr Ohr. Die Kapelle hatte erneut begonnen einen Walzer zu spielen. So würden sich vielleicht mehr Leute aufs Tanzen konzentrieren und sich nicht weiter um sie scheren.

Die feinste Gesellschaft des Hofes hatte sich in Sonara versammelt. Selbst auf den Gängen begegneten ihr Menschen in feine Gewänder gekleidet und beäugten sie misstrauisch. Die Leute tanzten und lachten. Wer das nicht tat, verlor keine Zeit damit über die größte Schande des Königshofes zu reden. Über die ungehorsame und ausgerissene Prinzessin, die erst von den Soldaten nach Hause geschleift werden musste.

Eigentlich hatte sie sich an diesem Abend einen Gemahl erwählen sollen. Doch wer würde sie jetzt noch heiraten wollen? Niemand. Nicht einmal der Mann, von dem sie gedacht hatte, dass er in den Tod gefallen sei.
Das ganze Fest war vollkommen unnötig und hatte ihm nur die Gelegenheit gegeben sich heimlich in den Palast zu schleichen.

Maya wusste genau, wenn sie sich nicht beeilte, würde sie zu spät kommen. Dann würde er den König umbringen und anschließend sich selbst. Er war dazu ausgebildet worden Befehlen zu folgen und sein eigenes Leben für seinen Auftrag zu geben. Normalerweise sagte man das auch über die Krieger Dokrats. Doch er war kein Kämpfer für das Gute. Er war ein Auftragsmörder, ausgesandt um den König zu töten. Er durfte auf keinen Fall sein Ziel erreichen.

Maya lief so schnell sie auf den rutschigen Schuhen laufen konnte. Sie hielt ihren Rock fest, um nicht darüber zu stolpern. Er war um einiges zu lang, doch hatte ihre Schneiderin diesen Fehler nicht rechtzeitig beheben können. Wie auch, sie war ja nicht da.
Maya hatte sich mit Händen und Füßen gegen eine arrangierte Ehe gewehrt und war abgehauen. Nun würde sie genau das vielleicht alles kosten, was ihr lieb und teuer war.

Ihre hochgesteckten, schwarzen Locken sahen schon längst nicht mehr adrett aus und flogen wild durcheinander, während sie durch die Gänge eilte. Ihr Herz klopfte unaufhaltsam, ihr lief Angstschweiß den Rücken hinunter und die Panik war ihr ins Gesicht geschrieben. Wer sie so zu Gesicht bekam, musste sie für verrückt halten. Vielleicht war sie das auch. Nur durfte sie auf keinen Fall stehen bleiben. Sie musste ihn aufhalten. Er würde Adytia umbringen. Nur sie konnte ihn vielleicht noch daran hindern.

Adytia selbst war ein guter König. Weise wie sein Vater und ein hervorragender Schwertkämpfer. Doch damit konnte er ihn nicht aufhalten. Maya besaß als Einzige den Schlüssel zu allem.
Sie kramte unter ihrem Mieder nach der Pistole, die er ihr zugesteckt hatte. Sie hatte es kaum bemerkt, aber er hatte sie ihr beim Tanz zugesteckt. Als ob er sie herausfordern wollte. Als ob er sagen würde: Versuch mich aufzuhalten!

Ein großer Bogen wäre ihr tausend Mal lieber gewesen, doch die Zeiten hatten sich geändert. Wie sollten Schwert und Bogen noch etwas gegen Schwarzpulver und Kugeln ausrichten?
Gegen diese neue Art von Waffe war Skeliva machtlos. Das Einzige, was jetzt noch helfen konnte, war das Channa.

Maya spürte wie trocken ihre Kehle bereits war. Sie bekam nur schwer Luft. Sie wollte aufgeben, stehenbleiben und durchatmen. Nein, das war keine Option. Jede Sekunde zählte.
Also trieb sie sich an weiter zu laufen.
Bloß nicht stehen bleiben! sagte sie ständig zu sich selbst.

Nach ein paar Minuten erreichte sie endlich die Stufen, die zum Thronsaal hinauf führten. In Sekunden hatte Maya auch diese geschafft und stand nun vor dem gigantischen Tor. Mit beiden Händen und noch immer mit der Pistole bewaffnet drückte sie die schweren Torflügel auf.
Das sie bisher keinen Wachen begegnet war, wunderte sie nicht. Er musste sie bereits ausgeschaltet und versteckt haben.
Maya blieb mitten im Saal stehen und schnappte nach Luft. Sie war zu spät gekommen. Er war schon hier. In aller Ruhe stand er neben dem Thron und hielt Adytia seine Waffe an den Kopf. Er schien Maya bereits erwartet zu haben.

„Nein. Tu es nicht!", rief Maya ihm zu. Sie wollte auf ihn zu laufen, doch das klickende Geräusch seiner Pistole ließ sie augenblicklich stehen bleiben. Er hatte sie soeben entsichert.
Seine blauen Augen waren nur auf sie geheftet. Maya erkannte Reue darin, aber auch Verzweiflung. Er würde den Abzug drücken. Er hatte gar keine andere Wahl, sonst würde man ihn in Kürze umbringen.

Ein Auftragsmörder, der seinen Auftrag nicht zu Ende führen konnte, war wertlos und somit umgehend zu beseitigen.
Die Männer, die ihn dazu zwangen solch einen Auftrag auszuführen, waren mit Sicherheit schon in der Nähe. Sie würden nicht lange zögern in Sonara einzubrechen und es zu Ende zu bringen. Mit ihm würden sie anfangen.

„Mir bleibt keine Wahl, das weißt du. Der einzige Weg mich aufzuhalten besteht darin mich zu erschießen, Maya."
Sie hielt die Pistole bereits in der Hand. Nun hob sie den Arm, entsicherte ihre Waffe und zielte auf ihn.
„Glaubst du ich bin nicht stark genug abzudrücken?"

„Ich weiß, dass du es kannst. Du musst es tun. Andernfalls werde ich deinen Bruder umbringen."
Mayas Hand zitterte. Sie wollte nicht abdrücken. Wie konnte es nur so weit kommen?
„Bitte!", versuchte sie zu flehen.
„Schieß endlich, Maya, sonst werde ich es tun!", rief er auffordernd und trat einen Schritt näher zu ihrem Bruder.

„Nein, bitte nicht!", schrie sie voller Panik.
Sie konnte nicht schießen. Sie war wie gelähmt. Dabei musste sie es tun. Das Schicksal stellte sie vor die Wahl. Es war die schwierigste Entscheidung ihres Lebens.
Warum nur mussten sie ausgerechnet ihn schicken, um Adytia zu töten? Das war einfach nur krank und ein wohl durchdachter Plan ihrer Feinde.
„Schieß, Maya!", forderte er erneut mit einer Stimme, die sie an den Rand der Verzweiflung brachte und ihren Finger am Abzug zucken ließ.

Ihr war übel. Heiße und kalte Schauer liefen ihr abwechselnd über den Rücken und ein Tränenschleier trübte ihr die Sicht. So gerne hätte sie die Zeit zurück gedreht. Warum war sie damals nicht mit ihm geflohen? Sie könnte jetzt in seinen Armen liegen und alles um sie herum hätte keine Bedeutung mehr. Doch nun stand sie da und hielt eine Pistole auf ihn gerichtet. Genau auf den Mann, den sie doch so sehr liebte.

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