Acht

Es war geradezu herrlich ihren verdutzten Gesichtsausdruck zu sehen. Antonio hatte sich solange Zeit gelassen, bis er sich gewaschen und umgezogen hatte. Danach hatte er ganz entspannt den Schlüssel aus der Kommode geholt. Allein an ihr dummes Gesicht zu denken, hatte ihn unglaublich amüsiert. Nun starrte sie ihn verzweifelt an und wusste offensichtlich nicht mit der Situation umzugehen.

Antonio hatte jedoch genug von ihr. Er zerrte sie unsanft am Arm übers Deck. Es kümmerte ihn nicht, wie das für alle anderen aussehen musste. Er musste etwas gegen dieses Mädchen unternehmen. Andernfalls würde sie ihm über kurz oder lang noch den Verstand rauben.

Sie war nicht nur bildschön und intelligent, sie zeigte überhaupt keine Angst vor ihm oder den anderen Piraten. Dabei wäre es vernünftiger und gesünder in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein. Doch die Kleine spielte offensichtlich gerne Spielchen.

Antonio war immer mehr der Ansicht, dass sie nicht nur aus einer angesehen Familie stammte, sondern aus einer wirklich mächtigen noch dazu. Ihre ganze Art verriet ihm, dass sie sich normalerweise von niemandem etwas befehlen ließ. Sie war es gewohnt ihren eigenen Dickkopf durchzusetzen. Damit raubte sie Antonio den letzten Nerv.

Ihm waren schon viele Frauen begegnet. Doch in seiner Heimat herrschten andere Gesetze. Dort war eine Frau nur etwas wert, wenn sie sich unterordnete. Vielleicht würde er einen Fehler machen dieses Mädchen später an einen Händler zu verkaufen.

Er selbst hatte am eigenen Leib erfahren müssen, was es bedeutet sich in seinem Land zu widersetzen. So oft hatte man ihn gefoltert und bestraft, wenn er sich nur den kleinsten Fehler erlaubt hatte. Mit der Zeit war er so zu einem gehorsamen Diener geworden. Man ließ ihm eine gewisse Freiheit, weil man genau wusste, dass er immer wieder zurück kam und sich dem Willen anderer beugte.

Wie weit würde dieses Mädchen in solch einer Lage gehen? Er war nicht derjenige, der ihr Leben in Sekunden zerstören konnte. Er war bloß ein Handlanger. Doch es gab andere, schlimmere Menschen. Einer davon war Darian. Immer mehr widerstrebte es Antonio das Mädchen zu ihm zu bringen. Sie hatte nichts falsches getan. Sie war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

So hatte Antonio keine Wahl gehabt. Seine eigenen Männer würden sich gegen ihn stellen, wenn er sich nicht strikt an seine Anweisungen hielt oder weich wurde.
In gewisser Weise folgten sie ihm und gehorchten seinen Befehlen. Ein kleiner Fehler seinerseits konnte das ganz schnell ändern.
Also schleifte er die Frau wieder zurück in seine Kajüte. Er blieb vor dem Bett stehen, auf dem immer noch das Kleid lag, und ließ sie erst dort wieder los. Natürlich passte ihr das nicht.

„Mach dich frisch."
Sie rührte sich nicht, funkelte ihn nur mit ihren grauen Augen wütend an.
„Von mir aus bleib ruhig in deinen Sachen. Ich hatte nur angenommen du möchtest dich vielleicht etwas bequemer kleiden. Ich werde draußen warten."

Sie schien ihm zu misstrauen. Kein Wunder.
„Nimm den Schlüssel und schließ dich solange ein, wenn du mir nicht traust."
Er wandte sich Richtung Ausgang, doch sie war noch nicht fertig mit ihm.
„Antonio..."
Es war seltsam seinen Namen von ihr zu hören, wo er doch noch immer nicht ihren kannte. Doch noch seltsamer war, dass er es noch einmal hören wollte.

„Bekomme ich auch den anderen?"
Sie hielt ihm auffordernd die offene Handfläche entgegen und wartete. Das brachte ihn schon wieder zum Schmunzeln. Er konnte ihr einfach nicht lange böse sein. Mit einem verschmitzten Grinsen kam er zu ihr zurück und legte ihr den Zweitschlüssel auf die Hand.

„Ich dachte Ihr würdet mich für einen Gentleman halten. So etwas, wie heimlich eine Frau beim Umkleiden zu beobachten, gehört sich nicht für ehrbare Männer."
„Mag sein, aber bei Euch habe ich die Hoffnung aufgegeben."
„Dabei wäre es nur gerecht", flüsterte er an ihr Ohr. „Ihr habt mich vorhin schließlich auch beobachtet."
Er wich zurück und gönnte sich den Ausblick auf ihre erröteten Wangen.

„Raus!", sagte sie bedrohlich ernst.
Antonio ließ ihr mörderischer Blick kalt. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen, als er das Zimmer verließ. Sofort knallte sie die Tür zu und kurz danach hörte er wie sich der Schlüssel im Schloss zweimal drehte.

So gerne hätte er ihre mangelnde Lebenserfahrung etwas aufgefrischt und ihr dieses selbstsicherer Verhalten mit seinen eigenen fantasievollen Ideen ausgetrieben.
Im nächsten Moment erkannt er, welche Gedanken ihn bewegten. Um Himmels Willen! Warum dachte er so etwas?
Sich dieses Mädchen in seinem Bett vorzustellen war einfach eine Spur zu viel der Fantasie.


~


Wie konnte er es nur wagen ihr solche Dinge ins Ohr zu flüstern? Er hatte ja keine Ahnung mit wem er es zu tun hatte. Wütend ging Maya zum Bett, nahm das Kleid und schmiss es zu Boden. Sie war so unglaublich gereizt. Nicht nur weil er offensichtlich seinen Spaß mit ihr hatte. Jedes Mal wenn er sie so unverschämt angrinste brachte er damit ihr Blut zum rauschen und ihre Haut fing an zu prickeln.

Das war ihr mehr als unangenehm. Sich dann auch noch an seinen muskulösen Oberkörper zu erinnern, hatte ihr letztendlich den letzten Funken Selbstbeherrschung genommen. Dabei nutzte er sie nur aus. Er wollte sie verunsichern und sich ihre mangelnde Erfahrung zu Nutze machen. Doch dabei würde sie ihm ganz bestimmt nicht helfen. Das nächste Mal, wenn er ihr zu nahe kam, würde sie ihm schon zeigen aus welchem Holz sie geschnitzt war.

Es verging eine Stunde, bis sich Maya langsam wieder beruhigt hatte. Sie hasste es in der Koje eingesperrt zu sein. Sie wollte raus. Nur wie stellte sie das an?
Ihr Blick fiel auf das Kleid. Zwar wollte sie ihm nicht gehorchen nur in den anderen Kleidern wollte sie auch nicht länger bleiben.

Seufzend nahm sie das Kleid auf und machte sich frisch.
Anschließend schloss sie die Tür auf und lugte vorsichtig ins Nebenzimmer. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie ihn am Tisch sitzen sah. Sie schon die Tür ganz auf und blieb dort auf der Schwelle stehen.

Natürlich schenkte er ihr seine Aufmerksamkeit. Das war ihre Hoffnung. Maya setze ein freundliches Lächeln auf und hielt das Band mit dem Zweitschlüssel hoch.
Er kam zu ihr und nahm ihn an sich.
„Wie ich sehe steht euch das Kleid."
Sie versuchte ihr Lächeln bei zu behalten.
„Es... ist wohl etwas eng unter den Armen."
Mit anderen Worten: Ihre Oberweite wurde abgequetscht. Hatte die Frau, der das Kleid vorher gehörte, keine Brüste?

Maya sollte sich nicht beklagen. Immerhin musste sie nicht länger in ihren dreckigen Sachen herumlaufen.
Antonio zuckte nur mit einer Augenbraue.
„Was soll das werden? Ist das ein Strategiewechsel oder habt Ihr beschlossen vernünftig zu werden? Wobei ich letzteres anzweifle."
Mayas Lächeln würde noch süßer, beinahe verführerisch.

„Nein Käpt'n. Ich habe nur eingesehen in welch aussichtsloser Lage ich mich befinde und dass es zwecklos ist Euch schlechte Laune zu bereiten. Also will ich in Zukunft netter zu Euch sein."
Er schien skeptisch, dennoch musste er über ihre Worte lachen. „Habt ihr das schon mal gemacht?"

„Was?"
„Versucht einen Mann aus dem Konzept zu bringen?"
Maya war fassungslos. Er hatte sie durchschaut. Er ließ sie einfach stehen und setzte sich wieder an den Tisch, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.
„Also das hat besser funktioniert als Ihr noch abweisend und geheimnisvoll wart. Gebt Euch keine Mühe, so ein Verhalten passt nicht zu Euch."

Maya ballte frustriert die Fäuste. Dann fiel ihr Blick auf die Obstschale auf dem Tisch. Jemand hatte ein Messer dazu gelegt. Das kam ihr gerade recht. Entweder war er nicht schnell genug, oder er wollte nicht reagieren, als Maya vorsprang und sich das Messer schnappte.
Sie hielt es bedrohlich auf ihn gerichtet, doch er rührte sich nicht.

Am liebsten hätte sie es benutzt, nur wofür? In dieser Situation würde sie verlieren. Sie musste es zum richtigen Zeitpunkt einsetzen.
Also zog sie sich langsam in die Koje zurück und setzte sich aufs Bett. Warum hatte sie ihm den Schlüssel wieder gegeben? Doch dafür hatte sie jetzt das Messer. Damit würde sie ihn schon auf Abstand halten, wenn er ihr zur Nahe kommen würde.

So dachte sich Maya das zumindest. Zu ihrem Bedauern kam langsam die Übelkeit zurück. Das Schiff schwankte schlimmer als zuvor. Die See wurde unruhiger und Maya fürchtete einen Sturm. Sie sah die Schaumkronen auf den Wellen, als sie durchs Fenster blickte. So schön und neu dieses Bild auch war, sie konnte sich das nicht länger ansehen. Ihr Magen rebellierte und Maya legte sich hin. Wohl bedacht mit dem Rücken zum Fenster zu liegen. Doch die Schwankungen konnte sie nicht ausblenden. Nicht einmal mit geschlossenen Augen.

Sie erinnerte sich an ihre Mutter, wie sie ihr früher immer Geschichten von Abenteurern erzählt hatte. Ihrer sanften Stimme zu lauschen hatte Maya immer beruhigt. Wo war sie nur? Ging es ihr gut? An sie zu denken machte Maya nur traurig. Sie hatte keine Angst vor den Piraten. Es war auch kein Weltuntergang auf einem Segelschiff eingesperrt und entführt zu werden. Doch an ihre Mutter zu denken stimmte Maya so unglaublich traurig.

Sofort verließ sie jeglicher Mut und sie wünschte sich niemals aus dem Fenster geklettert zu sein.
Eine einsame Träne lief ihr über die Nase und tropfte aufs Kissen. Sie hoffte einzuschlafen. Es war besser als die Übelkeit zu bekämpfen. So bekam sie nichts mehr mit. Am liebsten wollte sie bis zur Ankunft in Amania weiter schlafen.
So schob sie das Messer unter ihr Kopfkissen und schloss die Augen.

Es war düstere Nacht, als Maya wieder zu sich kam. Man hatte sie zum Glück in Ruhe gelassen. Leider schaukelte das Schiff noch immer stark, was bedeutete, dass sie noch lange nicht ihr Ziel erreicht hatten. So stieß Maya einen Seufzer aus und starrte an die Decke. Ihr war nicht mehr so schlecht wie zuvor. Trotzdem könnte sie die ekelhafte Medizin von Manu noch einmal gut gebrauchen. Unmotiviert erhob sie sich und stapfte zur Kommode.

Ihre müden Augen konnten kaum etwas erkennen. Vor ihr stand die Wasserschale. Jemand hatte das Wasser ausgeschüttet. War auch besser so, sonst würde es bei diesen Schwankungen noch eine Überschwemmung geben.
Etwas anderes fiel ihr ins Auge. Ein Becher, gefüllt mit einer übel riechenden Flüssigkeit darin stand neben dem Spiegel und wartete darauf ausgetrunken zu werden.

Maya roch daran. Es roch genau nach Manus Medizin. Hatte Antonio ihr das Zeug hingestellt? So viel Aufmerksamkeit hätte sie ihm gar nicht zugetraut. Zögernd hob sie den Becher an. Sie wollte nicht irgend etwas trinken ohne hundert prozentig sicher zu sein, was es war. Auch wenn man noch immer nicht vor hatte sie zu vergiften. Sie hatte gehört wie oft man versucht hatte ihre Mutter zu vergiften. So stellte Maya den Becher wieder hin. Das konnte noch etwas warten.

Sie drehte sich zum Spiegel. Viel konnte sie nicht erkennen. Nur ihre ungebändigten langen Haare, die ihr wie immer in Wellen über die Schultern fielen. Das Schiff drehte sich langsam und der schwache Mond erhellte die Koje etwas. Genau in dem Moment sah Maya etwas im Spiegel. Entsetzt blickte sie aufs Bett.
Blitzschnell drehte sie sich um und schaute zu dem Mann, der dort halb sitzend, halb auf der Decke liegend an der Wand lehnte und zu schlafen schien.

Maya hatte bis eben noch neben ihm gelegen und ihn nicht einmal bemerkt. Wann war er zu ihr gekommen? Warum? War er es leid draußen auf der Bank zu schlafen? Allein die Vorstellung neben ihm auf dem Bett gelegen zu haben, versetzte Maya in Panik.

Da fiel ihr ein, dass sie das Messer unter ihrem Kissen versteckt hatte. Vorsichtig schlich sie zum Bett zurück und hockte sich davor. Mit der Hand tastete sie das Laken ab. Wo zur Hölle war es nur? Er musste es sich genommen haben. Maya fluchte leise.

Dann sah sie es. Er hatte es neben sich auf den Beistelltisch gelegt. Auf Zehenspitzen tapste sie ums Bett herum auf die andere Seite. Dort nahm sie das Messer an sich. Sofort fühlte sie sich sicherer. Nur was stellte sie jetzt damit an? Sie war keine Mörderin. Noch half es ihr dabei zu fliehen. Es könnte ihr helfen, wenn sie den Schlüssel zur Kajüte hätte. Dann würde sie ihn wieder einschließen und an Deck schleichen.
Schon wieder fiel ihr kein besserer Plan ein. Außerdem hatte Antonio bestimmt den Schlüssel bei sich. Danach zu suchen würde ihn nur aufwecken.

Maya stand noch immer neben ihm und betrachtete ihn, während sie über eine mögliche Flucht nachdachte. Viel Hoffnung hatte sie nicht. Ihn umbringen würde ihr auch nichts nützen. Dann würde sie gewaltige Schwierigkeiten mit seiner Mannschaft bekommen. Ihre Finger festigten den Griff. Die Klinge reflektierte das Mondlicht.

Es fiel ihr erst nicht auf, aber noch etwas anderes reflektierte das Mondlicht. Ein paar Augen, dass sie beobachtete.
Er war wach. Maya sog scharf die Luft ein. Wie lange war er schon wach? Hatte er überhaupt geschlafen oder nur so getan als ob?
Sie wollte zurückweichen, doch er fasste sie in Sekunden schnelle am Handgelenk und zog sie zu sich. In dem Moment schwankte das Schiff wieder und Maya verlor den Halt.

So fand sie sich kurz darauf halb in seinen Armen wider und drückte ihm leicht das Messer an den Hals. Das hatte sie nicht gewollt. Weder halb auf ihm zu landen noch ihn zu verletzen. Sie sah den kleinen Blutstropfen auf seiner Haut.
Maya wollte aufstehen, von ihm weg kommen, doch Antonio hielt sie fest.

„Wenn du mich das nächste Mal mit einem Messer bedrohst...", sagte er mit ernster Stimme, „dann zögere nicht."
Dabei hatte sie ihn gar nicht bedroht. Sie war bloß ausgerutscht. Antonio sah das wohl anders. Der Ausdruck seiner kalten Augen verriet ihr das.

Er sah sie schon wieder zu lange an. Maya erkannte einen Wandel von kalter Ablehnung zu Verwirrung und noch etwas anderes, was Maya nicht deuten konnte. Sie spürte plötzlich seine kalten Finger im Nacken und erschrak. Er hinderte sie daran sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen und kam ihr mit seinem Gesicht bedrohlich nahe. Dabei ignorierte er die Klinge an seinem Hals. Was mache er denn? Je näher er sich vorbeugte, desto tiefer schnitt das Messer ihm ins Fleisch.

Was anschließend geschah, hätte Maya sich in hundert Jahren nicht vorstellen können. Er senkte die Lider und sah auf ihre Lippen. Dann spürte sie seinen Atem auf ihrer Haut und plötzlich küsste er sie. Nicht gierig und unkontrolliert. Ganz sanft und sicher. Ein wohliges Gefühl durchströmte ihren Körper.

So hatte sie sich ihren ersten Kuss nicht vorgestellt. Antonio musste Schmerzen haben. Noch immer drückte sie ihm mehr oder weniger ungewollt die Klinge an den Hals. So lehnte er sich langsam zurück, drückte Maya aber mit der Hand in ihrem Nacken weiter nach unten. So wurde der Kuss nicht unterbrochen. Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie das überhaupt wollte. Sie hätte sich eh nicht widersetzen können. Also ließ sie es geschehen, schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine weichen Lippen, die immer wieder über ihre streiften.

Es dauerte einen Moment, bis er sich von ihr löste und sie irritiert anstarrte. Vermutlich hatte er eine andere Reaktion von ihr erwartet. Er forschte in ihren Gesicht, doch Maya war genauso verblüfft über das, was da gerade geschehen war.

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