Zwei
(Vergangenheit)
Grynn hastete durch das Unterholz. Er sprang über umgefallene Bäume und wand sich zwischen dem dichten Gebüsch hindurch. Immer wieder blickte er ängstlich zurück und suchte nach seinen Verfolgern. Er sah sie nicht, hörte aber ihre Schritte im Unterholz.
Er sputete sich noch mehr. Sie durften ihn auf keinen Fall erwischen. Seine Mütze blieb an einem Zweig hängen, als er sich durch besonders dichtes Buschwerk hindurch zwang. Er wollte sich gerade umdrehen und danach greifen, als er seine Verfolger nicht weit hinter sich entdeckte. Entsetzt ließ er seine Mütze zurück, zog sich die Wolljacke enger und sprintete schneller.
Bald würden sie ihn erreichen. Er flehte zu den Göttern, dass er sich irgendwo verstecken konnte. Da kam ihm eine riesige Baumwurzel gerade recht. Sie bot genug Schutz, um sich in ihrem Schatten verstecken zu können, also kroch Grynn hastig unter den Baum und konnte gerade noch rechtzeitig seine Atmung kontrollieren.
Es fiel ihm schwer leise zu atmen nach der Rennerei. Aber es kam jetzt auf jedes Geräusch an. Der winzigste Laut könnte ihn schon das Leben kosten. Er wusste, die Krieger jagten ihm schon seit Malovin hinterher. Sie hatten ihm tagelang durch die Landschaft gehetzt. Wenn er es richtig anstellte und das Glück ihm wohl gesonnen war, konnte er sie endlich überlisten und davon kommen. Er musste seinen Herren wieder finden und seinen Auftrag zu Ende bringen.
Dummer Weise hatte er sich von den Kriegern Dokrats bei der Spionage erwischen lassen. Sie waren aber auch besonders vorsichtig gewesen. Nicht zum ersten Mal war Grynn der Fehler unterlaufen Dokrats Krieger zu unterschätzen. Niemals hätte er ihnen diese Ausdauer zugetraut. Sie waren besser trainiert als er, was ihn nun gehörig zum Nachteil wurde.
Er zitterte vor Kälte und Anspannung. Sie kamen näher. Lauschten nach Geräuschen. Da trat einer von ihnen um den Baum herum. Grynn hielt die Luft an. Wenn er jetzt atmete, dann würde der Krieger ihn finden. Er wartete. Betrachtete die schwarzen Stiefel durch das Holz. Mehr sah Grynn nicht von dem Mann. Er drohte schon zu ersticken, da drehte sich der Krieger plötzlich um und entfernte sich von Grynns Baum. Dieser holte leise Luft und beobachtete pausenlos den schlammigen, schwarzen Umhang.
Grynn wollte sich gerade etwas entspannen als ihn jemand von hinten packte und aus dem Wurzelgeflecht zog. Panisch wehrte er sich gegen den festen Griff. Er schrie.
„Hör auf zu jammern, du Wurm!", befahl der blonde Krieger und zog Grynn dabei auf die Beine. Am Kragen gepackt wurde er dazu gezwungen dem Krieger direkt in seine wütenden Augen zu schauen.
„Du dachtest wohl, du könntest uns an der Nase herum führen. Aber wir brauchen weder unsere Nase noch unsere Ohren, um dich zu finden. Wir würden dich überall aufspüren."
„Bitte, tötet mich nicht!", bettelte Grynn mit zittriger Stimme.
„Das liegt ganz bei dir, du hast die Möglichkeit uns die Wahrheit zu sagen, oder wir bringen dich um."
„Ich nütze euch tot doch gar nichts."
Ein ironisches Lachen von dem Krieger schallte durch den Wald.
„Tote Saboraner sind immer gute Saboraner." Grynn schluckte. Das konnte gar kein gutes Ende für ihn haben. „Was soll ich denn tun, damit ihr mein Leben verschont?"
„Das ist ganz einfach", melde sich der andere Krieger zu Wort. Seine schwarzen Haare waren feucht und er hatte bestimmt seit Tagen nicht geschlafen. Man sah es ihm an. Doch sein eiskalter Blick schien nicht müde. Im Gegenteil, seine grauen Augen bohrten sich geradezu in Grynns schwarze Seele.
Dieser Mann war ihm unheimlich. Er war mächtig und nicht zu Späßen aufgelegt. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wir wollen von Euch wissen, wo sich dein Herr befindet. Ich weiß dass du in Jeremys Diensten stehst. Sag uns, wo wir ihn finden können und du darfst dein abscheuliches Leben behalten."
„Ich weiß nicht wo er ist."
Falsche Antwort. Der Krieger vor ihm packte noch stärker an seinem Kragen und funkelte ihn wütend an. „Du lügst."
„So rettest du dich nicht", kam es wieder von dem Schwarzhaarigen.
„Habe ich das Wort der Krieger, dass sie mich freilassen, wenn ich sie zu Jeremys Versteck führe?"
Beide Krieger tauschten Blicke aus. Dann nickten sie. Wenn Grynn eines über Krieger wusste, dann dass sie nicht gegen ihr Wort gehen konnten. Das Wort eines Kriegers wurde mit Ehre und Respekt behandelt. In Jeremys Augen war dies immer eine Schwäche.
„Gut ich führe euch."
Somit führte der Saboraner die Krieger in ihr Verderben. Wenn Sie Jeremys Versteck erreichten, erwartete sie nur eine Falle. Sein Herr wusste sich immer zu verteidigen und noch nie hatte ihn jemand gefasst. Er war Meister im Untertauchen.
~
Sanjana wippte ungeduldig mit dem Fuß. Sie wartete jetzt schon eine Ewigkeit auf Gadnam. Er hatte ihr eine Überraschung versprochen. Allerdings hatte er sich schon seit Stunden in der Küche verbarrikadiert und kam einfach nicht heraus.
Sanjana fragte sich ob er wohl eingeschlafen war. Nein, so etwas würde doch nicht ihrem Koch passieren. Entnervt setzte sie sich auf die Bank in der großen Halle und lehnte sich bequem zurück. Samara hätte bei dieser unästhetischen Haltung schon wieder mit ihr geschimpft.
Aber ihre beste Freundin vertrieb sich die Zeit indem sie ihrem Mann schöne Augen machte. Wer könnte es ihr verdenken. Immerhin hatten die beiden Jahre darauf gewartet beisammen zu sein.
Ram Sarkut hatte nach dem Krieg für sie die Armee verlassen und war zu ihr nach Namalia gekommen. Noch wohnten die beiden in Sanjanas großem Haus. Doch bald würden sie fortgehen. Wohin, das wussten sie noch nicht. Sanjana beneidete sie. Auch sie wollte glücklich sein. Sie war nicht unglücklich, doch war die Sehnsucht ihr ständiger Begleiter geworden. Seit dem Moment, als Jay Mathur in ihr Leben getreten war.
Auch Jay war ein Krieger Tamarans, genauso wie Ram und ihr gemeinsamer Freund Alain Jenssen. Im Gegensatz zu Ram hatten Jay und Alain sich noch nicht dem Kampf gegen das Nachbarland Saboran entsagt. Sie waren seit zwei Monaten nicht mehr bei ihr gewesen.
Wann immer sie Ram auf die beiden angesprochen hatte, hatte dieser sich in Schweigen gehüllt. Natürlich wusste er von ihrem Verbleib und was sie so trieben, aber er gab es nicht preis. Sehr zum Ärger der jungen Senatorin.
Auch Sanjana hatte sich ihren Pflichten wieder mehr zuwenden müssen. Sie musste sich um Namalia kümmern. Das war zumindest eine gute Ablenkung von ihrer Sehnsucht. Sie vermisste Jay schmerzlich. Kein einziges Wort von ihm, seit Wochen. Also hatte sie sich in Arbeit gestürzt. Natürlich hatte es Samara erfreut, ihre Freundin so motiviert zu sehen. Dass das eigentlich keine Motivation war, brauchte sie ja nicht zu wissen. Wenn Samara nicht ganz auf den Kopf gefallen war, würde sie von selbst dahinter kommen.
Ram durchschaute sie natürlich sofort. Trotzdem machte er ihr das Leben mit seinem Schweigen nicht angenehmer.
Hin und wieder beobachtete er sie und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. Nicht so ein aufgesetztes Lächeln, was seiner üblichen Maske als Krieger galt. Nein, es war ein ehrliches Lächeln, voller Gefühle.
Der Mann war kaum wieder zu erkennen. Fremde würden ihn schon gar nicht mehr als Krieger ernst nehmen. Er trug seine dunkle Kleidung nicht mehr und hatte seine Waffen größten Teils abgelegt. Immerhin brauchte er sie jetzt nicht mehr. Höchstens, um die beiden Damen gelegentlich in der Kampfkunst zu unterrichten.
Die Grundkenntnisse hatte Sanjana von ihrem Vater gelernt. Aber es von einem professionellen Krieger vermittelt zu bekommen, war etwas anderes.
Wenn Jay sie jemals mit einer Waffe in der Hand erwischte, würde ihr mehr als nur ein Donnerwetter drohen.
Gadnam kam endlich aus seiner Küche geschwungen. Er schwang tatsächlich, denn auf den Händen balancierte er ein enorm großes Tablet mit einer riesigen Torte darauf. Sanjana staunte nicht schlecht. Das sollte seine Überraschung sein?
„Bei den Göttern, Gadnam, du hast dich selbst übertroffen!", rief Sanjana freudig und sprang auf.
„Ich gratuliere, meine liebe Lady. Dank Euch wurden die Mienen von armen Frauen und Kindern befreit. Ihr habt es möglich gemacht, die Sklavenarbeit dort bis auf ein Minimum zu reduzieren. Dafür gebührt Euch der Dank der ganzen Stadt und dieses Wunderwerk. Die Zutaten wurden von Euren Anhängern gespendet. Es nicht viel von Wert, aber die Geste zählt."
Gadnam stellte das riesige Gebäck auf den viel zu kleinen Tisch in der Halle. Sanjana bestaunte es immer noch.
„Aber Gadnam, du sollst doch nicht so förmlich sein. Außerdem hast du so viel Arbeit gehabt..."
„Es war keine Arbeit", unterbrach er sie mit seinem komischen Akzent. „Es war ein Vergnügen. Außerdem habt Ihr es wirklich verdient. Ihr habt so viel durchmachen müssen."
„Hab tausend Dank, mein Lieber. Nur wie soll ich dieses Monstrum allein vernichten?"
Er lachte. „Nun, ich bin mir sicher, dass Ihr dafür schon Abnehmer findet."
Sofort dachte Sanjana an die kleine Ally und ihre Mutter. Sie freuten sich mit am meisten über die Veränderung der Mienen. Sie selbst hatten dort hart arbeiten müssen. Sogar so hart, bis Allys Mutter an einer schweren Lungenentzündung erkrankt war.
Zum Glück hatten die Krieger ihr helfen können. Leider kam bei diesen Gedanken auch eine schmerzhafte Erinnerung auf. Es war der selbe Tag, An dem auch Jeremy das erste Mal aufgetaucht war und sie vergiftet hatte. Der Mann war ihr einfach zu wider gewesen. Eine ekelhafte, schleimige Qualle. Sie schüttelte sich.
„Ist Euch kalt?"
Schnell schüttelte Sanjana den Kopf. Sie wollte Gadnam auf keinen Fall beunruhigen. Sie war schon nervös genug. Jeremy war immer noch auf freiem Fuß. Wo auch immer er war, er plante vermutlich einen neuen Anschlag. Wie sicher konnte sich Sanjana trotz des Waffenstillstands also fühlen?
Plötzlich hörte man Hunde klaffen und das Tor ihres Grundstücks wurde unter Quietschen geöffnet. Überrascht drehte sich Sanjana zum Fenster. Dort kamen mehrere Reiter auf den Hof.
Die Sonne in ihren Rücken blendete Sanjana und verwehrte ihr den genauen Anblick der Besucher. Sie hatte sofort eine weitere Erinnerung. Genau so hatte sie Jay kennen gelernt. Er war durch die Tür getreten und sie hatte ihn nicht erkannt. Erst im Schatten der Halle, hatte sie in sein attraktives Gesicht sehen können. Und sofort war es um sie geschehen gewesen.
Sie wartete bis jemand das Haus betrat. Und wieder strahlte die tief stehende Wintersonne in das Haus und zwang sie die Augen zu zukneifen. Nach einem Moment erkannte sie den bekannten Geruch von Pferd, Leder und Wildnis.
Sie öffnete die Augen und wäre beinahe rücklings über die Torte gefallen vor Schreck. Jay stand direkt vor ihr und grinste schelmisch.
Als sie das Gleichgewicht verlor, hielt er sie fest am Handgelenk. Noch immer verdattert starrte sie den Mann an. Zuerst glaubte sie zu träumen. Dann aber schlang sie die Arme um ihn und küsste ihn intensiv. Jay nahm sie in den Arm und erwiderte den Kuss. Verwirrt über sein plötzliches Erscheinen und zugleich überglücklich drückte sie sich fest an ihn. So sehr hatte sie ihn vermisst. So gerne wollte sie ihn nie wieder los lassen.
„Ich sagte dir doch sie wird sich freuen dich zu sehen."
Alains Stimme brachte Sanjana dazu den Kuss zu unterbrechen und den Krieger hinter Jay anzusehen, der gerade durch die Eingangstür getreten war.
Alain lächelte sanft. Er war immer schon eher verhalten gewesen. Deswegen wusste Sanjana dieses winzige Lächeln auch als etwas besonderes einzuordnen. Auch ihn hatte sie vermisst. Sie fühlte sich in die Vergangenheit zurück versetzt, als sie nun Samaras übliche Rolle einnahm und auf Alain zulief. Sie umarmte den verlegenen Krieger herzlich. Zuerst wusste er gar nicht damit umzugehen. So eine offene Reaktion hatte er nicht erwartet. Dann aber drückte er sie kurz. „Vielen Dank."
„Also das nenne ich jetzt wirklich eine Überraschung."
Sanjana zwinkerte Gadnam zu. Dieser lächelte verständnisvoll und sagte: „Nun da kann ich auch nicht mithalten."
Er verneigte sich und zog sich höflich zurück. So hatte Sanjana Zeit die beiden Krieger mit Fragen zu löchern. Erst recht, als Ram und Samara kurz darauf zu ihnen stießen.
„Wir wurden eine Weile vom Dienst frei gestellt", erklärte Jay ruhig.
„Freigestellt?"
„Ja. Du kannst es auch Urlaub nennen."
Ram grinste.
Diese Nachricht erfreute Sanjana noch mehr. „Wie lange könnt ihr bleiben?"
„Eine Weile", antwortete Jay. Er nahm zu ihrem Bedauern Abstand von ihr und schaute sich um.
„Also Sanjana, jetzt muss ich wirklich mit dir schimpfen. Hast du denn im Bezug auf Sicherheit gar nichts von mir gelernt? Offene Türen, eine Wache, die offensichtlich jeden herein lässt und du..."
Er wandte sich wieder zu ihr. „Du bist die unachtsamste und sorgloseste Senatorin, die mir je begegnet ist."
„Nun, ich bin mir sicher, dass du noch nicht viele weibliche Senatoren kennen gelernt hast. Abgesehen davon, werde ich zur Zeit nicht bedroht."
Jay seufzte.
„Du wirst immer bedroht", sagte er leise.
Sanjana hatte keine Lust mit ihm zu diskutieren, kaum dass er wieder bei ihr war. Also entschuldigte sie sich, indem sie ihn umarmte und ihm ein entzücktes Lächeln schenkte.
~
Verflucht, hatte er diese Frau vermisst. Dieses Lächeln von ihr raubte ihm die Sinne. Hätte sich Alain nicht im richtigen Moment geräuspert, hätte Jay sie auf der Stelle überfallen. Manchmal war sein Freund unersetzbar. Also Zwang sich Jay Sanjana nicht anzufallen, oder zu überfallen...was auch immer er gerade mit ihr tun wollte, musste warten. Nicht zu lange natürlich. Jay hatte nicht alle Zeit der Welt.
Die beiden Krieger wurden dieses Mal im Haus untergebracht. Wobei Jay vorzugsweise in Sanjanas Gemächern schlief. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, ihr mehr zu widerstehen, aber er hatte es sich schon einmal eingestanden; die Frau hatte gewisse Reize, die ihn einfach nicht kalt ließen. Außerdem hatte er Wochen im Wald verbracht. Kein Wunder dass er sie nun anstarrte wie ein ausgehungerter Tiger - sehr zum Amüsement seiner beiden Freunde.
Ram konnte ihn noch am besten verstehen. Immerhin ging es ihm mit Samara nicht viel anders. Aber von Alain konnte Jay zu diesem Zeitpunkt kein Verständnis erwarten. Es wurde dringend Zeit, dass Alain sich verliebte. Auch wenn Jay allein die Vorstellung zum Lachen brachte, konnte er nicht leugnen Gefallen an diesem Gedanken zu finden. Eine Frau konnte den ernsten Krieger vielleicht etwas gesprächiger machen und mit Glück noch etwas mehr als das.
Da fiel ihm plötzlich etwas auf.
„Moment, du trägst ein Kleid."
Sanjana lachte.
„Ja natürlich. Ich bin auch eine Frau."
Er hörte Ram ein grunzendes Geräusch von sich geben und zu Samara flüsterte er: „Seit wann?"
Daraufhin kassierte er einen mörderischen Blick von Sanjana. Alain und Jay schmunzelten. Dann schaute er sich die Senatorin genauer an. Ihre gelockten Haare waren um einiges gewachsen. Ihr beiges Kleid fiel in sanften Wellen auf den Boden und bedeckte ihre schmalen Füße. Um den Hals trug sie seine Halskette, die er ihr vor einigen Monaten geschnitzt hatte. Ein Vogel, der aus einem Kreis fliegt.
Es sollte ihre Unabhängigkeit und Freiheit symbolisieren.
Er hatte die Tradition von seinen toten Eltern übernommen den wichtigsten Menschen in seinem Leben einen aus Holz gefertigten Anhänger zu schnitzen.
Ihre braunen großen Augen glänzten und beobachteten ihn. Jays Herz wurde schwer. Was hatte er ihr nur angetan? Er konnte nur zu deutlich ihrer Liebe zu ihm darin erkennen. Bald schon würden ihre wunderschönen großen Augen voller Tränen sein.
Vier Wochen verbrachten Alain und Jay in Namalia. Und wieder fühlte sich Jay zuhause. Die Stadt war wirklich wunderschön. Erst recht im Frühling, wenn alles blühte, eine warme Sonne am blauen Himmel erstrahlte und das Wasser des angrenzenden Sees zu glitzern schien.
Nun vielen statt der Blühten weiße Flocken vom grauen Himmel und bedeckten die Welt mit einer knisternden Decke. Fischer fuhren ihre Boote aus, in der Hoffnung noch etwas zu fangen, bevor der See zufror.
Kinder lachten und liefen vergnügt durch die Gassen. Dabei stellten sie allerhand Unfug an, bewarfen sich mit Schnee und rutschten auf dem Eis.
Es war ein kleines Paradies. Monate hatten Jay und Alain in der kalten Wildnis verbracht und waren viel umher gekommen. Man konnte es nicht damit vergleichen, wieder in Namalia zu sein. Die Leute erinnerten sich an sie und freuten sich über den Besuch der Krieger.
Auch Ram und Samara schienen sich dort sehr wohl zu fühlen. Beide waren überglücklich. Wie sehr Jay sie beneidete. Ihm blieb leider keine Zeit mehr. Langsam musste er sich dem schlimmsten Tag seines Lebens stellen. Nur wie stellte er das an? Wie konnte er nur wieder gehen?
Es war ihm schon beim letzten Mal schwer gefallen. Entgegen der Befehle des Rates war er wieder gekommen - immer wieder - weil er nicht ohne sie sein konnte. Jedes Mal wieder zu gehen, fiel ihm immer schwerer.
Nur spielte das eh keine Rolle mehr. Der Rat konnte ihn nicht mehr bestrafen. Nie wieder würde er sich von den engstirnigen Meistern manipulieren lassen.
Trotzdem war es nicht der Hohe Rat der Krieger, der ihn zwang zu gehen.
Eigentlich hätte er jetzt für immer bei Sanjana bleiben können, aber auch das ging nicht. Zuerst musste er noch etwas erledigen. Er hatte eine Mission zu erfüllen. Koste es, was es wolle. In diesem Fall kostete es ihn Sanjana.
Zu oft hatte sie ihn gebeten Dokrat zu verlassen und nicht mehr zu kämpfen. Doch er hatte ihr darauf entgegnet: „Auch wenn wir Waffenstillstand mit Saboran haben. Es werden immer Krieger gebraucht. Erst recht, nachdem wir so viele in der Schlacht verloren haben."
„Also bedeutet dir Dokrat wohl mehr als ich?" hatte sie trotzig gefragt.
„Das kann man nicht vergleichen. Ich kann dort nicht weg. Versteh mich doch bitte."
„Nein, Jay. Nach allem, was wir durchgestanden haben, brauche ich dich an meiner Seite. Jeremy ist noch dort draußen und er wird irgendwann wieder kommen."
Nachdem er sich immer noch nicht darauf einließ die Armee zu verlassen wurde sie richtig wütend.
„Weißt du ich glaube nicht, dass man dich in Dokrat braucht. Aber du brauchst Dokrat noch. Du kannst nicht ohne das Kämpfen sein."
Jay hatte geschwiegen, was sie natürlich in ihrer Annahme bestärkte. Doch sie täuschte sich gewaltig. Er hasste das Kämpfen. Er wollte kein Blut mehr sehen...wollte nur noch bei ihr sein. Aber er hatte nicht die Möglichkeit ihr die Wahrheit zu sagen. Immer wieder stritten sie über dieses Thema. Und immer hatte es das gleiche Ende. Beide gingen wütend auseinander. Das stand wie ein gewaltiger Stein zwischen ihnen.
Eines Nachts saß Jay in Sanjanas Gemächern in dem Sessel vor ihrem Fenster und beobachtete sie beim Schlafen. Er war komplett bekleidet und bewaffnet. Zu seinen Füßen lag der Beutel mit seinen wenigen Habseligkeiten. Er saß Stunde um Stunde reglos dort und versuchte sich zu überwinden. Es war unmöglich für ihn. Er konnte es nicht und vergrub verzweifelt den Kopf in seinen Händen.
Leise klopfte Alain an die Tür. Er wartete schon lange.
„Jay, wir müssen gehen. Wenn du nicht bald aufbrichst, wirst du niemals gehen."
Alain hatte durch die geschlossene Tür zu Sanjanas Schlafgemach gesprochen. Sie hatte es nicht gehört und schlief ruhig weiter. Jay erhob sich und öffnete die Tür. Er schaute in Alains mitfühlendes Angesicht und musste sich eingestehen wie verzweifelt er selbst gerade aussehen musste.
„Gib mir noch einen Moment."
Ohne auf eine Antwort zu warten drehte sich Jay wieder um und ging zu Sanjana. Seiner Sanjana, die er eigentlich schon vor einer Ewigkeit zu heiraten gedacht hatte. Aber daraus würde nie etwas werden.
Vielleicht heiratete sie einen reichen Aristokraten und würde viel glücklicher sein, als sie es mit Jay werden konnte. Natürlich würde sie anfangs traurig sein. Aber sie würde ihn vergessen - musste ihn vergessen. Genauso wie er sie vergessen musste. Er streichle sachte über ihr schwarzes Haar und betrachtete sie einen langen Moment. Dann beugte er sich über sie und küsste sie ein letztes Mal. Sie bewegte sich und Jay befürchtete sie würde erwachen. Aber Sanjana wachte nicht auf. Zu seinem Glück.
Leise entfernte er sich von ihr und verlies die Gemächer. Draußen warteten seine beiden Freunde auf ihn. Ram sah traurig aus. Verständlich. Sie hatten bis jetzt alles zusammen erlebt und nun würde er seine Freunde vielleicht nie wieder sehen.
„Noch kannst du es dir anders überlegen. Du musst nicht fortgehen."
„Ram, wie oft haben wir schon darüber gesprochen? Ich habe mich entschieden und bleibe bei meiner Entscheidung. Daran ist nichts zu ändern."
„Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass du einen Fehler machst, mein Freund. Wenn du..."
„Es reicht!", unterbrach ihn Jay etwas lauter. „Ich werde gehen und Alain hat sich entschieden mit zu kommen. Hör auf zu diskutieren Ram."
Niedergeschlagen folgte Ram den beiden auf den Hof, wo man ihrer Pferde gesattelt bereit gestellt hatte. Vielleicht hatte Ram recht. Vielleicht beging Jay einen Fehler, aber er hatte sich so entschieden. Er würde Tamaran verlassen. Wie lange, konnte er nicht sagen. Ob er jemals zurück kommen würde, konnte er nicht sagen.
So stieg er in den Sattel und nahm die Zügel auf. Als Alain seine Sachen auf dem Pferderücken verstaut hatte, hob er sich auch mit Schwung hinauf. Ram lies das Tor öffnen.
„Ich hoffe, dass ihr eines Tages zurück kehrt. Aber ich bete auch für euren Erfolg."
„Danke, Ram."
Sagte Alain nur.
„Vergiss dein Versprechen nicht", erinnerte Jay.
„Du darfst weder Sanjana noch Samara die Wahrheit sagen. Sie dürfen niemals erfahren wo wir sind und warum wir gegangen sind. Außerdem musst du sie beschützen, Ram. Du bist jetzt allein für sie verantwortlich."
„Du hast mein Wort, Jay. Ich verspreche dich zu holen, sollte sie jemals in großer Gefahr sein."
„Du weißt wie du uns erreichen kannst, ganz egal wo wir uns befinden."
Ram nickte. Das genügte Jay. Er wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte.
„Lebt wohl!", hörte Jay noch. Dann ritten er und Alain zum Tor hinaus. Außerhalb der Stadt meinte Alain zu ihm: „Ich werde es vermissen."
Jay wusste, dass er von Namalia sprach. Er würde es auch vermissen. Und noch mehr würde er Sanjana vermissen.
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